Ausgezeichnete Bücher: Der Glauser-Gewinner 2022: Jörg Juretzkas Kristof Kryszinski ist jetzt ein „Nomade“

Deutschlands Brenner ist zurück. Aber während Wolf Haas seinen Ermittler in den Wiener „Müll“ schickt, schickt Jörg Juretzka seinen Helden in die Wüste und nennt den Roman gleich zutreffend „Ein Roadmovie“. Denn wer „Nomade“ mit den Erwartungen eines normalen Kriminalromans und einem irgendwie damit verbundenem Tätersuchspiel liest, wird enttäuscht sein. Das, also Kriminalromane, nicht traditionelle Tätersuchspiele, waren die vorherigen Abenteuer von Kristof Kryszinski unbestreitbar. In den Geschichten geriet der schnoddrige Ich-Erzähler Kryszinski als Privatdetektiv und, später Nachtwächter, Kneipier und Europol-Mitarbeiter, in ziemlich haarsträubende Abenteuer, die er mit seinen Kumpels überlebte. Es sind Krimikomödien (in Ermangelung eines besseren Wortes), die sich wohltuend von den meist provinziellen, oft betulichen deutschen Krimis unterscheiden.

In „Nomade“ kurvt Kryszinski durch die algerische Wüste. Begleitet wird er von der Hündin Bella. Suchen tut er vermisste Touristen. Finden tut er meistens toten Touristen, tote Flüchtlinge (die auf dem Weg nach Europa in der Wüste verdursten) und tote Verbrecher. Selten trifft er auf lebendige Verbrecher, wie den angeschossenen Afghanen. Seine Männer zwingen Kryszinski mit vorgehaltenen Sturmgewehren zu einer erfolgreich verlaufenden Notoperation. Und manchmal trifft er Menschen wie die fünfzehnjährige Jamilah. Sie flüchtet vor ihrer Familie aus Somalia in Richtung Europa und hat gerade ein Kind bekommen.

Kryszinski, der unter seiner gut gepflegten Hardboiled-Schale ganz anders ist, hilft ihr. Auch wenn er von der ersten Minute an weiß, dass er dieser dummen Nervensäge nicht helfen sollte, weil sie nur für Ärger sorgen wird in einem Gebiet, in dem es neben naiven Wüstentouristen vor allem Flüchtlinge, Strauchdiebe, korrupte Polizisten und durchreisende Söldner gibt.

Im Mai erhielt „Nomade“ den diesjährigen Glauser-Preis in der Kategorie „Bester Roman“. Ich halte das für eine sehr zwiespältige Entscheidung. Natürlich hat Juretzka den Preis, für den er bereits mehrmals nominiert war, verdient. Er gehört zu Deutschlands besten Krimi-Autoren und er kann wirklich witzig schreiben. Aber im Gegensatz zu seinen vorherigen dreizehn Kryszinski-Kriminalromanen ist „Nomade“ nur dann ein Kriminalroman, wenn man die Grenzen bis ins Unendliche dehnt. Dann wäre jeder Roman, in dem ein Verbrechen vorkommt oder ein Verbrecher auftaucht, ein Kriminalroman. Das kann man so sehen, aber als Kriterium, um Kriminalromane von anderen Romane zu unterscheiden, dient die Genrezuschreibung dann nicht mehr. Denn dann wären nämlich so ziemlich alle Klassiker, Western (pro Buch wird mindestens ein Mensch erschossen), Science-Fiction-Romane (auch Aliens können ermordet werden; oder Menschen von Aliens) oder auch Liebesromane Kriminalromane. Das kann nicht gemeint sein.

Das gesagt, ist „Nomade“ eine sehr vergnügliche Lektüre. Die Abenteuergeschichte spielt in einer literarisch eher vernachlässigten Gegend, spricht aktuelle Probleme an (mit dem respektlosen Kryszinski-Zeigefinger) und bringt unseren Helden in einige gefährliche Situationen, die allerdings ziemlich schnell überstanden sind.

Die aus den vorherigen Kryszinski- Büchern bekannten Freunde von Kristof Kryszinski tauchen erst am Ende im Epilog (auch wenn er im Buch nicht so genannt wird) auf.

Jörg Juretzka: Nomade – Ein Roadmovie

Rotbuch Verlag, 2021

240 Seiten

19,90 Euro

Hinweise

Krimi-Couch über Jörg Juretzka

Lexikon der deutschen Krimiautoren über Jörg Juretzka

Wikipedia über Jörg Juretzka

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „Sense“ (2000)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „Bis zum Hals“ (2007)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „Rotzig & Rotzig“ (2010)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „Freakshow“ (2011)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „Platinblondes Dynamit“ (2012)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „TaxiBar“ (2014)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „TrailerPark“ (2015)

Meine Besprechung von Jörg Juretzkas „TauchStation“ (2017)

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