Neu im Kino/Filmkritik: Jordaniens Kandidat für den Oscar als bester internationaler Film: „Im Schatten des Orangenbaums“

November 22, 2025

Was für ein Anfang! 1988 verfolgt die Kamera im Westjordanland zwei Teenager, die ihren Spaß beim Toben durch die engen Gassen haben. Schüsse fallen – und eine ältere Frau blickt in die Kamera und sagt, um Noors Geschichte zu verstehen, müsse sie die Geschichte von Noors Großvater Sharif erzählen.

Diese Geschichte führt zurück in das Jahr 1948 und zur der Vertreibung der Palästinenser aus ihrem Land, der Nakba (deutsch: Katastrophe),. Es ist die Geburtsstunde des heute immer noch andauernden Leidens des palästinensichen Volkes und ein wichtiger Teil der komplizierten Situation im Nahen Osten.

Sharif und seine Familie leben in Jaffa in einer Villa. Sie sind offensichtlich gebildet, vermögend und besitzen einen Orangenhain. Er ist ein liebevoller Vater. Ihre Existenz ist duch die ständigen Angriffe Israels bedroht, die die Einheimischen mit brutaler militärischer Gewalt vertreiben. Sharif gehört zu den Bewohnern, die das ihnen gehörende Land nicht verlassen wollen. Sie trauen den Versprechungen der Israelis nicht.

Im folgenden entfaltet Cherien Dabis (auch Drehbuch und Hanan im Film) ein ruhiges, weitgehend chronologisch und entsprechend konventionell erzähltes Epos, das die Geschichte einer gewöhnlichen Familie über drei Generationen von 1948 bis 2022 verfolgt. „Im Schatten des Orangenbaums“ ist gleichzeitig eine Geschichte Palästinas und Israels aus der Sicht der vertriebenen und unterdrückten Palästinenser.

Dabis erzählt diesen Konflikt mit einer klaren Zeichnung der Konfliktparteien. In ihrer Erzählung steht sie eindeutig auf der Seite der Palästinenser und der von ihr porträtierten Familie. Die Lücken und blinden Stellen sind, auch ohne vertiefte Ahnung über die Ereignisse seit 1945 im Nahen Osten, offenkundig. Die daraus folgende Schuldzuschreibung ist durchgehend und auf jeder Ebene verstörend einseitig.

Der Anfang und die unmittelbaren Nachkriegsjahre sind packend erzähltes episches Kino. Hier verdichtet Dabis klug die Geschichte zu einem mitreißendem Drama und aufwühlenden Geschichtsstunde. Später erlahmt das Erzähltempo zum Schneckentempo. Es gibt für die gesamte Geschichte zunehmend über Gebühr aufgeblähte Szenen und Plots, die bestenfalls einer Chronistenpflicht genügen, die unbedingt eine Jahrzehnte umspannende, fast in der Gegenwart endende Geschichte erzählen will. Das wird besonders deutlich bei den nach 1988 spielenden Ereignissen.

Im Schatten des Orangenbaums (All That‘s Left Of You, Deutschland/Zypern/Palästina/Jordanien/Griechenland/Katar/Saudi Arabien 2025)

Regie: Cherien Dabis

Drehbuch: Cherien Dabis

mit Saleh Bakri, Cherien Dabis, Adam Bakri, Maria Zreik, Mohammad Bakri, Muhammad Abed Elrahman

Länge: 146 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Im Schatten des Orangenbaums“

Moviepilot über „Im Schatten des Orangenbaums“

Metacritic über „Im Schatten des Orangenbaums“

Rotten Tomatoes über „Im Schatten des Orangenbaums“

Wikipedia über „Im Schatten des Orangenbaums“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 12. September: Official Secrets

September 12, 2025

3sat, 22.25

Official Secrets (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)

Regie: Gavin Hood

Drehbuch: Gregory Bernstein, Sara Bernstein, Gavin Hood

LV: Marcia Mitchell, Thomas Mitchell: The Spy who tried to stop a War: Katharine Gun and the secret plot to sanction the Iraq Invasion, 2008

