Neu im Kino/Filmkritik: Wim Wenders porträtiert „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“

Juni 14, 2018

In den vergangenen Jahrzehnten drehte Wim Wenders neben seinen Spielfilmen etliche Dokumentarfilme über Künstler, die er bewundert. Wie den Regisseur Nicholas Ray in „Nick’s Film – Lightning Over Water“, den Modeschöpfer Yohji Yamamoto in „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“, und, zuletzt, den Fotografen Sebastião Salgado in „Das Salz der Erde“. Ein Welterfolg war „Buena Vista Social Club“. In dem Film beobachtet er, wie Ry Cooder und kubanische Musiker eine CD aufnehmen, die sich später wie geschnitten Brot verkauft. Wenders nähert sich in den Filmen immer feinfühlig, respektvoll und abseits jeglicher kritischer oder enthüllender Attitüde den Porträtierten. Mit seinen Dokumentarfilmen will er anderen Menschen von Künstlern erzählen, deren Werk ihn beeindruckt. In der Hoffnung, dass wir uns dann auch für ihn und sein Werk interessieren. Außerdem ist so ein Filmprojekt eine gute Gelegenheit, viele Stunden in der Nähe des Porträtierten zu verbringen. Abgesehen von „Pina“, einer Hommage an Pina Bausch und ihr Tanztheater, und der Sängerin Omara Portuondo in „Buena Vista Social Club“ porträtierte Wenders in seinen Dokumentarfilmen nur Männer.

Auch in „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ porträtiert er einen Mann und dieser Film zeigt auch die Grenzen seines Ansatzes auf. Er begleitet Papst Franziskus, das amtierende Oberhaupt der katholischen Kirche, bei seinen Reisen und führte vier längere Gespräche mit ihm. Dafür stellte er über fünfzig universelle Fragen zusammen, die wahrscheinlich viele Menschen dem Papst stellen würde. Diese Gespräche nahm Wenders mit einem Interrotron auf; einen umfunktionierten Teleprompter der es dem Interviewten ermöglicht, direkt in die Kamera zu blicken. Und so blickt der immer schelmisch lächelnde alte Mann direkt in den Zuschauerraum. Das Material ergänzt Wenders um Aufnahmen aus dem Archiv des vatikanischen Fernsehens Centro Televisivo Vaticano (CTV). Das CTV dokumentiert akribisch, teils mit mehreren Kameras und in guter Qualität, alles, was der Papst tut. Zusätzlich inszenierte Wenders mit Schauspielern einige Szenen aus dem Leben von Franz von Assisi, dem Namenspaten des 1936 in Buenos Aires geborenen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio, der Ende 2013 zu Papst Franziskus wurde.

In dem Film entsteht schnell das Bild eines Papstes, der sich, wie Franz von Assisi, wenig um irdische Habseligkeiten kümmert. Er will die Botschaft des Herrn verkünden, den Armen helfen, für Frieden sorgen und die Schöpfung retten. Er ist den Menschen zugewandt. Er predigt. Er redet. Er sagt viele sehr vernünftige Sätze. Er reist rastlos um die Welt. Immer wieder sehen wir ihn mit flatterndem Gewand, von hinten aufgenommen, im fahrenden Papamobil stehend, die vorbeihuschenden Massen segnend, auf seiner rastlosen Reise um die Welt, um diese mit dem Handauflegen und Reden zu einem besseren Platz zu machen. Dabei entdeckt er einmal sogar in der Menschenmenge eine Ordensschwester, die er von früher kennt. Spontan wechselt er einige Worte mit ihr. Für den Film wurde sie ausfindig gemacht und Schwester Eufemia ist jetzt die einzige Person in dem Film, die neben dem Papst etwas sagt.

In „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ ist der Papst ein von seiner Mission getriebener Mann, der offenherzig auf andere Menschen zugeht, der mit dem Wort Gottes für eine bessere Welt predigt, der sich für die Verständigung zwischen den Religionen einsetzt und der die katholische Kirche reformieren will.

Er ist das Oberhaupt einer Weltreligion, eines riesigen Wirtschaftsunternehmens und einer über beträchtlichen politischen Einfluss verfügenden Organisation. Er redet nicht nur, er kann auch Menschen mobilisieren und Veränderungen herbeiführen. Ob und inwiefern er das versucht und wie erfolgreich er dabei ist, wird in „Papst Franziskus“ nicht thematisiert. Der Film interessiert sich auch nicht für die Gegner von Papst Franziskus. Denn Papst Franziskus hat innerparteiliche Kritiker und Feinde. Vor allem unter den konservativen Christen.

