TV-Tipp für den 3. Januar: Benedetta

Januar 2, 2025

3sat, 22.25

Benedetta (Benedetta, Frankreich 2021)

Regie: Paul Verhoeven

Drehbuch: David Birke, Paul Verhoeven

LV: Judith C. Brown: Immodest Acts: The Life of a Lesbian Nun in Renaissance Italy, 1986 (Schändliche Leidenschaften: Das Leben einer lesbischen Nonne in in Italien zur Zeit der Renaissance)

Im 17. Jahrhundert lebt die tiefgläubige Benedetta Carlini (Virginie Efira) in einem Theatiner-Kloster in Pescia. Als auf ihrem Körper die Wundmale Christi auftauchen, wird sie zu einem Spielball innerhalb katholischen Kirche. Oder spielt sie mit der Kirche?

TV-Premiere. Grandiose, auf einem wahren Fall beruhende, äußerst intelligente Nunsploitation von Provokateur Paul Verhoeven.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphné Patikia, Lambert Wilson, Olivier Rabourdin, Louise Chevillotte, Hervé Pierre, Clotilde Courau, David Clavel, Guilaine Londez

Wiederholung: Sonntag, 5. Januar, 00.45 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

AlloCiné über „Benedetta“

Moviepilot über „Benedetta“

Metacritic über „Benedetta“

Rotten Tomatoes über „Benedetta“

Wikipedia über „Benedetta“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Paul Verhoevens „Flesh + Blood“ (Flesh + Blood, USA 1985)

Meine Besprechung von Paul Verhoevens Philippe-Djian-Verfilmung „Elle“ (Elle, Frankreich/Deutschland/Belgien 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Paul Verhoevens „Benedetta“ (Benedetta, Frankreich 2021) und der DVD


Neu im Kino/Filmkritik (kurz): „Speak no evil“, „Rose“, die „Wochenendrebellen“ besuchen „Das Nonnenrennen“

September 29, 2023

Neben dem SF-Kriegsfilm „The Creator“ (tolle Bilder, maue Story) laufen diese Woche auch eine Komödie („Das Nonnenrennen“), ein Horrorfilm („Speak no evil“) und zwei auf Tatsachen basierende Wohlfühldramen („Rose“ und „Wochenendrebellen“) an. Beginnen wir mit der leichtesten Kost: „Das Nonnenrennen“.

Nonnen auf Fahrrädern sind schon einmal ein ziemlich sicherer Lacher. In „Das Nonnenrennen“ setzten sie sich auf die Fahrräder, um ein Fahrradrennen zu gewinnen. Mit dem Gewinn wollen sie ein heruntergekommenes Altersheim sanieren. Für eine Komödie ist das eine durchaus tragfähige Prämisse, aus der dann wenig bis nichts gemacht wird.

Das Nonnenrennen“ ist eine ziemlich lahme Komödie mit etwas Slapstick, altbackenen Witzen und viel Leerlauf.

Das ist Klamauk aus einer anderen Zeit, der irgendwann im Nachmittagsprogramm versendet und gesehen wurde, wenn gerade nicht schon wieder „Das fliegende Klassenzimmer“ (ich rede von der 1973er Version) oder ein Heinz-Erhardt-Film im Fernsehen lief.

Das Nonnenrennen (Juste ciel !, Frankreich 2022)

Regie: Laurent Tirard

Drehbuch: Cécile Larripa, Philippe Pinel, Laurent Tirard

mit Valérie Bonneton, Camille Chamoux, Claire Nadeau, Guilaine Londez, Sidse Babett Knudsen, Louise Malek, François Morel, Jean-Michel Lahmi

Länge: 88 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Das Nonnenrennen“

AlloCiné über „Das Nonnenrennen“

Wikipedia über „Das Nonnenrennen“ 

Meine Besprechung von Laurent Tirards „Der kleine Nick macht Ferien“ (Les Vacances du petit Nicolas, Frankreich 2014)

Horrorfilme müssen sich nicht um kreischende Teenager, die vor oder nach dem ersten Sex vor messerschwingenden Schlitzern davonlaufen, oder um Mütter, die ihr Baby für den Teufel halten, drehen. In „Speak no evil“ steht ein Ehepaar im Mittelpunkt. Bjørn und Louise besuchen in Holland ihre Urlaubsbekanntschaft. Dummerweise entpuppt sich das im Urlaub so nette Paar mit ihrem stillen Kind als gar nicht so nett.

