Neu im Kino/Filmkritik: Über Neill Blomkamps „Gran Turismo“

August 10, 2023

In jedem Fall ist Danny Moores Idee ein guter Marketinggang. Der von Orlando Bloom gespielte Nissan Marketing Executive möchte Videospieler für den Kauf von Autos begeistern. Das soll mit einem Wettbewerb gelingen, in dem unter den Spielern des populären Videospiels „Gran Turismo“ der beste Fahrer gefunden wird. Die Auswahl des Gewinners geschieht teils am Computer, teils in der dafür geschaffenen GT Academy. Der Gewinner darf dann bei einem echten Autorennen mitfahren.

Moore ist überzeugt, dass das Computerspiel „Gran Turismo“ dafür geeignet ist. Denn die Macher des Spiels investieren viel Zeit und Mühe, in dem Spiel möglichst jedes Detail der realen Rennstrecken und der damit verbundenen Fahrerfahrung genau nachzustellen. Insofern ist das Spiel auch eine Fahrsimulation, die zum trainieren verwendet werden kann.

Zu den Teilnehmern der GT Academy gehört Jann Mardenborough (Archie Madekwe). Der Junge ist ein in Cardiff lebendes Arbeiterkind, das am liebsten in seinem Zimmer „Gran Turismo“ spielt. In dem Spiel ist er einer der besten Rennfahrer. In der Realität saß er noch nie in einem Rennwagen – und dass er jemals ein einem Rennwagen sitzen wird, ist für den Neunzehnjährigen ein unerfüllbarer Traum.

Da erhält er eine Einladung zur ersten GT Academy. Jack Salter (David Harbour) hat die undankbare Aufgabe übernommen, aus den Computerspielern Rennfahrer zu machen; – wobei er, ein ehemaliger Rennfahrer und Mechaniker, davon ausgeht, dass niemand von ihnen jemals ein Rennfahrer wird.

Neill Blomkamps neuer Film basiert auf der wahren Geschichte von Jann Mardenborough. 2008 starten Nissan Europe, Sony Computer Entertainment Europe und Polyphony Digital die GT Academy. 2016 wird sie aufgelöst. In diesem Trainingscamp wurden in einem umfangreichem Prozess die Fahrer ausgewählt, die dann an echten Rennen teilnehmen durften. Für einige der Teilnehmer war die GT Academy der Start einer Karriere als Rennfahrer. Initiator war Darren Cox, der damalige Global Head of Sales, Marketing and Brand von Nissan.

2011 war Jann Mardenborough der Sieger in der Europa-Gruppe der GT Academy. Danach begann seine bis heute andauernde Karriere als Rennfahrer. Er war in die Produktion des Films involviert. In den Rennszenen war er das Stuntdouble für sein Film-Ich.

Die Filmgeschichte folgt allerdings nicht sklavisch den Fakten. Sie nimmt sich etliche Freiheiten, die Mardenboroughs Geschichte filmischer machen. So gehört er nicht zum ersten Jahrgang der GT Academy. Der Unfall auf dem Nürburgring war später. Die GT Academy nahm mehrmals am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teil. Aber niemals so erfolgreich wie in Blomkamps Spielfilm.

In „Gran Turismo“ ist Mardenboroughs Geschichte dann die Kinoversion von Castingshows à la „Deutschland sucht den Superstar“. Da treten schöne junge Menschen in einem Bootcamp gegeneinander an. Der Sieger darf dann in einer anderen Arena weiterkämpfen. In diesem Fall auf verschiedenen Rennstrecken und gegen Fahrer, die Mardenborough nicht für einen richtigen Rennfahrer halten. Dieser Konflikt, vor allem der Konflikt mit dem arroganten Fahrer Nicholas Capa, wird nie vertieft.

Sowieso wird alles, was nicht mit dieser Feelgood-Hollywood-Version von Mardenboroughs Geschichte zusammen hängt, konsequent ignoriert.

Neill Blomkamp inszenierte vorher nach seinen Drehbüchern die sozialkritischen und interessanteren Science-Fiction-Filme „District 9“, „Elysium“ und „Chappie“. Dieses Mal verfilmte er ein Drehbuch von Jason Hall („American Sniper“) und Zach Baylin („King Richard“, „Creed III“). Das Ergebnis ist eine süffige Auftragsarbeit für ein jugendliches Publikum. Das erreicht niemals, auch nicht im Ansatz, die Qualität von „Rush“ oder „Le Mans 66: Gegen jede Chance“ (Ford v Ferrari). Aber diese Rennfahrerfilme richteten sich an Erwachsene.

