In der Nacht des 12. (La nuit du 12, Frankreich/Belgien 2022)
Regie: Dominik Moll
Drehbuch: Gilles Marchand, Dominik Moll
LV: Pauline Guéna: 18.3: Une année à la PJ, 2021 (Sachbuch; eigentlich keine Verfilmung, sondern eher „lose inspiriert von einem in der Reportage geschildertem Mord“)
Am 12. Oktober 2016 wird in Saint-Jean-de-Maurienne eine junge Frau auf dem Heimweg von einer Feier mit Benzin übergossen und angesteckt. Yohan und sein Team suchen den Mörder.
TV-Premiere. Polizeithriller, der einen präzisen und nüchternen Einblick in die alltägliche Polizeiarbeit gibt.
Dabei wird, wie Moll schon am Filmanfang verrät, der Fall nicht aufgeklärt. Dieses Ende gefällt nicht jedem.
Unzählige Male wurde Alexandre Dumas‘ „Der Graf von Monte Christo“ verfilmt. Die erste bekannte Verfilmung ist eine vierzehnminütige US-amerikanische Verfilmung von Francis Boggs und Thomas Persons. Hobart Bosworth spielte Edmond Dantés, den späteren Grafen von Monte Christo in diesem Film von 1908 und vier Jahre später wieder. Seitdem spielten Walter Rilla, Robert Donat (der erste Tonfilmgraf), Jean Marais, Louis Jourdan, Richard Chamberlain, Gérard Depardieu und James Caviezel den Grafen. Inszeniert wurden die Abenteuer des rachsüchtigen Grafen für das Kino und das Fernsehen von Henry Levin, André Hunebelle (u. a. die immer noch beliebten Fantomas-Filme mit Louis de Funès), David Greene, Denys de La Patellière und Kevin Reynolds. Das sind größtenteils keine wirklich bekannten Regisseure, aber mindestens gute Handwerker, die eine Geschichte flüssig für ein großes Publikum erzählen können. Und das ist bei der von Alexandre Dumas erfundenen Geschichte nötig. Ursprünglich erschien die Geschichte von 1844 bis 1846 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift „Le Journal des débats“. In Deutschland gibt es mehrere, teils mehr oder weniger, auch für ein jugendliches Publikum gekürzte Ausgaben. Die längste mir bekannte und aktuell regulär im Buchhandel erhältliche Fassung ist die bei dtv erschienene vollständige Übersetzung mit über 1500 Seiten.
Die Verfilmungen hatten oft, wie die Vorlage, eine epische Länge oder waren gleich eine mehrteilige TV-Serie.
Und jetzt gibt es eine neue Verfilmung der altbekannten Geschichte. Sie dauert fast drei Stunden und wurde von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière inszeniert. Sie inszenierten davor gemeinsam „Der Vorname“ und „Das Beste kommt noch“. Und sie schrieben zuletzt das Drehbuch für die 2023er „Die drei Musketiere“-Verfilmung. Pierre Niney („Yves Saint Laurent“, „Frantz“, „Jacques – Entdecker der Ozeane“, „OSS 117 – Liebesgrüße aus Afrika“) übernahm die Hauptrolle. Im benachbarten Frankreich ist der im Sommer gestartete Film mit inzwischen deutlich über neun Millionen Zuschauern ein Publikumserfolg.
Die Geschichte dürfte nach all den Verfilmungen und den oft mehr oder weniger gekürzten und bearbeiteten Buchausgaben bekannt sein.
Edmond Dantès ist 1815 ein junger, tapferer Seefahrer, der auch gegen Befehle seines Kapitäns verstößt, um während eines Sturms eine Frau vor dem Ertrinken zu retten. Als er seine große Liebe Mercédès heiraten will, wendet sich sein Schicksal. Denn sein bester Freund Fernand de Morcerf will ebenfalls Mercédès ehelichen. Im Gegensatz zu Dantès verfügt er über gute Beziehungen. Zusammen mit dem stellvertretendem Staatsanwalt Gérard de Villefort, der bei dem Verfahren gegen Dantès eine gute Karriereoption wittert, und Danglars, der das Kommando über sein Schiff an Dantès verlor, konspiriert er gegen Dantès. Danach soll Dantès Mitglied einer bonapartischen Verschwörung gegen den Staat sein. Ohne Gerichtsverfahren wird er zur Haft in einem Inselgefängnis verurteilt.
