DVD-Kritik: Über die Noirs „Die Narbenhand“ und „Die rote Schlinge“

Mit einem feinen Doppelschlag setzt Koch Media seine uneingeschränkt lobenswerte „Film Noir Collection“ fort. „Die Narbenhand“ ist ein echter Noir-Klassiker. „Die rote Schlinge“ ist eine äußerst unterhaltsame Screwball-Comedy, in der man die Noir-Anteile mit der Lupe suchen muss.

Duke Halliday (Robert Mitchum) flüchtet im Hafen von Vera Cruz vor Vincent Blake (William Bendix). Dort trifft er auf Joan ‚Chiquita‘ Graham (Jane Greer), der er wenige Minuten später in einem Hotelzimmer wieder begegnet. Sie will von Jim Fiske (Patrick Noles) das Geld haben, das sie ihm geliehen hat, bevor er nach Mexiko verschwand. Fiske kann sie beschwatzen und flüchtet mit einem Koffer voll gestohlenem Army-Geld, das Halliday unbedingt haben will. In dem Moment wissen wir noch nicht, warum Halliday das Geld will, warum Blake ihn jagt und ob Halliday zu den Guten oder den Bösen zählt.

Aber weil Halliday und Joan das Gleiche wollen, verfolgen sie gemeinsam den flüchtigen Fiske quer durch Mexiko. Dabei werden sie von dem wutschnaubenden Blake verfolgt und von Inspector General Ortega (Ramon Novarro), dem bauernschlauen mexikanischen Polizeichef, der amüsiert das erregte Treiben der Amerikaner beobachtet.

In seinem dritten Spielfilm „Die rote Schlinge“ erzählt Don Siegel die Geschichte so flott, das man kaum darüber nachdenken kann wer wen warum verfolgt und ob das schlüssig ist.

Dafür gibt es umwerfend komische Wortgefechte zwischen Robert Mitchum und Jane Greer, die bereits in „Goldnes Gift“ (Out of the Past, USA 1947) ein Paar waren. Sie hatten erkennbar ihren Spaß. Wie auch die anderen Schauspieler.

Bei den Schlägereien und einer langen, auch heute noch ziemlich beeindruckende Autoverfolgungsjagd zeigt Don Siegel sein Können als Action-Regisseur. Sowieso beeindruckt, wie souverän Don Siegel die Geschichte inszenierte und an wie vielen Schauplätzen sie spielt. Gedreht wurde in Mexiko und auf der Ray Corrigan Ranch in Simi Valley, Kalifornien. Allerdings, das muss auch gesagt werden, hatte Siegel hier viele Drehtage zur Verfügung und ein großzügiges Budget. Das Budget für seinen später gedrehten Science-Fiction-Klassiker „Die Dämonischen“/“Invasion der Körperfresser“ (Invasion of the Body Snatchers, USA 1956) betrug 382.190 Dollar. „Die rote Schlinge“ kostete letztendlich 780.000 Dollar und war teurer als geplant. Das lag vor allem an dem komplizierten Drehplan. Während des Drehs musste Robert Mitchum eine Haftstrafe wegen des Konsums von Marihuana antreten und damit wurde der gesamte Drehplan obsolet. Das sieht man unter anderem daran, dass Mitchum und Bendix, der eine andere Verpflichtung hatte, nur zwei gemeinsame Szenen haben (den Rest erledigte der Schnitt), Jane Greer am Ende des Drehs hochschwanger war (hier halfen passende Kleider) und das Drehbuch umgeschrieben werden musste. Doch am Ende des Tages zählt das Ergebnis und das stimmt bei „Die rote Schlinge“.

Zusätzlich neben dem üblichen Bonusmaterial der „Film Noir Collection“ (Booklet, Trailer, Bildergalerie) gibt es dieses Mal ein kleines „Making of“ (von 2007), einen interessanten Audiokommentar von Filmhistoriker Richard B. Jewell und eine später ohne die Urheber des Originalfilms entstandene Farbversion, die gegenüber der originalen SW-Version sehr blass aussieht.

 

Die Narbenhand“ ist einer der großen Noirs, „einer der Schlüsselfilme des frühen Film noirs“ (Paul Werner: Film noir) und wenn man sich den Film heute wieder ansieht, sieht man auch sofort warum: „Die Schattenspiele des Kameramanns [John F.] Seitz waren ebenso stilbildend und vorbildlich für die späteren Filme wie die wulgärpsychologische Motivierung des Killers.“ (Paul Werner: Film noir)

Die Geschichte basiert auf einem Roman von Graham Greene, der eine archetypische Noir-Geschichte erzählt (weshalb der Roman offiziell nur zweimal, inoffiziell tausend Mal verfilmt wurde).

