Neu im Kino/Filmkritik: „Body Cam“, Taschenlampe & Monster

August 6, 2020

Als Streifenpolizistin Renee Lomito-Smith (Mary J. Blige) sich noch am Tatort das Video ansieht, auf dem zu sehen ist, wie ihr Kollege bei einer nächtlichen Routine-Verkehrskontrolle ermordet wurde, staunt sie. Denn er wurde von einem vom Himmel kommendem, nur schattenhaft erkennbarem Wesen geschnappt, durch die Luft geschleudert und regelrecht massakriert. Weil ihre Kollegen ihr nicht glauben – die Dashcam-Aufnahmen aus dem Streifenwagen und die Bodycam-Aufnahmen des Polizisten wurden gelöscht -, beginnt Renee auf eigene Faust zu ermitteln. Ihre erste Spur führt zu Taneesha Branz. Taneeshas Sohn wurde vor kurzem von einigen Polizisten getötet.

Jetzt ist die Afroamerikanerin spurlos verschwunden. Und weitere Polizisten werden im schönsten „Alien“-Stil getötet.

Body Cam – Unsichtbares Grauen“ ist ein hübscher kleiner, sehr stilbewusster B-Horror-Copthriller. Malik Vitthal lässt die Geschichte vor allem in der Nacht spielen und die Polizisten laufen gerne mit Taschenlampen durch leere Straßen und leere Häuser. In den Momenten entwickelt der Thriller immer wieder eine ordentliche Portion Suspense. Denn natürlich wartet im Dunkeln immer wieder, wie es sich für einen Horrorfilm gehört, eine Überraschung. Wenn sie dann kommt, zuckt man auch immer wieder zusammen. Nach mehreren Minuten Stille erfüllt auch nur ein lautes Geräusch zuverlässig seinen Zweck. Und Vitthal hat ein Gespür für Stille.

Neben diesen nächtlichen Suspense-Szenen beschwören die langen Fahrten im Auto durch die Großstadtnacht eine schöne Noir-Stimmung in der bekannten „Blade Runner“-Tradition.

Bei all diesem Stilbewusstsein wird die Story nebensächlich. Die sehr langsam erzählte Mörderjagd bleibt an der dunkelblau und schwarz schimmernden Oberfläche. Vitthal erzählt die Geschichte von Renees Jagd nach dem anscheinend übernatürlichem Polizistenmörder mit einem fast schon pathetischen Ernst. Immerhin geht es um die Zustände in US-amerikanischen Städten, Rassismus, Vorurteilen und Polizeigewalt.

Gerade angesichts dieser wichtigen Themen und der Auflösung hätten „Body Cam“ mehr B-Picture-Schmutz und richtig verstandenes Trashgefühl gut getan. Denn ein Polizisten ermordendes übernatürliches Monster mit einer politischen Agenda ist eine wundervolle Idee für einen hemmungslos Blut, Ärger und Empörung spritzenden Thriller, der Moral- und Sittenwächter entsetzt aufschreien lässt, während die afroamerikanische Community die krude Rachegeschichte genießt. Gerne gewürzt mit einer ordentlichen Portion schwarzen Humor. Der fehlt hier völlig.

So ist „Body Cam“ vor allem ein gut inszenierter und edel aussehender Happen für Zwischendurch für den doch etwas genügsamen Horrorfilm- und Polizeifilmfan.

Bocy Cam – Unsichtbares Grauen (Body Cam, USA 2020)

Regie: Malik Vitthal

Drehbuch: Nicholas McCarthy, Richmond Riedel (nach einer Geschichte von Richmond Riedel)

mit Mary J. Blige, Nat Wolff, David Zayas, Anika Noni Rose, David Warshofsky, Ian Casselberry, Philip Fornah, Lara Grice, Demetrius Grosse, Naima Ramos-Chapman

Länge: 97 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Body Cam“

Metacritic über „Body Cam“

Rotten Tomatoes über „Body Cam“

Wikipedia über „Body Cam“ 


Neu im Kino/Filmkritik: „Assassination Nation“ – einmal purgen mit YouTube-Zufallsauswahl

November 19, 2018

Am Filmanfang warnt Lily die Zuschauer, dass in dem nun folgenden Film Mobbing, Tod, Alkoholkonsum, Drogenmissbrauch, sexuelle Handlungen, toxische Männlichkeit, Homophobie, Transphobie, Schusswaffen, Nationalismus, Rassismus, Entführung, Sexismus, Flüche, Folter, Gewalt, Blutvergießen und fragile männliche Egos gezeigt werden. Alles wird mit aussagekräftigen Bildern unterlegt, die klarmachen, dass der Film kein harmloses Abendvergnügen wird. Außerdem kündigt die achtzehnjährige Lily an, dass sie uns erzählen werde, wie es dazu kam, dass die Einwohner der US-Kleinstadt Salem sie und ihre drei Schulfreundinnen umbringen wollen.

