Neu im Kino/Filmkritik: Über das College-Drama „After the Hunt“

Oktober 16, 2025

Hat er oder lügt sie? Sicher, auf der Party war er etwas breitbeinig-machohaft. Aber Maggie Resnick (Ayo Edebiri) stahl auf dieser Party aus dem Badezimmer ihrer gastgebenden Yale-Professorin Alma Imhoff (Julia Roberts) einen Zeitungsbericht, den wahrscheinlich die Hausherrin dort, mit einigen Bildern, sorgfältig versteckt hatte. Außerdem ist Maggies Dissertation, die sie gerade schreibt und über die sie nicht reden möchte, ein dreistes Plagiat. Hank Gibson (Andrew Garfield) wusste davon und sagte es ihr. Aber als Schwarze Studentin gehört sie zu einer förderungswürdigen Minderheit; – auch wenn die Frage der Hautfarbe im folgenden unwichtiger als die auch nur gestreifte Frage des Vermögens ihrer Adoptiveltern ist, die großzügige Spender sind.

Dummerweise hat sie sich, so sagt Maggie, nach der Vergewaltigung gewaschen und dabei alle Beweise für Hanks Tat vernichtet. Und sie ist nicht zur Polizei, sondern zu Alma gegangen.

Diese steht kurz vor einer heiß ersehnten lebenslangen Anstellung an der Universität. Ihr einziger aussichtsreicher Konkurrent für die Stelle ist Hank.

Schon nach einigen Filmminuten sind wir in der schönsten US-amerikanischen universitären Geschlechterdiskussion, die in den folgenden über zwei Stunden episch ausgebreitet wird. Das ist der Stoff für einen potentiell spannenden, erhellenden und Diskussionen provozierenden Film. In diese Fall ist es die Prämisse für einen enttäuschenden Film, der noch enttäuschender ist, weil er von Luca Guadagnino ist, dem Regisseur von „I am Love“, „A Bigger Splash“, „Call Me by Your Name“, „Suspiria“, „Bones and All“, „Challengers – Rivalen“ und, zuletzt, „Queer“. Alles bildgewaltige Meisterwerke mit vielen Bildern, Szenen und Schauspielerleistungen, die im Gedächtnis bleiben. „After the Hunt“ ist, nicht nur im Vergleich zu diesen Filmen, ein viel zu lang geratener Film, der fest den TV-Bildschirm und ein bestenfalls milde aufmerksames Publikum im Blick hat.

Beginnen tut „After the Hunt“, sehr formbewusst und die Filmgeschichte kennend, mit seinen Texteinblendungen wie ein Woody-Allen-Film. Auch der Rest – der Bildaufbau, die sich unauffällig im Hintergrund haltende Kamera, das Milieu, die langen, intellektuell mit Anspielungen auf Literatur, Philosophie und Politik unterfütterten Dialoge und die Musik – könnten aus einem Woody-Allen-Film sein. Wobei die Musikauswahl bei Allen jazziger und älter ausgefallen wäre.

Die von Autorin Nora Garrett (ihr Debüt) erfundene Geschichte führt dann die verschiedenen Fährten und Verdachtsmomente, die sie in den ersten Minuten etabliert, nicht konsequent weiter. Der Kriminalfall, der das mehr als solide Gerüst für ein Porträt des akademischen Milieus, der Gesellschaft und ihrer Abhängigkeiten bietet, wird nicht weiter verfolgt. Es geht auch nicht in Richtung Satire oder Hochschulthriller, in dem jeder gegen jeden kämpft. Stattdessen verliert sich die Geschichte, die von den Machern als „fesselnder Thriller“ beworben wird, in mehr oder weniger interessanten, oft viel zu langen und bizarren Episoden, so hat Alma ein spärlich möbliertes Apartment gemietet. Ihr Mann Frederick, ein verständnisvoller und kluger Psychiater, wird von Michael Stuhlbarg unterkühlt in einer bizarren Performance zwischen zutiefst verständnisvollem Ehemann, alles wissendem, auf die Menschen herabschauendem Psychiater und kindischem Störenfried gespielt. Er ist eine permanent nervende, aus dem Film herausreißende künstliche Figur.

