Neu im Kino/Filmkritik: „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ im Kino-Cut

Oktober 18, 2024

Hagen – Im Tal der Nibelungen“ erzählt die allgemein bekannte Geschichte von Siegfried, dem Drachentöter, seinem Tod und, wenn es eine Fortsetzung gibt, Kriemhilds Rache. Nur aus einer anderen Perspektive. Nämlich der von Hagen, dem Waffenmeister von Burgund, der den unbesiegbaren Drachentöter Siegfried tötet. Wolfgang Hohlbein erzählte Hagens Geschichte 1986 in seinem Roman „Hagen von Tronje“.

Dieser wurde jetzt von Cyrill Boss und Philipp Stennert verfilmt als zweieinhalbte Kinoverfilmung der Geschichte. Die Stummfilm-Version von Fritz Lang genießt unter Cineasten immer noch hohes Ansehen. Harald Reinls Verfilmung von 1966 befindet sich dann im trashigen Fahrwasser damaliger Epen, in denen es auch zum „Tiger aus Eschnapur“ und, mit der Hilfe von Karl May „Durchs wilde Kurdistan“ ging.

Beide Filme sind Zweiteiler. Im ersten Teil wird Siegfrieds Geschichte, im zweiten Teil die von Kriemhilds Rache erzählt. „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ endet ebenfalls mit Siegfrieds Tod. Auch wenn ich im Kino wenige Minuten vor dem Filmende dachte, dass sie vielleicht die Geschichte von Siegfrieds Tod in einem zweiten Teil erzählen. Und Kriemhilds Rache für einen dritten Teil geplant ist, der vielleicht irgendwann in naher oder ferner Zukunft realisiert wird.

Bis dahin haben wir die aktuelle Verfilmung, die die bekannte Geschichte von Siegfried und Hagen aus einer anderen Perspektive erzählt. Hagen von Tronje, durchgehend mit unbewegter Leidensmine von Gijs Naber gespielt, ist hier der Gute. Siegfried von Xanten, gespielt von Jannis Niewöhner, sein Antagonist: ein trinkfreudiger Hallodri, der sich immer wieder in Lebensgefahr begibt, weil er unsterblich ist.

Mit gut 140 Minuten wird sie in einem ziemlich langen Kinofilm erzählt, der allerdings nur die gekürzte Fassung einer mehr als doppelt so langen sechsteiligen Serie für RTL+ ist. Diese soll nächstes Jahr im Fernsehen gezeigt werden. Die Macher sagen zwar, dass Film und Serie unabhängig voneinander funktionieren. Aber der Erzählrhythmus des Kinofilms ist oft verstörend schlecht. Immer wieder wird sich für Unwichtiges zu viel Zeit genommen und Wichtiges wird zu schnell, teils zwischen zwei Bildern, erledigt. Und die Schauspieler hängen viel zu oft und zu lang in dunklen Räumen herum und unterhalten sich. Schließlich müssen Palastintrigen und Liebesgefühle ausgehandelt werden.

Echte Kinomomente, also Landschaftsaufnahmen, ausgedehnte Kampfszenen und das Protzen mit Schauwerten sind selten. Stattdessen dominiert eine TV-Ästhetik.

Das macht den Kinofilm „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ zu einem langen Trailer für die TV-Serie, über deren Qualitäten nichts gesagt werden kann.

Hagen – Im Tal der Nibelungen (Deutschland 2024)

Regie: Cyrill Boss, Philipp Stennert

Drehbuch: Cyrill Boss, Philipp Stennert, Doron Wisotzky

LV: Wolfgang Hohlbein: Hagen von Tronje, 1986

mit Gijs Naber, Jannis Niewöhner, Dominic Marcus Singer, Lilja van der Zwaag, Rosalinde Mynster, Jördis Triebel, Jörg Hartmann, Bela Gabor Lenz, Alessandro Schuster, Johanna Kolberg, Emma Preisendanz, Maria Erwolter

Länge: 139 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Hagen – Im Tal der Nibelungen“

Moviepilot über „Hagen – Im Tal der Nibelungen“

Wikipedia über „Hagen – Im Tal der Nibelungen“


Neu im Kino/Filmkritik: Über Ildikó Enyedis „Die Geschichte meiner Frau“

November 5, 2021

Eigentlich ist es noch nicht einmal eine Schnapsidee: In einem Café sagt der Schiffskapitän Jakob Störr (Gijs Naber) zu seinem Freund Kodor, er werde die nächste Frau heiraten, die das Lokal betrete.