Christian Tafdruf dreht in seinem dritten Spielfilm (nach „Eltern“ und „Eine schreckliche Frau“) langsam an der Spannungsschraube und es macht Spaß, wie aus kleinen Irritationen über Missverständnisse und Unhöflichkeiten etwas anderes wird. Dabei erweisen sich die Gäste als überaus höfllich, geduldig und fügsam. Bis…nein, das wird jetzt nicht verraten.

Nächstes Jahr soll ein US-Remake in die Kinos kommen. Von Blumhouse produziert, von James Watkins inszeniert und mit James McAvoy und Mackenzie Davis in den Hauptrollen.

Speak no evil (Gæsterne, Dänemark/Niederlande 2022)

Regie: Christian Tafdrup

Drehbuch: Christian Tafdrup, Mads Tafdrup

mit Morten Burian, Sidsel Siem Koch, Fedja van Huêt, Karina Smulders

Länge: 98 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

internationaler Titel: Speak no evil

Hinweise

Dänische Homepage zum Film

Moviepilot über „Speak no evil“

Metacritic über „Speak no evil“

Rotten Tomatoes über „Speak no evil“

Wikipedia über „Speak no evil“ (deutsch, englisch, dänisch)

Nach zwei erfundenen Geschichten, haben wir uns zwei wahre Geschichten verdient. „Rose“ spielt in den Neunzigern und erzählt von einer Busreise von Dänemark nach Paris. Ein Problem für die Mitreisenden ist Inger. Vor zwanzig Jahren war sie längere Zeit in Paris. Danach erkrankte sie psychisch. Heute, also im Herbst 1997, lebt sie in einer Psychiatrie, die sie nicht verlassen möchte. Ingers Schwester und ihr Mann möchten ihr mit dieser Paris-Fahrt einen Gefallen tun und Erinnerung an eine glückliche Vergangenheit heraufbeschwören.

Während der Vorstellungsrunde im Bus eröffnet Inger den Mitreisenden, dass sie schizophren ist. Mit ihrem auffälligem Verhalten irritiert und verärgert sie zunächst die Mitreisenden.

Niels Arden Oplev („Worlds apart“, „Verblendung“) hat ein nettes Roadmovie gedreht, das zum gegenseitigen Verständnis aufruft. Sehr überzeugend ist Hauptdarstelleirn Sofie Gråbøl, die hier eine ganz andere Frau als in „Kommissarin Lund“ spielt.

In Skandinavien war das angenehm herbe Feelgood-Movie im Kino ein Überraschungserfolg.

Rose – Eine unvergessliche Reise nach Paris (Rose, Dänemark 2022)

Regie: Niels Arden Oplev

Drehbuch: Niels Arden Oplev

mit Sofie Gråbøl, Lene Maria Christensen, Anders W. Berthelsen, Søren Malling, Luca Reichardt Ben Coker, Peter Gantzler, Christiane G. Koch, Karen-Lise Mynster, Illyès Salah, Jean-Pierre Lorit

Länge: 106 Minuten

FSK:ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Rose“

Rotten Tomatoes über „Rose“

Wikipedia über „Rose“

Meine Besprechung von Niels Arden Oplevs „Verblendung“ (Män som hatar kvinnor, Schweden/Deutschland/Dänemark 2009)

Meine Besprechung von Niels Arden Oplevs „Flatliners“ (Flatliners, USA 2017)

Ein Aufruf zum Verstehen ist auch „Wochenendrebellen“. Marc Rothemund erzählt die wahre Geschichte von dem zehnjährigen Jason (Cecilio Andresen) und seinem Vater Mirco (Florian David Fitz). Jason ist Asperger-Autist. Hochbegabt, aber sehr schwierig im Umgang. Als er hört, dass jeder Jugendliche einen Lieblings-Fußballverein hat, will er auch einen Lieblings-Fußballverein haben. Die Vorschläge seiner Eltern, nämlich einfach ihren Verein zu nehmen, lehnt er rundweg ab. Das könnte ja nicht der beste Verein sein. Deshalb will er jeden Verein in der ersten, zweiten und dritten Liga in Deutschland bei einem Heimspiel besuchen und nach vorher festgelegten Kriterien bewerten. Sein Vater, der die Dimension des Projekts zunächst nicht überblickt und mehr Zeit mit Jason verbringen will, ist einverstanden, dass sie gemeinsam die Fußballspiele von 56 Mannschaften besuchen.

