ARD, 22.45 Citizenfour (Citizenfour, USA/Deutschland 2014)
Regie: Laura Poitras
Drehbuch: Laura Poitras
TV-Premiere der äußerst sehenswerten, mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnete Dokumentation über „Citezenfour“ Edward Snowden. Laura Poitras filmte in einem Hotelzimmer in Hongkong die ersten Gespräche zwischen NSA-Mitarbeiter Snowden und Glenn Grennwald. Sie dokumentierte den vielleicht wichtigsten Zeitpunkt für unser gewandeltes Verhältnis zur globalen Überwachung durch die Geheimdienste. Und allein schon das macht „Citizenfour“ sehenswert. Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.
Wer die Uhrzeit für eine Frechheit hält, sollte am Freitag den Sender „Tagesschau 24“ suchen. Dort läuft die Doku bereits um 21.02 Uhr.
mit Edward Snowden, Glenn Greenwald, Laura Poitras, William Binney, Jacob Appelbaum, Ewen MacAskill, Jeremy Scahill Wiederholung: Freitag, 27. November, Tagesschau 24, 21.02 Uhr
Seit dem Kinostart im November 2014 erhielt Laura Poitras Dokumentarfilm „Citizenfour“ wichtige Preise, wie den Oscar, BAFTA.- DGA- und Independent Spirit Award als bester Dokumentarfilm. Um nur einige der verdienten Auszeichnungen für diesen wichtigen Film zu nennen, der jetzt mit einer guten Stunde Bonusmaterial als DVD und Blu-ray erschienen ist. Doch dazu später mehr. Zum Kinostart schrieb ich (aber bereinigt um ein überflüssiges „aber“):
Wenn ich „Citizenfour“, die Dokumentation von Laura Poitras über Edward Snowden, politisch beurteile, kann ich sie nicht genug loben. Poitras hat in den vergangenen Jahren die bei uns unbekannte Dokumentationen „My Country, my Country“ und „The Oath“ über den US-amerikanischen „war on terror“ gedreht, der auch ein höchst erfolgreicher Vernichtungsfeldzug gegen Bürgerrechte war. Eigentlich war er in diesem Bereich erfolgreicher als im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Auch wenn Osama Bin Laden tot ist, viele seiner engsten Verbündeten ebenfalls tot oder inhaftiert sind und Al Kaida als terroristische Bedrohung wohl keine große Rolle mehr spielt. Dafür gibt es zahlreiche Nachfolger. Zur gleichen Zeit bekamen die Sicherheitsbehörden neue Befugnisse und die NSA begann die gesamte elektronische Kommunikation zu überwachen und zu speichern. Edward Snowden, ein NSA-Mitarbeiter, wollte, dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Er nahm als „Citizenfour“ Kontakt zu einigen Journalisten auf, die er aufgrund ihrer Arbeit für vertrauenswürdig erachtete. Laura Poitras gehörte dazu. Glenn Greenwald, ein Jurist und „The Guardian“-Kolumnist, ebenso. Am 3. Juni 2013 trafen Poitras und Greenwald zum ersten Mal Edward Snowden. In einem Hotelzimmer in Hongkong erzählte Snowden ihnen an acht Tagen, was er wusste und erklärte Dateien, die er kopiert hatte. Unmittelbar danach veröffentlichte Poitras ein kurzes Interview mit Snowden. Jetzt legt sie mit der Dokumentation „Citizenfour“, die sich um diese Tage in Hongkong im Juni 2013 dreht, nach. Greenwald veröffentlichte noch in Hongkong die erste Geschichte, die auf dem Material von Edward Snowden basierte. Die Identität von Snowden wurde, vor allem auf seinen Wunsch, enthüllt. Anschließend wollte er in einem sicheren Land in Südamerika untertauchen. Er wollte, dass die Enthüllungen und nicht seine Person im Mittelpunkt der Debatte stehen. Weil die US-amerikanische Regierung seinen Pass für ungültig erklärte, strandete er auf dem Moskauer Flugplatz. Seit dem 12. Juli 2013 hat er in Russland Asyl. In ihrem Dokumentarfilm erzählt Poitras diese Geschichte, die mit der Information endet, dass es einen zweiten Whistleblower im Geheimdienst gibt. Im Zentrum des Films steht dabei die Tage in dem Hotelzimmer, die Poitras (die sich als Regisseurin vollkommen zurückhält), Greenwald und sein „The Guardian“-Kollege Ewen MacAskill mit Snowden verbrachten. Es zeigt auch einen Wendepunkt in unserem Wissen über die Überwachung und die Verletzung der Grundrechte durch westliche