TV-Tipp für den 20. Juni: Official Secrets

Juni 19, 2022

ZDF, 22.40

Official Secrets (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)

Regie: Gavin Hood

Drehbuch: Gregory Bernstein, Sara Bernstein, Gavin Hood

LV: Marcia Mitchell, Thomas Mitchell: The Spy who tried to stop a War: Katharine Gun and the secret plot to sanction the Iraq Invasion, 2008

TV-Premiere eines spannenden, auf wahren Begebenheiten beruhenden Polit-Thrillers: Katharine Gun, Übersetzerin beim britischen Nachrichtendienst GCHQ, wird 2003 von ihrem Arbeitgeber angeklagt, gegen den Official Secrets Act verstoßen zu haben. Sie gab, über Umwege, eine Mail des US-amerikanischen Geheimdienstes weiter, in der sie aufgefordert werden, fünf Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats auszuspionieren. Die Staaten sollen erpresst werden, der US-Invasion in den Irak zuzustimmen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Keira Knightley, Matt Smith, Adam Bakri, Matthew Goode, Ralph Fienes, Rhys Ifans

Wiederholung: Mittwoch, 22. Juni, 00.45 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Moviepilot über „Official Secrets“

Metacritic über „Official Secrets“

Rotten Tomatoes über „Official Secrets“

Wikipedia über „Official Secrets“ (deutsch, englisch) und über Katharine Gun (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Ender’s Game – Das große Spiel“ (Ender’s Game, USA 2013)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Official Secrets“ (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: „Morbius“, der nächste Held aus dem Marvel-Universum

April 1, 2022

Wie viele Origin-Storys sollen wir noch sehen? Dabei ist es ziemlich einerlei, ob wir zum zweiten, dritten, vierten Mal die Origin-Story von Spider-Man, Batman oder Superman sehen oder es um einen dieser vielen unbekannten, aber bei den Fans wahnsinnig beliebten DC- und Marvel-Figuren geht. Jedes Mal bekommen wir erzählt, wie der Superheld zum Superhelden wird indem er ein traumatisches Erlebnis hat, mit seinen Kräften hadert und letztendlich seine neue Verantwortung annimmt, indem er einen Bösewicht besiegt.

Das sehen wir auch in „Morbius“. Und am Ende, in den beiden Abspannszenen, wird das Schicksal von Morbius mit anderen Comicfiguren aus dem Marvel-Universum verknüpft. Für mich war das, auch wenn es aus den Comics bekannt ist, einer dieser ‚Bitte nicht!‘-Momente. Bis dahin ist „Morbius“ eine Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Variante. Jared Leto, der zuletzt in „House of Gucci“ eine wahrlich bizarre Performance abliefert, spielt hier weitgehend zurückhaltend. Der von ihm gespielte Michael Morbius leidet an einer seltenen Blutkrankheit. Er kann sich nur mit der Hilfe von Krücken schleichend fortbewegen. Als Erwachsener wurde er zum Arzt und zwar nicht zu irgendeinem Arzt, sondern zu einem genialen Forscher, der eine Heilung für seine Krankheit sucht. Für eine seiner Entdeckungen erhält er sogar den Nobelpreis.

Als er die DNA von Fledermäusen, die er in Costa Rica in einer abgelegenen Höhle gefunden hat, mit der DNA von anderen Lebewesen kreuzt, hat er ein Heilmittel gefunden. Er probiert es flugs an sich aus. Das Experiment gelingt. Allerdings hat das Medikament zwei sehr hässliche Nebenwirkungen. Die Wirkung nimmt beständig und schnell ab. Und Morbius braucht jetzt als Nahrung Menschenblut. Er wird zu einem Vampir.

Milo, sein Freund aus Kindertagen mit der gleichen Krankheit, nimmt ebenfalls das Serum. Aber während Morbius mit seinen neuen Kräften und seiner Gier nach Blut hadert, freut Milo sich über seine neuen Kräften. Der Millionärssohn kann sich endlich ohne Krücken fortbewegen. Er kann sich alle seine Wünsche erfüllen und er ist unbesiegbar.

