Neu im Kino/Filmkritik: „Land in Sicht“ für drei Flüchtlinge?

Januar 25, 2014

 

Es wurde viel gelacht bei der Berlin-Premiere von „Land in Sicht“. Dabei gibt es eigentlich nichts zu lachen. Denn Judith Keil und Antje Kruska („Der Glanz von Berlin“) porträtieren drei Asylbewerber, die in Bad Belzig im Übergangswohnheim leben. Bad Belzig ist eine Gemeinde mit elftausend Einwohnern in Brandenburg, die alles hat, was Kleinstädte haben, aber Abdul Nasser Jarada, Brian Ngopan und Farid Sahimi keine Perspektive bietet. Sowieso haben sie keine, weil sie als Asylbewerber in einem langwierigem Behördenverfahren feststecken, nicht arbeiten und sich auch nicht frei bewegen dürfen, weil es in Deutschland die Residenzpflicht gibt, die Asylbewerbern ein Verlassen eines bestimmten Gebietes, teils Bundesland, teils Regierungsbezirke und Landkreise verbietet. Inzwischen wurde diese Regel zwischen Brandenburg und Berlin gelockert.

Das sympathische Schlitzohr Abdul ist ein Beduinenscheich aus dem Jemen, der vor sieben Jahren mit einer schweren Schussverletzung nach Deutschland kam, immer noch kaum Deutsch spricht und den herrischen Gestus eines Scheichs und Befehlshabers immer noch nicht abgelegt hat, auch wenn die Umstände anders sind.

Der Teheraner Farid musste seine Frau und seinen Sohn verlassen, nachdem er bei einer Demonstration gegen die Regierung dabei war und nachts seine Wohnung von Unbekannten, die auch ihn mitnehmen wollten, durchsucht wurde. Er flüchtete, landete in Deutschland und möchte doch nur wieder mit seiner Familie zusammen sein.

Brian ist aus Kamerun. Er kam nach Deutschland, um seiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen und weil Kamerun derzeit kein Krisengebiet ist, hat er kaum Chancen auf Asyl.

Alle drei leben jetzt in Bad Belzig und von den Filmemacherinnen Keil und Kruska wurden sie eher zufällig ausgewählt, weil sie einen guten Kontakt zur Heimleiterin hatten, sie die Lage des Heims für einen Film gut fanden und andere Flüchtlinge aus verschiedenen Gründen nicht mitmachen wollten. Denn in ihrem Film kommen sie den Porträtierten sehr nah. Wenn sie immer wieder deren Bemühungen um Aufnahme in der Gesellschaft mit der deutschen Wirklichkeit konfrontieren und wenn sie sie im Kontakt mit Deutschen zeigen, spitzen sie immer wieder gelungen zu. Wenn der Hauswart sich über Essensgerüchte beschwert und dann doch herzhaft das fremde Gericht isst. Wenn Party-Beate eine Single-Party veranstaltet. Wenn Abdul beim Arbeitsamt seine Kompetenzen anpreist und dabei einerseits an seinem mangelhaftem Deutsch, andererseits an den Formulierungen der Anträge, scheitert. So war das Lachen auch immer ein Lachen mit Abdul, Farid und Brian, die mit oft konsterniertem Blick sich die deutschen Sitten und Gebräuche ansehen und auch ein Lachen der Selbsterkenntnis. Denn die Filmemacherinnen wollen niemanden demaskieren oder blosstellen.

Es gibt aber auch die zupackende Sozialarbeiterin Rose Dittfurth, die den Dreien ins Gewissen redet, ihnen aber auch Möglichkeiten eröffnet. So stellt sie Farid in einem Fitnessstudio vor, wo er selbst und eine Gruppe trainieren darf.

Es wird auch die deutsche Willkommenskultur gezeigt, die das komplette Gegenteil einer Willkommenskultur ist.

Ein ganz schlechtes Zeugnis in Punkto „Öffentlichkeitsarbeit“ stellte sich während der zweijährigen Dreharbeiten die Ausländerbehörde aus. Denn während Keil und Kruska an erstaunlich vielen Orten drehen durften, verweigerte die Ausländerbehörde jede Mitarbeit. „Die haben strikt abgelehnt und wollten auch mit keinem unserer Protagonisten gedreht werden“, sagt Keil. „Die haben sogar richtig Stimmung gemacht gegen unsere Protagonisten, die sie offenbar irgendwie als Kriminelle empfanden“, ergänzt Kruska.

Land in Sicht“ ist ein intimer, kurzweiliger und sehr vergnüglicher Einblick in das Leben von drei Männern, die hier in einer kafkaesken Wartehalle leben und mit dieser auf die Dauer entmutigenden Situation verschieden umgehen, einen Blick auf die absurde deutsche Asylpolitik (Warum dürfen sie nicht arbeiten? Warum müssen sie irgendwo im nirgendwo bleiben?) und den deutschen kleinstädtischen Alltag wirft, bei dem leider – wie es derzeit in Dokumentarfilmen üblich ist – auf erklärende Off-Kommentare, die schnell einige Informationen hätten vermitteln können, verzichtet wird.

Für das Fernsehen (rbb und Arte sind Koproduzenten) wurde auch eine kürzere Fassung erstellt, aber man sollte sich schon die Kinofassung, die keine Längen hat, ansehen.

Land in Sicht - Plakat

Land in Sicht (Deutschland 2013)

Regie: Judith Keil, Antje Kruska

Drehbuch: Judith Keil, Antje Kruska

mit Abdul Nasser, Jarada, Brian Ngopan, Farid Sahimi, Rose Dittfurth

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Facebook-Seite zum Film

Kino-Zeit über „Land in Sicht“

Moviepilot über „Land in Sicht“