Wochenendrebellen“ ist ein okayer Feelgood-Mainstream-Film, der zu sehr an der Oberfläche bleibt. So gelingt es ihm nur in wenigen Sekunden zu vermitteln, wie Jason die Welt wahrnimmt (nämlich als ein einziges bedrohliches Chaos) und wie wichtig Sicherheit stiftende Routinen für ihn sind. Nie gelingt es ihm, erfahrbar zu machen, warum Fußball für so viele Menschen so wichtig ist und warum Jason sich immer wieder in diese chaotische Welt begibt. Da wäre mehr, viel mehr möglich gewesen.

Wochenendrebellen (Deutschland 2023)

Regie: Marc Rothemund

Drehbuch: Richard Kropf

LV: Mirco von Juterczenka, Jason von Juterczenka: Wir Wochenendrebellen – Wie ein autistischer Junge und sein Vater über den Fußball zum Glück finden, 2017

mit Florian David Fitz, Cecilio Andresen, Aylin Tezel, Florina Siegel, Joachim Król, Petra Marie Cammin, Milena Dreissig, Leslie Malton, Tilo Nest, Michaela Wiebisch

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Wochenendrebellen“

Moviepilot über „Wochenendrebellen“

Wikipedia über „Wochenendrebellen“ (deutsch, englisch)

 


DVD-Kritik: Paul Verhoevens „Benedetta“ verführt jetzt im Heimkino

Februar 28, 2022

Zum Kinostart schrieb ich ziemlich begeistert über das neue Werk des Regisseurs von „Türkische Früchte“, „ RoboCop“, „Die totale Erinnerung – Total Recall“ (Dienstag wieder im Kino), „Basic Instinct“, „Showgirls“, „Starship Troopers“, „Black Book“ und „Elle“:

Nachdem die letzten Werke einiger seit Ewigkeiten hochgeachteter Regisseure, wie Ridley Scott, Clint Eastwood und Woody Allen, enttäuschten, ist Paul Verhoevens neuer Film das komplette Gegenteil. „Benedetta“ ist eine in einem Kloster spielende Geschichte, in der es um Glaube, Macht und Sex geht. Im Mittelpunkt steht die titelgebende Benedetta Carlini (Virginie Efira), die im siebzehnten Jahrhundert als Nonne in einem Theatiner-Kloster in Pescia lebt. Sie ist tiefgläubig. Schon als Kind überzeugte sie mit Gottes Hilfe auf dem Weg zum Kloster eine Bande Strauchdiebe, sie und ihre Eltern mit all ihren Besitztümern unverletzt gehen zu lassen. Inzwischen lebt sie schon achtzehn Jahre im Kloster. Ihr Glaube ist immer noch stark. In der Hierarchie des Klosters könnte sie bis zur Äbtissin aufsteigen. Auf ihrem Körper tauchen immer wieder die Wundmale Jesus auf. Sie hat auch Visionen, in denen Jesus auftaucht.

Außerdem hat sie heimlich mit der Nonnenschülerin Bartolomea (Daphné Patakia), um die sich sich kümmern soll, Geschlechtsverkehr. Den zeigt Paul Verhoeven auch ausführlich, ohne dass sein Film in einen Porno im Kloster abdriftet. Zentral sind für ihn Fragen des Glaubens und der Macht; im Kloster, in der Kirche und außerhalb der Kirche. So ist immer unklar, wie sehr Benedetta von ihren Visionen selbst überzeugt ist oder sie nur benutzt, um im Kloster aufzusteigen. Die Wundmale fügt sie sich jedenfalls manchmal (?) selbst bei. Als die Pest im Land wütet, ergreift sie, mit der Hilfe einer Jesus-Vision, die geeigneten Maßnahmen, um die Bewohner der Stadt zu schützen. Sie lässt die Stadttore schließen. Auch dem Nuntius des Papstes, der herausfinden soll, was in dem Kloster geschieht, wird zunächst der Zutritt verwehrt.

Und es geht immer um die Struktur dieser Gesellschaft, Macht, Einfluss und Geld. Schon beim Gespräch über die Aufnahme von Benedetta ins Kloster zeigt Verhoeven, dass ein Kloster ein Wirtschaftsbetrieb ist, der sich rentieren muss. Für Benedettas Ausbildung zur Nonne muss ihr Vater daher viel Geld bezahlen. Später geht es auch immer wieder um Geld und Macht. Altruistisch handelt in dieser Welt niemand.