Geheimdienste. Optisch ist das allerdings nicht besonders aufregend. Wir sehen drei Männer und eine Frau, die sich in einem Hotelzimmer miteinander unterhalten. Die Informationen über die Überwachungsapparate der NSA, des britischen Geheimdienstes GCHQ und ihrer Verbündeten sind inzwischen bekannt, auch wenn man einiges, wie dass die gesamte Kommunikation für Drohneneinsätze über Ramstein läuft, fast schon wieder vergessen hat. Angereichert wird diese lange Woche im Hotelzimmer durch einige Interviews, Befragungen und Vorträge von Geheimdienstkritikern und Bürgerrechtlern, wie Jacob Appelbaum und William Binney, der im Oktober 2001 die NSA verließ, weil er Bedenken gegen die Ausspionierung von US-Bürgern hatte. Das ist alles sehr konventionell gefilmt und auch nicht besonders informativ. Jedenfalls als aufklärerische Dokumentation über gesellschaftliche und politische Strukturen. „Citizenfour“ ist weit entfernt von der analytischen Schärfe und intellektuellen Tiefe einer Dokumentation von Alex Gibney (Taxi to the dark side, We steal secrets) oder Adam Curtis (The power of nightmares, The trap). Laura Poitras konzentriert sich auf Snowden, der hier als Mensch fassbar wird. Sie zeigt ihn in den letzten Tagen seines Lebens als Jedermann, der ruhig erklärt, warum er die Geheimnisse der NSA veröffentlichen will. In diesen Momenten wird für Menschen, die nur die Schlagzeilen lesen, einiges in die richtige Perspektive gerückt.
Inzwischen ist „Citizenfour“ ein historisches Dokument, in dem ein wichtiger Moment für die Geschichte dokumentiert wird. Ein Einzelner versucht, die Geschichte zu ändern. Aus heutiger Perspektive sogar überraschend erfolgreich. Denn seitdem diskutieren wir über die globale Überwachung und alles, was in der Prä-Snowden-Zeit eine mehr oder weniger gut begründete Vermutung war, ist jetzt gesichertes, unumstrittenes und allgemein bekanntes Wissen. Und täglich werden neue Fakten, die davor noch von den Regierungen geleugnet wurden, bekannt.
Der Film wird um eine Stunde informatives Bonusmaterial ergänzt. Es gibt drei geschnittene Szenen. In den ersten beiden Szenen (insgesamt zehn Minuten) erzählt Edward Snowden, wie die CIA einen Angestellten einer Schweizer Privatbank anwirbt und er gibt einen weiteren Einblick in sein Denken. Das sind zwei interessante Szenen, die allerdings nicht in den Film gepasst hätten. Die dritte Szene, in der Glenn Greenwald drei Wochen nach dem Interview mit Snowden, in seiner Wohnung in Rio de Janeiro, am Computer arbeitet, ist dagegen ziemlich überflüssig und wirkt auch, abgesehen von den entspannt herumlungernden Hunden, gestellt.
Das knapp halbstündige Publikumsgespräch auf dem New York Film Festival (NYFF), nach der Weltpremiere des Films am 10. Oktober 2014, mit Laura Poitras ist informativ und untertitelt. Eine nicht untertitelte Fassung habe ich zum Kinostart verlinkt.
Und es gibt ein achtzehnminütiges Gespräch mit den in Berlin ansässigen Produzenten Mathilde Bonnefoy (die auch für den Schnitt verantwortlich ist) und Dirk Wilutzky, die weitere Hintergründe über die Entstehung des Films verraten.
Wenn ich „Citizenfour“, die Dokumentation von Laura Poitras über Edward Snowden, politisch beurteile, kann ich sie nicht genug loben. Poitras hat in den vergangenen Jahren die bei uns unbekannte Dokumentationen „My Country, my Country“ und „The Oath“ über den US-amerikanischen „war on terror“ gedreht, der auch ein höchst erfolgreicher Vernichtungsfeldzug gegen Bürgerrechte war. Eigentlich war er in diesem Bereich erfolgreicher als im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Auch wenn Osama Bin Laden tot ist, viele seiner engsten Verbündeten ebenfalls tot oder inhaftiert sind und Al Kaida als terroristische Bedrohung wohl keine große Rolle mehr spielt. Dafür gibt es zahlreiche Nachfolger.
Zur gleichen Zeit bekamen die Sicherheitsbehörden neue Befugnisse und die NSA begann die gesamte elektronische Kommunikation zu überwachen und zu speichern.