Letztendlich erzählt Daniel Espinosa in „Morbius“ eine klassische Dr.-Jekyll/Mr.-Hyde-Geschichte. Es geht, ganz traditionell, um einen mad scientist, der mit seinen Experimenten großes Unheil heraufbeschwört. Und, weil es um Fledermausblut geht, hat die Geschichte auch etwas von einer Dracula-Geschichte. Schließlich sind Morbius und Milo Vampire. Die aus diesen wohlvertrauten Elementen zusammengesetzte Geschichte ist eine klassische und auch sehr typische B-Picture/Pulp-Geschichte. Nur die Tricks sind aus diesem Jahrhundert. Und das wird in dem Horrorfilm zunehmend zu einem Problem. Die an Comic-Panels erinnernden CGI-Kämpfe sind nur noch im Dunkeln stattfindende Pixelbewegungen, denen jede emotionale Wucht fehlt. Das Kampfgeschehen ist einfach zu chaotisch und zu unrealistisch. Auch wenn der Gegner ein Vampir ist.

Dr. Michael Morbius ist eine Roy Thomas und Gil Kane erfundene Marvel-Figur. Sein erster Auftritt war als Bösewicht im Oktober 1971 in dem Comic „Amazing Spider-Man # 101“. Seitdem kämpfte er mal mit, mal gegen Spider-Man. In dem Film „Morbius“ wird diese Verbindung erst im Abspann deutlich. Da ist dann auch der Kurzauftritt von Michael Keaton (der aktuell in der IMDB an zweiter Stelle genannt wird), der „Morbius“ mit den Spider-Man-Filmen, dem Multiverse und dem ganzen Rest verknüpft. In dem Moment sollen wir auch, aus heiterem Himmel und im Widerspruch zum gesamten vorherigen Film, akzeptieren, dass Morbius nicht der an seinem Blutdurst leidende tragische Held ist, der Schlimmeres verhindern will, sondern eigentlich ein Bösewicht ist. Das funktioniert nicht, macht aber das Superhelden-New-York noch unübersichtlicher.

Morbius (Morbius, USA 2022)

Regie: Daniel Espinosa

Drehbuch: Matt Sazama, Burk Sharpless (nach einer von Roy Thomas und Gil Kane erfundenen Marvel-Figur)

mit Jared Leto, Matt Smith, Adria Arjona, Jared Harris, Al Madrigal, Tyrese Gibson, Michael Keaton (Cameo)

Länge: 105 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (außer Sie haben Angst vor der Dunkelheit)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

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Moviepilot über „Morbius“

Metacritic über „Morbius“

Rotten Tomatoes über „Morbius“

Wikipedia über „Morbius“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Sebastian Bergman – Spuren des Todes 1“

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Safe House“ (Safe House, USA 2012)

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Kind 44“ (Child 44, CZ/GB/RO/USA 2015)

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Life“ (Life, USA 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: „Last Night in Soho“ geschah ein Mord

November 11, 2021

Es dauert einige Minuten, bis wir sicher wissen, dass Eloise heute lebt. Ihr Elternhaus ist zeitlos. Ihre Kleider und ihr Zimmer sind eine Liebeserklärung an die sechziger Jahre. Auch die Musik, die sie hört, spiegelt nicht die aktuelle, sondern die Hitparade der Sechziger wieder.

Es sind die letzten Minuten, die sie zu Hause im ländlichen Cornwall verbringt, bevor sie ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlägt. Sie wird Redruth verlassen und nach London ziehen. Dort hat sie einen Platz als Studentin am Londoner College of Fashion bekommen. Das war ihr großer Traum. In London im Studentinnenwohnheim angekommen fremdelt sie mit ihren schon länger in der Großstadt lebenden Mitstudentinnen, die sich überhaupt nicht für die Vergangenheit, sondern nur für die nächste Party interessieren. Also zieht Eloise aus und bei Miss Collins ein. Die Vermieterin ist schon so alt, dass sie die Sechziger als junge Frau miterlebt haben kann. Auch das Haus und Eloises Zimmer wurden seitdem höchstens mininal an die Gegenwart angepasst. Aber das Haus steht in Soho, dem Ort, der in den Sechzigern das Zentrum von allem war.

In der ersten Nacht träumt sie von damals. Den Straßen, der riesigen Werbung am Kino für den neuen James-Bond-Film „Thunderball“ (Feuerball), den Neonlichtern, den Clubs mit ihren riesigen Tanzflächen und dem aufregendem Nachtleben, in dem alles möglich ist. Es sind Bilder von einem Leben, das sie gerne führen würde. Und sie steckt dabei im Körper der gleich alten, deutlich selbstsicheren Nachtschwärmerin Sandie. Die will in London als Sängerin Karriere machen. Allerdings wird sie auch in einen ihr Leben bedrohenden Mordfall verwickelt.