Jakob ist ein schweigsamer Seemann, der den Beruf gefunden hat, der perfekt zu ihm passt. Er ist nicht verheiratet; auch weil er noch nie eine Ehefrau, zu der er nach seinen langen Seefahrten zurückkehren kann, vermisst hat. In der Gesellschaft von anderen Menschen ist er eher unbeholfen.

Bei der ersten Frau, die sich der Tür nähert, bereut er schon sein unbedacht abgegebenes Vesprechen. Denn es ist eine ältere, übergewichtige Frau. Sie betritt das Lokal dann doch nicht. Als erste Frau betritt Lizzy (Léa Seydoux) das Café. Sie ist jung, gutaussehend, charmant und gewitzt. Eine bessere Frau hätte, auf den ersten Blick, Jakob nicht finden können. Und, entgegen aller Erwartungen, nimmt sie, leicht amüsiert, den Heiratsantrag des ihr unbekannten Mannes an.

Es ist die sagenumwobene Liebe auf den ersten Blick, die in den folgenden Tagen und, nach der Heirat, Wochen vertieft wird.

Erst später, wenn Jakob von seinen Reisen zurückkehrt, bemerkt er, dass Lizzy ein eigenes Leben hat und ihm nicht alles sagt über ihre Freunde und ihre abend- und nächtlichen Unternehmungen.

Die Geschichte meiner Frau“ ist die Verfilmung von Milán Füsts bekanntestem Roman. Ildikó Enyedi, die 2017 für „Körper und Seele“ den Goldenen Bären erhielt, bearbeitete den Roman, „ein riesiger, ausschweifender innerer Monolog, ein Strom von Selbstanalyse und Reflektion“ (Enyedi) zu einer strikt chronologisch erzählten Geschichte, die konsequent aus Jakobs Sicht erzählt wird.

Deshalb wissen wir nicht, was Lizzy in Jakobs Abwesenheit treibt. Also ob sie ihn, wie er vermutet, betrügt oder, was sie behauptet, einfach nur eine lebenslustige Frau ist, die gerne mit verschiedenen Männern ausgeht. Eigentlich erfahren wir während des gesamten gut dreistündigen Films nichts über sie, was wir nicht bereits nach den ersten Minuten wissen.

Über ihn erfahren wir auch nicht mehr. Vor allem erfahren wir nicht, warum er Lizzy so abgöttisch liebt und unbedingt mit ihr zusammen bleiben will. Denn er glaubt, dass sie ihn betrügt. Er ist eifersüchtig. Aber er will sich auch nicht aus den Fängen dieser Femme Fatale befreien.

Und umgekehrt ist unverständlich, warum Lizzy unbedingt Jakobs Ehefrau bleiben möchte.

Die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts spielenden Szenen einer Ehe kranken an dieser zunehmend unglaubwürdigen Liebesgeschichte. Entgegen des Titels „Die Geschichte meiner Frau“ wird nicht die Geschichte von Jakobs Frau erzählt. Das Liebesdrama erzählt höchstens die Geschichte seines Bildes seiner ihm unbekannten Frau, für deren Leben und Vergangenheit er sich niemals interessiert.

Außerdem ist der Film mit gut drei Stunden viel zu lang für seine doch arg redundante und damit auch langweiligen Geschichte.

Die Geschichte meiner Frau (A Feleségem Története, Ungarn/Deutschland/Frankreich/Italien 2021)

Regie: Ildikó Enyedi

Drehbuch: Ildikó Enyedi

LV: Milán Füst: A feleségem története, 1942 (Die Geschichte meiner Frau)

mit Gijs Naber, Léa Seydoux, Louis Garrel, Luna Wedler, Josef Hader, Sergio Rubini, Jasmine Trinca, Ulrich Matthes, Udo Samel

Länge: 169 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Geschichte meiner Frau“

Moviepilot über „Die Geschichte meiner Frau“

Metacritic über „Die Geschichte meiner Frau“

Rotten Tomatoes über „Die Geschichte meiner Frau“

Wikipedia über „Die Geschichte meiner Frau“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ildikó Enyedis „Körper und Seele“ (Teströl és lélekröl, Ungarn 2017)