Verhoeven hält dabei in seinem präzise komponiertem Drama immer die Balance zwischen den verschiedenen Erklärungen. Deshalb habe ich vorher so oft „auch“ geschrieben. Als Zuschauer steht man ständig vor der Frage, wie sehr Benedetta wirklich eine überzeugte Gläubige oder eine eiskalte Manipulatorin und Karrieristin ist, die das Kloster nach ihren Vorstellungen formt. Auch die anderen Figuren sind in ihren Handlungen ännlich ambivalent angelegt.

Daher stört der Text am Filmende, in dem wir erfahren, was nach den im Film geschilderten Ereignissen mit Bendetta geschieht. Dieser Text präferiert eindeutig eine Erklärung für ihr Verhalten. Er vermittelt eine Gewissheit, die in den vorherigen zwei Stunden vermieden wurde.

Die Filmgeschichte beruht auf den umfangreichen Dokumenten des Prozesses gegen Benetta Carlini (1590 – 1661). Judith C. Brown entdeckte sie in einem Archiv in Florenz und verarbeitete sie zu ihrem Sachbuch „Schändliche Leidenschaften: Das Leben einer lesbischen Nonnein in Italien zur Zeit der Renaissance“.

Verhoevens vorherigen Film „Elle“ nannte ich „Meisterwerk“. Das kann ich jetzt bei „Benedetta“ nicht nochmal schreiben. Was soll besser als ein Meisterwerk sein? Also muss ich wohl sagen: „Benedetta“ ist nicht schlechter als „Elle“. Und wieder steht, wie öfter bei Paul Verhoeven, eine Frau im Mittelpunkt, die nicht nach den Regeln spielt.

Jetzt ist „Benedetta“ in verschiedenen Ausgaben als DVD und Blu-ray erschienen – und wer den Film im Kino verpasst hat, sollte ihn sich jetzt unbedingt ansehen.

Benedetta (Benedetta, Frankreich 2021)

Regie: Paul Verhoeven

Drehbuch: David Birke, Paul Verhoeven

LV: Judith C. Brown: Immodest Acts: The Life of a Lesbian Nun in Renaissance Italy, 1986 (Schändliche Leidenschaften: Das Leben einer lesbischen Nonne in in Italien zur Zeit der Renaissance)

mit Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphné Patikia, Lambert Wilson, Olivier Rabourdin, Louise Chevillotte, Hervé Pierre, Clotilde Courau, David Clavel, Guilaine Londez

DVD

Capelight

Bild: 2.39:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Französisch

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: –

Länge: 126 Minuten

Der Film ist außerdem erhältlich als Blu-ray, 2-Disc Limited Collector’s Edition im UHD-Mediabook (4K Ultra HD + Blu-ray) und digital.

Hinweise

AlloCiné über „Benedetta“

Moviepilot über „Benedetta“

Metacritic über „Benedetta“

Rotten Tomatoes über „Benedetta“

Wikipedia über „Benedetta“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Paul Verhoevens „Flesh + Blood“ (Flesh + Blood, USA 1985)

Meine Besprechung von Paul Verhoevens Philippe-Djian-Verfilmung „Elle“ (Elle, Frankreich/Deutschland/Belgien 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Paul Verhoevens „Benedetta“ (Benedetta, Frankreich 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: „Benedetta“ – Paul Verhoeven erzählt die Geschichte einer lesbischen Nonne

Dezember 5, 2021

Nachdem die letzten Werke einiger seit Ewigkeiten hochgeachteter Regisseure, wie Ridley Scott, Clint Eastwood und Woody Allen, enttäuschten, ist Paul Verhoevens neuer Film das komplette Gegenteil. „Benedetta“ ist eine in einem Kloster spielende Geschichte, in der es um Glaube, Macht und Sex geht. Im Mittelpunkt steht die titelgebende Benedetta Carlini (Virginie Efira), die im siebzehnten Jahrhundert als Nonne in einem Theatiner-Kloster in Pescia lebt. Sie ist tiefgläubig. Schon als Kind überzeugte sie mit Gottes Hilfe auf dem Weg zum Kloster eine Bande Strauchdiebe, sie und ihre Eltern mit all ihren Besitztümern unverletzt gehen zu lassen. Inzwischen lebt sie schon achtzehn Jahre im Kloster. Ihr Glaube ist immer noch stark. In der Hierarchie des Klosters könnte sie bis zur Äbtissin aufsteigen. Auf ihrem Körper tauchen immer wieder die Wundmale Jesus auf. Sie hat auch Visionen, in denen Jesus auftaucht.