Nach vierzehn Jahren gelingt Dantès die Flucht. Ein Mithäftling, Abbé Faria, hat ihm vorher verraten, dass auf der Insel Monte Christo ein riesiger Goldschatz versteckt ist. Dantès findet den Schatz.
Als vermögender Graf von Monte Christo begibt er sich nach Paris. Er will sich an den Männern rächen, die ihn mit falschen Beweisen anklagten und zur Kerkerhaft verurteilten.
Delaporte und de La Patellière nehmen sich bei ihrer Version der bekannten Geschichte einige Freiheiten, die allein schon aufgrund der Länge des Romans notwendig sind. Davon abgesehen erzählen sie in ihrem sich erzählerisch am klassischen Abenteuerfilm orientierendem Dreistundenfilm die Geschichte des Grafen von Monte Christo strickt chronologisch und in drei deutlich unterscheidbaren Teilen
Der erste Teil ist der beste Teil des Rachedramas. Hier verdichten sie vorzüglich die Handlung und erzählen vieles ohne Worte. Ein Blick, Gesten, Reaktionen oder Tätigkeiten verraten alles notwendige über die Beziehungen der verschiedenen Akteure zueinander. In diesen Minuten wird gezeigt, wer warum gegen Dantès intrigiert und wie sich die Verschwörer aus verschiedenen Gründen gegen Dantès verbünden.
Die anschließende Gefangenschaft im Kerker, die gefährliche Flucht und die Entdeckung des Schatzes verbinden vor allem den ersten Teil mit der anschließenden Rachegeschichte. In ihr wird wenig gezeigt, aber viel geredet. Und das ist nicht so wahnsinnig spannend. Wir wissen bereits alles über das Komplott gegen Dantès. Trotzdem wird dies, teils quälend langwierig, in Tischgesprächen erklärt. Dantès überlegt sich komplizierte Komplotte gegen seine Feinde, die, nun, auf dem Papier möglicherweise gut aussehen. Im Kino nicht mehr. Außerdem bleibt beim Lesen immer die Zeit, die Namen nachzuschlagen und gegebenenfalls zurückzublättern.
Der Graf von Monte Christo(Le Comte de Monte-Cristo, Frankreich 2024)
Regie: Matthieu Delaporte, Alexandre de La Patellière
Drehbuch: Matthieu Delaporte, Alexandre de La Patellière
LV: Alexandre Dumas: Le Comte de Monte-Cristo, 1844/1846 (Der Graf von Monte Christo)
mit Pierre Niney, Bastien Bouillon, Anaïs Demoustier, Anamaria Vartolomei, Laurent Lafitte, Pierfrancesco Favino, Patrick Mille, Vassili Schneider, Julien de Saint Jean
Das Leben gehört uns (La Guerre est déclarée, Frankreich 2011)
Regie: Valérie Donzelli
Drehbuch: Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm
Als Juliette und Roméo erfahren, dass ihr 18 Monate alter Sohn einen Krebstumor im Gehirn hat, nehmen sie den Kampf auf.
Autobiographisch inspirierte, in schönster französischer Tradition erzählte Kampfansage an den Krebs und für das Leben. Ein etwas anderer Feelgood-Film.
mit Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm, César Desseix, Gabriel Elkaïm, Brigitte Sy, Elina Löwensohn, Michèle Moretti, Philippe Laudenbach, Bastien Bouillon, Béatrice De Staël, Anne Le Ny, Frédéric Pierrot, Elisabeth Dion
Dominik Moll („Lemming“, „Die Verschwundene“) beginnt seinen neuen Film mit einer Warnung, die ich noch verschärfen möchte. Moll sagt, er schildere in „In der Nacht des 12.“ einen Mordfall, den die Polizei nicht aufklärt. Er verschweigt allerdings, was mich nicht besonders störte, dass auch wir Zuschauer am Ende den Täter nicht kennen. Damit ähnelt sein Kriminalfilm David Finchers „Zodiac“. Fincher erzählt die wahre und vor allem in den USA allgemein bekannte Geschichte der Jagd nach dem Zodiac-Killer, die nie zu einer Verhaftung führte.
