Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück(Deutschland/Luxemburg/Frankreich 2015)
Regie: Florian Gallenberger
Drehbuch: Torsten Wenzel, Florian Gallenberger
Chile, 1973: Als ihr Freund während des Militärputschs verschwindet, macht Lena sich auf die Suche nach ihm. Sie glaubt, dass er in der Colonia Dignidad festgehalten wird. Als unlängst zum Christentum Bekehrte schleust sie sich in die von dem Deutschen Paul Schäfer geleitete, abgeschottet im Süden Chiles residierende Sekte ein. Dort entdeckt sie ein Terrorregime, das eine äußerst genaue Beschreibung des Lebens in der Colonia Dignidad ist. Sie wurde 1961 von dem ehemaligen evangelischen Jugendpfleger, Laienprediger und Pädophilen Paul Schäfer gegründet. In ihr sollte ein urchristliches Leben geführt werden. Seine Jünger, alles Deutsche, verehrten ihn.
Insgesamt sehenswerter Polit-Thriller, der zum Kinostart mit einer erfundenen Geschichte (Lena und ihr Freund Daniel sind erfundene Charaktere) ein unrühmliches Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte wieder ins öffentliche Bewusstsein zurückholte: die Colonia Dignidad, ihre Unterstützung durch die deutsche Politik (vor allem durch CSU-Politiker) und ihre Beziehungen zum chilenischen Pinochet-Folterregime.
1877 ist Elisabeth, die Kaiserin von Österreich-Ungarn, auch bekannt als Sissi (Vicky Krieps), vierzig Jahre und damit nach damaliger Definiton eine alte Frau. Verzweifelt versucht sie ihr Gewicht zu halten. Sie lässt sich jeden Tag in eine enge Corsage pressen. Bei öffentliche Auftritten tritt sie verhüllt auf. Niemand soll die Spuren des Alters in ihrem Gesicht sehen. Von den kaiserlichen Pflichten ist sie gelangweilt und auch angeekelt. Manchmal erscheint sie deshalb überhaupt nicht zu den offiziellen Anlässen. Andere Auftritte beendet sie mit einer Ohnmacht, die mal echt, mal gespielt ist. Außerdem kann, dank der Gesichtsverhüllung, auch eine Doppelgängerin ihre Repräsentationsaufgaben erfüllen.
Die Ehe mit ihrem Mann Kaiser Franz Joseph (Florian Teichtmeister) existiert nur noch auf dem Papier. In der Hofburg leben sie in getrennten Flügeln, beschützt und ständig umgeben von ihrem Personal. Sie sehen sich kaum. Und von der Liebe, die sie vielleicht einmal füreinander empfunden haben, ist nichts mehr spürbar. Versuche von ihr, Franz Joseph bei politischen Entscheidungen zu beraten scheitern kläglich.
Viel Zeit investiert sie in ein rigoroses Schönheits- und Fitnessprogramm. Und, weil ihre Pflichten am Hof vernachlässigbar sind, reist sie viel zu anderen, teils mit ihr verwandten Königs- und Fürstenhäusern.
In ihrem Drama „Corsage“ verfolgt Marie Kreutzer („Der Boden unter den Füßen“, „Was hat uns bloß so ruiniert“) die rastlose Kaiserin über mehrere Monate. Sie zeichnet das Bild einer Frau, die mit der Rolle, die sie für die Öffentlichkeit spielen soll, fremdelt. Und einen Ausweg daraus sucht.
Dabei geht Kreutzer mit den historischen Fakten ähnlich unbekümmert um wie Ernst Marischka in seinen drei „Sissi“-Filmen mit Romy Schneider, die damals Kinohits waren und heute immer noch mindestens einmal im Jahr im TV gezeigt werden.
Kreutzer erfindet und fantasiert in ihrer Interpretation der historischen Figur allerdings nicht nur über das Leben und Sterben der Kaiserin von Österreich-Ungarn. Sie umgibt die Kaiserin auch, teils mehr, teils weniger offensichtlich, mit Dingen, die es damals noch nicht gab, wie einem Traktor, einem modernem Schiff, ein bei einer Abendgesellschaft präsentiertes Lied, das erst Jahrzehnte später geschrieben wurde, Filmkameras und Heroin, das ihr Arzt ihr als vollkommen harmloses Medikament verschreibt und sie zur Drogensüchtigen macht. Blöderweise wurde Heroin erst Ende des 19. Jahrhunderts von Bayer entwickelt, patentiert und ab 1900 verkauft. „Corsage“ endet über zwanzig Jahre früher.
