„Limbo“ wird beworben als der erste neunzigminütige One-Shot einer Filmhochschule. Es ist auch ein Abschlussfilm, der nicht die übliche Nabelschau des Regisseurs betreibt. Er erzählt nicht zum x-ten Mal über Liebesleid und -freud und über den Abschied aus der Provinz, in der man zwischen Rasenmähern und Volksfesten die glücklichen Tage seiner Kindheit verbrachte. „Limbo“ ist ein Thriller, irgendwo zwischen Finanz-, Cop- und Gangsterthriller.
In seinem Spielfilmdebüt verfolgt Tim Dünschede, Absolvent der HFF München, anfangs die junge Compliance Managerin Ana (Elisa Schlott), die einem Freitagnachmittag in den Unterlagen der Bank Hinweise auf finanzielle Unregelmäßigkeiten entdeckt. Als sie ihrem Vorgesetzten Frank Mailing (Mathias Herrmann) davon erzählen will, ist er nicht daran interessiert. Aber er und sein Begleiter laden sie ein, mit ihnen den Abend zu verbringen. Sie fahren zu einer verlassenen Fabrikhalle, in der es eine Nobelparty und einen illegalen Boxkampf geben wird.
In dem verwinkeltem Gebäude sind auch der Kleingangster Ozzy (Martin Semmelrogge) und sein jüngster Begleiter Carsten (Tilman Strauß). Ozzy will ihn mit dem Wiener (Christian Strasser) bekannt machen. Der Wiener ist ein Gangsterboss, dem der Club gehört. Carsten ist ein Undercover-Cop, der aus dem mit Firewalls hochgesichertem Computer des Wieners wichtige Daten stehlen soll.
Oh, und er ist auch der Bruder von Ana.
Diese Story ist der eindeutige Schwachpunkt des Films. Sie ist eine Ansammlung von Klischees, schlechten Entscheidungen und schlechten Dialogen.
Die Figuren verhalten sich immer wieder unplausibel, weil sie den Vorgaben des Drehbuchs gehorchen müssen. So entdeckt Ana am Filmanfang den Betrug und sie will sofort mit ihren Vorgesetzten darüber reden. Aber als sie kurz darauf im Auto neben ihrem Chef sitzt und sie auf der langen Autofahrt zu ihrem Ziel die Gelegenheit hätte, ihm sofort zu sagen, was sie entdeckte, macht sie zuerst einmal Smalltalk mit den beiden Männern. Sie erzählt auch, warum sie im Finanzgewerbe arbeitet. Das sind durchaus wichtige Informationen zu ihrer Motivation, die uns hier auf die denkbar ungeschickteste Art geliefert werden.
Später, auf der Party, verliert sie ihre Tasche, in der die Beweise für die Verbrechen der Bank sind. Selbstverständlich beginnt sie panisch ihre Tasche zu suchen. Bis sie an der Bar vom Kellner ein Freigetränk bekommt, sich entspannt hinsetzt und auf Ozzy trifft, mit dem sie sich dann locker-flockig über Gott und die Welt unterhält.
Diese hanebüchene Geschichte wird ohne einen einzigen Schnitt erzählt. Und allein für diesen Mut und wie er die Herausforderung meistert, gebührt Tim Dünschede jeder Respekt.
Sie legt allerdings auch zwei Probleme von One-Shot-Filmen offen. Es ist schwer Spannung herzustellen, weil die Kamera nicht zwischen zwei Perspektiven wechseln kann. Damit können in einem Thriller bewährte Suspense-Momente (wie das Platzieren der Bombe mit Zeitzünder unter dem Tisch, an dem später Männer Skat spielen oder wenn sich ein Bösewicht dem Ort nähert, an dem Held in dem Moment unter keinen Umständen sein darf) nur schwer bis überhaupt nicht realisiert werden. Denn es muss immer einen Grund geben, warum die Kamera eine Figur verlässt. Das tut Dünschede ziemlich oft. So führt er im ersten Drittel die beiden Hauptfiguren Ana und Carsten in getrennten Handlungssträngen ein. Das gelingt ihm, indem die Kamera an einer Tankstelle Ana verlässt und sie sich zu Carsten bewegt.
Ein anderes Problem ist, dass auch die langweiligen Teile nicht aus dem Film herausgeschnitten werden können, weil alles in Echtzeit spielen und die Figuren von einem Ort zu einem anderen Ort gelangen müssen. In „Limbo“ verfolgt die Kamera daher die Figuren in der Fabrikhalle viel beim treppauf und treppab gehen.
Als filmisches Experiment ist „Limbo“ definitiv einen Blick wert. Vor allem wenn man sich weniger für die Geschichte und mehr für die technischen Aspekte und die Frage, wie bestimmte Probleme beim Erzählen der Geschichte gelöst werden, interessiert.
Limbo (Deutschland 2019)
Regie: Tim Dünschede
Drehbuch: Anil Kizilbuga
mit Elisa Schlott, Tilman Strauß, Martin Semmelrogge, Christian Strasser, Matthias Herrmann, Steffen Wink
Länge: 89 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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