Profikiller Philip Raven (Alan Ladd), der eine ‚Narbenhand‘ hat, erledigt seine Jobs präzise und unauffällig. Als „der eiskalte Engel‘ von seinem letzten Auftraggeber Willard Gates (Laird Cregar) mit markierten Scheinen (die angeblich von der Nitro Chemical Corporation geklaut wurden) bezahlt wird und so auf die Fahndungsliste der Polizei gerät, beginnt er ihn zu suchen. Seine Spur führt nach Los Angeles. Dort trifft er die Barsängerin Ellen (Veronica Lake), die ebenfalls an Gates interessiert ist.

Nach dem Film war Alan Ladd, der bei der Erstauswertung an vierter Stelle genannt wurde, ein Star und er und Lake waren das Noir-Traumpaar, das sich danach noch einige Male verlieben durfte. Ich sage nur „Der gläserne Schlüssel“ (The Glass Key, USA 1942) und „Die blaue Dahlie“ (The Blue Dahlia, USA 1945)

Die Drehbuchautoren Albert Maltz und W. R. Burnett erzählen die Noir-Thrillergeschichte, was in einem Noir selten ist, vor dem aktuellen politischen Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Deshalb ist der Bösewicht in illegale Geschäfte mit dem Feind verwickelt. Regisseur Frank Tuttle erzählt die Geschichte mit der Präzision und Genauigkeit eines Handwerkers, der in allen Genres reüssierte ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen.

Im direkten Vergleich mit der umfangreich ausgestatteten DVD zu „Die rote Schlinge“ enttäuscht die DVD-Ausgabe von „Die Narbenhand“. Angesichts der normalen Veröffentlichungspraxis von Koch Media scheint es kein Bonusmaterial zu geben. Das sollte einen aber nicht vom Kauf abhalten. Denn „Die Narbenhand“ ist ein echter Noir-Klassiker, der laut der OFDb noch nie im Fernsehen lief. Auch ich kann mich an keine Ausstrahlung des Films erinnern.

Die rote Schlinge (The big Steal, USA 1949)

Regie: Don Siegel

Drehbuch: Geoffrey Homes (aka Daniel Mainwaring), Gerald Drayson Adams

LV: Richard Wormser: The Roads to Carmichael’s, 1942 (Erzählung)

mit Robert Mitchum, Jane Greer, William Bendix, Patrick Knowles, Ramon Novarro, Don Alvarado, John Qualen, Pascual Garcia Pena

DVD

Koch Media (Film Noir Collection # 25)

Bild: 1.33:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)

Untertitel: Englisch

Bonusmaterial: Farbversion, Making of, Audiokommentar von Filmhistoriker Richard B. Jewell, Englischer Trailer, Bildergalerie

Länge: 71 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Die rote Schlinge“

Rotten Tomatoes über „Die rote Schlinge“

TCM über „Die rote Schlinge“

Wikipedia über „Die rote Schlinge“ (deutsch, englisch)

Noir of the Week über „Die rote Schlinge“

Meine Besprechung von Don Siegels „Der Tod eines Killers“ (The Killers, USA 1964 – Ronald Reagans letzter Film)

Meine Besprechung von Don Siegels „Der letzte Scharfschütze“ (The Shootist, USA 1976 – John Waynes letzter Film)

Kriminalakte über Don Siegel

Die Narbenhand (This Gun for hire, USA 1942)

Regie: Frank Tuttle

Drehbuch: Albert Maltz, W. R. Burnett

LV: Graham Greene: A Gun for sale/A Gun for hire, 1936 (Das Attentat)

mit Alan Ladd, Veronica Lake, Robert Preston, Laird Cregar, Tully Marshal, Marc Lawrence

DVD

Koch Media (Film Noir Collection # 24)

Bild: 1,18:1 (4:3)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0)

Untertitel: Englisch

Bonusmaterial: Englischer Trailer, Bildergalerie

Länge: 78 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Die Narbenhand“

Rotten Tomatoes über „Die Narbenhand“

TCM über „Die Narbenhand“

Wikipedia über „Die Narbenhand“ (deutsch, englisch)

Noir of the Week über „Die Narbenhand“

One Response to DVD-Kritik: Über die Noirs „Die Narbenhand“ und „Die rote Schlinge“

  1. […] Meine Besprechung von Don Siegels „Die rote Schlinge“ (The big Steal, USA 1949) […]

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