Bevor ich zum Roman komme: Nero Wolfe ist der Held der Stunde. Er lebt in New York in einem Brownstone. Er verlässt sein Haus niemals beruflich. Private Anlässe, wie eine Orchideenschau oder ein Gourmetessen, sind rar. Er will seine Wohnung einfach nicht verlassen.
In dem Haus lebt er zusammen mit seinem Koch Fritz Brenner, Orchideengärtner Theodore Horstmann und, als wichtigste Person für die aufzuklärenden Kriminalfälle, Archie Goodwin, seinem Laufburschen, sich notorisch in gutaussehende Frauen verliebenden Privatdetektiv und Erzähler der Nero-Wolfe-Fälle. Denn Nero Wolfe ist ein genialer Privatdetektiv. Goodwin und einige andere Männer (jaja, Männer-WG, keine Frauen, keine Liebesgeschichten) sind für ihn Augen und Ohren in New York. Nero Wolfe kombiniert aus ihren Berichten und den Besuchen der verschiedenen in den Fall involvierten Menschen den Hergang und enttarnt am Ende der Geschichte, wenn er alle in den Fall involvierten Menschen und die Polizei in seinem Büro versammelt, zu unser allgemeinen Verblüffung den Täter (oder die Täterin).
Erfunden wurde Nero Wolfe von Rex Stout (1886 – 1975) als eine Verbindung von typischem amerikanischem Hardboiled-Detektiv und britischem Armchair-Detective. Schon Wolfes erster Fall war so erfolgreich, dass Stout zwischen 1934 („Fer-de-Lance“) und 1975 („A family affair“) über dreißig Romane und unzählige Novellen und Kurzgeschichten mit Nero Wolfe schrieb, die immer wieder neu aufgelegt wurden.
Wolfes Stay-at-home-Nachfolger sind brillante Ermittler wie Jeffery Deavers vom Kopf abwärts querschnittgelähmten Lincoln Rhyme und Andy Breckmans Adrian Monk, der ein wandelndes Lexikon von Phobien und Zwangsstörungen ist. Parallel zur TV-Serie schrieben Lee Goldberg und, später, Hy Conrad eigenständige Romane mit dem Ermittler. Die von Goldberg geschriebenen, teilweise übersetzten Monk-Krimis kann ich alle empfehlen. Zu denen von Conrad kann ich nichts sagen.
Ehe ich jetzt vollkommen abschweife, kommen wir zum Fall mit den goldenen Spinnen zurück, der äußerst harmlos, fast schon spaßig beginnt.
Der zwölfjährige Pete Drossos klingelt bei Nero Wolfe. Der Straßenjunge mit einer Abneigung gegenüber der Polizei sagt, er habe eine ein Auto fahrende Frau mit Spinnenohrringen gesehen, die ihn stumm anflehte, die Polizei zu rufen, weil sie von dem auf dem Beifahrersitz sitzendem Mann bedroht werde. Wolfe informiert die Polizei und lehnt weitere Ermittlungen in dem aussichtslosen Fall ab. Kurz darauf ist der Junge tot. Überfahren von einem Auto, das auch Matthew Birch, einen Spezialagenten des Einwanderungs- und Einbürgerungsdienstes, überfuhr. Und das ist noch nicht die letzte ermordete Person, die Nero Wolfe dazu bringt, den Mörder zu suchen. Denn aufgrund einer von ihm aufgegebenen Zeitungsanzeige meldete sich Laura Fromm bei ihm. Sie trägt ebenfalls Spinnenohrringe, fördert als Philanthropin den Verband für Flüchtlingshilfe, überreicht Wolfe einen großzügigen Scheck und will, bevor sie ausführlicher mit Wolfe über die Frau in dem Auto redet, noch einige Erkundigungen machen.
Bevor sie Wolfe das Ergebnis ihrer Erkundigungen verraten kann, ist sie tot und Nero Wolfe muss den Mörder suchen. Allein schon, um seinen Ruf zu retten.
„Die goldenen Spinnen“, im Original erstmals vor fast siebzig Jahren erschienen, ist ein flott erzählter Rätselkrimi, in dem die beiden Ermittler Nero Wolfe und Archie Goodwin sich zunächst fragen, wie die verschiedenen Morde zusammenhängen könnten (sie tun es) und was das Motiv sein könnte. Wenn Wolfe dann zu unserer allgemeinen Verblüffung den Täter und sein Motiv präsentiert, fällt auf, wie fein der Fall konstruiert ist.
Für die aktuelle Ausgabe wurde der Roman neu übersetzt. Und, immerhin wurden für die Klett-Cotta-Ausgabe die bisher erschienenen Romane von verschiedenen Übersetzern übersetzt, fallen die äußerst zeitlos-elegante Sprache und der leicht humorvolle Erzählton von Rex Stout auf, die seine Romane zu einem wahren Lesevergnügen machen.
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Rex Stout: Die goldenen Spinnen – Ein Fall für Nero Wolfe
(übersetzt von Werner Löcher-Lawrence)
Klett-Cotta, 2020
256 Seiten
16 Euro
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Originalausgabe
The golden Spiders
Viking Press, New York 1953
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Zahlreiche deutschsprachige Ausgaben in anderen Übersetzungen.
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Hinweise
Wikipedia über Rex Stout (deutsch, englisch) und Nero Wolfe (deutsch, englisch)
Thrilling Detective über Rex Stout und Nero Wolfe
Meine Besprechung von Rex Stouts „Es klingelte an der Tür“ (The Doorbell rang, 1965)