Mit Eloise fragen wir uns, ob das ein Traum, eine Jungmädchenfantasie von damals, ein zunehmend Eloises Leben bedrohendes Wahngebilde oder ein Hilferuf aus der Vergangenheit ist. Also ob eine Tote zu Eloise spricht und sie den Mörder enttarnen soll. Denn über fünfzig Jahre später ist der Mord immer noch nicht gesühnt und der Mörder lebt wahrscheinlich immer noch in Soho lebt.

Viel mehr als diese Prämisse sollte über die Geschichte von „Last Night in Soho“ nicht verraten werden. Auch nicht das Genre; oder sagen wir es anders: Fans von psychologischen Kriminal- und Horrorfilmen dürften nicht enttäuscht sein.

Im folgenden verwirrt sich Eloises Geschichte immer mehr zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Wahn und Wirklichkeit, zwischen Traum und Realität. Als Zuschauer wird man immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass bei der in den Sechzigern spielenden Geschichte etwas nicht stimmt. Immer wieder wird, in einer Szene und ohne erkennbaren Schnitt Eloise (Thomasin McKenzie) zu Sandie (Anya Taylor-Joy) oder Sandie geht eine Treppe hinunter, während wir als ihr Spiegelbild Eloise sehen. Diese Szenen drehte Wright vor Ort mit praktischen Tricks und ohne CGI. Und die von Eloise erlebten Sechziger sind ein wahres Sechziger-Jahre-Wunderland, in dem alles so ist, wie wir die Swinging Sixties in Soho aus Filmen, Büchern, Schallplatten und Magazinen kennen. Nur dass Sean Connery und „Alfie“ Michael Caine nicht über die Straße schlendern. Dafür trifft Sandie auf einen anderen gutaussehenden Mädchenschwarm, der Frauen nicht immer gut behandelt, aber ihr als Sängerin bei den ersten Karriereschritten helfen möchte.

Das klingt jetzt nach einem rundum gelungenem Vergnügen für Thriller- und Sixties-Fans. Dummerweise verlangt die Lösung mehr als eine Portion Gutgläubigkeit. Sie funktioniert nämlich nur, weil, rückblickend, die einzelnen Figuren sich wie Idioten verhielten und nicht miteinander gesprochen haben. Ja, Eloise erkundigte sich bei der Wirtin noch nicht einmal, wer denn der seltsame Stammgast sei.

Last Night in Soho (Last Night in Soho, Großbritannien 2021)

Regie: Edgar Wright

Drehbuch: Edgar Wright, Krysty Wilson-Cairns (nach einer Geschichte von Edgar Wright)

mit Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Matt Smith, Diana Rigg, Terence Stamp, Rita Tushingham, Synnøve Karlsen, Michael Ajao, Jessie Mei Li, Kassius Nelson, Rebecca Harrod

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

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Moviepilot über „Last Night in Soho“

Metacritic über „Last Night in Soho“

Rotten Tomatoes über „Last Night in Soho“

Wikipedia über „Last Night in Soho“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Edgar Wrights „The World’s End“ (The World’s End, Großbritannien 2013)

Meine Besprechung von Edgar Wrights „Baby Driver“ (Baby Driver, USA 2017)

Meine Besprechung von Edgar Wrights „The Sparks Brothers“ (The Sparks Brothers, USA 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: „Official Secrets“ sind auch Geheimnisse

November 22, 2019

Katharine Gun (Keira Knightley) ist eine junge Übersetzerin beim britischen Nachrichtendienst GCHQ. Am 31. Januar 2003 liest sie bei ihrer Arbeit eine streng geheime E-Mail des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA. Mit der Mail werden sie aufgefordert, fünf Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats auszuspionieren. Mit dem Material sollen diese Staaten zur Zustimmung einer UN-Resolution für den Irakkrieg erpresst werden. Damals war die von den USA forcierte Invasion in den Irak heftig umstritten. Die von der amerikanischen Regierung unter Präsident George W. Bush präsentierten Beweise für die irakischen Massenvernichtungsmittel waren schon damals sehr dünn und viele bezweifelten sie. Heute ist bekannt, dass sie falsch waren. Die britische Regierung unter Premierminister Tony Blair bemüht sich in den Monaten um möglichst blinden Gehorsam gegenüber den USA. Beide Länder wollten eine UN-Resolution, um eine völkerrechtliche Legitimation für den Angriff auf den Irak zu haben.

