Neu im Kino/Filmkritik: Über den Episodenfilm „Paris Paradies“

August 8, 2024

Es geht um eine Opernsängerin, die für tot gehalten wurde und jetzt von der Reaktion der Presse auf ihr Ableben enttäuscht ist.

Es geht um ihren Mann, einen Dirigenten, der sie bedigungslos liebt.

Es geht um ihre Haushälterin, ihre Familie und ihre kettenrauchende Mutter.

Es geht um einen Stuntman, der Schauspieler werden möchte und sich um seinen Sohn kümmern muss.

Es geht um seinen neuen Visagisten, der sich unsterblich in ihn verliebt. Obwohl der von ihm begehrte Stuntman heterosexuell ist.

Es geht um einen TV-Moderator für True-Crime-Sendungen, der kurz vor seiner letzten Sendung und dem wohlverdienten Ruhestand steht.

Es geht um einen ungefähr mittelalten Wirt, der immer noch seiner vor Jahren verstorbenen Frau hinterhertrauert.

Es geht um ein schweigsames Mädchen, das in Therapie ist und sich umbringen will. Gerade als sie von der Brücke springen will, wird sie entführt.

Es geht um ihren tänzerisch begabten Entführer, der von dem Mädchen, das plötzlich pausenlos redet, in den Wahnsinn getrieben wird.

Es geht um einen Polizisten, der das spurlos verschwundene Mädchen sucht.

Und wahrscheinlich habe ich ungefähr ein halbes Dutzend weiterer Figuren und Geschichten vergessen. Denn Marjane Satrapi („Persepolis“) entwirft in ihrem neuen Film ein überaus freundliches Multikulti-Paris-Wimmelbild. Einige Figuren begegnen sich. Andere nicht. Eine wirkliche thematische Klammer gibt es nicht. Denn Liebe, Leid und Tod sind so allgemein, dass darunter ungefähr alles erzählt werden kann.

Für mich war die absurde Entführung, über die besser nicht länger nachgedacht wird, die vergnüglichste Geschichte. Die anderen sind nett unterhaltsame Kurzgeschichten mit eher weniger überraschenden Schlusspointen und einigen wenigen schwarzhumorigen und absurden Szenen. Vieles wird angesprochen, vieles wird nicht weiterverfolgt. Insgesamt vergeht die Zeit, dank der vielen Geschichten, zwischen denen Satrapi ständig wechselt, ziemlich flott bis zum Finale im Konzerthaus mit einer abenteuerlichen Rettung und, nun gut, einer Liebeserklärung an das Leben.

Zusammen ergeben die Szenen und Geschichten ein kurzweiliges, aber nie tiefgründiges und eigentlich nie (es gibt ja die Entführungsgeschichte) überraschendes Porträt vom Leben in Paris. Das ist nett anzusehen und schnell vergessen.

Paris Paradies (Paradis Paris, Frankreich 2024)

Regie: Marjane Satrapi

Drehbuch: Marie Madinier, Marjane Satrapi

mit Monica Bellucci, Charline Balu-Emane, Rossy de Palma, Eduardo Noriega, André Dussollier, Alex Lutz, Ben Aldridge, Roméo Grialou, Gwendal Marimoutou, Roschdy Zem, Martina Garcia

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Paris Paradies“

AlloCiné über „Paris Paradies“

Rotten Tomatoes über „Paris Paradies“

Wikipedia über „Paris Paradies“

Meine Besprechung von Marjane Satrapis „The Voices“ (The Voices, USA/Deutschland 2014) und der DVD

Meine Besprechung von Marjane Satrapis „Marie Curie – Elemente eines Lebens“ (Radioactive, Großbritannien/Frankreich 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: „Spoiler Alarm“: Das ist eine Liebesgeschichte

Mai 5, 2023

Der Titel der Vorlage lässt keinen Zweifel am Ausgang der Geschichte. Der Trailer ist ebenfalls ziemlich eindeutig. Und auch im Film wird allen, die vollkommen uninformiert ein Ticket für diesen Film kauften, gleich in den ersten Minuten verraten, wie es ausgehen wird. Und, auch daran lässt der Film keinen Zweifel, so wird es kommen: „The Hero dies“. Insofern muss es für den Film „Spoiler Alarm“ keinen Spoileralarm geben.

