Neu im Kino/Filmkritik: „Renfield“, eine Horrorkomödie für die Mitternachtsvorstellung

Mai 26, 2023

Wenn R. M. Renfield doch nur wüsste, wie er sich aus seiner aktuellen Beziehung befreien könnte, würde er es wahrscheinlich gerne tun. Doch bis dahin besucht er eine Selbsthilfegruppe und baut sich am verständnisvollem Zuspruch der anderen Gruppenmitglieder moralisch auf. Dass sie ihm nicht helfen können und ihn falsch verstehen, ignoriert er. Denn er ist nicht in irgendeiner toxischen Beziehung mit irgendeinem Narzissten, sondern er ist der servile Diener von Graf Dracula und Graf Dracula ist, nun, kein normaler Chef. Auch die Arbeiten, die Renfield für Dracula erledigt, sind nicht normal. Denn er muss im Moment Blut, das der Vampir Dracula zum Überleben braucht, besorgen.

Auf einem seiner Streifzüge durch das nächtliche New Orleans trifft Renfield auf Rebecca. Sie ist eine resolute Verkehrspolizistin, die sich ständig verbal mit ihrem Chef anlegt und eine äußerst skrupellose, brutale, die Stadt beherrschende Gangsterbande zur Strecke bringen will. Deshalb wollen die von ihr gejagten Lobos sie umbringen. Als Renfield einen Anschlag der Gangster auf Rebecca beobachtet, greift er ein und verhindert den Plan der Lobos. Dabei verliebt er sich in die Polizistin. Plötzlich glaubt er, er könne sich mit ihrer Hilfe aus seiner Beziehung zu Dracula befreien. Bis dahin will er zunächst die Blutbeschaffung für seinen Herrn ändern, indem er einfach Mitglieder der Lobo-Familie als Blutlieferanten nimmt.

Und schon wird New Orleans zu einem blutigen Spielfeld.

Renfield“, inszeniert von Chris McKay, nach einem Drehbuch von Ryan Ridley und einer Idee von „The Walking Dead“-Erfinder Robert Kirkman richtet sich primär an gestandene Horrorfilmfans, die ihren Dracula kennen, nichts gegen Humor haben und eine ordentliche Portion Splatter wollen. Dieser wird in diesem Fall leider mit zu viel schlechter CGI präsentiert.

Die dürfen sich über viele mehr oder weniger offensichtliche Anspielungen auf ältere Interpretationen von Bram Stokers Roman freuen. Vor allem Tod Brownings 1931er „Dracula“ stand Pate. Der Anfang von „Renfield“ ist ohne Brownings Film überhaupt nicht denktbar. In ihrem Spiel zitieren Nicolas Cage als Dracula und Nicholas Hoult als Renfield lustvoll ältere Versionen von Dracula und Renfield.

Awkwafina, als dritte im Bunde, ist die toughe, humorbefreite Polizistin der Dirty-Harry/Axel-Foley-Schule. Ständig ist die wortgewaltige Verkehrspolizistin im verbalen Kleinkrieg mit ihrem Chef. Und irgendwann auch im Krieg mit den Lobos, die anscheinend die gesamte Polizei von New Orleans geschmiert haben.

Die in großen Schritten in Richtung Slapstick gehenden Splatter- und Actionszenen sind hoffnungslos übertrieben und deshalb, vor allem wenn Menschen sterben, immer gut für einen Lacher.

McKays Horrorkomödie ist allerdings nie so gut, wie sie gerne wäre und sein könnte. Aber für den Horrorfan, der sich gerne in deutlich erkennbaren Zitate suhlt, sich über das Erkennen versteckterer Anspielungen freut, Klischeefiguren und Klischeedialoge als ironische Doppeldekodierung interpretiert und nicht allzu genau über den arg luftigen Plot nachdenkt, ist „Renfield“ ein kurzweiliger und blutiger Spaß, der vor allem von dem Paar Nicolas Cage/Nicholas Hoult lebt.

Renfield (Renfield, USA 2023)

Regie: Chris McKay

Drehbuch: Ryan Ridley (nach einer Idee von Robert Kirkman)

mit Nicholas Hoult, Nicolas Cage, Awkwafina, Shohreh Aghdashloo, Ben Schwartz, Adrian Martinez, Brandon Scott Jones

Länge: 94 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Renfield“

Metacritic über „Renfield“

Rotten Tomatoes über „Renfield“

Wikipedia über „Renfield“ (deutsch, englisch)

Aus Gründen der Vollständigkeit

Wikipedia über Robert Kirkman (deutsch, englisch)

Kriminalakte: Meine Gesamtbesprechung der ersten zehn „The Walking Dead“-Bände

 Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 11: Jäger und Gejagte“ (The Walking Dead Vol. 11: Fear the hunters)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 12: Schöne neue Welt“ (The Walking Dead Vol. 12: Life among them)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 13: Kein Zurück“ (The Walking Dead Vol. 13: Too far gone, 2011)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead 14: In der Falle“ (The Walking Dead Vol. 14: No way out, 2011)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns “The Walking Dead 15: Dein Wille geschehe” (The Walking Dead Vol. 15: We find ourselves, 2012)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Eine größere Welt (Band 16)“ (The Walking Dead, Vol. 16: A larger world, 2012)

 Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Fürchte dich nicht (Band 17)“ (The Walking Dead, Vol. 17: Something to Fear, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Grenzen (Band 18)“ (The Walking Dead, Vol. 18: What comes after, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Auf dem Kriegspfad (Band 19)“ (The Walking Dead, Vol. 19: March to War, 2013)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Charlie Adlard/Stefano Gaudiano/Cliff Rathburns „The Walking Dead: Krieg – Teil 1 (Band 20)“ (The Walking Dead, Vol. 20: All Out War, Part One, 2014)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Tony Moore/Charlie Adlard/Cliff Rathburns „The Walking Dead – Die Cover, Volume 1“ (The Walking Dead: The Covers, Vol. 1, 2010)

Meine Besprechung der TV-Serie „The Walking Dead – Staffel 1“ (USA 2010)

Meine Besprechung der TV-Serie „The Walking Dead – Staffel 2“ (USA 2011/2012)

Meine Besprechung der TV-Serie “The Walking Dead – Staffel 3″ (USA 2013)

Kriminalakte: das Comic-Con-Panel zur TV-Serie

“The Walking Dead” in der Kriminalakte 

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Nick Spencer (Autoren)/Shawn Martinbroughs (Zeichner) „Dieb der Diebe: „Ich steige aus“ (Band 1)“ (Thief of Thieves # 1 – 7, 2012)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Phil Hester/Cory Walker/Khary Randolphs „Ant-Man Megaband “ (The Irredeemable Ant-Man, 2006/2007)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Scott M. Gimple/Chris Burnham/Nathan Fairbairns „Die!Die!Die! (Band 1)“ (Die!Die!Die! – Volume 1, 2019)

Meine Besprechung von Robert Kirkman/Scott M. Gimple/Chris Burnham/Nathan Fairbairns „Die!Die!Die! (Band 2)“ (Die!Die!Die! – Volume 2, 2021)

und dann gibt es noch einige andere Manifestationen von Graf Dracula, die ich ausführlicher besprochen habe

Meine Besprechung von Dario Argentos „Dario Argentos Dracula“ (Dracula 3D, Italien 2012)

Meine Besprechung von Gary Shores „Dracula Untold“ (Dracula Untold, USA 2014)

Meine Besprechung von Jonny Campbell/Damon Thomas/Paul McGuigans „Dracula“ (Dracula, Großbritannien 2020 – TV-Serie nach einem Buch von Mark Gatiss und Steven Moffat)

Meine Besprechung von Roy Thomas/Mike Mignolas „Bram Stoker’s Dracula“ (Bram Stoker’s Dracula 1-4, 1993)


Neu im Kino/Filmkritik: „Arielle, die Meerjungfrau“, jetzt als Disney-Realverfilmung

Mai 26, 2023

Lange vor dem Filmstart erscholl im Internet der Klagechor über die Besetzung von Arielle. Denn Disney besetzte im Realfilmremake ihres gleichnamigen Trickfilms von 1989 die Rolle der Meerjungfrau mit einer Schwarzen. Zugegeben, eine hellhäutige Schwarze, aber nichtsdestotrotz eine Schwarze und für einige Fans der 1989er Version von „Arielle, die Meerjungfrau“ (The little Mermaid) war das zu viel.

Dabei ist es doch vollkommen egal, welche Hautfarbe oder auch Geschlecht eine Meerjungfrau hat. Wir wissen es nicht. Ihre Haut könnte auch Gelb, Grün, Braun oder Silbern sein. Sie könnte weiblich, männlich, bi-, trans- oder asexuell sein; – wobei in der Literaturwissenschaft die Theorie verfochten wird, dass in dem Märchen „Die kleine Meerjungfrau“, der Vorlage für diese beiden Disney-Filme, Hans Christian Andersen seine Homosexualität und seine zum Scheitern verurteilte Liebe zu Edvard Collins verarbeitete. Uups.

Die Hautfarbe der Hauptdarstellerin sagt auch nichts über die Qualität eines Films aus. Regie, Drehbuch und, immerhin ist „Arielle, die Meerjungfrau“ ein Musical, die Musik sind wichtiger.

Und weil „Arielle, die Meerjungfrau“ die neueste Disney-Realverfilmung ist, hat sie die gleichen Probleme, wie die vorherigen Disney-Realverfilmungen. Wieder einmal wurde ein alter, erfolgreicher und immer noch beliebter Trickfilm genommen und die Geschichte, mit all ihrem ideologischem Ballast, 1-zu-1 neu verfilmt. Nur dieses Mal mit Schauspielern und CGI-Tricks. Einige dieser Realverfilmungen, wie „Der König der Löwen“, sind letztendlich hundertfünfzigprozentige CGI-Filme. Deshalb ist die Rede von Realverfilmung etwas irreführend, aber etabliert. Auch in „Arielle, die Meerjungfrau“ sind die meisten Bilder am Computer entstanden und wahrscheinlich wurden nach dem Dreh alle Bilder umfangreich nachbearbeitet.

Die Meerjungfrau Arielle lebt mit ihren Schwestern in einem von ihrem Vater König Triton gutmütig regiertem Unterwasserreich. Im Gegensatz zu ihren Schwestern ist Arielle von den Menschen fasziniert. Bei einem ihrer Ausflüge entdeckt sie auf einem Segelschiff Prinz Eric. Sofort verliebt sie sich in den jungen Mann, der gut aussieht und ein echter Traumprinz ist. Aber ihre Liebe kann nicht erwidert werden. Sie leben in verschiedenen Welten und können in der anderen Welt nicht leben. Er kann unter Wasser nicht atmen. Sie kann sich mit ihrem Schwanz an Land nicht voran bewegen.