Wenders geht in seinem Papstporträt darauf nicht ein. Es interessiert ihn nicht. Jedenfalls nicht im Rahmen eines Wenders-Dokumentarfilms, der sich nicht durch kritische Distanz, sondern durch hemmungslose Empathie für den Porträtierten auszeichnet.

Aber ein Film über den Papst muss auch über den Einfluss der Kirche auf die Welt und die Konflikte innerhalb der Kirche sprechen.

Diese fehlende politische Dimension, die in Wenders‘ anderen Dokumentarfilmen nicht weiter auffiel, ist hier eine Leerstelle, die die Grenzen der Methode Wenders aufzeigt. Ein Papst kann nicht nur als Gläubiger porträtiert werden. Er muss, vor allem ein so politischer Papst wie Papst Franziskus, auch als Homo Politicus gezeigt werden und dann muss gezeigt werden, wie er versucht, seine Ziele zu erreichen (und da sind salbungsvolle Worte, wenn sie nicht mit Taten unterfüttert werden, nur salbungsvolle Worte) und gegen welche Widerstände, vor allem natürlich institutionelle Widerstände, er dabei kämpfen muss und wie er damit umgeht. Denn Franziskus ist wegen seiner liberalen Agenda bei konservativen Katholiken, höflich formuliert, sehr umstritten.

Am Ende ist „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ nur ein Werbefilm der katholischen Kirche für die katholische Kirche ist. Gut gemacht, aber auch absolut kritikfrei, entsprechend oberflächlich und mit beschränktem Erkenntnisgewinn. Jedenfalls wenn man von einem Film über einen Papst mit einer politischen Agenda mehr erwartet als eine zweistündige salbungsvolle Sonntagspredigt.

P. S.: Der Titelsong ist „These are the Words“ von Patti Smith und Tony Shanahan.

Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes (Pope Francis: A Man of his Word, Deutschland 2018)

Regie: Wim Wenders

Drehbuch: Wim Wenders, David Rosier

mit Papst Franziskus, Schwester Eufemia, Ignazio Oliva, Carlo Faconetti, Danielle de Angelis

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Moviepilot über „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“

Metacritic über „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“

Rotten Tomatoes über „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“

Wikipedia über „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“

Meine Besprechung von Wim Wenders’ “Hammett” (Hammett, USA 1982)

Meine Besprechung von Wim Wenders/Juliano Ribeiro Salgados “Das Salz der Erde” (The Salt of the Earth, Frankreich/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Every thing will be fine“ (Deutschland/Kanada/Norwegen/Schweden 2015)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Die schönen Tage von Aranjuez“ (Les beaux jours d‘ Aranjuez, Deutschland/Frankreich 2016)

Wim Wenders in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 1. November: Das Salz der Erde

November 1, 2017

ARD, 22.45

Das Salz der Erde (The Salt of the Earth, Frankreich/Deutschland 2013)

Regie: Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado

Drehbuch: Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado, David Rosier

TV-Premiere von Wim Wenders‘ sehr sehenswerter Dokumentation über den Fotografen Sebastião Salgado. Leider zu einer sehr unchristlichen Uhrzeit.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Sebastião Salgado, Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado, Hugo Barbier, Jacques Barthélémy, Lélia Wanick Salgado

Wiederholung: Donnerstag, 2. November, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise
Homepage zum Film
Filmportal über „Das Salz der Erde“
Film-Zeit über „Das Salz der Erde“
Moviepilot über „Das Salz der Erde“
Rotten Tomatoes über „Das Salz der Erde“
Wikipedia über „Das Salz der Erde“ (deutsch, englisch) und Sebastião Salgado

Meine Besprechung von Wim Wenders’ “Hammett” (Hammett, USA 1982)

Meine Besprechung von Wim Wenders/Juliano Ribeiro Salgados “Das Salz der Erde” (The Salt of the Earth, Frankreich/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Every thing will be fine“ (Deutschland/Kanada/Norwegen/Schweden 2015)

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Neu im Kino/Filmkritik: Über Wim Wenders‘ Sebastião-Salgado-Dokumentation „Das Salz der Erde“

