„Ich denke nicht, dass mein Film Nadjas Verhalten entschuldigen oder verstehen will. Er schafft den Raum, diese Verbindung ohne moralische Wertung zu betrachten. Dieser Raum kann zu weiteren Gedanken persönlicher und individueller Natur führen.“
Isabelle Stever, Regie
Das hätte eine Provokation, über die alle reden, werden können: eine Mutter geht eine sexuelle Beziehung mit ihrem Sohn ein. Es wurde ein Film, der einen ratlos zurücklässt. Denn Regisseurin Isabelle Stever lässt uns über die Motive ihrer Figuren weitgehend im Dunkeln. Sie ignoriert alle Konflikte, die aus so einer, von der Gesellschaft abgelehnten, Liebesbeziehung entstehen könnten. Bei ihr scheint niemand sich an der Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Sohn zu stören.
Als Teenager bekam Nadja ihren Sohn. Sie gab ihn zu ihrer Mutter und scheint ihn seitdem selten bis nie gesehen zu haben. Sie konzentrierte sich auf ihre Karriere als Ballettänzerin. Inzwischen arbeitet sie als reichlich unnahbare Ballettlehrerin.
Als sie ihre Mutter besucht, trift sie auch ihren gerade so erwachsenen Sohn Mario. Sie fühlen sich voneinander angezogen und haben in der kleinen Mietwohnung von Nadjas Mutter Geschlechtsverkehr miteinander. Nadjas Mutter scheint das nicht zu stören. Auch die anderen Nachbarn im Mietshaus, die wir nicht sehen, scheint diese gesellschaftliche geächtete Beziehung nicht zu stören.
Später zieht Mario bei Nadja ein. Sie haben weiterhin Sex miteinander und sie stürzen sich in das Nachtleben. Nirgendwo verheimlichen sie ihre Beziehung. Und jeder akzeptiert dieses Mutter/Sohn-Gespann. Auch ihre Schwangerschaft sorgt nicht für irgendwelche Diskussionen oder erkennbaren Konflikte zwischen ihnen oder zwischen ihnen und den wenigen anderen Menschen, denen sie begegnen.
„Grand Jeté“ wirkt wie ein elliptisch erzähltes Gedankenexperiment im luftleerem Raum und ohne eine These, um die die Filmgeschichte und an den Film anschließende Diskussionen sich drehen könnten.
Entsprechend zufällig reihen sich die meist langen Szenen aneinander. Oft sind die Bilder unscharf und die Farben blass. Oft zeigt Stever minutenlange Nahaufnahmen von beispielsweise einem Schulterblatt. Oft nimmt sie ihre Figuren von schräg oben auf. So als sähe jemand auf sie herab. Diese gegen die Sehgewohnheiten verstoßenden Aufnahmen vergrößern die Distanz zum Publikum, das schon mit den rätselhaften Figuren zu kämpfen hat, weiter.
Und so wird aus dem potentiellem Skandalfilm „Grand Jeté“ schnell ein frustrierender Langweiler ohne Erkenntnisgewinn.
Grand Jeté (Deutschland 2022)
Regie: Isabelle Stever
Drehbuch: Anna Melikova
LV:: Anke Stelling: Fürsorge, 2017
mit Sarah Nevada Grether, Emil von Schönfels, Susanne Bredehöft, Stefan Rudolf, Maya Kornev, Carl Hegemann, Jule Böwe
Länge: 104 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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