Da bietet die Meerhexe Ursula ihr eine Verwandlung an. Im Tausch für ihre wunderschöne Stimme bekommt sie Beine und kann die Welt der Menschen erkunden. Wenn sie innerhalb von drei Tagen geküsst wird, kann sie ein Mensch bleiben. Wenn nicht, wird sie bis in alle Ewigkeit eine von Ursulas Sklavinnen sein. Arielle willigt ein und kann danach die Insel betreten, auf der Eric lebt. Jetzt muss der Traumprinz sie nur noch wahrhaft lieben und küssen.

Für den Film wurden neben R&B-Sängerin Halle Bailey, die Arielle spielt, Jonah Hauer-King als Prinz Eric, Javier Bardem als König Triton und Melissa McCarthy als Meerhexe Ursula gecastet. Bardem ist blass wie noch nie. McCarthy ist bis zum Ende, wo sie endlich durchdrehen darf, vollkommen und sträflich unterfordert.

Die erstaunlich altmodisch klingende Musik ist wieder Alan Menken. Die bekannten Songs aus der Trickfilmversion, wie „Under the Sea“, „Kiss the Girl“, „Part of your World“ und „Poor unfortunate Souls“ werden wieder, teils mit aktualisierten Texten, gesungen. Für drei neue Songs und eine Reprise schrieb „Hamilton“ Lin-Manuel Miranda die Texte.

Die CGI-Effekte sind gelungen, aber auch ein großes Manko des Films. Während bei einem Zeichentrickfilm immer offensichtlich ist, dass das Gezeigte nicht real, sondern bestenfalls nur eine abstrakte Version der Realität ist, suggeriert eine Realverfilmung das Gegenteil. Tiere sehen wie Tiere aus. Sie bewegen sich wie die gezeigten Tiere. Und dann fällt auf, dass die Proportionen der Meereslebewesen immer etwas falsch sind; dass sprechende Krabben, Fische und Basstölpel als Sidekicks seltsam sind, dass die durchgehend wohlproportionierten Meerjungfrauen einerseits keinen Kontakt zur Menschheit haben, andererseits immer züchtig ein Bikini-Oberteil anhaben und, dieser Punkt nervte mich am meisten, dass die Haare der Meerjungfrauen und von König Triton im Wasser immer schweben und offensichtlich trocken sind, während sie sich an Land, auf der windumtosten Karibik-Insel, nicht mehr bewegen. Auch nicht bei einer wilden Fahrt in einer Kutsche.

Mit über 135 Minuten ist das Musical eindeutig zu lang geraten. Der gelungenere Trickfilm erzählt seine Geschichte in 85 Minuten.

Arielle, die Meerjungfrau (The little Mermaid, USA 2023)

Regie: Rob Marshall

Drehbuch: David Magee

LV: Hans Christian Andersen: Den lille Havfrue, 1837 (Die kleine Meerjungfrau)

mit Halle Bailey, Daveed Diggs, Jacob Tremblay, Awkwafina, Jonah Hauer-King, Art Malik, Noma Dumezweni, Javier Bardem, Melissa McCarthy

Länge: 136 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Arielle, die Meerjungfrau“

Metacritic über „Arielle, die Meerjungfrau“

Rotten Tomatoes über „Arielle, die Meerjungfrau“

Wikipedia über „Arielle, die Meerjungfrau“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Rob Marshalls „Mary Poppins‘ Rückkehr“ (Mary Poppins return, USA 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: Es marvelt wieder mit „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

September 2, 2021

Bei Marvel gab es wohl einen mehr als erleichterten Stoßseufzer, als sie vor der Schließung der Kinos wegen der Coronavirus-Pandemie ihre vierte Phase des Marvel Cinematic Universe noch nicht gestartet und die dritte Phase des MCU bereits erfolgreich abgeschlossen hatten. „Spider-Man: Far From Home“ war im April 2019 ein kleiner Nachschlag zu „Avengers: Endgame“ und dem Abschluss der großen, viele Filme umspannenden Erzählung. Dann gab es noch den „Black Widow“-Film, der in der Vergangenheit von Natasha Romanoff und damit vor den Ereignissen von „Avengers: Endgame“ spielt.

Die Zeit bis zum nächsten Kinofilm und dem richtigen Start der vierten Phase vertrieb man sich mit verschiedenen hochgelobten Streamingserien bei Disney+.

Und jetzt ist er da: der Start der neuen Großerzählung, die uns wieder in unbekannte Welten führen wird, in denen wir bekannte und unbekannte Superhelden treffen werden. Sie beginnt mit der Vorstellung einer Figur, die im Dezember 1973 ihren ersten Comicauftritt hatte und die auch „Master of Kung Fu“ genannt wird. „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ heißt der Film. Shang-Chi wird von Simu Liu gespielt und er ist der erste asiatische MCU-Superheld. Auch die übrige Besetzung hat einen asiatischen Background.