Molls Film beginnt am 12. Oktober 2016. In der Nacht wird in Saint-Jean-de-Maurienne eine junge Frau auf dem Heimweg von einer Feier mit Benzin übergossen und angesteckt. Yohan und sein Team werden von Grenoble in den Ort in den französischen Alpen geschickt. Sie sollen den Fall lösen.
Moll schildert in seinem spannendem Polizeifilm peinlich genau die Ermittlungen ablaufen. Die Befragungen der Eltern, Freundinnen und der vielen Männern, mit denen die Ermordete befreundet war (und Sex hatte), die daraus entstehenden Verdachtsmomente, die Gespräche der Ermittler untereinander über den Fall und, immer wieder, das Erstellen der Protokolle stehen im Mittelpunkt des Films. Es ist unglamouröse Routine. Dazu gehört auch der tägliche Kampf mit Budgetbeschränkungen und streikenden Kopierern. Einige, wenige Einblicke in das Privatleben der Polizisten und wie sie mit dem Fall versuchen umzugehen, runden das Bild ab. Aber weitgehend bleibt Moll bei der nüchternen Schilderung der Ermittlungen – und wir Zuschauer fragen uns selbstverständlich von der ersten Minute an, wer der Täter sein könnte und, noch mehr, wo die Polizei Fehler machte, die eine Aufklärung verhindern.
„In der Nacht des 12.“ ist ein gerade wegen seiner Herangehensweise spannender und ungewöhnlicher Krimi. Die Spannung entsteht aus dem präzisen und nüchternen Einblick in die alltägliche Polizeiarbeit.
In der Nacht des 12.(La nuit du 12, Frankreich/Belgien 2022)
Regie: Dominik Moll
Drehbuch Gilles Marchand, Dominik Moll
LV: Pauline Guéna: 18.3: Une année à la PJ, 2021 (Sachbuch; eigentlich keine Verfilmung, sondern eher „lose inspiriert von einem in der Reportage geschildertem Mord“)
mit Bastien Bouillon, Bouli Lanners, Pauline Serieys, Théo Cholbi, Johann Dionnet, Thibaut Evrard, Anouk Grinberg
Am 19. Januar verschwindet Évelyne Ducat, die Frau eines aus der Gegend stammenden vermögenden Geschäftsmanns. Ihr Wagen steht an einer Landstraße im Schnee. Die Suche der Polizei verläuft ergebnislos.
Dagegen erfahren wir in Colin Niels Noir „Nur die Tiere“ und in Dominik Molls kongenialer Verfilmung des Romans, die bei uns unter dem Titel „Die Verschwundene“ in den Kinos läuft, was passierte. Dabei entfaltet die Geschichte sich nicht chronologisch, sondern aus verschiedenen, nacheinander erzählten Perspektiven. Diese Erzählungen überlappen sich zeitlich teilweise. Und sie ergeben ein düsteres Porträt des französischen Landlebens im Zentralmassiv. Die Höfe liegen weit auseinander. Das Einkommen der Landwirte ist kärglich. Jedenfalls bei den Landwirten, die Alice als Sozialarbeiterin besucht. Auch ihr gehört ein Hof. Er wird von ihrem Mann Michel betrieben. Ihre Ehe – beide sind Mttvierziger – ist im Alltag erstarrt.
Einer ihrer Kunden ist der allein lebende Joseph. Er ist auch ihr Geliebter; wobei die Initiative dafür von ihr ausging. Er hat – soviel kann verraten werden – Évelyne nicht ermordet. Allerdings entdeckt er Évelynes auf seinem Hof hingelegte Leiche, versteckt sie spontan in seiner Scheune und baut eine Beziehung zu der langsam verwesenden Leiche auf.
