Ein ganz normaler Sommertag in Clichy-Montfermeil, einem sozialen Brennpunkt östlich von Paris: Polizisten, darunter ein Neuling bei seinem ersten Arbeitstag, und Kleingangster kennen und bekriegen sich.
Rundum überzeugendes Ghettodrama. Einer meiner Kino!filme des Jahres 2020.
Ein ganz normaler Sommertag in Clichy-Montfermeil, einem sozialen Brennpunkt östlich von Paris: Polizisten, darunter ein Neuling bei seinem ersten Arbeitstag, und Kleingangster kennen und bekriegen sich.
TV-Premiere. Rundum überzeugendes Ghettodrama. Einer meiner Kino!filme des Jahres 2020.
Für Stéphane (Damien Bonnard) ist es sein ‚Training Day‘ mit Chris (Alexis Manenti) und Gwada (Djebril Zonga), die schon seit Ewigkeiten in Les Bosquets in Clichy-Montfermeil, einem Vorort östlich von Paris, arbeiten. Chris ist der schnell aufbrausende und seine Polizeimarke skrupellos benutzende Anführer des Teams. Gwada ist sein ruhigerer und besonnener Partner. Beide sind sich sicher, dass Stéphanes in der Provinz vielleicht taugliche sozialarbeiterisch-verständnisvolle und auch rücksichtsvolle Herangehensweise in der Großstadt, und dann noch in einem sozialen Brennpunkt mit periodischen Gewaltausbrüchen, schnell der Vergangenheit angehören wird.
Während eines brütend heißen Sommertags zeigen sie Stéphane ihr Revier. Sie stellen sich selbst dar. Vor allem Chris erklärt ihm (und uns) die Welt, wie sie ist. Und die ist ziemlich reaktionär. Wenn er sich langweilt, übt er seine Macht als Polizist gegenüber den Bewohnern des Viertels mit schikanösen Zufallskontrollen aus. Außerdem prüfen und verarschen Chris und Gwada ihren neuen Kollegen. Der beobachtet das in einer oft schweigenden Mischung aus Erstaunen und Entsetzen. Insgesamt ist es ein ganz normaler Tag in Montfermeil. Auch dass aus dem im Viertel gastierendem Wanderzirkus das Maskottchen des hitzköpfigen Zirkuschefs, ein Löwenbaby, gestohlen wird und fortan alle nach dem Tier suchen, ändert daran zunächst wenig.
Die Story ermöglicht Ladj Ly in seinem Regiedebüt „Die Wütenden – Les Misérables“ ein ungeschöntes und letztendlich sehr bitteres Porträt eines Stadtteils und seiner Bewohner zu zeichnen. Es ist ein Stadtteil, in dem das Recht des Stärkeren für eine gewisse Stabilität sorgt. Auch wenn es nichts zu einer positiven Entwicklung beträgt. Im Gegenteil.
Es ist auch das Stadtteil, in dem Ly aufwuchst, seine Besetzung fand und in den vergangenen Jahren seine ersten Filme drehte. Es waren Dokumentarfilme unterschiedlicher Länge, die er auch auf YouTube veröffentlichte. In ihnen gibt er einen Einblick in das Leben in Montfermeil. So dokumentiert er in „365 Days in Clichy Montfermeil“ (2007) den Teil der gewalttätigen Unruhen in Frankreich 2005, die vor seiner Haustür stattfanden und das Leben in seiner Stadt.
Im Film benutzt er dann sehr gelungen die Konventionen des Polizeifilms für eine Gesellschaftsanalyse, die immer wieder verschiedene Abhängigkeiten und Loyalitäten und die daraus entstehende negative Dynamik thematisiert, ohne jemals zu predigen. Das steht dann auch in der Tradition französischer Kriminalfilme, wie Bertrand Taverniers Polizeifilm „Auf offener Straße“ (L.627, Frankreich 1992) oder Mathieu Kassovitz‘ Banlieue-Jugenddrama „Hass“ (La Haine, Frankreich 1995).
Seitdem hat sich in den Banlieues wenig verändert. Außer dass die Bewohner inzwischen Polizeischikanen und -gewalt mit Handykameras und Drohnen dokumentieren können.
Seine Premiere hatte „Die Wütenden – Les Misérables“ letztes Jahr in Cannes. Dort erhielt das Drama den „Preis der Jury“. Weitere Preise wie ein Europäischer Filmpreis für das beste Spielfilmdebüt folgten. Zuletzt wurde der Polizeifilm für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert. Er wäre ein würdiger Preisträger. Dummerweise dürfte er gegen „Parasite“ keine Chance haben.
Die Wütenden – Les Misérables (Les Misérables, Frankreich 2019)