Enden tut das Drama mit einem Jahre später spielenden Epilog, der alles ungenehm harmonieselig zusammenfasst und einem die Restlust an einer Diskussion über den Film austreibt.

After the Hunt“ ist mit großem Abstand Luca Guadagninos schlechtester Film. Dieses Made-for-TV-Campusdrama mit seinen uninteressanten Klischeefiguren, #MeToo-Klischeedialogen und nicht vorhandenen dramatischen Zuspitzungen hat nichts von dem, weshalb man sich seine Filme ansieht.

In seinem neuesten Film präsentiert er nur das überlange Imitat eines ganz schlechten Woody-Allen-Film. Denn mit knapp 140 Minuten ist Guadagninos Drama mindestens vierzig Minuten zu lang. Allen hätte das in seinen üblichen neunzig bis hundert Minuten besser erzählt.

P. S.: Die Musik ist von Trent Reznor und Atticus Ross, die letzte Woche als Nine Inch Nails „Tron: Ares“ vertonten.

After the Hunt (After the Hunt, USA 2025)

Regie: Luca Guadagnino

Drehbuch: Nora Garrett

mit Julia Roberts, Ayo Edebiri, Andrew Garfield, Michael Stuhlbarg, Chloë Sevigny

Länge: 139 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „After the Hunt“

Metacritic über „After the Hunt“

Rotten Tomatoes über „After the Hunt“

Wikipedia über „After the Hunt“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „A bigger Splash“ (A bigger Splash, Italien/Frankreich 2015) und der DVD

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Call me by your Name“ (Call me by your Name, USA 2017)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Suspiria“ (Suspiria, Italien/USA 2018)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Bones and All“ (Bones and All, Italien/USA 2022)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Challengers – Rivalen“ (Challengers, USA 2024)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „Queer“ (Queer, Italien/USA 2024)


Neu im Kino/Filmkritik: Über den Pixar-Film „Alles steht Kopf 2“

Juni 14, 2024

Nun also die Pubertät. 2015 erlebten wir in dem Pixar-Film „Alles steht Kopf“, wie es in dem Kopf der elfjährigen Riley Andersen aussieht und wie ihre unterschiedlichen Emotionen zusammenarbeiten, damit sie sich Riley-vernünftig verhält. Sie muss nämlich den Umzug von einem Dorf in Minnesota nach San Francisco verarbeiten. Der Film war ein Hit.

Und nachdem auch Pixar in den vergangenen Jahren neben erfolgreichen Einzelfilmen auch Fortsetzungen erfolgreicher Filme produzierte, war die Fortsetzung von „Alles steht Kopf“ wohl nur eine Frage der Zeit. Dramaturgisch notwendig war und ist sie nicht. Wobei die Pubertät neue erzählerische Möglichkeit eröffnet.

Denn Riley ist jetzt ein dreizehnjähriger Teenager. An der Schule ist sie beliebt und erfolgreich. Mit ihren beiden Freundinnen Bree und Grace wird sie zu einem Eishockey-Trainingslager eingeladen, das ihr auch neue schulische Möglichkeiten eröffnet. Wenn sie von der strengen Trainerin aufgenommen wird, hatsie nämlich gleichzeitig einen Platz an einer guten High School. Außerdem möchte Riley die Freundin von Valentina ‚Val‘ Ortiz, dem beliebt-bewunderten Star des Eishockey-Teams, werden.

In dem Moment übernehmen neue, mit der Pubertät zusammenhängende Gefühle die Herrschaft über Riley. Zu den aus dem ersten Film bekannten Emotionen Freude (Joy), Kummer (Sadness), Wut (Anger), Angst (Fear) und Ekel (Disgust) kommen

Zweifel (Anxiety), Neid (Envy), Peinlich (Embarrassment) und Ennui (Ennui; hauptsächlich mit dem lustlosen Herumlungern auf der Couch und der Pflege einer Null-Bock-Haltung beschäftigt) dazu. Sogar Nostalgie (Nostalgia) darf als weitere Emotion, die sich nach der Vergangenheit sehnt, schon zweimal kurz auftauchen.

Weil Freude und die anderen aus dem ersten Film bekannten Emotionen die neue Emotion Zweifel bei ihrer Arbeit zu sehr stören, sperrt sie sie in ein Einmachglas und befördert sie in einen Safe in einer abgelegenen Region von Rileys Gehirn. Dort können sie sich aus dem Safe befreien. Sie machen sich auf den beschwerlichen Weg zurück in Rileys Schaltzentrale.