Damit hat Autor und Regisseur Sam Levinson in seinem neuen Film „Assassination Nation“ in den ersten Minuten fulminant den Ton für die nächsten gut zwei Stunden gesetzt. „Assassination Nation“ wird ein richtiger Rundumschlag gegen die US-Gesellschaft werden. Es wird erzählt werden, wie Mobs entstehen und funktionieren. Und es wird viel Gewalt, Vulgarität und auch die blutige Gegenwehr von Frauen geben. Das versprechen jedenfalls die ersten Minuten.

Dabei sind Lily (Odessa Young) und ihre Freundinnen Bex (Hari Nef), Em (R&B-Sängerin Abra) und Sarah (Suki Waterhouse) normale Schülerinnen. Sie interessieren sich mehr für das gemeinsame Abhängen als für die Hausaufgaben. Das Smartphone ist ihr ständiger Begleiter, dem sie alles anvertrauen. Wie es heute halt alle Teenager und viele Erwachsene tun.

Als eines Tages die persönlichen Daten von einigen wichtigen Bürgern von Salem online veröffentlicht werden, interessiert sie das kaum.

Als einige Tage später die persönlichen Daten von allen Bewohnern der Stadt veröffentlicht werden, interessiert sie das schon. Immerhin sind auch ihre Nacktaufnahmen und privaten Chats dabei. Es hindert sie aber nicht daran, weiterhin ihre persönlichen Informationen dem Computer anzuvertrauen.

Währenddessen sucht die Polizei fieberhaft den Hacker. Lily, die es definitiv nicht war, gerät in den Fokus der Ermittlungen.

Eine Woche später sind die Einwohner von Salem dann im allerschönsten „The Purge“-Modus und Lily, Bex, Em und Sarah sind Freiwild.

Bis es soweit kommt, vergeht weit über die Hälfte des Films.

Bis dahin gibt es einen Einblick in das Leben von Teenagern, der die Stilistik von YouTube-Videos imitiert und teilweise mit Splitscreens aufpeppt. Das könnte man als zeitgemäßes Update von Larry Clarks „Kids“ sehen. Clarks bedrückendes Porträt alleingelassener Jugendlicher zwischen Drogen und Sex in der Großstadt kommt mit einem Minimum an Story aus. Mit seinen Laiendarstellern und dem präzisen Blick eines Dokumentarfotografen erzielt er ein Maximum an Wirkung.

Aber Levinson will eine Geschichte über Amerika und das Entstehen von Hexenjagden erzählen. Nur haben die Veröffentlichungen aus dem Intimleben der High Society von Salem zunächst keinen Einfluss auf die vier Schülerinnen. Sie leben ihr Leben einfach weiter und benutzen ihre Telefone, als sei nichts geschehen. Auch ihr Umfeld reagiert in einer Mischung aus Schulterzucken, Amüsement und, solange der eigene Account nicht gehackt wurde, wohlfeiler Empörung auf die Veröffentlichungen.

In dieser ersten Filmstunde besticht Levinsons Porträt von vier Kleinstadtjugendlichen vor allem durch die YouTube-Videos imitierende Gestaltung.

Später gibt es mit dem Zeitsprung von einer Woche eine Lücke, in der aus friedlichen Einwohnern ein wilder Mob wird. Wie das geschieht, bleibt der Fantasie des Publikums überlassen. Das ist, als ob in einem Rätselkrimi der Detektiv am Ende den Täter präsentiert, aber nicht erklären will wie und warum er zum Täter wurde und seine Tat beging. Damit ignoriert Levinson die wichtigste Frage des Films: Wie kann aus gesitteten Kleinstadtbewohnern ein wilder Mob werden? Wie kann es innerhalb weniger Tage zu einem vollkommen Zusammenbruch der Zivilisation und zu einer Hexenjagd auf unschuldige Frauen kommen?

Im letzten Filmdrittel befinden sich Salem dann im schönsten „The Purge“-Modus und die vier Freundinnen können plötzlich erstaunlich gut mit Waffen umgehen und sich wehren. Diese Minuten lösen zwar einen Teil des am Filmanfang gegebenen Versprechens ein. Aber der Weg dahin ist zäh und ohne Erkenntnisse. Denn es bleibt, im Gegensatz zu den „The Purge“-Filmen, unklar, wogegen der Film sich richtet. Damit laufen auch alle satirischen und anklägerischen Aspekte ins Leere. Dieser mangelnde Fokus kann auch nicht durch die Explosion von Gewalt im letzten Filmdrittel gelöst werden.

Assassination Nation“ ist ein enttäuschender Film.

Assassination Nation (Assasination Nation, USA 2018

Regie: Sam Levinson

Drehbuch: Sam Levinson

mit Odessa Young, Suki Waterhouse, Hari Nef, Abra, Bill Skarsgård, Joel McHale, Bella Thorne, Anika Noni Rose, Colman Domingo, Maude Apatow, Cody Christian, Danny Ramirez, Kelvin Harrison Jr., Noah Galvin

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Assassination Nation“

Metacritic über „Assassination Nation“

Rotten Tomatoes über „Assassination Nation“

Wikipedia über „Assassination Nation“ (deutsch, englisch)