Wie kam es dazu, dass Wilhelm Tell den Apfel vom Kopf seines Sohnes schießen musste? Die Antwort liefert natürlich Friedrich Schillers Theaterstück. Oder jetzt Nick Hamms Film, der Schillers Stück als Rahmen für seine Adaption bezeichnet.
Hamm veränderte einige Figuren und er ignorierte die Begrenzungen einer Theaterbühne zugunsten eines Drehs vor Ort in Südtirol und breitwandiger Kampfszenen.
Das Ergebnis ist ein okayer, traditioneller Abenteuerfilm über einen ehemaligen Kreuzritter, der 1307 in der Schweiz auf seinem Hof in der Nähe von Altdorf ein friedvolles Leben mit seiner Frau und seinem Sohn führen möchte. Aber die Umstände sind nicht so. Vor allem Gessler, der Statthalter des österreichischen Hauses Habsburg, versteht seine Aufgabe, die Unterwerfung der Schweizer, als Blankoscheck für die hemmungslose Anwendung von Gewalt und repressiver Methoden. Für ihn ist nur ein toter Schweizer ein guter Schweizer.
Wilhelm Tell(Wilhelm Tell, Großbritannien/Italien/Schweiz/USA 2024)
Regie: Nick Hamm
Drehbuch: Nick Hamm (basierend auf dem Stück von Friedrich Schiller)
mit Claes Bang, Connor Swindells, Golshifteh Farahani, Jonah Hauer-King, Ellie Bamber, Rafe Spall, Emily Beecham, Jonathan Pryce, Ben Kingsley
Wie Christian Alvart, dessen neuer Thriller „Freies Land“ ebenfalls diese Woche startet, fühlt Jessica Hausner (genaugenommen eine Österreicherin) sich im Genre wohl. Allerdings im Horrorgenre. Und während Alvart einen konventionellen Mainstream-Zugang hat, interessiert Hausner sich, wie sie schon in „Hotel“ zeigte, für die Arthaus-Variante des Genres.
In ihrem neuen Film „Little Joe“ züchtet die Botanikerin Alice eine Blume, die, wenn sie richtig gepflegt wird, Menschen glücklich macht. Als es in dem Labor zu seltsamen Ereignissen kommt, fragen Alice und ihre Kollegen sich, ob die Blume auch Nebenwirkungen hat. Nebenwirkungen, die zu negativen Veränderungen bei Menschen und auch zu Sterbefällen führen. Also, konkret: Hat die Blume ein mörderisches Bewusstsein?
Für Alice ist das nicht nur eine akademische Frage, die sie im hochgesicherten Labor beantworten muss. Denn die alleinerziehende Mutter hat eine ihrer Züchtungen ihrem dreizehnjährigen Sohn gegeben und sie glaubt, dass er sich verändert.
„Little Joe“ lief letztes Jahr in Cannes im Wettbewerb. Emily Beecham wurde als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Neben ihr spielen Ben Whishaw und Kerry Fox Hauptrollen. Gedreht wurde auf Englisch und damit ist klar, dass Jessica Hausner mit ihrem ersten englischsprachigen Film den internationalen Markt anpeilt.
Seine Deutschlandpremiere hatte der Film auf dem Fantasy Filmfest und zwischen all den Trash- und Gore-Splatter-Horrorfilmen fällt „Little Joe“ auf. Denn der Film ist sehr elegant, betont künstlich, artifiziell und unterkühlt inszeniert.
Emotional packend ist „Little Joe“ niemals. Hier werden lange Kamerafahrten durch Gewächshäuser und Forschungsanstalten und lange Einstellungen auf Menschen und ebenso bewegungslose Pflanzen mit intellektuellem Tiefgang verwechselt.
Das erinnert an ihren Film „Hotel“, in dem ein Hotel in den Alpen zu einem Horrorhaus wurde. Die Kritiken waren positiv bis euphorisch. Ich fand den Film eher langweilig. Der Erkenntnisgewinn von minutenlangen Blicken in einen dunklen Wald ist halt begrenzt.
„Little Joe“ hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Das wenige an Handlung wird endlos gedehnt. Es passiert wenig. Es wird mehr angedeutet als gezeigt. So bleibt auch unklar, ob die Pflanze jetzt wirklich Menschen verändert und tötet, oder ob es sich nur um eine Fantasie handelt. Echter Schrecken kann so nicht entstehen. Fesselnd ist dieses sich nicht auf eine Erklärung festlegen wollen auch nicht. Aber es sieht in diesem Fall sehr schön aus. Jedes Bild von Hausners Stammkameramann Martin Gschlacht ist von ausgesuchter Schönheit.
In „Little Joe“ gewinnt der Stilwille eindeutig über dem Horror.
Little Joe – Glück ist ein Geschäft(Deutschland/Österreich 2019)
Regie: Jessica Hausner
Drehbuch: Jessica Hausner, Géraldine Bajard
mit Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, Kit Connor, David Wilmot, Phénix Brossard, Sebastian Hülk, Lindsay Duncan