Kelsey Mann übernahm die Regie. Er arbeitet seit 2009 in verschiedenen Positionen bei Pixar. „Alles steht Kopf 2“ ist sein Spielfilmdebüt. „Alles steht Kopf“-Co-Drehbuchautorin Meg LeFauve und Dave Holstein schrieben das Drehbuch. Und in der Originalfassung liehen viele bekannte Schauspieler, die schon beim ersten Teil dabei waren, den Figuren wieder ihre Stimme. In der deutschen Fassung durften dann Olaf Schubert, Hans-Joachim Heist (bekannter als Gernot Hassknecht aus der „heute-show“), Tahnee und Bastian Pastewka, teils ebenfalls zum zweiten Mal, ran.

Manns Spielfilmdebüt ist ein durchaus unterhaltsamer, aber auch ziemlich hektischer Pixar-Film, der mit den Problemen einer Fortsetzung kämpft. Die Idee von „Alles steht Kopf“, dass wir uns im Kopf einer Person befinden und erleben, wie verschiedene Emotionen zusammenarbeiten, einen Charakter formen und zusammen Entscheidungen fällen, war grandios und sie wurde in ihrer Reduzierung auf fünf wichtige Emotionen überzeugend umgesetzt. Komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse konnten so für ein aus Kindern bestehendes Publikum präsentiert und von diesem verstanden werden. Jedenfalls genug, um die Filmgeschichte begeistert mitzuverfolgen, während die Erwachsenen ganz andere Dinge in dem Film sahen. Diese Idee wird jetzt nicht mit fünf, sondern mit, je nach Zählung, neun bis zehn Emotionen wiederholt. Das mag näher an der Wirklichkeit, vor allem der Wirklichkeit eines Teenagers, sein, aber einige Emotionen ähneln sich sehr und keine Emotion kann sich wirklich entfalten. „Alles steht Kopf 2“ ist jetzt keine spannende Diskussion im kleinen Kreis mehr, in dem die verschiedenen Diskursteilnehmenden die anderen ausreden lassen und zu einer Lösung kommen, sondern eine typische chaotische Talkshow, in der irgendwann alle durcheinander reden, während Ennui gelangweilt wegdöst.

Die in Rileys Kopf spielende Geschichte ist zwar unterhaltsam, aber ohne große dramaturgische Dringlichkeit. Die in der realen Welt spielende Geschichte, also Rileys Kampf um die Aufnahme in das Eishockey-Team und den damit verbundenen Platz in dieser High School, das damit verbundene Leistungsdenken und der Umgang miteinander sind sehr amerikanisch.

Natürlich ist „Alles steht Kopf 2“ kein schlechter Film. Es ist ein Pixar-Film und da ist ein bestimmtes Niveau immer vorhanden. Aber es handelt sich um eine überflüssige Fortsetzung, die niemals die Qualität von „Alles steht Kopf“ erreicht.

Alles steht Kopf 2 (Inside Out 2, USA 2024)

Regie: Kelsey Mann

Drehbuch: Meg LeFauve, Dave Holstein (nach einer Geschichte von Kelsey Mann und Meg LeFauve)

mit (im Original den Stimmen von) Amy Poehler, Liza Lapira, Tony Hale, Lewis Black, Phyllis Smith, Maya Hawke, Ayo Edebiri, Adèle Exarchopoulos, Paul Walter Hauser, Kensington Tallman, Lilimar, Grace Lu, Sumayyah Nuriddin-Green, Diane Lane, Kyle MacLachlan, Frank Oz, Flea, June Squibb

(in der deutschen Synchronisation den Stimmen von) Olaf Schubert, Hans-Joachim Heist, Tahnee, Leon Windscheid, Younes Zarou, Bastian Pastewka

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Alles steht Kopf 2“

Metacritic über „Alles steht Kopf 2“

Rotten Tomatoes über „Alles steht Kopf 2“

Wikipedia über „Alles steht Kopf 2“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Pete Docter/Ronnie del Carmens „Alles steht Kopf“ (Inside Out, USA 2015)