Eine andere Person, die eine Beziehung zur verschwundenen Évelyne hat, ist Marion. Die Mittzwanzigerin verliebt sich in die Endvierzigerin und zieht wegen ihr ins Zentralmassiv. Évelyne ist über das plötzliche Auftauchen ihrer Geliebten nicht begeistert. Sie möchte die Beziehung sofort beenden.
Niel wählte für seinen Noir eine ungewöhnliche Struktur. Er lässt seine Figuren ihre Geschichte erzählen und ordnet sie so an, dass sie auch immer mehr Hintergründe über Évelynes Verschwinden enthüllen. In einem Roman, der sich wie eine Sammlung von lose miteinander verbundenen Kurzgeschichten liest, funktioniert das ganz gut. Immerhin hängen die Erzählungen miteinander zusammen und jede Figur sucht nach Liebe. Es ist allerdings auch eine Struktur, die nur schwer in einen Film übertragen werden kann. So wird Alice, die Erzählerin der ersten Geschichte, zunehmend unwichtiger. Und Marions Geschichte spielt vor Èvelynes Verschwinden. Sie hat nur sehr wenige Berührungspunkte mit den anderen Geschichten. Sie ist allerdings sehr wichtig, um Évelynes Verschwinden zu verstehen.
Die aus den unterschiedlichen Perspektiven entstehende Geschichte von Èvelynes Ermordung ist auch eine Abhandlung über die Macht des Zufalls. Denn die verschiedenen Handlungen haben hier immer wieder Konsequenzen, die die handelnden Personen nicht wollten oder von denen sie nichts wissen. So hat Marion keine Ahnung, was ihr Auftauchen in der Provinz auslöst.
Wie in dem ebenfalls diese Woche im Kino angelaufenem Horrorfilm und Cannes-Gewinner „Titane“, geht es in „Nur die Tiere“/“Die Verschwunden“, wie gesagt, um die Suche nach Liebe und den seltsamen Wegen, die sie geht. Dabei akzeptieren die Macher vorbehaltlos jede Form von Liebe zu anderen ‚Menschen‘. Aber während das in „Titane“ nur eine lose, fast schon bemühte Interpretionsklammer ist, wird dieses Thema in „Nur die Tiere“/“Die Verschwundene“ erzählerisch stringenter, geschlossener und mit stärker in der Realität verhafteten Personen und Ereignissen erzählt. Umso verstörender sind dann die von Joseph und Michel gewählten Objekte der Begierde.
Dominik Moll („Lemming“, „Der Mönch“) übertragt den Roman und seine eigentlich unverfilmbare Struktur und Erzählweise gelungen auf die Leinwand. Dabei verändert er einiges, aber er bleibt bei seiner Interpretation immer nah an der Vorlage.
Am Ende haben wir einen sehenswerten Film und einen lesenswerten Roman.
Die Verschwundene(Seules les bêtes, Frankreich/Deutschland 2019)
Regie: Dominik Moll
Drehbuch: Dominik Moll, Gilles Marchand
LV: Colin Niel: Seules les bêtes, 2017 (Nur die Tiere)
mit Denis Ménochet, Valeria Bruni Tedeschi, Laure Calamy, Damien Bonnard, Nadia Tereszkiewicz, Bastien Bouillon, Guy Roger ‚Bibisse‘ N’drin
Das Leben gehört uns (La Guerre est déclarée, Frankreich 2011)
Regie: Valérie Donzelli
Drehbuch: Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm
Als Juliette und Roméo erfahren, dass ihr 18 Monate alter Sohn einen Krebstumor im Gehirn hat, nehmen sie den Kampf auf.
Autobiographisch inspirierte, in schönster französischer Tradition erzählte Kampfansage an den Krebs und für das Leben. Ein etwas anderer Feelgood-Film.
mit Valérie Donzelli, Jérémie Elkaïm, César Desseix, Gabriel Elkaïm, Brigitte Sy, Elina Löwensohn, Michèle Moretti, Philippe Laudenbach, Bastien Bouillon, Béatrice De Staël, Anne Le Ny, Frédéric Pierrot, Elisabeth Dion