Neu im Kino/Filmkritik: Superheldin „Madame Web“ hat jetzt ihren Girl-Power-Film

Februar 14, 2024

Heute endet der kleine Lauf von neuen Filmen mit Sydney Sweeney. Nach der launigen RomCom „Wo die Lüge hinfällt“ und dem auf Fakten basierendem Drama „Reality“ spielt sie jetzt in einem Superheldenfilm mit. „Madame Web“ heißt das Werk. Es ist der neueste Film im Sony’s Spider-Man Universe und sie spielt Julia Cornwall. Eine Schülerin irgendwo im Teenageralter. Nach den beiden eben erwähnten Filmen, in denen sie, ihrem Alter entsprechend, Mitt-/Endzwanziger spielte, wird hier vom Zuschauer schon eine ordentliche Portion suspension of disbelief verlangt. Da helfen auch die betont unattraktive Schuluniform und die riesige Bücherwurm-Brille nur bedingt. Aber sie hat nur eine Nebenrolle.

Im Zentrum steht Cassandra ‚Cassie‘ Webb (Dakota Johnson), die titelgebende Madame Web. Am Filmanfang ist sie eine dreißigjährige Rettungssanitäterin, die 2003 mit Blaulicht durch Manhattan rast und Menschen rettet. Bei einem Einsatz stürzt sie in einem verunglückten Wagen in den Fluss und kann erst nach drei Minuten aus dem Wasser gerettet werden. Entgegen jeder Wahrscheinlichkeit überlebt sie, ist kurz darauf wieder mopsfidel und kann in die Zukunft sehen.

Der Bösewicht Ezekiel Sims (Tahar Rahim) kann ebenfalls in die Zukunft sehen. Er ermordete, weil er an eine seltene Spinnenart gelangen wollte, 1973 in Peru im Amazonas Cassies hochschwangere Mutter. Die eingeborenen, plötzlich aus den Bäumen kommenden Spinnenmenschen versuchen die Mutter und ihr noch ungeborenes Kind zu retten. Sie können allerdings nur Cassie retten.

Heute, also 2003, hat der in New York lebende Ezekiel einen wiederkehrenden Alptraum. Er sieht, wie er irgendwann in der Zukunft von drei maskierten Frauen getötet wird. Er will sie töten, bevor sie ihn töten. Dafür muss er sie zuerst finden. Benutzen tut er die damals moderne Überwachungstechnik, auf die er mit gestohlener NSA-Software zugreifen kann.

Als Cassie in einer ihrer Visionen sieht, wie Spinnenmann Ezekiel in einer U-Bahn die Teenager Julia Cornwall (Sydney Sweeney), Mattie Franklin (Celeste O’Connor) und Anya Corazon (Isabela Merced), umbringt, will sie sie retten. Erschwert wird ihre Mission dadurch, dass Ezekiel über Spinnen-Superkräfte verfügt, Julia, Mattie und Anya sind in dem Moment (und während des gesamten Films) nur normale Teenager ohne irgendwelche Superkräfte. Sie verfügen noch nicht einmal über die Teenager-Superkraft, alle Erwachsenen unglaublich zu nerven. Sie sind sehr ruhig, folgsam, einsichtig und halten sich fast immer an Cassies Anweisungen. Und Cassie verfügt nur über die manchmal vorhandene Gabe, in die Zukunft sehen zu können. Das erlaubt der erfahrenen TV-Regisseurin SJ Clarkson in ihrem Spielfilmdebüt, eine Szene mehrmals mit kleinen Variationen zu zeigen.

Diese weitgehende Abwesenheit von irgendwelchen Superkräften erspart uns langwierige Trainings-Montagen, in denen der Superheld seine Kräfte kennen lernt, und macht aus dem angekündigten Superheldenfilm einen eher gewöhnlichen Thriller, in dem der Bösewicht einige Menschen umbringen will und die Heldin das verhindern will.

Für eine Superhelden-Origin-Story ist das schon ein ungewöhnlicher Ansatz. Am Endergebnis ändert das nichts: „Madame Web“ ist ein erstaunlich anspruchsloser Film, der eher an einen TV-Film, bei dem alle nur wegen des Geldes dabei waren, erinnert. Die Schauspieler sind zwar anwesend, aber niemand hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Die Dialoge sind zweckdienliche Erklärdialoge, die dann für die Story unwichtig sind. Und die Filmstory wirkt immer so, als habe man nur Teile des Drehbuchs verfilmt. Da fehlen immer wieder Szenen, die die gezeigten Szenen wirkungsvoller machen würden. So sehen wir, zum Beispiel, nicht, wie Cassies Kollegen versuchen, sie aus dem Wasser zu retten. In dem einen Moment ist sie in dem in das Wasser fallendem Auto. Dann ist sie unter Wasser in einer Quasi-Traumsequenz und danach ist sie gerettet und reanimiert. In einer anderen Szene, ebenfalls vom Filmanfang, rast Cassie mit Blaulicht durch die Stadt. Aber warum sie sich so beeilt, wissen wir nicht. Denn wir wissen nichts über den Patienten, den sie befördert. Und ihr Kollege/Freund Ben Parker (Adam Scott; ja, wir können hier eine kleine Verbindung zu Spider-Man erahnen) agiert betont entspannt im hinteren Teil des Rettungswagen. Andere Szenen werden später nicht fortgeführt. Sie bleiben in der Luft hängen. Dafür benutzt Cassie, entgegen jeder Vernunft, während des gesamten Films ein von ihr geklautes und ramponiertes Taxi. Denn zu dem Zeitpunkt wird bereits nach ihr gefahndet und auch nach dem Taxi sollte gesucht werden. Die wenigen Actionszenen versumpfen im erwartbaren CGI-Overkill.

Und obwohl „Madame Web“ zum Sony’s Spider-Man Universe gehört, ist „Madame Web“ ein Einzelfilm ohne irgendwelche offensichtlichen Anspielungen oder Verbindungen zu den „Spider-Man“-Filmen. Diese waren wohl während der Produktion geplant, wurden aber vor dem Kinostart aus dem Film entfernt. Die wenigen jetzt noch vorhandenen Anspielungen auf Spider-Man, nämlich dass Ben Parker und die im Film hochschwangere Mary Parker (so heißt die Mutter von ‚Spider-Man‘ Peter Parker) mitspielen, sind dann so versteckt, dass unklar ist, ob es sich wirklich um eine Verbindung zum Spider-Man Universe oder nur um einen blöden Zufall handelt.

Madame Web“ ist in seiner allumfassenden Anspruchslosigkeit, wenn man dies akzeptiert, ein durchaus sympathisch-harmloser, sich nicht weiter um Logik und Wahrscheinlichkeit kümmernder Film mit einer angenehm kurzen Laufzeit, der mehr Fernsehen als Kino ist. Als möglicher Start eines Franchises – wobei ich jetzt nicht sagen kann, welches Franchise mit welchen Figuren gestartet werden soll – hat der Film trotz seines niedrigen Budgets von 80 Millionen US-Dollar wohl höchst unklare Zukunftsaussichten.

Madame Web (Madame Web, USA 2024)

Regie: S. J. Clarkson (alternative Schreibweise SJ Clarkson)

Drehbuch: Matt Sazama, Burk Sharpless, Claire Parker, S. J. Clarkson

mit Dakota Johnson, Sydney Sweeney, Celeste O’Connor, Isabela Merced, Tahar Rahim, Adam Scott, Emma Roberts, Mike Epps, José María Yazpik, Zosia Mamet, Kerry Bishé

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Madame Web“

Metacritic über „Madame Web“

Rotten Tomatoes über „Madame Web“

Wikipedia über „Madame Web“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Was ist das böse Geheimnis von „Paradise Hills“?

August 30, 2019

Paradise Hills ist eine im Mittelmeer liegende Wohlfühloase, in die reiche Eltern ihre renitenten Töchter schicken. Dort soll ihnen innerhalb von zwei Monaten bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit hin zur perfekten Frau geholfen werden. Der Erfolg sei garantiert. Das erzählt jedenfalls die Herzogin, wie sich die Leiterin der Anstalt nennt, ihrem jüngsten Gast Uma.

Uma wurde, wie die anderen Gäste, betäubt und ohne ihr Wissen auf die Insel gebracht. Bei Uma wurde der Aufenthalt von ihren Eltern und ihrem künftigen Mann, den sie nicht heiraten will, veranlasst. Er ist ein reicher Schnösel mit konservativen Familienvorstellungen.

Genreaficionado werden jetzt „The Stepford Wives“ brüllen und sich fragen, wie hier die Anpassung von Frauen an das konservative Idealbild von Frau und Familie erzählt wird.

Zunächst gestaltet sich der Aufenthalt von Uma, bis auf kleine Irritationen, harmlos. Sie und ihre neuen Freundinnen, die ebenfalls ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen auf die Insel gebracht wurden, genießen die Ruhe und die wenigen festen Termine. In den wunderschönen mediterranen Gemächern dürfen sie lustwandeln. Sie dürfen nur die Insel nicht verlassen. Sie müssen weiße Kleider tragen, die sich gut für das nächste Cosplay eignen. Ihnen werden Kurse angeboten und sie müssen der Herzogin Dinge über ihr Leben erzählen, während sie in ein Gerät blicken. Das ist mehr ein Aufenthalt in einem Nobelhotel als ein Umerziehungslager, in dem nach einem festen Stundenplan das Leben der Frauen auf den Kopf gestellt wird.

Optisch erinnert das in seiner Ereignislosigkeit an einen Softporno aus den siebziger Jahren, in denen schöne Frauen endlos durch historische Gänge wandelten. Nur dass in „Paradise Hills“ alles besser aussieht und die Sexszenen fehlen.

Dass hinter dieser harmlosen Kulisse nichts harmlos ist, ist klar. Auch wenn lange unklar ist, wie die Kurse, Gespräche und eine eigentümliche Psychofolter auf einem Holzpferd das Wesen der Frauen verändern können.

Alice Waddington erzählt in ihrem Debütspielfilm „Paradise Hills“ Umas Geschichte mit spürbarer Lust am Erkunden der Architektur des Ortes – gedreht wurde in Katalonien und auf den Kanarischen Inseln -, und der kunstvoll eklektisch aus verschiedenen Jahrhunderten zusammengestellten Kostüme. Sie beobachtet die jungen Frauen beim entspannten Lustwandeln auf der Insel, zwischen den Blumen und in dem Anwesen, ohne dass die Geschichte in der ersten Stunde erkennbar auf ein Ende zusteuert.

Erst im letzten Drittel, wenn Uma im Keller des Anwesens das Geheimnis von Paradise Hills entdeckt, wird es spannend und auch sehr frustrierend. Letztendlich werden mehrere Erklärungen präsentiert, die sich widersprechen. In diesen Minuten wird auch deutlich, dass Waddingtons Talent nicht im Inszenieren von Actionszenen liegt.

So ist „Paradise Hills“ ein optisch überzeugender, eklektischer, sehr sanfter Horrorfilm mit einem enttäuschendem Finale.

Paradise Hills (Paradise Hills, USA/Spanien 2019)

Regie: Alice Waddington

Drehbuch: Brian DeLeeuw, Nacho Vigalondo (nach einer Geschichte von Alice Waddington)

mit Eiza González, Awkwafina, Milla Jovovich, Emma Roberts, Jeremy Irvine, Danielle Macdonald, Liliana Cabal, Arnaud Valois, Hunter Tremayne

Länge: 95 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Paradise Hills“

Metacritic über „Paradise Hills“

Rotten Tomatoes über „Paradise Hills“

Wikipedia über „Paradise Hills“

Ein Q&A auf dem Sundance Festival, nach der Weltpremiere


Neu im Kino/Filmkritik: „Nerve“ – Guckst du noch oder spielst du schon mit?

September 8, 2016

Mutproben. Früher musste man sie tun, um Teil einer Clique zu werden. Heute, so erfahren wir in „Nerve“, sagt einem nicht mehr der Anführer einer Clique, sondern ein anonymes Computerprogramm, was man tun soll und ein weltweites Publikum sieht zu. Dabei teilen sich die Teilnehmer von „Nerve“ in Watcher und Player. Nur die Player sind cool. Und die Mutproben sind von kindisch – sein Hinterteil entblößen, einen Fremden küssen – über sehr gefährlich bis tödlich.

Und alle an der Schule reden über das illegale Online-Spiel, das die Player auch zu Straftaten animiert, das anscheinend jeder kennt und das die Polizei, auch nach mehreren tödlichen Unfällen, nicht interessiert. Dass das, höflich gesagt, etwas abstrus ist, interessiert die Macher nicht weiter.

Vee (Emma Roberts), die in Staten Island kurz vor ihrem Highschool-Abschluss steht, hat eigentlich kein Interesse an dem kindischen Spiel. Aber nachdem ihre beste Freundin (also Beste Schulfreundin) sie vor ihrem Schwarm bloßstellt, entschließt sie sich, bei „Nerve“ mitzuspielen und so endlich cool zu werden. Dafür muss sie dem Spiel nur den Zugriff auf alle ihre Apps und persönlichen Daten gewähren.

Als erste Mutprobe, im Spiel Challenge genannt, soll sie einen Fremden küssen. Wenn sie es tut, wird Geld auf ihr Konto eingezahlt. In einem Diner entdeckt sie Ian (Dave Franco) und küsst ihn. Das für die Challenge versprochene Geld wird auf ihr Bankkonto gezahlt und „Nerve“ fordert sie zu weiteren Mutproben auf, mit denen sie noch mehr Geld verdienen kann.

Dafür soll sie sich mit Ian, der ebenfalls „Nerve“-Spieler ist, zusammen tun. Denn den „Nerve“-Zuschauern, die mit ihrer Stimme das Spiel beeinflussen können, gefällt das Paar. Sie sollen nach Manhattan fahren. Dort werden die Mutproben immer gefährlicher. Teilweise erfordern sie eine umfangreiche Planung und sie werden für das Netz immer aus verschiedenen Blickwinkeln dokumentiert. Weil das so im Drehbuch steht, funktioniert das auch alles problemlos.

Als Vee aussteigen will, erfährt sie, dass das nicht geht.

Aber zum Glück hat sie einen nerdigen Schulfreund, eine taffe Mutter und Ian hat ihr auch nicht alles über sich verraten.

Nerve“ basiert auf Jeanne Ryans Jugendbuch „Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen“ und der deutsche Titel gibt natürlich einen Hinweis auf das Spielende. Der Film von Henry Joost und Ariel Schulman, die den dritten und vierten „Paranormal Activity“-Film inszenierten, richtet sich dann auch primär an ein jugendliches Publikum, für die Juliette Lewis, die unberechenbare Femme Fatale aus „Kap der Angst“, „Natural Born Killers“, „Strange Days“ und „From Dusk till Dawn“, schon eine alte Frau ist, die problemlos Vees Mutter spielen kann.

Die werden dann wahrscheinlich „Nerve“ nicht mit den zahlreichen besseren und kapitalismuskritischeren und auch brutaleren Filmen vergleichen, in denen einer pervertierten, sensationslüsternen Gesellschaft, die eine Menschenjagd, Mord und Totschlag als Spiel begreifen, ein Spiegel vorgehalten wird. Zum Beispiel „Das zehnte Opfer“ (Italien 1965), „Das Millionenspiel“ (Deutschland 1970), „Kopfjagd – Preis der Angst“ (Frankreich 1983) und „Running Man“ (USA 1987), in denen die Menschenjagd als Spiel im Fernsehen übertragen wurde. In „Nerve“ wird das Spiel im Internet übertragen, die Zuschauer können mehr oder weniger stark mitbestimmen und es gibt keinen Moderator mehr. Es gibt auch keine Person mehr, die man zur Verantwortung ziehen kann. Das Spiel „Nerve“ wird von anonymen Kräften programmiert und durchgeführt. Der Gegner erhält nie ein Gesicht. Stattdessen ist er überall und nirgends – und er kann, außer wir sagen, dass „die Gesellschaft“ oder „alle ‚Nerve‘-Spieler“ verantwortlich sind, nicht zur Verantwortung gezogen werden. Entsprechend schwach fällt dann auch der große moralische Appell am Filmende aus.

Nerve“ hat eine interessante Prämisse, sympathische Schauspieler, einen schönen Look und eine oft wie ein Musikstück fließenden Rhythmus, der mehr auf Optik, als auf Logik achtet. Das sabotiert dann auch die kritisch und aufrüttelnd gemeinte Botschaft am Ende des Films. Joost/Schulmans Oberflächenkino ist Eskapismus, abgeschmeckt mit etwas milder Gesellschaftskritik und einem Appell an die individuelle Moral, die letztendlich niemandem weh tut.

Aber vielleicht ist „Nerve“ für das jugendliche Zielpublikum ein Anstoß, über das eigene Medienverhalten nachzudenken. Nach einer Runde „Pokémon Go“.

nerve-plakat

Nerve (Nerve, USA 2016)

Regie: Henry Joost, Ariel Schulman

Drehbuch: Jessica Sharzer

LV: Jeanne Ryan: Nerve, 2012 (Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen; Nerve – Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen)

mit Emma Roberts, Dave Franco, Juliette Lewis, Emily Meade, Miles Heizer, Colson Baker

Länge: 97 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Nerve“

Metacritic über „Nerve“

Rotten Tomatoes über „Nerve“

Wikipedia über „Nerve“ (deutsch, englisch)