Neu im Kino/Filmkritik: „Captive“ oder Die Geisel hat ein Buch

Es fällt mir schwer, bei „Captive“ nicht zynisch zu werden – und das zeigt schon die Größe des Desasters, die Diskrepanz zwischen gut gemeinter, aber hier peinlich penetranter Botschaft und banaler Umsetzung, an. Dabei basiert der Film auf einer wahren Geschichte, er ist professionell inszeniert, die Schauspieler sind auch gut und die Geschichte einer Geiselnahme bietet, dank eines klaren Konfliktes, immer eine ordentliche Grundspannung. Da kann man nicht viel falsch machen, wenn es nicht – erstens – die wahre Geschichte gäbe und sie nicht – zweitens – am Ende mit einer unerträglich kitschigen, christlichen Tünche zugekleistert würde, die beim Abspann ein ungeahnt peinliches Ausrufezeichen hinter die Botschaft setzen würden. Dann herzen sich bei einer Talkshow die wahre Geisel und der wahre Lebensratgeber-Autor und eine sehr gospelige Version von Bob Dylans „Pressing On“ (von seiner nicht besonders geschätzten LP „Saved“, in der er, zum Entsetzen seiner Fans, sein neu entdecktes Christentum musikalisch verarbeitete) ertönt, die bibeltreue Christen wohl begeistert mitsingen lässt. Die sind auch das Zielpublikum von „Captive“.
Denn dank des banalen christlichen Lebensratgeber-Bestsellers „The Purpose Driven Life“, geschrieben von dem evangelikalen Pfarrer Rick Warren, dessen im Film präsentierten Weisheiten zwischen „Gott hat dich lieb“, „Gott hat einen Weg für dich vorgesehen“ und „Gott hat dich sehr lieb“ schwanken, werden hier eine Junkie-Mutter (Kate Mara auf blass geschminkt) und ein flüchtiger, eiskalter Mehrfachmörder (David Oyelowo, der sich hier unter Wert verkauft) innerhalb einer Nacht zu besseren Menschen bekehrt. Das ist, auch wenn es sich so ähnlich in einer Nacht 2005 in Atlanta abspielte, in im Film psychologisch einfach unglaubwürdig erzählt und ohne irgendeine weitergehende Inspiration verfilmt.
Jerry Jameson ist ein altgedienter TV-Regisseur (unzählige Folgen für Serien wie
„Twen-Police“, „Cannon“, „Magnum“, „Dallas“, „Mord ist ihr Hobby“ und „Walker, Texas Ranger“), der auch einige Spielfilme („Airport ’77 – Verschollen im Bermuda-Dreieck“, „Hebt die Titanic“) inszenierte. Aus rätselhaften Gründen holte man den 1934 geborenenRoutinier Jameson aus dem wohlverdienten Ruhestand zurück. Er inszenierte „Captive“ dann auch ohne besondere Ansprüche als den „TV-Film der Woche“. Dieses Mal mit penetrant christlicher Botschaft und einem für US-Verhältnisse angenehm gewaltfreien, aber auch unglaubwürdigem dritten Akt.

Captive - Plakat

Captive (Captive, USA 2015)
Regie: Jerry Jameson
Drehbuch: Brian Bird, Reinhard Denke (ungenannt)
LV: Ashley Smith/Stacy Mattingly: Unlikely Angel, 2005 (Der unverhoffte Engel: Die überraschende Wendung einer dramatischen Geiselnahme)
mit Kate Mara, David Oyelowo, Michael K. Williams, Mimi Rogers
Länge: 97 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Film-Zeit über „Captive“
Moviepilot über „Captive“
Metacritic über „Captive“
Rotten Tomatoes über „Captive“
Wikipedia über „Captive“
History vs. Hollywood über „Captive“

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