Spannender, auf wahren Begebenheiten beruhenden Polit-Thriller: Katharine Gun, Übersetzerin beim britischen Nachrichtendienst GCHQ, wird 2003 von ihrem Arbeitgeber angeklagt, gegen den Official Secrets Act verstoßen zu haben. Sie gab, über Umwege, eine Mail des US-amerikanischen Geheimdienstes weiter, in der sie aufgefordert werden, fünf Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats auszuspionieren. Die Staaten sollen erpresst werden, der US-Invasion in den Irak zuzustimmen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Keira Knightley, Matt Smith, Adam Bakri, Matthew Goode, Ralph Fienes, Rhys Ifans

Hinweise

Moviepilot über „Official Secrets“

Metacritic über „Official Secrets“

Rotten Tomatoes über „Official Secrets“

Wikipedia über „Official Secrets“ (deutsch, englisch) und über Katharine Gun (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Ender’s Game – Das große Spiel“ (Ender’s Game, USA 2013)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Official Secrets“ (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)


TV-Tipp für den 20. Juni: Official Secrets

Juni 19, 2022

ZDF, 22.40

Official Secrets (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)

Regie: Gavin Hood

Drehbuch: Gregory Bernstein, Sara Bernstein, Gavin Hood

LV: Marcia Mitchell, Thomas Mitchell: The Spy who tried to stop a War: Katharine Gun and the secret plot to sanction the Iraq Invasion, 2008

TV-Premiere eines spannenden, auf wahren Begebenheiten beruhenden Polit-Thrillers: Katharine Gun, Übersetzerin beim britischen Nachrichtendienst GCHQ, wird 2003 von ihrem Arbeitgeber angeklagt, gegen den Official Secrets Act verstoßen zu haben. Sie gab, über Umwege, eine Mail des US-amerikanischen Geheimdienstes weiter, in der sie aufgefordert werden, fünf Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats auszuspionieren. Die Staaten sollen erpresst werden, der US-Invasion in den Irak zuzustimmen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Keira Knightley, Matt Smith, Adam Bakri, Matthew Goode, Ralph Fienes, Rhys Ifans

Wiederholung: Mittwoch, 22. Juni, 00.45 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Moviepilot über „Official Secrets“

Metacritic über „Official Secrets“

Rotten Tomatoes über „Official Secrets“

Wikipedia über „Official Secrets“ (deutsch, englisch) und über Katharine Gun (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Ender’s Game – Das große Spiel“ (Ender’s Game, USA 2013)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Official Secrets“ (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: „Official Secrets“ sind auch Geheimnisse

November 22, 2019

Katharine Gun (Keira Knightley) ist eine junge Übersetzerin beim britischen Nachrichtendienst GCHQ. Am 31. Januar 2003 liest sie bei ihrer Arbeit eine streng geheime E-Mail des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA. Mit der Mail werden sie aufgefordert, fünf Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats auszuspionieren. Mit dem Material sollen diese Staaten zur Zustimmung einer UN-Resolution für den Irakkrieg erpresst werden. Damals war die von den USA forcierte Invasion in den Irak heftig umstritten. Die von der amerikanischen Regierung unter Präsident George W. Bush präsentierten Beweise für die irakischen Massenvernichtungsmittel waren schon damals sehr dünn und viele bezweifelten sie. Heute ist bekannt, dass sie falsch waren. Die britische Regierung unter Premierminister Tony Blair bemüht sich in den Monaten um möglichst blinden Gehorsam gegenüber den USA. Beide Länder wollten eine UN-Resolution, um eine völkerrechtliche Legitimation für den Angriff auf den Irak zu haben.

Als Gun das Memo liest, ist sie schockiert und empört über den Rechtsbruch zu dem sie aufgefordert werden.

Nach längerem Zögern gibt sie eine Kopie der E-Mail an die Anti-Kriegs-Aktivistin Yvonne Ridley, die es an einen vertrauenswürdigen Journalisten weitergeben soll. Nach einer ausführlichen Recherche veröffentlicht der „Observer“ am 2. März 2003 die Geschichte.