Oktober 31, 2014

Wenn Wim Wenders einen Dokumentarfilm dreht, will er nicht über Mißstände aufklären (das macht Michael Moore) oder in neue Welten vorstoßen (das macht Werner Herzog), sondern er will von Künstlern und Dingen, die ihm etwas bedeuten, erzählen. Eigentlich sind seine Dokumentation eine Entschuldigung, um Künstlern Nahe zu sein, die er bewundert. So erzählt er in „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“ von dem japanischen Modemacher Yohji Yamamoto. „Buena Vista Social Club“ und „Viel passiert – Der BAP-Film“ waren Musikfilme. „Pina – Ein Tanzfilm in 3D“ eine Liebeserklärung an Pina Bausch und ihr Tanztheater. Oft waren diese persönlichen Filmessays an der Kinokasse sogar sehr erfolgreich.
In „Das Salz der Erde“ porträtiert er den Fotografen Sebastião Salgado, dessen Bilder ihn beeindruckten: „Ich kenne Sebastião Salgados Arbeit seit fast 25 Jahren. Ich habe damals zwei Fotoarbeiten von ihm erworben, die mich wirklich tief berührten. Ich habe sie rahmen lassen und seitdem hängen sie über meinem Schreibtisch. Inspiriert von diesen Fotografien, habe ich dann auch die Ausstellung ‚Workers‘ gesehen, die mich ebenfalls sehr beeindruckte. Seitdem habe ich die größte Hochachtung vor Sebastiãos Arbeit.“
Diese aufrichtige Bewunderung für ein Werk und seine Zuneigung zu dem Porträtierten sind für eine kritische Dokumentation natürlich Gift. Wenders ist ein Fanboy und „Das Salz der Erde“ erzählt von seinem Fantum, gewohnt respektvoll und, hauptsächlich, in atemberaubenden Schwarz-Weiß-Bildern, weil Sebastião Salgado ebenfalls in Schwarz-Weiß fotografiert und immer einen sehr kunstvollen Bildaufbau hat.
Wenders inszenierte den Dokumentarfilm zusammen mit Salgados Sohn Juliano Ribeiro, weil Vater und Sohn Salgado für ihr schon länger geplantes Projekt über den fotografierenden Vater einen Blick von Außen haben wollten. Mit Wim Wenders haben sie den richtigen Partner gefunden.
So beeindruckend die Bilder des Films auch sind, so herkömmlich ist die gewählte Struktur, die einfach Salgados Leben chronologisch nacherzählt und auf genauere Nachfragen oder einen kritischeren Blick verzichtet. Denn bei seinen monatelangen Reisen zu den Krisenherden der Welt und in abgelegene Gebiete war Sebastião Salgado für seinen 1974 geborenen Sohn und seine Frau Lélia Wanick, mit der er seit über fünfzig Jahren verheiratet ist und die anscheinend die Geschäfte führt, nicht erreichbar. Aber das wäre ein anderer Film geworden. Ein Film, an dem Wim Wenders, wie in seinen anderen Dokumentationen, kein Interesse hatte. Er wollte die Arbeit von Salgado einem breiten Publikum vorstellen. Dafür erzählt er chronologisch dessen Leben von seiner Kindheit in Brasilien, seiner kurzen Karriere als Ökonom in London, seinen Anfängen als Fotograf ab 1973 und schließlich seine großen, oft in jahrelanger Arbeit erstellten Projekte, die auch zu gefeierten Bildbänden wurden, wie „Other Americans“, „Sahel“, „Workers“, „Exodus“ und „Afrika“ bis hin zu seinem neueste Projekt „Genesis“, das er 2004 begann und in dem er, nachdem er vorher das Elend der Welt in seinen Bildern zeigte, sich der Natur und Gemeinschaften, die im Einklang mit ihren Traditionen leben, widmet. Auch dafür reist er, öfters begleitet von seinem Sohn Juliano Ribeiro Salgado, an entlegene Orte. Gleichzeitig widmet er sich einem Wiederaufforstungsprojekt auf der Familienranch der Salgados in Aimorés. In diesen Momenten stellt sich auch eine gewisse Langeweile ein: noch ein Projekt, noch eine Ausstellung, die buchhalterisch hintereinander von Wenders und Salgado abgehakt werden.

Das Salz der Erde - Plakat
Das Salz der Erde (The Salt of the Earth, Frankreich/Deutschland 2013)
Regie: Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado
Drehbuch: Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado, David Rosier
mit Sebastião Salgado, Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado, Hugo Barbier, Jacques Barthélémy, Lélia Wanick Salgado
Länge: 110 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Filmportal über „Das Salz der Erde“
Film-Zeit über „Das Salz der Erde“
Moviepilot über „Das Salz der Erde“
Rotten Tomatoes über „Das Salz der Erde“
Wikipedia über „Das Salz der Erde“ (deutsch, englisch) und Sebastião Salgado

Meine Besprechung von Wim Wenders’ “Hammett” (Hammett, USA 1982)

Wim Wenders in der Kriminalakte