Als Gun das Memo liest, ist sie schockiert und empört über den Rechtsbruch zu dem sie aufgefordert werden.

Nach längerem Zögern gibt sie eine Kopie der E-Mail an die Anti-Kriegs-Aktivistin Yvonne Ridley, die es an einen vertrauenswürdigen Journalisten weitergeben soll. Nach einer ausführlichen Recherche veröffentlicht der „Observer“ am 2. März 2003 die Geschichte.

Sofort danach beginnt im Nachrichtendienst die Jagd nach dem Verräter. Offiziell wird die Echtheit des NSA-Memos bestritten.

Damit ihr Geheimnisverrat nicht umsonst war, gesteht Gun ihre Tat. Sie wird wegen eines Verstoßes gegen den „Official Secrets Act“ angeklagt und zum Schweigen verdonnert. Auch gegenüber ihren Anwälten.

Und auch wenn Gavin Hood in seinem spannenden, auf Tatsachen basierendem Thriller „Official Secrets“, noch erzählt, wie Katharine Gun mit der auf Menschenrechtsverletzungen spezialisierten Kanzlei Liberty und dem erfahrenen Anwalt Ben Emmerson (Ralph Fiennes) gegen ihre Verurteilung kämpft, sagte ich mir in diesem Moment, philosophisch, nicht juristisch geschult, dass die Ankläger mit ihrer Klage in eine Falle gelaufen waren, die sie selbst aufgestellt hatten. Sie behaupteten, dass Gun Geheimnisse verraten habe. Sie leugneten im gleichen Moment, dass das NSA-Memo echt sei; – was dann ja hieße, dass sie kein Geheimnis verraten habe und damit die Anklage nichtig sei.

Gleichzeitig verweigerten sie ihr für ihre Verteidigung den Zugriff auf Dokumente, die ihre Unschuld beweisen könnten, weil alle diese Dokumente geheim sein. Und sie sagten, dass sie nichts über und gegen die Anklage sagen dürfe, weil sie aufgrund der von ihr unterschriebenen Arbeitsverträge zum Stillschweigen verpflichtet sei.

Die Verteidigung plant dann eine andere Verteidigungsstrategie. Am 25. Februar 2004 steht sie vor Gericht. Angeklagt als Geheimnisverräterin.

Hood erzählt diese Geschichte chronologisch, den verschiedenen Verästelungen folgend und immer nah an den Fakten. Das gute Drehbuch, das die komplexen Vorgänge, Dilemma und Überlegungen der einzelnen Figuren nachvollziehbar erzählt, und die guten Schauspieler tragen zum Verständnis der damaligen Ereignisse bei.

Hoods Aufruf zur Zivilcourage ist, wie bei Scott Z. Burns vor wenigen Tagen gestartetem, ebenso sehenswertem Drama „The Report“ (über das CIA-Folterprogramm nach dem 11. September 2001), konventionell inszeniert. Nichts soll von der Geschichte und den erschreckenden Fakten ablenken.

Official Secrets“ ist eine sehenswerte Geschichtsstunde, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat und die eindrucksvoll zeigt, wie wichtig Whistleblower für eine demokratische Gesellschaft sind.

Das sagt auch „Observer“-Journalist Martin Bright: „Dieser Krieg hat all unsere zentralen Institutionen zersetzt: unser Justizsystem, unser politisches System, die Geheimdienste und die Presse. Der Krieg hat also weiterhin einen großen Einfluss auf unser öffentliches Leben. Das ist der Kern dieser Geschichte. Katharine enthüllte nicht einfach nur einen Rechtsverstoß. Sie enthüllte, dass in unseren nationalen und internationalen Institutionen etwas ganz grundlegend nicht stimmt.“

Official Secrets (Official Secrets, Großbritannien/USA 2019)

Regie: Gavin Hood

Drehbuch: Gregory Bernstein, Sara Bernstein, Gavin Hood

LV: Marcia Mitchell, Thomas Mitchell: The Spy who tried to stop a War: Katharine Gun and the secret plot to sanction the Iraq Invasion, 2008

mit Keira Knightley, Matt Smith, Adam Bakri, Matthew Goode, Ralph Fienes, Rhys Ifans

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

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Moviepilot über „Official Secrets“

Metacritic über „Official Secrets“

Rotten Tomatoes über „Official Secrets“

Wikipedia über „Official Secrets“ (deutsch, englisch) und über Katharine Gun (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Gavin Hoods „Ender’s Game – Das große Spiel“ (Ender’s Game, USA 2013)


Neu im Kino/Filmkritik: Herzlich Willkommen bei „Stolz und Vorurteil & Zombies“

Juni 9, 2016

Stolz und Vorurteil“ ist Jane Austen.