Sofort danach beginnt im Nachrichtendienst die Jagd nach dem Verräter. Offiziell wird die Echtheit des NSA-Memos bestritten.

Damit ihr Geheimnisverrat nicht umsonst war, gesteht Gun ihre Tat. Sie wird wegen eines Verstoßes gegen den „Official Secrets Act“ angeklagt und zum Schweigen verdonnert. Auch gegenüber ihren Anwälten.

Und auch wenn Gavin Hood in seinem spannenden, auf Tatsachen basierendem Thriller „Official Secrets“, noch erzählt, wie Katharine Gun mit der auf Menschenrechtsverletzungen spezialisierten Kanzlei Liberty und dem erfahrenen Anwalt Ben Emmerson (Ralph Fiennes) gegen ihre Verurteilung kämpft, sagte ich mir in diesem Moment, philosophisch, nicht juristisch geschult, dass die Ankläger mit ihrer Klage in eine Falle gelaufen waren, die sie selbst aufgestellt hatten. Sie behaupteten, dass Gun Geheimnisse verraten habe. Sie leugneten im gleichen Moment, dass das NSA-Memo echt sei; – was dann ja hieße, dass sie kein Geheimnis verraten habe und damit die Anklage nichtig sei.

Gleichzeitig verweigerten sie ihr für ihre Verteidigung den Zugriff auf Dokumente, die ihre Unschuld beweisen könnten, weil alle diese Dokumente geheim sein. Und sie sagten, dass sie nichts über und gegen die Anklage sagen dürfe, weil sie aufgrund der von ihr unterschriebenen Arbeitsverträge zum Stillschweigen verpflichtet sei.

Die Verteidigung plant dann eine andere Verteidigungsstrategie. Am 25. Februar 2004 steht sie vor Gericht. Angeklagt als Geheimnisverräterin.

Hood erzählt diese Geschichte chronologisch, den verschiedenen Verästelungen folgend und immer nah an den Fakten. Das gute Drehbuch, das die komplexen Vorgänge, Dilemma und Überlegungen der einzelnen Figuren nachvollziehbar erzählt, und die guten Schauspieler tragen zum Verständnis der damaligen Ereignisse bei.

Hoods Aufruf zur Zivilcourage ist, wie bei Scott Z. Burns vor wenigen Tagen gestartetem, ebenso sehenswertem Drama „The Report“ (über das CIA-Folterprogramm nach dem 11. September 2001), konventionell inszeniert. Nichts soll von der Geschichte und den erschreckenden Fakten ablenken.

Official Secrets“ ist eine sehenswerte Geschichtsstunde, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat und die eindrucksvoll zeigt, wie wichtig Whistleblower für eine demokratische Gesellschaft sind.

Das sagt auch „Observer“-Journalist Martin Bright: „Dieser Krieg hat all unsere zentralen Institutionen zersetzt: unser Justizsystem, unser politisches System, die Geheimdienste und die Presse. Der Krieg hat also weiterhin einen großen Einfluss auf unser öffentliches Leben. Das ist der Kern dieser Geschichte. Katharine enthüllte nicht einfach nur einen Rechtsverstoß. Sie enthüllte, dass in unseren nationalen und internationalen Institutionen etwas ganz grundlegend nicht stimmt.“

Official Secrets (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)

Regie: Gavin Hood

Drehbuch: Gregory Bernstein, Sara Bernstein, Gavin Hood

LV: Marcia Mitchell, Thomas Mitchell: The Spy who tried to stop a War: Katharine Gun and the secret plot to sanction the Iraq Invasion, 2008

mit Keira Knightley, Matt Smith, Adam Bakri, Matthew Goode, Ralph Fienes, Rhys Ifans

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Official Secrets“

Metacritic über „Official Secrets“

Rotten Tomatoes über „Official Secrets“

Wikipedia über „Official Secrets“ (deutsch, englisch) und über Katharine Gun (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Ender’s Game – Das große Spiel“ (Ender’s Game, USA 2013)