Neu im Kino/Filmkritik: „Mit besten Absichten“ nervt Susan Sarandon ihre Filmtochter Rose Byrne

Juli 15, 2016

It’s the story of someone we should all be so lucky to be annoyed with sometimes: a mother who loves us a little to much.“ (Lorne Scafaria über ihren Film)

Eltern und ihre Kinder – nachdem „Toni Erdmann“ den Feelbad-Weg wählte, wählte Lorene Scafaria bei ihrem zweiten Spielfilm „Mit besten Absichten“ den Feelgood-Weg. Susan Sarandon (die wegen des für sie unverständlichen Drehbuchs eine Rolle in „Independence Day: Wiederkehr“ ablehnte) spielt Marnie Minervini, die sich immer noch ungefragt in das Leben ihrer Tochter Lori (Rose Byrne) einmischt. Dass sie inzwischen kein fünfjähriges Kind, sondern Mitte Dreißig ist und an der Westküste in Hollywood als erfolgreiche TV-Autorin arbeitet, stört Marnie nicht. Immerhin ist ihr Ehemann gerade gestorben und in ihrer Heimatstadt New Jersey hält sie nichts mehr. Also zieht sie um nach Los Angeles – und mischt sich zuerst in das Leben ihrer allein lebenden Tochter ein, die davon nicht besonders begeistert ist.

Daneben hilft sie anderen Menschen, die ihre Einmischung erheblich freudiger aufnehmen. Da sind ein junger afroamerikanischer Telefonverkäufer, den sie auf eine Abendschule schickt, und die Freundinnen ihrer Tochter, von denen eine heiraten möchte. Marnie beginnt gleich die Hochzeit zu organisieren. Mit allem Drum und Dran. Immerhin hat sie nach dem Tod ihres Mannes keine Geldsorgen mehr.

Und dann trifft sie Zipper (J. K. Simmons), einen überaus verständigen und geduldigen Ex-Polizisten, der jetzt an Filmsets für die Security zuständig ist und bei seiner Arbeit auf Marnie trifft. Denn Marnie spazierte zufällig in ein Filmset.

Die Inspiration für Scafarias zweiten Spielfilm war der Tod ihres Vaters und der Umzug ihrer Mutter Gail während der Dreharbeiten für ihr Regiedebüt „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“. Die aus New Jersey nach Los Angeles umgezogene Gail mischte sich in alles ein und als typische italienische Mutter half sie, wo sie konnte. Gefragt und ungefragt. Für den Film änderte Scafaria selbstverständlich die Geschichte bis sie zu einer Liebeserklärung an alle Mütter wurde. Dabei ist Marnie, auch wenn sie es nur gut meint, eine Helikoptermutter mit ausgeprägtem Helfersyndrom. Also genau die Person, die man zum Therapeuten schicken möchte, damit sie sich endlich einmal um sich kümmert. Auch wenn man in Lori einiges von sich selbst und in Marnie einiges von seiner Mutter erkennt.

Dank der feinfühligen Regie von Scafaria, die nicht über Marnie urteilt oder sie verurteilt, sondern ihre positive Weltsicht einnimmt, steht man auf Marnies Seite, wenn sie ungefragt Fremden hilft und sich nachhaltig in deren Leben einmischt. Nur bei ihrer ganz gut auf eigenen Füßen stehenden Tochter sollte sie weniger tun. Obwohl das die komödiantischsten Teile der liebenswert-warmherzigen Komödie sind.

Mit besten Absichten“ ist auch eine weitere Traumrolle für Susan Sarandon die Marnie als zuletzt an sich selbst denkende, überaus coole Glücksfee spielt. Kein Wunder, dass Zipper sie zu sich nach Hause einlädt.

Mit besten Absichten - Plakat

Mit besten Absichten (The Meddler, USA 2015)

Regie: Lorene Scafaria

Drehbuch: Lorene Scafaria

mit Susan Sarandon, Rose Byrne, J. K. Simmons, Jerrod Carmichael, Cecily Strong, Lucy Punch, Casey Wilson

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Mit besten Absichten“

Metacritic über „Mit besten Absichten“

Rotten Tomatoes über „Mit besten Absichten“

Wikipedia über „Mit besten Absichten“

Meine Besprechung von Lorene Scafarias „Auf der Suche nach einem Freund fürs Ende der Welt“ (Seeking a Friend for the End of the World, USA 2012)

Lorene Scafaria bei DP/30 über den Film und den ganzen Rest

Lorene Scafaria, Susan Sarandon und Rose Byrne über den Film

Lorene Scafaria und Susan Sarandon über den Film

Schon von 2014: ein gut neunzigminütiges Gespräch mit Lorene Scafaria bei Writers on Writing


Neu im Kino/Filmkritik: Melissa McCarthy ist „The Boss“

April 21, 2016

In den USA eroberte „The Boss“, der neue Film von und mit Melissa McCarthy, gleich den zweiten Platz der Kinocharts, in der zweiten Woche den dritten Platz und die Kosten dürften damit schon jetzt vollständig eingespielt sein. Dass sich die Begeisterung der Kritiker in Grenzen hielt, hat im Moment keinen Einfluss auf ihre Beliebtheit. Auch wenn sie einen auf den ersten Blick unsympathischen Charakter spielt, den sie vor fünfzehn Jahren bei der Impro-Theatergruppe „The Groundlings“ erfand. Sie ist Michelle Darnell, ein Waisenkind, das von jeder potentiellen Pflegefamilie verstoßen wurde und die sich dann ganz allein ganz nach oben arbeitete. Sie ist eine erfolgreiche, großkotzige, allein lebende Unternehmerin mit mehr Geld als Heu. Sie ist der personifizierte amerikanische Traum ohne den Hauch eines sozialen Gewissens oder Empathie für ihre Mitmenschen.

Nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt wegen Insiderhandel in einem Luxusgefängnis steht sie vor dem Nichts. Also quartiert sie sich bei ihrer ehemaligen, allein lebenden Sekretärin Claire (Kristen Bell) und deren Tochter Rachel (Ella Anderson) ein.

Als sie zu einer Schulversammlung mitgeht, legt sie sich gleich mit einer anderen Mutter an. Aus einer geplanten wohltätigen Keksverkaufsaktion, in der den Schülerinnen in schönster Pfadfindertradition Gemeinschaftswerte beigebracht werden sollen, initiiert sie einen knallharten kapitalistischen Verkaufswettbewerb. Bei ihr erhalten die Schülerinnen keine Fleißpunkte, sondern für jeden verkauften Brownie eine Provision. Schnell baut sie mit den von Claire nach einem Spezialrezept gebackenen Brownies ein Unternehmen auf, das sich über die gesamten USA erstrecken soll. Ihr Ex-Freund und Intimfeind Renault (Peter Dinklage) will ihr Geschäft übernehmen.

The Boss“ ist allerdings keine Wirtschaftssatire. McCarthy versucht das in ihrem Film noch nicht einmal. Denn außer den offensichtlichsten Wirtschaftsgags ignorieren sie und Regisseur Ben Falcone dieses humoristische Potential ihrer Geschichte vollkommen. Die besten Gags, wenn Melissa McCarthy nicht gerade verbal dem Affen Zucker gibt oder in waghalsigen Stunts Treppen herunterfällt, drehen sich dann folgerichtig um, ähem, Frauenbelange, wie einer exzessiven Bräunungsaktion in Claires Badezimmer oder einem langwierigen Bekleidungsratschlag von ihr. Denn Claire will für ein Date ihren ausgewaschenen Lieblingspullover und einen betont unerotischen, aber bequemen BH anziehen. Das sind dann Gags, die in jedem Umfeld funktionieren, aber die Filmgeschichte in keinster Weise voranbringen oder irgendetwas zum Thema des Films beitragen. Dafür verstärken sie das Gefühl, dass man gerade eine Episode aus einer Sitcom sieht. Allerdings eine mit nicht besonders glaubwürdigen Charakteren. Oder glaubt jemand wirklich ernsthaft, dass Claire in punkto Beziehungen Ratschläge von Michelle Darnelle nötig hat?

So wird vieles zwar angesprochen, aber nichts konsequent zu Ende erzählt. Entsprechend lieblos wird die Geschichte von der Läuterung des Ekels erzählt. Anstatt nämlich Michelle Darnells Lebensphilosophie, dass Geld ein Ersatz für Familie, Liebe und Geborgenheit ist, konsequent in jeder Szene zu prüfen und immer wieder die verschiedenen Werte von Familie, Gemeinschaft und Kapitalismus aufeinanderprallen zu lassen, schweifen die Macher immer wieder ab in letztendlich belanglose Episoden und einen ziemlich absurden dritten Akt, in dem dann Michelle, Claire und ihr Freund wie Dick & Doof in Renaults riesiges Bürohaus einbrechen.

Einen großen Teil an dieser so entstandenen ziemlich umfassenden Enttäuschung liegt dabei an Melissa McCarthy, die als Schauspielerin und Komikerin überzeugt, aber als Mit-Drehbuchautorin sich einfach zu sehr auf den Star und die Sketche verlässt, während sie die erzählerische Logik links liegen lässt. Insofern ist „The Boss“ nach „Tammy – Voll abgefahren“, wo sie ebenfalls Mit-Drehbuchautorin war, ein Schritt zurück in seichte Gewässer. In „Tammy“ versuchte sie in der zweiten Hälfte des Films aus dem Komödienfach mit festgelegter Rolle in das dramatische Fach aufzubrechen. In „The Boss“ ist von solchen Ambitionen nichts zu spüren. Genaugenommen ist noch nicht einmal von irgendwelchen Ambitionen etwas zu spüren. Dafür ist „The Boss“ einfach zu selbstgenügsam in der Präsentation von Melissa McCarthy als Fixstern in einem sich nur um sie drehendem Kosmos.

The Boss - Plakat

The Boss (The Boss, USA 2016)

Regie: Ben Falcone

Drehbuch: Melissa McCarthy, Ben Falcone, Steve Mallory

mit Melissa McCarthy, Kristen Bell, Peter Dinklage, Ella Anderson, Tyler Labine, Kathy Bates, Cecily Strong, Mary Sohn,Tim Simons, Kristen Schaal, Ben Falcone

Länge: 99 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Boss“

Metacritic über „The Boss“

Rotten Tomatoes über „The Boss“

Wikipedia über „The Boss“

Meine Besprechung von Ben Falcones „Tammy – Voll abgefahren“ (Tammy, USA 2014)