Gran Turismo (Gran Turismo, USA 2023)

Regie: Neill Blomkamp

Drehbuch: Jason Hall, Zach Baylin

mit David Harbour, Orlando Bloom, Archie Madekwe, Darren Barnet, Geri Halliwell Horner, Djimon Hounsou, Maximilian Mundt, Thomas Kretschmann

Länge: 135 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Gran Turismo“

Moviepilot über „Gran Turismo“

Metacritic über „Gran Turismo“

Rotten Tomatoes über „Gran Turismo“

Wikipedia über „Gran Turismo“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood macht einen schnellen Faktencheck

Meine Besprechung von Neill Blomkamps „Chappie“ (Chappie, USA/Mexiko 2014)


TV-Tipp für den 3. Dezember: American Sniper

Dezember 3, 2017

Pro7, 20.15

American Sniper (American Sniper, USA 2014)

Regie: Clint Eastwood

Drehbuch: Jason Hall

LV: Chris Kyle (zusammen mit Scott McEwen und Jim DeFelice): American Sniper, 2012 (Sniper: 160 tödliche Treffer – Der beste Scharfschütze des US-Militärs packt aus)

Clint Eastwoods Biopic über den US-Scharfschützen Chris Kyle, der im Irak zwischen 1999 und 2009 160 Menschen tötete. Das ist die offizielle Zahl.

Der Film war ein Kassenhit und Eastwood liefert in seinem patriotischen Kriegsfilm genug kleine Widerhaken, um auch eine andere Lesart zuzulassen.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Bradley Cooper, Sienna Miller, Cole Konis, Ben Reed, Elise Robertson, Keir O’Donnell, Luke Grimes, Eric Close, Sammy Sheik

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „American Sniper“
Moviepilot über „American Sniper“
Metacritic über „American Sniper“
Rotten Tomatoes über „American Sniper“
Wikipedia über „American Sniper“ (deutsch, englisch)
History vs. Hollywood über „American Sniper“

Meine Besprechung von Pierre-Henri Verlhacs (Herausgeber) „Clint Eastwood – Bilder eines Lebens“ (2008)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Hereafter – Das Leben danach“ (Hereafter, USA 2010)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods “Jersey Boys” (Jersey Boys, USA 2014)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „American Sniper“ (American Sniper, USA 2014)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Sully“ (Sully, USA 2016)

Clint Eastwood in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: Der „American Sniper“ Chris Kyle ist ein guter Patriot aus Texas