All diese bewusst eingestreuten Irritationen, die auf eine äußerst plumpe, in ihrer Häufung die Intelligenz des Zuschauers beleidigenden Art, die Aktualität der Geschichte betonen sollen, weisen „Corsage“ als eine weitere Fantasie über Sissi (oder historisch korrekt Sisi) aus. Dieses Mal wird sie, quasi als Gegententwurf zur Marischka-Kitsch-Version, als eine widersprüchliche Frau gezeigt, die nicht die ihr zugewiesene öffentliche Rolle ausfüllen möchte und sich emanzipieren möchte. Am Ende, das kann verraten werden, gelingt ihr das auf eine diskussionswürdige Weise, die gleichzeitig reine Fantasie ist.
Wie in einigen anderen neueren Filmen, – Bruno Dumonts misslungene Mediensatire „France“ und Pablo Larraíns grandioses Lady-Diana-Biopic/Horrorfilm „Spencer“ können hier genannt werden -, geht es in „Corsage“ vor allem um das Gefühl der Fremdheit im eigenen Körper und im eigenen Leben. Aber gegen Larrains „Spencer“ ist „Corsage“ noch nicht einmal ein laues Lüftchen. Denn Kreutzer sagt schon in den ersten Minuten alles über Elisabeth und ihre Probleme. In den folgenden gut zwei Stunden bewegt sie sich, viele Freiheiten genießend, dann nur noch rastlos von einem Ort zu einem anderen Ort.
mit Vicky Krieps, Florian Teichtmeister, Katharina Lorenz, Jeanne Werner, Alma Hasun, Manuel Rubey, Finnegan Oldfield, Aaron Friesz, Rosa Hajjaj, Lilly Marie Tschörtner, Colin Morgan
Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück(Deutschland/Luxemburg/Frankreich 2015)
Regie: Florian Gallenberger
Drehbuch: Torsten Wenzel, Florian Gallenberger
Chile, 1973: Als ihr Freund während des Militärputschs verschwindet, macht Lena sich auf die Suche nach ihm. Sie glaubt, dass er in der Colonia Dignidad festgehalten wird. Als unlängst zum Christentum Bekehrte schleust sie sich in die von dem Deutschen Paul Schäfer geleitete, abgeschottet im Süden Chiles residierende Sekte ein. Dort entdeckt sie ein Terrorregime, das eine äußerst genaue Beschreibung des Lebens in der Colonia Dignidad ist. Sie wurde 1961 von dem ehemaligen evangelischen Jugendpfleger, Laienprediger und Pädophilen Paul Schäfer gegründet. In ihr sollte ein urchristliches Leben geführt werden. Seine Jünger, alles Deutsche, verehrten ihn.
Insgesamt sehenswerter Polit-Thriller, der zum Kinostart mit einer erfundenen Geschichte (Lena und ihr Freund Daniel sind erfundene Charaktere) ein unrühmliches Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte wieder ins öffentliche Bewusstsein zurückholte: die Colonia Dignidad, ihre Unterstützung durch die deutsche Politik (vor allem CSUler) und ihre Beziehungen zum chilenischen Pinochet-Folterregime.