Edward Snowden, ein NSA-Mitarbeiter, wollte, dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Er nahm als „Citizenfour“ Kontakt zu einigen Journalisten auf, die er aufgrund ihrer Arbeit für vertrauenswürdig erachtete. Laura Poitras gehörte dazu. Glenn Greenwald, ein Jurist und „The Guardian“-Kolumnist, ebenso.
Am 3. Juni 2013 trafen Poitras und Greenwald zum ersten Mal Edward Snowden. In einem Hotelzimmer in Hongkong erzählte Snowden ihnen an acht Tagen, was er wusste und erklärte Dateien, die er kopiert hatte. Unmittelbar danach veröffentlichte Poitras ein kurzes Interview mit Snowden. Jetzt legt sie mit der Dokumentation „Citizenfour“, die sich um diese Tage in Hongkong im Juni 2013 dreht, nach.
Greenwald veröffentlichte noch in Hongkong die erste Geschichte, die auf dem Material von Edward Snowden basierte. Die Identität von Snowden wurde, vor allem auf seinen Wunsch, enthüllt. Anschließend wollte er in einem sicheren Land in Südamerika untertauchen. Er wollte, dass die Enthüllungen und nicht seine Person im Mittelpunkt der Debatte stehen. Weil die US-amerikanische Regierung seinen Pass für ungültig erklärte, strandete er auf dem Moskauer Flugplatz. Seit dem 12. Juli 2013 hat er in Russland Asyl.
In ihrem Dokumentarfilm erzählt Poitras diese Geschichte, die mit der Information endet, dass es einen zweiten Whistleblower im Geheimdienst gibt. Im Zentrum des Films steht dabei die Tage in dem Hotelzimmer, die Poitras (die sich als Regisseurin vollkommen zurückhält), Greenwald und sein „The Guardian“-Kollege Ewen MacAskill mit Snowden verbrachten. Es zeigt auch einen Wendepunkt in unserem Wissen über die Überwachung und die Verletzung der Grundrechte durch westliche Geheimdienste. Optisch ist das allerdings nicht besonders aufregend. Wir sehen drei Männer und eine Frau, die sich in einem Hotelzimmer miteinander unterhalten. Die Informationen über die Überwachungsapparate der NSA, des britischen Geheimdienstes GCHQ und ihrer Verbündeten sind inzwischen bekannt, auch wenn man einiges, wie dass die gesamte Kommunikation für Drohneneinsätze über Ramstein läuft, fast schon wieder vergessen hat.
Angereichert wird diese lange Woche im Hotelzimmer durch einige Interviews, Befragungen und Vorträge von Geheimdienstkritikern und Bürgerrechtlern, wie Jacob Appelbaum und William Binney, der im Oktober 2001 die NSA verließ, weil er Bedenken gegen die Ausspionierung von US-Bürgern hatte.
Das ist alles sehr konventionell gefilmt und auch nicht besonders informativ. Jedenfalls als aufklärerische Dokumentation über gesellschaftliche und politische Strukturen. „Citizenfour“ ist aber weit entfernt von der analytischen Schärfe und intellektuellen Tiefe einer Dokumentation von Alex Gibney (Taxi to the dark side, We steal secrets) oder Adam Curtis (The power of nightmares, The trap). Laura Poitras konzentriert sich auf Snowden, der hier als Mensch fassbar wird. Sie zeigt ihn in den letzten Tagen seines Lebens als Jedermann, der ruhig erklärt, warum er die Geheimnisse der NSA veröffentlichen will. In diesen Momenten wird für Menschen, die nur die Schlagzeilen lesen, einiges in die richtige Perspektive gerückt.
Natürlich kann man in einem neunzigminütigem Film nicht alles zeigen, was in einem über siebenhundertseitigem Buch steht; – obwohl bei einer Romanverfilmung durch kluge Raffungen eigentlich alles übernommen werden kann. Bei einem Sachbuch ist das unmöglich. Deshalb erzählt der US-Journalist Jeremy Scahill in dem Film „Schmutzige Kriege – Dirty Wars“ eine andere Geschichte als in seinem Sachbuch „Schmutzige Kriege – Amerikas geheime Kommandoaktionen“. Das Sachbuch folgt chronologisch dem Weg Amerikas nach 9/11 in eine neue Form des Krieges.
Im Film zeichnet Scahill dagegen, mit ihm immer wieder prominent im Bild, seine Recherche zu dem Buch nach: also wie er 2010 in Afghanistan erstmals von den geheimen Einsätzen des Joint Special Operations Command (JSOC) hörte. Das JSOC ist eine kleine, dem US-Präsidenten unterstehende Spezialeinheit, die vor 9/11 ziemlich unwichtig war und auch danach offiziell eigentlich nichts tat. Dennoch war sie in einen Anschlag in der afghanischen Stadt Gardez im Februar 2010, bei dem unter anderem zwei schwangere Frauen und ein Polizeikommandant getötet wurden, verwickelt.
Bei seinen Recherchen stieß Scahill schnell auf viele weitere Einsätze der JSOC in vielen Ländern, die vor der Öffentlichkeit verborgen wurden. Erst mit der Tötung von Osama Bin Laden wurde das JSOC einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
In der Dokumentation „Schmutzige Kriege – Dirty Wars“ werfen Jeremy Scahill und Regisseur Richard Rowley einen bedrückenden Blick auf Amerikas Krieg gegen seine Grundprinzipien. Und genau in diesem Aufzeigen der Dynamik, mit der der „war on terror“ zu einem sich selbst erhaltendem Krieg ohne Ende wurde, liegt der Verdienst dieser Dokumentation, die Richard Rowley in einer gewöhnungsbedürftigen Farbpalette und einer eher störenden Video-Kamera-Optik, für die es beim Sundance-Festival einen Preis gab, inszenierte.
Jeremy Scahill und Richard Rowley zeigen den Weg und auch die Strukturen auf, die dazu führten, dass Barack Obama den Krieg gegen den Terrorismus nicht beendete, sondern mit größerer Intensität als sein Vorgänger George Bush jr. fortführt. Unter Obama wurden gezielte Tötungen, auch mit Drohnen, zu einem wichtigen Teil der US-amerikanischen Außenpolitik. In der Logik dieses Krieges liegt, dass die Liste der Menschen, die ohne irgendeine Gerichtsverhandlung zum Abschuss freigegeben werden, ständig wächst, dass auch Menschen, die vielleicht irgendwann einmal Terroristen werden könnten (wie den sechzehnjährigen US-Bürger und Predigersohn Abdulrahman Awlaki, der zwei Wochen nach seinem Vater bei einem Drohnenangriff mit seinen Freunden und Cousins im Jemen getötet wurde) und Unschuldige, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, ermordet werden.
Der für den Oscar in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ nominierte Film bleibt aufgrund seiner Machart, nämlich dem Verfolgen von Jeremy Scahill bei seinen Recherchen, notgedrungen etwas oberflächlich. Dennoch regt „Schmutzige Kriege – Dirty Wars“ zum Nachdenken an und weckt die Lust auf Scahills Buch.
Schmutzige Kriege – Dirty Wars (Dirty Wars, USA 2013)
Regie: Richard Rowley
Drehbuch: David Riker, Jeremy Scahill
mit Jeremy Scahill, Nasser Al Aulaqi, Saleha Al Aulaqi, Muqbal Al Kazemi
–
DVD
Koch Media
Bild: 1.85:1 (16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: –
Länge: 83 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
–
Das Buch zum Film
Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege – Amerikas geheime Kommandoaktionen
(übersetzt von Maria Zybak, Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher und Bernhard Jendricke, Kollektiv Druck-Reif)
In seinem neuen Buch „Schmutzige Kriege – Amerikas geheime Kommandoaktionen“ erzählt Jeremy Scahill (zuletzt „Blackwater“ über die Söldnerfirma) wie nach 9/11 gezielte Tötungen zu einem zentralen Bestandteil der US-amerikanischen Sicherheitspolitik wurden und in welcher Tradition diese Politik steht.
„Dieses Buch erzählt von der Ausweitung der verdeckten Kriege der USA, dem Machtmissbrauch durch die Regierung und vom Einsatz militärischer Eliteeinheiten, die sich allein dem Weißen Haus gegenüber zu verantworten haben und niemandem sonst Rechenschaft schuldig sind. ‚Schmutzige Kriege‘ enthüllt zudem, wie sich von den früheren republikanischen Regierungen bis zur heutigen demokratischen Präsidentschaft eine Geisteshaltung fortsetzt, der zufolge ‚die Welt ein Schlachtfeld ist’“, sagt Scahill im Vorwort.
Dafür reiste der „The Nation“- und „Democracy Now!“-Journalist um die halbe Welt, führte viele Interviews, las Dokumente und schrieb ein über siebenhundertseitiges Werk, wobei er über hundert Seiten mit Anmerkungen füllte, die seine Arbeit belegen. Und man nach dem Vorwort unbedingt weiterlesen möchte. Denn gut geschrieben – so mein erster Eindruck – ist der Wälzer auch.
Das ist US-amerikanisches Reportage-Handwerk, wie wir es kennen und lieben – und das es in dieser Form in Deutschland nicht gibt.