Außerdem hat sie heimlich mit der Nonnenschülerin Bartolomea (Daphné Patakia), um die sich sich kümmern soll, Geschlechtsverkehr. Den zeigt Paul Verhoeven auch ausführlich, ohne dass sein Film in einen Porno im Kloster abdriftet. Zentral sind für ihn Fragen des Glaubens und der Macht; im Kloster, in der Kirche und außerhalb der Kirche. So ist immer unklar, wie sehr Benedetta von ihren Visionen selbst überzeugt ist oder sie nur benutzt, um im Kloster aufzusteigen. Die Wundmale fügt sie sich jedenfalls manchmal (?) selbst bei. Als die Pest im Land wütet, ergreift sie, mit der Hilfe einer Jesus-Vision, die geeigneten Maßnahmen, um die Bewohner der Stadt zu schützen. Sie lässt die Stadttore schließen. Auch dem Nuntius des Papstes, der herausfinden soll, was in dem Kloster geschieht, wird zunächst der Zutritt verwehrt.

Und es geht immer um die Struktur dieser Gesellschaft, Macht, Einfluss und Geld. Schon beim Gespräch über die Aufnahme von Benedetta ins Kloster zeigt Verhoeven, dass ein Kloster ein Wirtschaftsbetrieb ist, der sich rentieren muss. Für Benedettas Ausbildung zur Nonne muss ihr Vater daher viel Geld bezahlen. Später geht es auch immer wieder um Geld und Macht. Altruistisch handelt in dieser Welt niemand.

Verhoeven hält dabei in seinem präzise komponiertem Drama immer die Balance zwischen den verschiedenen Erklärungen. Deshalb habe ich vorher so oft „auch“ geschrieben. Als Zuschauer steht man ständig vor der Frage, wie sehr Benedetta wirklich eine überzeugte Gläubige oder eine eiskalte Manipulatorin und Karrieristin ist, die das Kloster nach iihren Vorstellungen formt. Auch die anderen Figuren sind in ihren Handlungen ännlich ambivalent angelegt.

Daher stört der Text am Filmende, in dem wir erfahren, was nach den im Film geschilderten Ereignissen mit Bendetta geschieht. Dieser Text präferiert eindeutig eine Erklärung für ihr Verhalten. Er vermittelt eine Gewissheit, die in den vorherigen zwei Stunden vermieden wurde.

Die Filmgeschichte beruht auf den umfangreichen Dokumenten des Prozesses gegen Benetta Carlini (1590 – 1661). Judith C. Brown entdeckte sie in einem Archiv in Florenz und verarbeitete sie zu ihrem Sachbuch „Schändliche Leidenschaften: Das Leben einer lesbischen Nonnein in Italien zur Zeit der Renaissance“.

Verhoevens vorherigen Film „Elle“ nannte ich „Meisterwerk“. Das kann ich jetzt bei „Benedetta“ nicht nochmal schreiben. Was soll besser als ein Meisterwerk sein? Also muss ich wohl sagen: „Benedetta“ ist nicht schlechter als „Elle“. Und wieder steht, wie öfter bei Paul Verhoeven, eine Frau im Mittelpunkt, die nicht nach den Regeln spielt.

Benedetta (Benedetta, Frankreich 2021)

Regie: Paul Verhoeven

Drehbuch: David Birke, Paul Verhoeven

LV: Judith C. Brown: Immodest Acts: The Life of a Lesbian Nun in Renaissance Italy, 1986 (Schändliche Leidenschaften: Das Leben einer lesbischen Nonne in in Italien zur Zeit der Renaissance)

mit Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphné Patikia, Lambert Wilson, Olivier Rabourdin, Louise Chevillotte, Hervé Pierre, Clotilde Courau, David Clavel, Guilaine Londez

Länge: 131 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

AlloCiné über „Benedetta“

Moviepilot über „Benedetta“

Metacritic über „Benedetta“

Rotten Tomatoes über „Benedetta“

Wikipedia über „Benedetta“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Paul Verhoevens „Flesh + Blood“ (Flesh + Blood, USA 1985)

Meine Besprechung von Paul Verhoevens Philippe-Djian-Verfilmung „Elle“ (Elle, Frankreich/Deutschland/Belgien 2016) und der DVD