Zombies sind Zombies.

Und beide existieren in verschiedenen Welten. Eigentlich sogar Jahrhunderten, weil Zombies normalerweise in Filmen auftreten, die in der Gegenwart oder der nahen Zukunft spielen.

Jane Austen (1775 – 1817) beschrieb ihn ihren Büchern dagegen ihre Welt, das England des beginnenden 19. Jahrhunderts, und das Liebesleid und die Liebeswirren von Adligen. In England kennt ihre Romane noch jedes Kind; – vielleicht auch nur von den zahlreichen Verfilmungen.

Da ist die Idee, einen Mash-Up aus beiden Welten zu machen, naheliegend. Zuerst sicher nur als die berühmte Schnapsidee nach dem vierten Bier. Seth Grahame-Smith schrieb dann ein Buch, in dem er in Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ Kapitel mit Zombies einschub. Es wurde ein Bestseller.

Jetzt gibt es für die Lesefaulen die Verfilmung des Buches, die dem gleichen Prinzip gehorcht: in einen traditionellen Jane-Austen-Film, dessen Geschichte wir schon kennen, bevor wir sie kennen (es sind halt Liebeswirren auf dem Niveau der letzten Inga-Lindström-Verfilmung, die wir kennen, ohne sie kennen zu müssen), gibt es Szenen mit Zombies. Denn in dieser Jane-Austen-Welt hängen Zombies wie Schmeißfliegen herum und sie werden von Mann und Weib mit der gleichen Lässigkeit getötet.

Weil Burr Steers diese Welt mit großer Liebe zum Detail zeichnet, wenn zum Beispiel die Damen über die Vorzüge der verschiedenen Herren, die im heiratsfähigen Alter und angemessenen gesellschaftlichen Position sind, parlieren und dabei ihre Waffen säubern, dann wohnt dem Film auch ein herrlich absurder Humor inne.

Diesen Mash-Up, in dem die beiden Welten immer kenntlich bleiben und sich entsprechend fremd gegenüberstehen, wird bis zum Ende durchgehalten, weshalb „Stolz und Vorurteil & Zombies“ besser gefällt als „Abraham Lincoln, Vampirjäger“, die andere Seth-Grahame-Smith-Verfilmung, die aus Lincolns Biographie, in die Grahame-Smith liebevoll Begegnungen mit Vampiren einschob, nur eine x-beliebigen Actionplotte in 3D und mit viel CGI machte.

Über die Länge eines Spielfilms nutzt sich der Witz auch ab. Die Zombies sind das einzige neue, immer fremd bleibende Element in dieser Jane-Austen-Welt, in der sich alles nur um das Liebesglück einiger adliger Damen und Herren in einer erschreckend vorhersehbaren Geschichte geht. Oder zweifelt irgendjemand daran, dass Elizabeth Bennet am Ende den adretten Mr. Darcy kriegt und so ihren Hof retten kann? Gegen Ende des Films wird ein politisches Komplott angedeutet, das erzählerisch und thematisch neue Dimensionen eröffnet. Aber weil es nicht in diese Jane-Austen-Geschichte von Stolz und Vorurteil gehört, wird es nicht weiter ausgeführt.

In „Dido Elizabeth Belle“ (Belle, Großbritannien 2013) wurde dagegen die Möglichkeit genutzt, frisches Blut in die Jane-Austen-Welt zu bringen. In dem Film wurde, während Dido Elizabeth Belle den Mann fürs Leben suchte, über Vorurteile und Rassismus gesprochen. In „Stolz und Vorurteil & Zombies“ hätte man ähnliches machen können, wenn Burr Steers mehr als nur ein knalliges Feierabendvergnügen gewollt hätte, das durchaus sympathisch zwischen den Stühlen sitzt. Für die Zombie-Fans gibt es zu viel Liebesgesülze im England des frühen neunzehnten Jahrhunderts; für die Jane-Austen-Fans zu viel Gewalt und einen, an der Oberfläche, erschreckend respektlosen Umgang mit dem klassischen Werk.