Der Film beginnt mit einer kurzen Erklärung, was die titelgebenden Zehn Ringe sind und er erzählt, wie Shang-Chis Vater Xu Wenwu (Tony Leung) 1996 seine Mutter Li kennenlernte. Dann springt der Film in die Gegenwart . Shang-Chi schlägt sich reichlich ambitionslos als Autoeinparker bei einem Nobelhotel durch das Leben. Mit seiner platonischen Freundin Katy (Awkwafina) blödelt er herum und er ist absolut zufrieden mit seinem Leben. Als sie während einer Busfahrt von einer Horde Schläger überfallen werden – sie haben es auf Shang-Chis Amulett abgesehen – vermöbelt der Schluffi Shang-Chi sie, während der Bus ungestört weiterfährt. Der Fahrer hört Musik und bekommt deshalb von der Schlägerei nichts mit. Als er ausfällt, übernimmt Katy das Lenkrad.

Gut, diese Actionszene ist vollkommen unrealistisch, aber durchaus witzig und wir sind gleich mitten in der Handlung. Wir wissen, dass der Bösewicht das Amulett will, um damit Unheil zu verursachen, und dass Shang-Chis Schwester den anderen Teil des Amuletts besitzt. Auch das Training des Helden, das in anderen Filmen den gesamten Mittelteil des Films beansprucht, wird hier schnell in einer Montage abgehandelt, die uns zeigt, wie er von Geburt an trainiert wurde. Die Macher haben also viel Zeit, sich auf den Kampf um das Amulett und das Abwenden der großen Katastrophe zu konzentrieren. Außerdem ist der Bösewicht dieses Mal präsenter als in anderen Marvel-Filmen. Dort ist er oft ja kaum erinnerungswürdig. Auch sein Motiv wird früh verraten und es ist sehr nachvollziehbar. Aber aus diesem Potential wird nichts gemacht. Im Mittelteil plätschert der Film endlos vor sich hin. Das Finale ist ebenso endlos und leider auch ein vollkommen spannungsfreier Pixelrausch. Doch dazu später mehr.

Bleiben wir noch einem Moment, ohne etwas von der Story zu verraten, bei der Story. Sie besteht aus einer Aneinanderreihung von Szenen, die keinerlei Konsequenzen haben. Das Potential bestimmter Ideen wird auch nie ausgeschöpft. Es wirkt, als hätten die Macher einfach verschiedene Drehbücher zusammengeworfen, sie mit einigen Anspielungen auf frühere Marvel-Filme, Witzigkeiten für die vor allem Awkwafina zuständig ist, vielen, sehr vielen, also wirklich sehr vielen Spezialeffekten und Kung-Fu-Kämpfen (weil Master of Kung Fu) garniert.

Anscheinend wurde jedes Bild exzessiv am Computer bearbeitet. Alles sieht künstlich aus. Oft sind die Bilder zu dunkel und verwaschen. Dabei sind die CGI-Effekte so lieblos hingeschludert, dass sie immer – immerhin reden wir hier von einem Film mit einem sich deutlich im dreistelligem Bereich befindendem Millionenbudget – wie die Rohfassungen für eine billigeren Film aussehen.

Die Martial-Arts-Kämpfe versuchen an die aus asiatischen Filmen bekannten Kämpfe und ihre Inszenierung anzuknüpfen. Ich sage „versuchen“ und nicht „knüpfen an“ weil sie nie die Leichtigkeit und Eleganz haben, die aus asiatischen Filmen bekannt ist. Dabei zeigte Disney in „Mulan“, dass sie es besser können.

Am Ende der beiden sehr enttäuschenden Filmstunden – und das ist jetzt keine große Überraschung und auch kein Spoiler – werden Shang-Chi und seine Freundin Katy in den Kreis der Marvel-Helden aufgenommen.

Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings (Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings, USA 2021)

Regie: Destin Daniel Cretton

Drehbuch: Dave Callaham, Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham (nach einer Geschichte von Dave Callaham und Destin Daniel Cretton, basierend auf den Marvel-Comics von Steve Englehart und Jim Starlin)

mit Simu Liu, Tony Leung, Awkwafina, Fala Chen, Meng’er Zhang, Florian Munteanu, Ronny Chieng, Michelle Yeoh, Benedict Wong, Ben Kingsley, Tim Roth

Länge: 133 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

Metacritic über „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

Rotten Tomatoesüber „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“

Wikipedia über „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Destin Daniel Crettons „Schloss aus Glas“ (The Glass Castle, USA 2017)

Meine Besprechung von Destin Daniel Crettons „Just Mercy“ (Just Mercy, USA 2019)


DVD-Kritik: „The Farewell“ gegen die Einsamkeit?

April 20, 2020

Zum Filmstart schrieb ich über das warmherzige Drama:

Billi (Awkwafina, zuletzt „Jumanji: The next level“) ist eine gar nicht so untypische junge New Yorkerin. Sie hat sich gerade – erfolglos – für ein Stipendium beworben. Einen Freund hat sie nicht. Und auch kein offenkundiges Lebensziel.

Als sie erfährt, dass ihre immer noch in China lebende, über alles geliebte Großmutter todkrank ist, möchte sie sie noch einmal sehen. Ihre Eltern sind dagegen. Denn die Nai Nai (Mandarin für die Großmutter väterlicherseits) weiß nichts von ihrer Krebserkrankung. Die Ärzte geben ihr nur noch wenige Wochen. Chinesischen Traditionen folgend soll Nai Nai es auch nicht erfahren.

