Neu im Kino/Filmkritk: Über Francis Ford Coppolas „Megalopolis“

September 26, 2024

Wenn wir ehrlich sind, ist „Megalopolis“ gescheitert, aber sehenswert, wenn auch nicht sehenswert gescheitert. Außerdem ist Francis Ford Coppolas neuer Film – ich hänge mich jetzt weit aus dem Fenster (aber bei der Höhe meines Fensters ist das ein vertretbares Risiko) – auch kein Film, der in zwanzig, dreißig Jahren eine gloriose Wiederauferstehung und Neubeurteilung erfahren wird. Trotzdem ist er sehenswert.

Ich erkläre das jetzt.

Megalopolis“ könnte der letzte Spielfilm von Francis Ford Coppola sein. Er ist 85 Jahre und steckte in den vergangenen Jahren seine Energie in Restaurierungen und neue Schnittfassungen seiner alten Filme, die dann auch wieder im Kino gezeigt und von der Kritik abgefeiert wurden. In den vergangenen 25 Jahren drehte er drei Filme, die alle eine Ist-mir-egal-Einstellung gegenüber kommerziellen Erwägungen und den Erwartungen des Publikum versprühten. Auch „Megalopolis“ kümmert sich wenig um Publikumserwartungen und das zeitgenössische Kino.

Für Coppola ist „Megalopolis“ die Erfüllung eines lange gehegten, mit eigenem Geld finanzierten Wunsches. Seit über vierzig Jahren ist das Projekt immer wieder im Gespräch. Coppola sammelte Zeitungsausschnitte, machte sich Notizen und schrieb auch, mehr oder weniger präzise ausformulierte Drehbücher. Es gab mehr oder weniger weit fortgeschrittene Vorbereitungen für eine Verfilmung. Immer wieder kam etwas dazwischen und Coppola sammelte weitere Ideen, unterhielt sich über das Projekt und schrieb neue Versionen der Geschichte.

Diese lange Entwicklungszeit ist ein Problem des Films. Es ist in jeder Minute offensichtlich, dass über viele Jahre an dem Film gearbeitet wurde. Da hat sich viel angesammelt und vieles will man dann nicht einfach wegwerfen. So franst der Film in jeder nur erdenklichen Beziehung an allen Ecken und Enden aus. Einige Bilder und Ideen, die damals visionär waren, wirken heute abgeschmackt. Anderes ist immer noch atemberaubend.

Im Gegensatz zu anderen Alterswerken großer Regisseure ist „Megalopolis“ auch nicht – also jedenfalls nicht wirklich – die Zusammenfassung des bisherigen Werkes und eine damit verbundene Rückschau. Es ist ein Werk, das sich viel wagt, das keine Rücksicht nimmt und aus dem Vollen schöpft. Das ist bewundernswert und führt immer wieder zu atemberaubenden Szenen. Ein guter Film ist „Megalopolis“ nicht.

Es geht um den genialen Architekten und Erfinder Cäsar Catilina (Adam Driver), der die Metropole New Rome radikal umgestalten möchte. Er hat eine visionäre Vision von der Zukunft und wie Menschen in einer Metropole leben können. Der Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) ist dagegen. Er will den Status Quo von New Rome aufrecht erhalten.

Nachdem Coppola diese Prämisse schnell etabliert hat, vergisst er sie atemberaubend schnell. Er driftet in Richtung Sittengemälde ab mit zahlreichen Anspielungen auf die Geschichte von New York, dem klaren Vorbild für New Rome, und dem eher prüden Feiern altrömischer Dekadenz mit halbnackten Frauen, Wagenrennen und teilweise moderner und zukünftiger Technik. Dazwischen gibt es vollkommen unzusammenhängende Episoden, die für die zu dem Zeitpunkt schon lange im Nirvana verschwundene Hauptgeschichte keinerlei Bedeutung haben. Anscheinend wichtige Figuren verschwinden aus der Filmgeschichte. Manche für immer. Interessante Ideen, wie dass Catilina die Zeit anhalten kann, haben für den Film, nach einer pompösen Einführung, keinerlei Bedeutung. Coppola verirrt sich im Dickicht seiner Ideensammlung für den Film und den verschiedenen Drehbuchskizzen und -versionen, ohne eine klare Vision der Filmgeschichte und des in ihr zu behandelnden Konflikts zu entwickeln. Denn dann hätte er gewusst, welche Ideen und Anspielungen in den Film gehören und welche nicht.

New Rome ist Coppolas Version von Gotham City und „Megalopolis“ ist „geschnittene Szenen aus ‚Batman‘-Filmen“ und Bilder aus dem Leben und Leiden der Architektenkammer von Gotham. Beides ohne Batman und Superbösewichter.

Megalopolis (Megalopolis, USA 2024)

Regie: Francis Ford Coppola

Drehbuch: Francis Ford Coppola

mit Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel, Shia LaBeouf, Aubrey Plaza, Jon Voight, Jason Schwartzman, Laurence Fishburne, Talia Shire, Kathryn Hunter, Grace VanderWaal, Chloe Fineman, James Remar, D.B. Sweeney, Dustin Hoffman, Balthazar Getty

Länge: 139 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Megalopolis“

Metacritic über „Megalopolis“

Rotten Tomatoes über „Megalopolis“

Wikipedia über „Megalopolis“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas “Apocalypse Now” (Apocalypse Now, USA 1979 – die “Full Disclosure”-Blu-ray)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now: The Final Cut“ (USA 1979/2019) und der Blu-ray

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas „The Outsiders: The complete Novel“ (The Outsiders, USA 1983/2005) und der Blu-ray

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas „Rumble Fish“ (Rumble Fish, USA 1983)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas „Twixt – Virginias Geheimnis“ (Twixt, USA 2011)

Francis Ford Coppola in der Kriminalakte

Meine Besprechung von Roy Thomas/Mike Mignolas „Bram Stoker’s Dracula“ (Bram Stoker’s Dracula 1-4, 1993) (der Comic-Version von Coppolas Film)