Faszinierendes Porträt des tschechischen Heilers Jan Mikolášek (1889 – 1973), der auch prominente Nazis und Kommunisten mit seinen Tinkturen versorgte.
„kafkaesk“ muss nicht erklärt werden. Das wissen alle.
Aber wer war Franz Kafka, der am 3. Juli 1883 in Prag, Österreich-Ungarn, geborene, am 3. Juni 1924 in Kierling, Österreich, gestorbene Schriftsteller, der erst nach seinem Tod bekannt wurde?
Agnieszka Holland versucht diese Frage in ihrem Kafka-Biopic „Franz K.“ zu beantworten. Dabei entwirft die hochgelobte Regisseurin eine assoziative Collage zwischen Kafkas Biopgraphie (die sie als rudimentär bekannt voraussetzt), seinem Werk und seinen Ängsten. Das ist, gleichzeitig, ziemlich anspruchsvoll und vergnüglich.
Inszeniert hat die 1948 geborene produktive Regisseurin ihren Film nicht mit der Gemütlichkeit des Alters, in dem Filme nur noch einmal die bekannten Themen und Marotten wiederholen, sondern mit überwältigender jugendlicher Verve, Neugierde und Freude am Entdecken und Ausprobieren filmischer Mittel und Erzähltechniken, die sie souverän beherrscht. Sie springt, ohne jemals den Überblick zu verlieren, zwischen den Zeiten und zwischen der Realität und Kafkas Gedanken bruchlos hin und her. Sie wechselt zwischen den Stilen. Von wackelnder Nouvelle-Vague-Kamera bis hin zu biederer TV-Dramaturgie ist alles drin.
Sie taucht in Kafkas Gedanken ein. Sie liefert aus Kafkas Leben und Psyche kommende Erklärungen für sein Werk. Was die Dialoge nicht mehr transportieren, zeigt Idan Weiss als Franz Kafka.
Das ist, vor allem wenn es zu sehr in Richtung TV-Konventionen geht, nicht immer gelungen, aber durchgehend interessant, zum Nachdenken anregend und immer wieder überraschend.
So hat „Franz K.“ alles, was ein gutes Biopic haben sollte. Nach dem Film weiß man mehr über Franz Kafka. Neben den nackten biographischen Daten, die man auch auf Wikipedia nachlesen kann, erfährt man viel über seine Beziehungen zu seinen Eltern und seinen Freunden, seine Gefühle, seine Sicht auf die Realität, wie er sie wahrnahm und künstlerisch verarbeitete. Nach dem Film kennt man nicht nur die biographischen Daten, sondern man hat einen Eindruck von Kafkas Gefühlen und Gedanken; man glaubt sogar, ihn zu verstehen und zu wissen, was ihn antrieb und inspirierte. Außerdem macht ihr Kafka-Film neugierig auf Kafkas schriftstellerisches Werk.
Aktuell ist „Franz K.“ in der Vorauswahl für den Europäischen Filmpreis und die polnische Einreichung für den Oscar als Bester Internationaler Film eingereicht.
Franz K. (Franz, Tschechien/Deutschland/Polen 2025)
Regie: Agnieszka Holland
Drehbuch: Marek Epstein, Agnieszka Holland
mit Idan Weiss, Peter Kurth, Katharina Stark, Sebastian Schwarz, Carol Schuler, Jenoféva Boková, Ivan Trojan, Sandra Korzeniak
Faszinierendes Porträt des tschechischen Heilers Jan Mikolášek (1889 – 1973), der auch prominente Nazis und Kommunisten mit seinen Tinkturen versorgte.
Gut, so ein richtiges Biopic in dem chronologisch das Leben der porträtierten berühmten Persönlichkeit abgehandelt wird, ist „Charlatan“ nicht. Schließlich ist die Filmgeschichte „frei inspiriert“ von Jan Mikolášeks Leben und weil der tschechische Heiler im Westen unbekannt ist, habe ich auch keine Ahnung, wie sehr Agnieszka Hollands Film sich von den Fakten entfernt, Dinge weglässt oder auf eine bestimmte Art interpretiert.
Das ist jetzt nicht unbedingt ein Nachteil. Denn letztendlich muss ein Spielfilm als Spielfilm funktionieren. Wer nur die Fakten will, muss halt ein Sachbuch lesen oder einen Dokumentarfilm sehen. Aber bei diesem Film hatte ich immer das Gefühl, dass das Wissen um die historischen Hintergründe und wie Mikolášeks Leben mit der Geschichte der Tschechoslowakei und des Ostblocks verknüpft ist, wichtig ist, um den Film zu verstehen. Jedenfalls auf den wichtigen Ebenen; auch um beurteilen zu können, wie „Charlatan“ sich zur Vergangenheit und Gegenwart positioniert und wie sehr diese Version seines Lebens aktuelle Entwicklungen im Land kritisiert. Denn in Mikolášeks Leben gibt es viele Punkte, die sensible und strittige Themen berühren, wie seine Tätigkeit als Heiler (ohne eine formale ärztliche Ausbildung), seine vor der Öffentlickheit (und im Film lange) verborgene Homosexualität und seine Verwicklungen in zwei Diktaturen.
Jan Mikolášek hat eine Gabe, die es ihm manchmal ermöglicht, den Todestag eines Menschen zu wissen. Er verfügt auch über heilende Kräfte. Aber vor allem lässt er sich von einer gläubigen Heilerin das Lesen des menschlichen Urins beibringen. Er ist ein guter Schüler. Nur durch einen Blick auf den sich in einer kleinen Glasflasche befindenden Urin weiß er, anhand der Farbe und Trübung, an was die Person leidet und was dagegen getan werden kann.
Nach dem Tod seiner Lehrerin eröffnet er eine florierende Praxis, in der er alle Menschen behandelt. Denn alle Menschen, einerlei ob Nazi oder, nach dem Zweiten Weltkrieg, Kommunist, ob Katholik oder Ungläubiger, werden krank. Er macht damit ein Vermögen und unterstützt Bedürftige. Außerdem hat er eine homosexuelle Beziehung zu seinem Sekretär, die beide geheim halten.
Als einer von Mikolášeks Patienten, der tschechische Präsident Antonín Zápotocký, 1957 stirbt, wird eine Mordanklage gegen ihn vorbereitet.
Diese Mordanklage, die Verhöre und der Schauprozess bilden den Rahmen, in dem Mikolášek sich an seine Vergangenheit erinnert und davon erzählt.
Die historischen Hintergründe deutet Holland nur an. Sie springt assoziativ zwischen den Zeiten. Hintergründe vermittelt sie nur sparsam und eine zeitliche Orientierung wird nur angedeutet. Es gibt kaum eindeutig zuordenbare Zeichen, wie Uniformen. Es gibt keine eingeblendeten Jahreszahlen. So ist kaum zu unterscheiden, ob Holland gerade von den Jahren des Nationalsozialismus oder dem Kommunismus erzählt. Trotzdem erscheint die Nachkriegszeit düsterer als die Zeit davor. Denn jetzt wird er vom System angeklagt und ihm droht in einem Schauprozess die Todesstrafe.
So entsteht ein faszinierendes Porträt, das kein Urteil über seine Hauptfigur fällt. Das und wie man als Zuschauer die einzelnen Facetten von Jan Mikolášeks Persönlichkeit und seine Handlungen beurteilt, muss jeder Zuschauer individuell für sich entscheiden. Also auch, ob er ein Scharlatan oder ein Heiler war. Diese Offenheit ist die große Stärke von „Charlatan“.
Dei 1948 geborene Agnieszka Holland ist eine der wichtigsten polnischen Regisseurinnen. Sie arbeitete viel mit Andrzej Wajda zusammen. Zu ihren wichtigsten Regie-Arbeiten gehören „Bittere Ernte“, „Hitlerjunge Salomon“ und „Der geheime Garten“. Jüngeren könnte ihr Name bei TV-Serien wie „The Wire“, „Treme“, „Rosemary’s Baby“ und „House of Cards“ aufgefallen sein.