Weil Billis Eltern überzeugt sind, dass Billi vor ihrer Nai Nai das Geheimnis sofort ausplaudern wird, soll Billi nicht mit nach Changchun, einer Industriestadt in der nordöstlichen chinesischen Provinz Jilin, fahren.

Billi soll in New York bleiben, während die restliche in den USA und Japan lebenden Familienmitglieder sich auf den Weg nach Changchun machen. Der Vorwand für das seit Jahren in dieser Größe nicht mehr erfolgte Familientreffen ist die Hochzeit von Billis Cousin mit einer Japanerin.

Trotzdem fliegt Billi nach Changchun, wo sie als Überraschungsgast auftaucht und leicht ungläubig das rege Treiben betrachtet. Nai Nai (Zhao Shuzhen) bereitet resolut die Hochzeitsfeier vor. Ihre Kinder und Kindeskinder versuchen die Fassade der Fröhlichkeit aufrecht zu halten, während sie sich von Nai Nai verabschieden und in Erinnerungen schwelgen. Schließlich wissen sie, dass sie Nai Nai nach diesen Tagen nicht wieder lebendig sehen werden.

In ihrem zweiten Spielfilm erzählt Lulu Wang eine autobiographische Geschichte. Ihr alter ego Billi muss, wie Lulu Wang 2013, eine Antwort auf ihre widerstreitenden Gefühle und den Ansprüchen ihrer Familie finden. Die anderen Familienmitglieder stehen vor dem gleichen Problem. Außerdem müssen sie sich mit veränderten Traditionen arrangieren. Als Auswanderer hielten sie an Traditionen fest, die sich in China veränderten. Gleichzeitig veränderte ihr Leben im Ausland ihren Blick auf heimische Traditionen.

Das zeigt Wang sehr präzise, feinfühlig und humorvoll. Die kleinen Differenzen und auch die inneren Konflikte jeder Person werden so nachvollziehbar. Jeder schweigt und lügt über etwas anderes. Und ziemlich oft haben die anderen eine sehr gute Vorstellung, worüber geschwiegen wird und worüber sie, mit guten Absichten, belogen werden.

Diese sehr differenziert ausfallende und genau beobachtende Familienporträt bewegt sich allerdings zu nah an den Fakten der wahren Lüge entlang. Die verschiedenen Positionen zum Belügen von Nai Nai werden dargestellt, aber es wird keine Antwort gegeben. Daher gibt es am Ende auch keine Lösung für das Dilemma, vor dem Billi steht. Die letzten Filmminuten, der Abspann, die Existenz dieses Films (und die Frage, wie Nai Nai darauf reagiert) zeigen diese Unentschlossenheit noch einmal auf.

So ist „The Farewell“ nur die gelungene Beschreibung einer Situation.

Zum Ansehen empfehle ich die schlüssig zwischen Englisch und Mandarin wechselnde Originalfassung.

.

Jetzt ist Lulu Wangs hochgelobter Film, ohne Bonusmaterial, auf DVD und Blu-ray erschienen und ich habe mir jetzt die deutsche Synchronisation angesehen. In ihr wurden die wenigen englischen Teile untertitelt und die vielen in Mandarin gesprochenen Teile synchronisiert. Damit bleibt die Zweisprachigkeit des Originals erhalten. Allerdings verändern sich die durch die Sprache (und die Lektüre der Untertitel) geschaffenen Gefühle von Nähe und Distanz. In der deutschen Fassung müssen kaum noch Untertitel gelesen werden. Und schon erscheint Nai Nais Welt uns fast wie ein Besuch bei den eigenen Großeltern.

Auch beim wiederholten Ansehen fällt auf, wie konsequent Lulu Wang sich in jeder Szene mit verschiedenen Aspekten des Lügens beschäftigt. Jeder lügt über etwas anderes. Aus verschiedenen Gründen und mit guten Absichten. Auch, davon bin ich hundertprozentig überzeugt, die Großmutter ahnt sehr genau, wie krank sie ist und dass ihre Familie sich nicht wegen der Hochzeit von Billis Cousin bei ihr trifft.

The Farewell“ regt zum Nachdenken und Diskutieren darüber an, ob und wie sehr man einen geliebten Menschen über eine tödliche Diagnose belügt. Oder ihm die Wahrheit sagt.

Damit ist Lulu Wangs Film ein gerade in Zeiten häuslicher Isolation empfehlenswerter und auch aktueller Film, der sehr warmherzig zwischen Drama, Komödie und ruhiger Beobachtung pendelt, das anspruchsvolle Leben zwischen verschiedenen Kulturen und Traditionen (und damit verbundenen Anforderungen) begreifbar macht und, sicher auch durch den prominenten Einsatz westlicher Pop-Musik, die Gemeinsamkeiten zwischen China und dem Westen betont. Außerdem ist Billis Nai Nai eine typische Großmutter, die sich um ihre Kinder und Enkelkinder sorgt und Billi sofort mit einem jungen, sympathischen Arzt verkuppeln will.