Chile, 11. September 1973: General Augusto Pinochet putscht sich gegen den demokratisch gewählten, sozialistischen Präsident Salvador Allende an die Macht und errichtet eine Militärdiktatur, die erst 1990 endet. Der junge, deutsche, linksgerichtete Fotograf und Politkünstler Daniel (Daniel Brühl) wird verhaftet. Er verschwindet, wie unzählige andere Menschen, spurlos. Seine Freundin, die unpolitische Stewardess Lena (Emma Watson), will ihn finden. Er soll in der Colonia Dignidad, einer von dem deutschen Paul Schäfer (Michael Nyqvist) geleiteten, abgeschottet im Süden Chiles residierenden Sekte, sein. Lena schleust sich als unlängst zum Christentum Bekehrte ein und was sie dort entdeckt, ist eine äußerst genaue Beschreibung des Lebens in der Colonia Dignidad, die 1961 von dem ehemaligen evangelischen Jugendpfleger, Laienprediger und Pädophilen Paul Schäfer gegründet wurde und in der ein urchristliches Leben geführt werden sollte. Seine Jünger, alles Deutsche, verehrten ihn. Seine guten Verbindungen zur Pinochet-Diktatur und zu wichtigen CDU- und vor allem CSU-Mitgliedern schützen ihn und die weitgehend autark lebende ‚Kolonie der Würde‘ vor staatlichen Eingriffen. Gleichzeitig wurde sie zu einem Foltergefängnis, in dem Regimekritiker illegal gefangen gehalten und ermordet wurden. Schon seit den siebziger Jahren gab es zahlreiche Berichte und Bücher über die Sekte, ihre Verflechtungen mit dem Staat und ihrer absolut unchristlichen Umtriebe. Am 24. Mai 2006 wurde der am 24. April 2010 verstorbene Paul Schäfer wegen Kindesmissbrauchs in 25 Fällen zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Heute nennt sich die Colonia Dignidad „Villa Baviera“ (Dorf Bayern – kein Kommentar) und sie ist fast vollständig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden.
Das kann sich durch Florian Gallenbergers Film ändern, der zwar den Pfaden des Polit-Thrillers folgt, über die Sekte und die Pinochet-Diktatur aufklärt und auch die damalige revolutionäre Zeit wieder ins Bewusstsein ruft, aber die faschistische Seite der Colonia Dignidad, die Verbindungen der Sekte nach Deutschland, ihre Menschenversuche und auch ihre Giftgas- und Waffengeschäfte weitgehend ignoriert. Das wäre zwar ein anderer Film, aber so ist „Colonia Dignidad“ vor allem ein Einblick in eine etwas skurrile Sekte, die schon damals in der Vergangenheit lebt und einen Führerkult pflegt, der es dem Führer ermöglicht, Herr über Leben und Tod zu sein. Das ist in seiner Beschreibung eines totalitären Systems, das seine Absichten mit hehren Absichten kaum verhüllt, auch gelungen.
Allerdings bleibt man als Zuschauer immer auf der sicheren Seite. Sympathien und Antipathien sind in Gallenbergers Film eindeutig verteilt. Die beiden Protagonisten Lena und Daniel geraten daher nie auch nur ansatzweise in Versuchung ein Mitglied der Sekte zu werden. Denn die Sekte und ihr Anführer wirken von der ersten Sekunde an so abstoßend, dass niemand dort freiwillig Mitglied werden möchte. Entsprechend rätselhaft ist, weil der historische Hintergrund letztendlich mit bekannten Bildern operierendes Zeitkolorit bleibt, dann auch warum jemals irgendjemand dort Mitglied werden möchte und was die Mitglieder so an ihrem Oberhaupt, das sie eiskalt manipulierte, faszinierte. Immerhin verließen die Sektengründer und die ersten Gemeindemitglieder 1961 Deutschland, weil sie eine kommunistische Invasion befürchteten und der Hitler-Faschismus war in Deutschland noch nicht einmal im Ansatz verarbeitet.
Weniger gelungen ist im Rahmen der einfachen Gut-Böse-Zuschreibung und der historisch verbürgten Beschreibung des Sektenlebens, dann die Filmgeschichte. Also Lenas Versuche ihren Freund Daniel zu befreien und auch Daniels Versuche, aus der Sekte zu fliehen. Beide Erzählstränge plätschern eher so vor sich hin. Anstatt aktiv nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen (wie die Gefangenen in „Gesprengte Ketten“, die schon beim Betreten des Lagers versuchen, aus ihm zu flüchten), warten sie geduldig ab, ob sich gerade eine günstige Gelegenheit ergibt. Damit wird der Konflikt zwischen Freiheit und Unfreiheit weit unter seinen erzählerischen Möglichkeiten verkauft.