Dass „Moon Lake“ auf dem achten Platz der Februar-Krimibestenliste stand, war sehr schön. Es ist auch sehr schön, dass Joe R. Lansdale wieder einen Roman geschrieben hat, der auf Deutsch veröffentlicht wurde. Aber sein bestes Werk ist „Moon Lake“ nicht.
Der Krimi ist, wie die meisten Romane des sehr produktiven Erfinders von Hap Collins und Leonard Pine, ein Einzelroman und er spielt, wie eigentlich alle seine Romane, in Osttexas.
Die Geschichte beginnt im Oktober 1968 als der vierzehnjährige Daniel Russell seinen Vater verliert. Sein Vater fährt, in einem Versuch sie beide zu töten, seinen Buick über ein Brückengeländer in den titelgebenden Moon Lake.
Daniel wird von der ungefähr gleichaltrigen Ronnie Candles gerettet. Weil Daniels Mutter spurlos verschwunden ist und seine Tante auf einer längeren Weltreise ist, nehmen die Candles ihn auf. Es ist eine schwarze Familie. Als seine Tante Monate später wieder in den USA ist, nimmt sie ihn auf und er verbringt die nächsten Jahre bei ihr.
Zehn Jahre später wird, als der See während einer Dürreperiode sehr niedriges Wasser hat, das Auto und die Leiche seines Vaters gefunden. Im Kofferraum entdeckt die Polizei eine Frauenleiche. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Daniels Mutter.
Daniel, der auch als Reporter arbeitet, besucht nach zehn Jahren wieder New Long Lincoln. Wenig scheint sich in dem Ort geändert zu haben. Er trifft Ronnie Candles wieder. Sie arbeitet dort inzwischen als Polizistin. Als sie im See nach weiteren Spuren suchen, entdecken sie in den Kofferräumen von weiteren, ebenfalls im See versunkenen und jetzt aufgetauchten Autos, weitere Leichen.
Daniel beginnt sich umzuhören. Er will, zusammen mit Ronnie, die Wahrheit herausfinden.
Dieses Mal packte mich Lansdales Prosa nicht wie gewohnt. Der aus seinen anderen Geschichten bekannte schwarze Humor blitzt hier nur in sehr wenigen Momenten auf. Sein Ich-Erzähler Daniel Russell ist, das ist auf jeder Seite offensichtlich, einfach kein Hap Collins. Auch wenn er sich am Ende mit einem Schwarzen zusammentut, der in bestimmten Momenten wie ein geistiger Bruder von Leonard Pine wirkt. Gemeinsam ziehen sie in den Kampf gegen die Bösewichter. Ohne die herzerfrischend respektlosen Sprüche von Hap und Leonard, die auf die Intelligenz des Publikums vertrauen. In „Moon Lake“ wird dann mehr als nötig erklärt.
Gleichzeitig störten mich etliche zeitliche Inkonsistenzen, die für die Geschichte nicht entscheidend sind, sich aber durchgehend falsch anfühlten (auch wenn mir jetzt irgendjemand schreibt, dass das damals in Texas so war). So wird, ohne irgendeine Diskussion, 1978 eine DNA-Untersuchung bei der Leiche von Daniels Mutter beauftragt. Dabei wurde die Technik des DNA-Profiling erst 1984 entdeckt. In Deutschland wurde der Genetische Fingerabdruck als Beweis in einem Strafprozess erstmals 1988 anerkannt. Die Provinzpolizei von New Long Lincoln und die örtliche Bibliothek benutzen Computer und niemand wundert sich darüber. Damals, vor der Erfindung des Heimcomputers, des C64, waren Computer noch keine allgegenwärtigen Alltagsgegenstände. In normalen Büros waren sie sehr, sehr selten.
Die Story selbst ist ein Best-of-Lansdale. So ist der Erzähler ein Weißer, seine Freundin eine Schwarze und die Stadt wird von einigen mächtigen Männern beherrscht. Aber in dem East Texas Gothic Noir „Moon Lake“ wirkt das alles wie lieblos und beliebig zusammengesetzt und lustlos vor sich hin erzählt. Für den Serienkillerplot, den Lansdale nach ungefähr einem Drittel des Romans, mit der Entdeckung der Leichen in den Autowracks beginnt, interessiert er sich nicht weiter. Gleiches gilt für Daniels später beginnenden Kampf gegen die erstaunlich gesichtslos und blass bleibenden Stadtoberhäupter, die seit Jahrzehnten unangefochten über die Stadt herrschen und sich skrupellos bereichern. Und über Daniels Vater und die Familie Russell erfahren wir kaum etwas.
„Moon Lake“ ist, wie gesagt, ein erstaunlich schwacher Lansdale.
Und nun zum Positiven: Der Festa Verlag will weitere Bücher von Joe R. Lansdale veröffentlichen.
Joe R. Lansdale: Moon Lake
(übersetzt von Patrick Baumann)
Festa, 2022
464 Seiten
26,99 Euro
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Originalausgabe
Moon Lake
Mulholland Books, 2021
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Hinweise
Wikipedia über Joe R. Lansdale (deutsch, englisch)
Stuttgarter Zeitung: Thomas Klingenmaier hat Joe R. Lansdale getroffen (25. März 2013)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Rumble Tumble“ (Rumble Tumble, 1998 )
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales “Der Gott der Klinge” (The God of the Razor, 2007)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales “Der Teufelskeiler” (The Boar, 1998)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Akt der Liebe“ (Act of Love, 1981)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Die Wälder am Fluss“ (The Bottoms, 2000)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales “Kahlschlag” (Sunset and Sawdust, 2004)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales “Gauklersommer” (Leather Maiden, 2008)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales “Ein feiner dunkler Riss” (A fine dark Line, 2003)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Dunkle Gewässer“ (Edge of Dark Water, 2012)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Straße der Toten“ (Deadman’s Road, 2010)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Machos und Moneten“ (Captains Outrageous, 2001)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Wilder Winter“ (Savage Season, 1990)
Mein Interview mit Joe R. Lansdale zu „Das Dickicht“ (The Thicket, 2013)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Mucho Mojo“ (ursprünglich „Texas Blues“) (Mucho Mojo, 1994)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Bissige Biester! (Rusty Puppy, 2017)
Meine Besprechung von Joe R. Lansdales „Hap & Leonard – Die Storys“ (Hap and Leonard, 2016)