The Farewell (The Farewell, USA 2019)

Regie: Lulu Wang

Drehbuch: Lulu Wang

mit Shuzhen Zhao, Awkwafina, X Mayo, Lu Hong, Lin Hong, Tzi Ma, Diana Lin, Yang Xuejian, Becca Khahil

DVD

DCM

Bild: 2,40:1 (16:9 anamorph)

Ton: Deutsch, Englisch/Mandarin (DD 5.1)

Untertitel: Deutsch, Englisch

Bonusmaterial: Trailer

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (wobei der Film für die Kinoauswertung ‚ab 0 Jahre‘ war)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „The Farewell“

Metacritic über „The Farewell“

Rotten Tomatoes über „The Farewell“

Wikipedia über „The Farewell“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Lulu Wangs „The Farewell“ (The Farewell, USA 2019)

Als Bonusmaterial: einige Interviews mit Lulu Wang über ihren Film

Lulu Wang beim TIFF

Lulu Wang beim Hawaii International Film Festival

Lulu Wang bei der Bruin Film Society

Lulu Wang im Hammer Museum


Neu im Kino/Filmkritik: „The Farewell“ – Abschiednehmen auf die chinesische Art

Dezember 20, 2019

Billi (Awkwafina, zuletzt „Jumanji: The next level“) ist eine gar nicht so untypische junge New Yorkerin. Sie hat sich gerade – erfolglos – für ein Stipendium beworben. Einen Freund hat sie nicht. Und auch kein offenkundiges Lebensziel.

Als sie erfährt, dass ihre immer noch in China lebende, über alles geliebte Großmutter todkrank ist, möchte sie sie noch einmal sehen. Ihre Eltern sind dagegen. Denn die Nai Nai (Mandarin für die Großmutter väterlicherseits) weiß nichts von ihrer Krebserkrankung. Die Ärzte geben ihr nur noch wenige Wochen. Chinesischen Traditionen folgend soll Nai Nai es auch nicht erfahren.

Weil Billis Eltern überzeugt sind, dass Billi vor ihrer Nai Nai das Geheimnis sofort ausplaudern wird, soll Billi nicht mit nach Changchun, einer Industriestadt in der nordöstlichen chinesischen Provinz Jilin, fahren.

Billi soll in New York bleiben, während die restliche in den USA und Japan lebenden Familienmitglieder sich auf den Weg nach Changchun machen. Der Vorwand für das seit Jahren in dieser Größe nicht mehr erfolgte Familientreffen ist die Hochzeit von Billis Cousin mit einer Japanerin.

Trotzdem fliegt Billi nach Changchun, wo sie als Überraschungsgast auftaucht und leicht ungläubig das rege Treiben betrachtet. Nai Nai (Zhao Shuzhen) bereitet resolut die Hochzeitsfeier vor. Ihre Kinder und Kindeskinder versuchen die Fassade der Fröhlichkeit aufrecht zu halten, während sie sich von Nai Nai verabschieden und in Erinnerungen schwelgen. Schließlich wissen sie, dass sie Nai Nai nach diesen Tagen nicht wieder lebendig sehen werden.

In ihrem zweiten Spielfilm erzählt Lulu Wang eine autobiographische Geschichte. Ihr alter ego Billi muss, wie Lulu Wang 2013, eine Antwort auf ihre widerstreitenden Gefühle und den Ansprüchen ihrer Familie finden. Die anderen Familienmitglieder stehen vor dem gleichen Problem. Außerdem müssen sie sich mit veränderten Traditionen arrangieren. Als Auswanderer hielten sie an Traditionen fest, die sich in China veränderten. Gleichzeitig veränderte ihr Leben im Ausland ihren Blick auf heimische Traditionen.

Das zeigt Wang sehr präzise, feinfühlig und humorvoll. Die kleinen Differenzen und auch die inneren Konflikte jeder Person werden so nachvollziehbar. Jeder schweigt und lügt über etwas anderes. Und ziemlich oft haben die anderen eine sehr gute Vorstellung, worüber geschwiegen wird und worüber sie, mit guten Absichten, belogen werden.

Diese sehr differenziert ausfallende und genau beobachtende Familienporträt bewegt sich allerdings zu nah an den Fakten der wahren Lüge entlang. Die verschiedenen Positionen zum Belügen von Nai Nai werden dargestellt, aber es wird keine Antwort gegeben. Daher gibt es am Ende auch keine Lösung für das Dilemma, vor dem Billi steht. Die letzten Filmminuten, der Abspann, die Existenz dieses Films (und die Frage, wie Nai Nai darauf reagiert) zeigen diese Unentschlossenheit noch einmal auf.

So ist „The Farewell“ nur die gelungene Beschreibung einer Situation.

Zum Ansehen empfehle ich die schlüssig zwischen Englisch und Mandarin wechselnde Originalfassung.

The Farewell (The Farewell, USA 2019)

Regie: Lulu Wang

Drehbuch: Lulu Wang

mit Shuzhen Zhao, Awkwafina, X Mayo, Lu Hong, Lin Hong, Tzi Ma, Diana Lin, Yang Xuejian, Becca Khahil

Länge: 101 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „The Farewell“

Metacritic über „The Farewell“

Rotten Tomatoes über „The Farewell“

Wikipedia über „The Farewell“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Wieder in „Jumanji: The next level“ stellt neue Herausforderungen

Dezember 12, 2019

Als vor zwei Jahren „Jumanji: Welcome to the Jungle“ im Kino lief, war der Film zuerst für die Kritik und dann für den Verleih eine erfreuliche Überraschung. Denn das Reboot des Originalfilms von 1995 (mit Robin Williams) ist ein rundum unterhaltsamer Abenteuerfilm mit einer glänzend aufgelegten Besetzung. An der Kasse schlug sich der Film, dem man gegen „Star Wars: Die letzten Jedi“ nur geringe Chancen einräumte, ausgezeichnet. Am Ende spielte er eine gute Milliarde US-Dollar ein und war der fünfterfolgreichste Film des Jahres 2017.