Denn den Schauspielern, eine Schar bekannter Namen, gefiel es, Jane Austen mit einem ironischen Augenzwinkern, zu spielen.

Stolz und Vorurteil und Zombies - Plakat

Stolz und Vorurteil & Zombies (Pride and Prejudice and Zombies, USA 2016)

Regie: Burr Steers

Drehbuch: Burr Steers

LV: Seth Grahame-Smith: Pride and Prejudice and Zombies, 2009 (Stolz und Vorurteil und Zombies)

mit Lily James, Sam Riley, Jack Huston, Bella Heathcote, Douglas Booth, Matt Smith, Charles Dance, Lena Headey

Länge: 108 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

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Wikipedia über „Stolz und Vorurteil & Zombies“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Ryan Goslings Regiedebüt „Lost River“

Mai 29, 2015

Eines kann man Ryan Gosling bei seinem Regiedebüt „Lost River“ nicht vorwerfen: dass er den einfachen Weg geht. Stattdessen drehte er einen bildgewältigen surrealen Alptraum irgendwo zwischen David Lynchs „Twin Peaks“ und Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“, mit Terrence-Malick-Referenzen, bei dem die Bilder und die Stimmung bedeutungsschwanger die nicht vorhandene Story übertünchen sollen. Wobei Gosling sich in seinem Regiebdebüt auch überhaupt nicht für eine herkömmliche Narration interessiert.
In der herunterkommenen Ruinenstadt Lost River (gedreht wurde in Detroit), auf der ein Fluch lasten soll, lebt eine Restfamilie, bestehend aus der Mutter Billy (Christina Hendricks) und ihren beiden Söhnen Franky und Bones, in ihrem abbruchreifen Haus und ohne irgendeine ökonomische Perspektive. Ihre Nachbarn haben das Viertel schon lange verlassen.
Bones (Iain De Caestecker) sucht in verlassenen Häusern nach Schrott, den er einem Händler verkaufen kann. Dabei legt er sich mit dem Gang-Leader Bully (Matt Smith) an. Zur gleichen Zeit geht seine Mutter auf ein Angebot ihres Bankmanagers Dave (Ben Mendelsohn) zur Tilgung des Kredits ein. In einem von Miss Kitty Cat (Eva Mendes) geführtem Nachtclub, das seinen Gästen eine spezielle Show bietet (die etwas mit Sex, Blut und Gewalt zu tun hat), könne sie gutes Geld verdienen. Billy nimmt die Arbeit an.
Währenddessen verliebt Bones sich in das Nachbarmädchen Ratte (Saoirse Ronan), deren Großmutter Belladonna (Barbara Steele) dumpf auf den Fernseher und die dort laufenden alten Filme starrt. Weil Bones mit ihr die Stadt verlassen will, begibt er sich auf den Weg zum See, in dem es eine versunkene Stadt gibt.
Bis zum Ende kann man keinen Plot erkennen. Ryan Gosling geht es in seinem dunklem Märchen um ein Gefühl, das Porträt einer verlassenen Gegend und einiger Mythen, die für alles und nichts stehen. Wer will, kann daher „Lost River“ als Allegorie auf den amerikanischen Traum sehen. Oder sich von den Bildern und Stimmungen, wie bei einem Traum, einfach mitreisen lassen. Oder, wie ich, zunehmend gelangweilt und genervt gegen den Schlaf kämpfen.
Denn die einprägsamen Bilder, die Schauspieler, die Idee und was daraus hätte entstehen können, sind so unglaublich vielversprechend. Der Film selbst ist nur noch prätentiös.

Lost River - Plakat

Lost River (Lost River, USA 2014)
Regie: Ryan Gosling
Drehbuch: Ryan Gosling
mit Christina Hendricks, Saoirse Ronan, Iain De Caestecker, Matt Smith, Reda Kateb, Barbara Steele, Eva Mendes, Ben Mendelsohn
Länge: 95 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Facebookseite zum Film
Film-Zeit über „Lost River“
Moviepilot über „Lost River“
Metacritic über „Lost River“
Rotten Tomatoes über „Lost River“
Wikipedia über „Lost River“ (deutsch, englisch)

Ein Filmgespräch mit Ryan Gosling über „Lost River“