Februar 26, 2015

In den USA ist „American Sniper“ ein Überraschungserfolg, der auch der erfolgreichste Film von Clint Eastwood sein soll. Jedenfalls brach er in den vergangenen Wochen einige Einspielrekorde und er sorgte in den USA für eine ordentliche Diskussion über die Botschaft des Films. Immerhin steht im Mittelpunkt des Biopics U.S. Navy SEAL Chris Kyle, ein waschechter Texaner, der während vier Kampfeinsätzen als Scharfschütze im Irak 160 Menschen tötete. 160 ist jedenfalls die Zahl der bestätigten Tötungen. Es können aber auch einige Morde mehr gewesen sein.
Für die einen ist Kyle ein Kriegsheld. Für die anderen das Gegenteil. Und Clint Eastwood, der mit „Flags of our Fathers“ und „Letters from Iwo Jima“ zwei grandiose Kriegsfilme inszenierte, ist intelligent genug, um kein plattes Hurra-Patriotisches Manifest abzuliefern. Er bringt durchgehend eine Rauhheit in die Geschichte, die ihr gut tut – und die Steven Spielberg, der zuerst die Regie führen sollte, vermieden hätte.
Es gibt auch immer wieder kurze Episoden und Details, die angenehme Widerhaken in diese reaktionäre Geschichte schlagen und die von liberalen Geistern dankbar aufgegriffen werden. Immerhin eröffnen sie die Möglichkeit einer anderen Perspektive.
So wird Kyle von seinem christlichen Vater streng erzogen. Für ihn gibt es nur drei Sorten von Menschen: Schafe, Wölfe und Hirtenhunde. Die ersten beiden Gruppen verachtet der Vater. Sein Sohn soll mal ein Hirtenhund werden. Er soll seine Familie beschützen und deren Feinde schlagen. Dieses banale und niemals hinterfragte Bild wird dann zum Leitmotiv von Kyles Leben. Er glaubt an Gott, sein Land und seine Familie und bringt alle Bedrohungen für diese einfachen Werte um. Vor allem die Iraker, die für ihn keine Menschen sind. Es werden auch die psychischen Folgen der Kampfeinsätze gezeigt. So ist Kyle, wenn er von einem Einsatz zurückkehrt, mental noch im Kriegsgebiet. Beeindruckend in ihrer Eastwood-typischen Schlichtheit ist, zum Beispiel, diese Szene: Kyle sitzt im Wohnzimmer und starrt auf den Fernseher, in dem gerade ein Action-Film läuft, während seine Frau das Zimmer betritt. Die Kamera bewegt sich durch den Raum hinter Kyle und wir sehen den Fernseher. Er ist schwarz.
Eastwood zeigt auch die physischen Folgen des Irak-Kriegs. Denn viele Veteranen haben nicht nur seelische Probleme, sondern sind Krüppel mit künstlichen Gelenken oder sitzen im Rollstuhl.
Das sind kurze Szenen, die eine andere Lesart ermöglichen. Aber insgesamt erzählt „American Sniper“ die Geschichte ausschließlich aus der Perspektive von Chris Kyle, einem Hurra-Patrioten, der immer das Richtige tut. Dessen einfache Weltsicht legt sich über das gesamte Epos, das vor allem von seinen Einsätzen im Irak erzählt. Sein Leben vor dem Militär, seine Ausbildung und seine Auszeiten bei seiner Familie werden knapp abgehandelt. Sein Leben nach dem letzten Irak-Einsatz ebenso und sein Tod mit einer Texttafel. Kyle wurde am 2. Februar 2013 von dem jüngeren Kriegsveteranen Eddie Ray Routh während eines Schießtrainings, das gegen dessen postraumatische Belastungsstörung helfen sollte, erschossen. Anfang der Woche wurde Routh zu einer lebenslänglichen Haft verurteilt.
Das alles wird von Eastwood gewohnt effizient erzählt. Die Kriegsszenen sind mitreisend und bei der Action verliert man nie den Überblick. Insofern ist „American Sniper“ mit einem gewohnt beeindruckenden Bradley Cooper als Chris Kyle ein gelungener Kriegsfilm.
Es ist aber auch ein Kriegsfilm, der erzählerisch nichts zeigt, was nicht von Kathryn Bigelow in „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ über eine Gruppe von Bombenentschärfern besser und auch pessimistischer gezeigt wurde. Denn „American Sniper“ verklärt einen kaltblütigen Massenmörder zu einem Helden, der keine Reue über seine Taten verspürt und der auch keinerlei Gewissensbisse hat. Für ihn sind die Iraker, gemäß seiner Erziehung, Wölfe, die seine Familie bedrohen. Und Wölfe, die Schafe töten wollen, tötet man halt. Jedenfalls wenn man die Möglichkeit dazu hat.
Außerdem wird konsequent der historische Hintergrund ausgeblendet. Denn der Irakkrieg war „eine völkerrechtswidrige Invasion des Iraks durch die Streitkräfte der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs, unterstützt von einer ‚Koalition der Willigen‘.“ (Wikipedia). In „American Sniper“ ist der Krieg gerechtfertigt. Die Motive der Bush-Regierung und der Vorgesetzten werden nie hinterfragt. Dabei hat es schon vor dem Krieg zahllose Diskussionen über die Motive gegeben und danach stellten sich die Kriegsgründe als falsch heraus.
Nur einmal, wenn Kyle im Fernsehen Bilder von den Bombenanschlägen 1998 auf die Botschaften in Tansania und Kenia sieht und sich danach als guter Hütehund beim Militär verpflichtet, wird der „war on terror“, bevor er losging, angesprochen. Dabei sind die Terroristen schon in diesem Moment das moderne Äquivalent zu den Indianern im alten Hollywood-Western oder zu den Deutschen und Japanern im Weltkrieg-II-Propagandakriegsfilm. Gesichtsloses Schlachtvieh. Das ultimative Böse, dessen Vernichtung moralisch gerechtfertigt ist. In „American Sniper“ auch aus dem Hinterhalt.
Und so verschwinden dann die wenigen Ambivalenzen und Widerhaken, die eine andere Lesart ermöglichen, im großen Bild, das eben diese Punkte zugunsten eines Porträts eines Kriegshelden, dessen Handeln und dessen Mythos niemals hinterfragt wird, vernachlässigt.
Eben diese Eindeutigkeiten – die bösen Iraker, die guten Amerikaner, der moralisch integere Kriegsheld aus Texas – dürften dann auch zum Erfolg des konservativen Films beigetragen haben.
„American Sniper“ ist vielleicht Clint Eastwoods erfolgreichster Film, aber es nicht sein bester Film.

American Sniper - Plakat

American Sniper (American Sniper, USA 2014)
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Jason Hall
LV: Chris Kyle (zusammen mit Scott McEwen und Jim DeFelice): American Sniper, 2012 (Sniper: 160 tödliche Treffer – Der beste Scharfschütze des US-Militärs packt aus)
mit Bradley Cooper, Sienna Miller, Cole Konis, Ben Reed, Elise Robertson, Keir O’Donnell, Luke Grimes, Eric Close, Sammy Sheik
Länge: 132 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „American Sniper“
Moviepilot über „American Sniper“
Metacritic über „American Sniper“
Rotten Tomatoes über „American Sniper“
Wikipedia über „American Sniper“ (deutsch, englisch)
History vs. Hollywood über „American Sniper“

Meine Besprechung von Pierre-Henri Verlhacs (Herausgeber) „Clint Eastwood – Bilder eines Lebens“ (2008)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Hereafter – Das Leben danach“ (Hereafter, USA 2010)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods “Jersey Boys” (Jersey Boys, USA 2014)

Clint Eastwood in der Kriminalakte

DP/30-Interview mit Bradley Cooper über „American Sniper“

Und ein kurzes mit Clint Eastwood