Das sich nahtlos an den ersten Film anschließende „The next level“ zeigt die Jugendlichen aus dem ersten „Jumanji“-Film getrennt. Spencer (Alex Wolff) studiert in New York. Er kommt über die Weihnachtstage zurück in seine alte Heimat Brantford, New Hampshire. Noch bevor er seine Freunde treffen kann, muss er akzeptieren, dass sein gesundheitlich angeschlagener Großvater Eddie (Danny DeVito, großartig grummelig) in seinem Kinderzimmer schläft.

Weil Spencer nicht einschlafen kann, startet er das von ihm im Keller versteckte Jumanji-Videospiel. Eigentlich hatten er und seine Freunde nach den Erlebnissen in „Jumanji: Welcome to the Jungle“ beschlossen, das lebensgefährliche Videospiel zu zerstören. Es saugt seine Spieler in das Spiel und sie können es nur verlassen, wenn sie das Spiel erfolgreich zu Ende spielen. Wenn sie Pech haben, stecken sie für immer im Spiel fest oder sterben im Spiel.

Als Spencer am nächsten Morgen spurlos verschwunden ist, machen sich seine Freunde

Martha (Morgan Turner), Bethany (Madison Iseman) und Fridge (Ser’Darius Blain) auf den Weg zu ihm. Sie entdecken das Spiel und beschließen, ihn zu retten.

Martha, Fridge, Großvater Eddie und sein zufällig anwesender alter Geschäftspartner Milo (Danny Glover) werden in das Spiel hineingezogen.

Bethany wird nicht in das Spiel hineingezogen. Die einzige Person, die ihr helfen kann, in das Spiel zu gelangen und die ihren Freunden im Spiel helfen kann, ist Alex (Colin Hanks), der zwanzig Jahre in dem Spiel gefangen war als Flugzeugpilot Seaplane (Nick Jonas).

In dem Spiel sind die alten Avatare Dr. Smolder Bravestone (Dwayne Johnson), Dr. Shelly Oberon (Jack Black), Mouse Finbar (Kevin Hart) und Ruby Roundhouse (Karen Gillan) noch vorhanden. Weil es dieses Mal mehr Spieler als im ersten Film gibt, gibt es auch neue Avatare, wie Spencers Avatar Ming (Awkwafina), und nicht jeder Spieler hat seinen alten Avatar. Dr. Bravestone ist jetzt der Avatar von Eddie, Dr. Oberon von Fridge, Finbar von Milo und Roundhouse wieder von Martha. Die besonderen Fähigkeiten und Schwächen haben sich teilweise geändert. Aber, keine Panik, Dr. Bravestone hat immer noch seinen unwiderstehlichen Blick und Ruby Roundhouse ist immer noch eine außergewöhnlich gute Kämpferin mit atemberaubender Beinarbeit.

Die Erfahrungen aus dem letzten Spiel können sie im aktuellen Spiel nur sehr begrenzt verwenden. Denn in „The next level“ startet ein neues Spiel mit neuen Aufgaben, Gefahren und Welten. Auch die Aufgabe, die sie lösen müssen, ist neu.

Jurgen the Brutal (Rory McCann) hat das riesige lebensspendende Falkenjuwel geklaut und bringt es in seine in den Bergen liegende Burg. Dr. Bravestone, Dr. Oberon, Finbar und Roundhouse sollen das Falkenjuwel zurückstehlen. Wenn es ihnen nicht gelingt, wird Jumanji untergehen.

Auf ihrer Jagd nach Jurgen the Brutal und dem Juwel geht es von Level zu Level schwuppdiwupp vom Dschungel in die Wüste in verschneite Berge. Gezeigt wird eine Steampunk-Fantasiewelt, die mühelos Mittelalter- und Orient-Fantasievorstellungen mit Fahrzeugen aus dem nächsten „Mad Max“-Film verbindet. Aber den Machern gelingt es, auch durch die Struktur des doch ziemlich einfachen „Jumanji“-Spiels, dass mich das nicht sonderlich störte.

Störender sind dagegen die in vielen Actionszenen überhand nehmenden Computereffekte. Sie sind der schwächste Teil des Films. Dafür ist das Spiel der gut aufgelegten Schauspieler – so muss Dwayne Johnson Danny DeVito channeln – immer vergnüglich.

Jumanji: The next level“ ist ein kurzweiliger Abenteuerfilm mit viel Situationskomik, Sprüchen und Action, der beim Weitererzählen der Geschichte von „Welcome to the Jungle“ die richtige Balance zwischen Bewahrung und Innovation findet.

Außerdem kommt Jake Kasdans Abenteuerkomödie nicht mit dem ganzen mythischen Ballast und den hohen Erwartungen des neuen „Star Wars“-Films, in dem das Ende einer vor Jahrzehnten begonnenen Geschichte erzählt werden soll. „Jumanji: The next level“ ist dagegen nur das neue Level in einem Computerspiel. Am dritten Level, so heißt es, wird bereits gearbeitet.

