Neu im Kino/Filmkritik: „Anemone“, der neue Film von Daniel Day-Lewis

Seit über zwanzig Jahren lebt Ray Stoker (Daniel Day-Lewis) irgendwo Großbritannien, weitab von der Zivilisation im Wald in einer Hütte. Den Kontakt zu seiner in Sheffield lebenden Familie hat er abgebrochen. Es handelt sich um eine selbstauferlegte Buße für etwas, das während des Nordirlandkonfliktes, den Troubles, geschah. Damals waren er und sein Bruder in Nordirland stationiert.

Weil es jetzt, Mitte der neunziger Jahre, Probleme in der Familie gibt, besucht ihn sein Bruder Jem (Sean Bean). Er will Ray überzeugen, in die Zivilisation zurückzukehren. Davor wühlen die beiden unterschiedlichen Brüder erst einmal in ihrer Vergangenheit herum.

Neun Jahre nach seinem letzten Spielfilm – Paul Thomas Andersons „Der seidene Faden“ (Phantom Thread) und seinem selbsterklärten Rückzug in den Ruhestand – kehrt der bei seinen Rollen extrem wählerische Daniel Day-Lewis mit „Anemone“ auf die Leinwand zurück. Die Erklärung dafür dürfte sein, dass er das Drehbuch zusammen mit seinem 1998 geborenem Sohn Ronan Day-Lewis schrieb und Ronan Day-Lewis mit dem Film sein Spielfilmdebüt gibt. Es ist also eine Familienangelegenheit und die Förderung eines Familienmitglieds.

Ronan hat sich für sein Debüt seinen schweren Stoff ausgesucht. Es geht um Glaube, Schuld und Sühne vor dem Hintergrund der Troubles, erzählt als karges, fast ausschließlich in einer Hütte spielendem Zwei-Personenstück. Ronan hat ein Auge für atmosphärische Bilder und zwei unbestritten talentierte Hauptdarsteller, die wahrscheinlich auch ohne irgendeine Regieanweisung gut spielen können.

Aber sie müssen mit einem Drehbuch kämpfen, das ihnen wenig zum Spielen gibt. Die meiste Zeit schweigen sie sich, unterbrochen von einigen Monologen, an. Über ihre Vergangenheit reden sie meistens nur in Andeutungen. Schließlich geht es um ihnen bekannte Erinnerungen, Verletzungen und Vorwürfe. Da genügen dann ein zwei Stichworte und ein zustimmendes Nicken. Die beiden Miesepeter Ray und Jem wissen, über was sie sich vorwurfsvoll anschweigen. Aber der Zuschauer bleibt in den Momenten außen vor. Erst langsam erschließt sich ihm, was damals geschah und warum Ray sich von der Welt zurückzog. Das erfährt er erst am Ende und angesichts des damals tobenden Bürgerkrieges erscheint der Grund für Rays über zwanzigjährige Buße (sogar verurteilte Mörder verbringen weniger Zeit im Gefängnis) unglaubwürdig. Das liegt auch daran, dass Ray als Figur in dieser schlecht konstruierten Charakterstudie zu sparsam gezeichnet ist.

Als Kurzgeschichte oder Novelle könnte diese Geschichte funktionieren. Im Kino funktioniert sie in dieser Form in keinster Weise nicht.

P. S.: Anemone ist das englische Wort für Windröschen.

Anemone (Anemone, Großbritannien/USA 2025)

Regie: Ronan Day-Lewis

Drehbuch: Ronan Day-Lewis, Daniel Day-Lewis

mit Daniel Day-Lewis, Sean Bean, Samantha Morton, Samuel Bottomley

Länge: 126 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Anemone“

Metacritic über „Anemone“

Rotten Tomatoes über „Anemone“

Wikipedia über „Anemome“ (deutsch, englisch)

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