In dem zu erhöhtem Taschentuchkonsum anregendem Drama wird die wahre Geschichte von Michael Ausiello und seiner großen Liebe Kit Cowan erzählt. Als sie sich 2001 in New York in einem Schwulen-Nachtclub kennen lernen, arbeitet Ausiello als Journalist für die „TV Guide“. Sie verstehen sich, ziehen zusammen, heiraten, haben glückliche gemeinsame Jahre, werden für ihre Freunde die Verkörperung eines glücklichen Paares, wie man es sonst nur aus Liebesfilmen kennt. Das ändert sich 2014. Bei Cowan wird eine seltene Form von Krebs diagnostiziert. Er stirbt, elf Monate später, im Februar 2015.

In den Monaten vor seinem Tod informiert Ausiello über Social Media seine Freunde und die Familie regelmäßig über den Zustand seines Mannes. Diese Posts sieht auch ein Redakteur des Verlags Simon & Schuster. Er fragt Ausiello, ob er darüber ein Buch schreiben möchte. 2017 veröffentlich Ausiello das Buch „Spoiler Alert: The Hero dies“ über ihre gemeinsamen Jahre. Danach fragt Ausiello „The Big Bang Theory“-Schauspieler Jim Parsons, den er schon länger kennt, ob Parsons mit ihm in Los Angeles eine Fragerunde zum Buch moderieren möchte. Parsons tut es, sieht das Potential für eine Verfilmung und jetzt gehört er zu den Produzenten des Dramas.

Verfilmt wurde die Geschichte von Michael Showalter, der davor unter anderem die Romcom „The Big Sick“ inszenierte. Jim Parsons spielt Michael Ausiello. Ben Aldridge („Knock at the Cabin“) seine große Liebe Kit Cowan. Die Filmgeschichte folgt den wahren Ereignissen und kopiert gleichzeitig, garniert mit einigen wenigen filmischen Anspielungen und Spielereien, den Frühsiebziger-Kassenhit „Love Story“.

Entstanden ist ein Liebesfilm für alle, die mal wieder einige Packungen Tempotaschentücher verbrachen wollen. Dass „Spoiler Alarm“ eine schwule Liebesgeschichte erzählt, ist egal. Denn vor allem erzählt er die Geschichte von zwei Menschen, die sich lieben und füreinander da sind. Bis zum Tod.

Spoiler Alarm (Spoiler Alert, USA 2022)

Regie: Michael Showalter

Drehbuch: David Marshall Grant, Dan Savage

LV: Michael Ausiello: Spoiler Alert: The Hero dies, 2017

mit Jim Parsons, Ben Aldridge, Sally Field, Bill Irwin, Nikki M. James, Jeffery Self, Antoni Porowski

Länge: 113 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Spoiler Alarm“

Metacritic über „Spoiler Alarm“

Rotten Tomatoes über „Spoiler Alarm“

Wikipedia über „Spoiler Alarm“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Knock, „Knock at the Cabin“, Mr. Shyamalan

Februar 11, 2023

Es ist ein schöner Sommertag, als zuerst einer, dann drei weitere Fremde vor einer einsam im Wald gelegenen Hütte auftauchen und energisch Einlass begehren. Bei sich haben sie archaisch anmutende Waffen, die aus einem Fantasy-Mittelalter-Rollenspiel stammen könnten. Sie begehren so lautstark Einlass, dass Eric (Jonathan Groff), Andrew (Ben Aldridge) und ihre achtjährige Adoptivtochter Wen (Kristen Cui) sofort Todesangst haben und panisch alle Fenster und Türen verbarrikadieren.