Jumanji: The next level (Jumanji: The next level, USA 2019)

Regie: Jake Kasdan

Drehbuch: Jake Kasdan, Jeff Pinkner, Scott Rosenberg (basierend auf Chris Van Allsburgs „Jumanji“)

mit Dwayne Johnson, Jack Black, Karen Gillan, Kevin Hart, Nick Jonas, Awkwafina, Alex Wolff, Morgan Turner, Madison Iseman, Ser’Darius Blain, Danny DeVito, Danny Glover, Marin Hinkle, Colin Hanks, Rory McCann

Länge: 124 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Jumanji: The next level“

Metacritic über „Jumanji: The next level“

Rotten Tomatoes über „Jumanji: The next level“

Wikipedia über „Jumanji: The next level“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jake Kasdans „Sex Tape“ (Sex Tape, USA 2014)

Meine Besprechung von Jake Kasdans „Jumanji: Willkommen im Dschungel“ (Jumanji: Welcome to the Jungle, USA 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: Was ist das böse Geheimnis von „Paradise Hills“?

August 30, 2019

Paradise Hills ist eine im Mittelmeer liegende Wohlfühloase, in die reiche Eltern ihre renitenten Töchter schicken. Dort soll ihnen innerhalb von zwei Monaten bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit hin zur perfekten Frau geholfen werden. Der Erfolg sei garantiert. Das erzählt jedenfalls die Herzogin, wie sich die Leiterin der Anstalt nennt, ihrem jüngsten Gast Uma.

Uma wurde, wie die anderen Gäste, betäubt und ohne ihr Wissen auf die Insel gebracht. Bei Uma wurde der Aufenthalt von ihren Eltern und ihrem künftigen Mann, den sie nicht heiraten will, veranlasst. Er ist ein reicher Schnösel mit konservativen Familienvorstellungen.

Genreaficionado werden jetzt „The Stepford Wives“ brüllen und sich fragen, wie hier die Anpassung von Frauen an das konservative Idealbild von Frau und Familie erzählt wird.

Zunächst gestaltet sich der Aufenthalt von Uma, bis auf kleine Irritationen, harmlos. Sie und ihre neuen Freundinnen, die ebenfalls ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen auf die Insel gebracht wurden, genießen die Ruhe und die wenigen festen Termine. In den wunderschönen mediterranen Gemächern dürfen sie lustwandeln. Sie dürfen nur die Insel nicht verlassen. Sie müssen weiße Kleider tragen, die sich gut für das nächste Cosplay eignen. Ihnen werden Kurse angeboten und sie müssen der Herzogin Dinge über ihr Leben erzählen, während sie in ein Gerät blicken. Das ist mehr ein Aufenthalt in einem Nobelhotel als ein Umerziehungslager, in dem nach einem festen Stundenplan das Leben der Frauen auf den Kopf gestellt wird.

Optisch erinnert das in seiner Ereignislosigkeit an einen Softporno aus den siebziger Jahren, in denen schöne Frauen endlos durch historische Gänge wandelten. Nur dass in „Paradise Hills“ alles besser aussieht und die Sexszenen fehlen.

Dass hinter dieser harmlosen Kulisse nichts harmlos ist, ist klar. Auch wenn lange unklar ist, wie die Kurse, Gespräche und eine eigentümliche Psychofolter auf einem Holzpferd das Wesen der Frauen verändern können.

Alice Waddington erzählt in ihrem Debütspielfilm „Paradise Hills“ Umas Geschichte mit spürbarer Lust am Erkunden der Architektur des Ortes – gedreht wurde in Katalonien und auf den Kanarischen Inseln -, und der kunstvoll eklektisch aus verschiedenen Jahrhunderten zusammengestellten Kostüme. Sie beobachtet die jungen Frauen beim entspannten Lustwandeln auf der Insel, zwischen den Blumen und in dem Anwesen, ohne dass die Geschichte in der ersten Stunde erkennbar auf ein Ende zusteuert.

Erst im letzten Drittel, wenn Uma im Keller des Anwesens das Geheimnis von Paradise Hills entdeckt, wird es spannend und auch sehr frustrierend. Letztendlich werden mehrere Erklärungen präsentiert, die sich widersprechen. In diesen Minuten wird auch deutlich, dass Waddingtons Talent nicht im Inszenieren von Actionszenen liegt.

So ist „Paradise Hills“ ein optisch überzeugender, eklektischer, sehr sanfter Horrorfilm mit einem enttäuschendem Finale.

Paradise Hills (Paradise Hills, USA/Spanien 2019)

Regie: Alice Waddington

Drehbuch: Brian DeLeeuw, Nacho Vigalondo (nach einer Geschichte von Alice Waddington)

mit Eiza González, Awkwafina, Milla Jovovich, Emma Roberts, Jeremy Irvine, Danielle Macdonald, Liliana Cabal, Arnaud Valois, Hunter Tremayne

Länge: 95 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Paradise Hills“

Metacritic über „Paradise Hills“

Rotten Tomatoes über „Paradise Hills“

Wikipedia über „Paradise Hills“

Ein Q&A auf dem Sundance Festival, nach der Weltpremiere


%d Bloggern gefällt das: