Neu im Kino/Filmkritik: „Juror #2“ hat ein Problem – und es ist nicht Clint Eastwood

Januar 15, 2025

Stur wie ein Maultier macht Clint Eastwood einfach weiter. Schon seit Jahren stellt sich bei jedem neuen Eastwood-Film die Frage, ob es sein letzter Film ist. Und ein Jahr später läuft sein nächster Film im Kino. Nur Warner Bros, die Firma, mit der er seit Jahrzehnten zusammenarbeit und für die er ein Garant für gute Einnahmen ist, verhielt sich in den USA schäbig. Anstatt seinen neuesten Film „Juror #2“, wie gewohnt, regulär in die Kinos zu bringen, verbuddelte sie ihn in ihrem Streamingdienst Max und gab ihm einen Pseudo-Mini-Kinostart. So als ob die Namen „Clint Eastwood“ und „Nicholas Hoult“ nicht zugkräftig wären.

In Deutschland läuft der Gerichtsfilm, wie auch in anderen Ländern, regulär im Kino.

Juror # 2“ ist Eastwoods 42. Film als Regisseur und es ist wieder ein gelungener Film. Es ist ein im positiven Sinn altmodischer Film, bei dem die Schauspieler und die Story im Mittelpunkt stehen. Die Bilder sind unauffällig und präzise komponiert. Auch wenn ein großer Teil des Films im Gericht spielt, gelingten Eastwood und seinem Kameramann Yves Bélanger (u. a. die Eastwood-Filme „The Mule“ und „Der Fall Richard Jewell“) Bilder, in denen man immer das gesamte Bild, also auch die Schauspieler, die gerade nichts sagen, im Auge behalten sollte. Den Schnitt übernahm, wie seit 1976 bei Eastwood-Filmen gewohnt, Joel Cox.

Die Story entwickelt sich von ihrer bestechend einfachen Prämisse auf weitgehend vertrauten Pfaden hin zu einem durchaus überraschendem Ende. Bis dahin stellt der Gerichtsfilm einige zum Nachdenken anregende Fragen. Die erste ist natürlich: Was würde ich tun?

Im Mittelpunkt der in der US-Provinz spielenden Geschichte steht der für ein regionales Lifestyle-Magazin schreibende Journalist Justin Kemp (Nicholas Hoult). Er ist ein trockener Alkoholiker, Mitglied bei den Anonymen Alkoholikern und glücklich verheiratet. Seine Frau ist schwanger. Gemeinsam freuen sie sich auf ihr gemeinsames Leben zu dritt. Er hat ein glückliches Leben verdient. Das Amt als Geschworener nimmt er an, weil es seine Pflicht als Bürger ist.

Als die Anklage den Geschworenen den Fall präsentiert, klappt ihm die Kinnlade runter. James Michael Sythe ist angeklagt, nach einem Streit in einer Bar seine Freundin ermordet zu haben. Sythe ist gewalttätig, cholerisch und vorbestraft. Ihm ist die Tat zuzutrauen und, nun, wenn er diese Tat nicht begangen hat, dann hat er bestimmt eine andere schlimme Tat begangen.

Kemp klappt die Kinnlade runter, weil er in der verregneten Oktobernacht ebenfalls in der Bar war und auf dem Heimweg über etwas fuhr. Er hielt an, sah nichts und fuhr nach Hause. Jetzt fragt er sich, ob er damals nicht ein Tier, das in den Wald weglief, sondern Kendall Carter überfuhr. Er fragt sich, was er tun soll, was er tun kann und ob er überhaupt etwas tun soll. Immerhin ist er nur einer der zwölf Geschworenen und es ist, so die Anklage, ein klarer Fall.

Der Kriminalfilm „Juror #2“ ist überaus gelungenes Schauspielerkino mit vielen bekannten und guten Schauspielern in teils kleinen, aber eindrücklichen Rollen. Neben Hoult spielen Toni Collette, J. K. Simmons, Kiefer Sutherland, Chris Messina und Zoey Deutch mit. Die von Jonathan Abrams geschriebene Geschichte entwickelt sich stringent und mit einigen überraschenden Wendungen bis zum letzten Bild.

Clint Eastwood braucht keine zwei Stunden, um diese Geschichte in all ihren Facetten zu erzählen. „Juror #2“ ist kein auf den ersten Blick erkennbares, alle Preise abräumendes Meisterwerk, aber es ist ein seiner Geschichte und den Schauspielern vertrauender Film, den man sich unbedingt im Kino ansehen sollte.

Nach dem etwas enttäuschenden und aus der Zeit gefallenen „Cry Macho“ wäre „Juror #2“, wenn es denn wirklich Eastwoods letzter Film ist, ein überaus würdiger Abschied.

Juror #2 (Juror #2, USA 2024)

Regie: Clint Eastwood

Drehbuch: Jonathan Abrams

mit Nicholas Hoult, Toni Collette, Zoey Deutch, Kiefer Sutherland, Gabriel Basso, Francesca Eastwood, Leslie Bibb, Chris Messina, J. K. Simmons, Amy Aquino

Länge: 114 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Juror #2“

Metacritic über „Juror #2“

Rotten Tomatoes über „Juror #2“

Wikipedia über „Juror #2“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Hereafter – Das Leben danach“ (Hereafter, USA 2010)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods “Jersey Boys” (Jersey Boys, USA 2014)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „American Sniper“ (American Sniper, USA 2014)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Sully“ (Sully, USA 2016)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „The Mule“ (The Mule, USA 2018)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Der Fall Richard Jewell“ (Richard Jewell, USA 2019)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Cry Macho“ (Cry Macho, USA 2021)

Meine Besprechung von Kai Blieseners „Clint Eastwood – Mann mit Eigenschaften“ (2020)

Clint Eastwood in der Kriminalakte