Es hilft nicht. Kurz darauf sind die vier Fremden – Leonard (Dave Bautista), der sich sanft gebende Wortführer der Truppe, Sabrina (Nikki Amuka-Bird), Adrianne (Abby Quinn) und Redmond (Rupert Grint) – in der Hütte. Wens beiden Väter sind an Stühle gefesselt und ihre schlimmsten Befürchtungen werden wahr. Leonard sagt ihnen, dass Alpträume ihn und seine drei Begleiter an einem bestimtmen Ort zu einer bestimmten Uhrzeit zusamengeführt hätten. Jetzt seien sie hier, um das in wenigen Stunden nahende Ende der Welt zu verhindern. Dafür muss Eric, Andrew oder Wen ein anderes Familienmitglied töten. Dieses Opfer verhindere die Apokalypse. Ein Suizid könne das Ende der Welt nicht verhindern. Es muss ein Mord sein.

Schon in diesen ersten Minuten seines neuen Horrorfilms zeigt M. Night Shyamalan mehr religiöse Sympolik als in einem religösem Traktat enthalten ist. Entsprechend müßig ist eine detaillierte Auflistung. Jedenfalls präsentieren diese vier apokalyptischen Reiter, um ihren Worten eine höhere Glaubwürdigkeit zu verleihen, ihren Gefangenen live ausgestrahlte Fernsehberichte über die Plagen, die in den vergangenen Stunden über die Menschen hereingebrochen sind.

Eric, Ben und Wen haben davon in der Einöde, die sie ohne Internet und Fernsehen genießen wollen, nichts mitbekommen. Sie halten diese Berichte für Falschberichte, die ihnen als echte Berichte präsentiert werden. Einerseits weil bei ihnen im betont malerischen Wald von den die Welt erschütternden Katastrophen nichts zu spüren ist. Andererseits weil sie nicht glauben können, dass sich innerhalb weniger Tage alles verändert haben soll. In dem Moment halten sie die vier Eindringlinge vor allem für durchgeknallte religiöse Spinner, die ein perverses Spiel mit ihnen treiben. Sie könnten sich auch in einen Alptraum befinden, aus dem sie irgendwann aufwachen. Das ist, soviel kann verraten werden, nicht der Fall. M. Night Shyamalan ist seit „The sixth Sense“ zwar für seine überraschende Enden bekannt, aber banale Es-war- nur-ein-böser-Traum-Enden lehnt er ab.

Doch egal warum die vier Eindringlinge tun, was sie tun, sie meinen es tödlich ernst. Sie sind sogar bereit, für ihren Glauben zu sterben.

Shyamalan erzählt diese rabenschwarze Geschichte mit spürbarer Lust an überraschenden Wendungen, die alle auf eine katastrophale Entscheidung hinauslaufen. Denn was ist schlimmer: einen geliebten Menschen ermorden oder für das Ende der Menschheit verantwortlich zu sein? Genau auf diese Frage konzentriert Shyamalan sich in seinem mit religiösen Anspielungen vollgestopftem Horrorfilm in dem eine Familie sich plötzlich in einem Alptraum befindet, der überhaupt nichts mit der normalen, realen, allseits bekannten und vertrauten Welt zu tun hat. Das ist die Welt der Twilight Zone und wie eine zu lang geratene „Twilight Zone“-Episode wirkt „Knock at the Cabin“ dann auch.

Denn trotz aller Wendungen und inszenatorischer Finessen ist der Horrorfilm vor allem eine hochgradig hypothetische Versuchsanordnung, die direkt aus einem Philosophieseminar stammen könnte.

Knock at the Cabin (Knock at the Cabin, USA 2023)

Regie: M. Night Shyamalan

Drehbuch: M. Night Shyamalan, Steve Desmond, Michael Sherman

LV: Paul Tremblay: The Cabin at the End of the World, 2018 (Das Haus am Ende der Welt)

mit Dave Bautista, Jonathan Groff, Ben Aldridge, Nikki Amuka-Bird, Kristen Cui, Abby Quinn, Rupert Grint

Länge: 100 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Knock at the Cabin“

Metacritic über „Knock at the Cabin“

Rotten Tomatoes über „Knock at the Cabin“

Wikipedia über „Knock at the Cabin“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „After Earth“ (After Earth, USA 2013)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „Split“ (Split, USA 2017)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „Glass“ (Glass, USA 2019)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „Old“ (Old, USA 2021)