Neu im Kino/Filmkritik: „Wicked: Teil 2“, das Ende der Geschichte der Bösen Hexe des Westens

November 19, 2025

Wie „Kill Bill“ wurde „Wicked“ von Anfang an als Zweiteiler gedreht. Das ist die einzige Gemeinsamkeit zwischen Quentin Tarantinos Meisterwerk und Jon M. Chus Musical „Wicked“. Bei „Kill Bill“ war die Begründung, dass zu viel gutes Material für einen Film vorhanden sei. Bei „Wicked“ war es nur die von Anfang an abstruse Behauptung, dass das Musical zu lang für einen einzigen Spielfilm sei. Jetzt haben wir zwei Filme, die es auf insgesamt gut dreihundert Minuten bzw. fünf Stunden schaffen. Der erste Film erzahlt die Ereignisse des Musicals bis zur Pause. Der zweite Film die Ereignisse nach der Pause – und weil bei einem Theaterstück niemand erst in der Pause ins Theater kommt, gibt es auch keine Einführung in die Geschichte. Die Macher gehen davon aus, dass alle den ersten Teil gesehen haben.

Das erleichtert mir auch etwas die Arbeit. Ich kann auf meine Kritik zum ersten Teil verweisen und betonen, dass alles, was ich am ersten Teil furchtbar fand, auch auf den zweiten Teil zutrifft.

Inzwischen leben Elphaba (Cynthia Erivo) und Glinda (Ariana Grande) in Oz in verschiedenen Welten. Laut Drehbuch sind sie beste Freundinnen. Dass diese beiden gegensätzlichen, eindimensionalen Figuren – hier die auf ihre Aussehen bedachte Dumpfnudel, da die überschlaue, wegen ihrer Hautfarbe ausgestoßene Zauberin – beste Freundinnen sind, war schon im ersten Teil eine unglaubwürdige Drehbuchbehauptung. Im zweiten Teil ist diese Behauptung kein Jota glaubwürdiger und führt durchgehend zu absurden Verhaltensänderungen zwischen abgrundtiefem Hass und tiefster Freundschaft. Es ist, laut Drehbuch, eine dieser Freundschaften, die den Tod übersteht. Irgendwie.

Elphaba, inwischen geächtet als die Böse Hexe des Westens, lebt in einer riesigen Baumhöhle und versucht mit kindischen Aktionen, wie einem aufklärerischem Schriftzug in den Wolken, den Bewohnern von Oz zu sagen, dass der Zauberer von Oz ein Schwindler ist. Ihre Aktionen scheitern.

Glinda lebt in einem Palast in der Smaragdstadt. Sie posiert inzwischen als von allen verehrtes Symbol des Guten und steht kurz vor der Hochzeit mit dem gut aussehendem, tapferen und edlen Offizier Prinz Fiyero (Jonathan Bailey).

Während des Musicals gibt es etwas Kuddelmuddel mit Affen, die Flügel haben, Elphabas in einem Rollstuhl sitzende Schwester, undurchschaubaren Intrigen am Hof, in die irgendwie der über keinerlei Zauberkräfte verfügende Zauberer von Oz (Jeff Goldblum) und die über Zauberkräfte verfügende Madame Akaber (Michelle Yeoh) verwickelt sind. Die meisten dieser in ihrer Bedeutung für die Geschichte nicht nachvollziehbaren Aktionen füllen nur die Zeit bis zum Abspann. Irgendwann taucht Dorothy aus Kansas auf. Die Heldin von L. Frank Baums Kinderbuch „Der Zauberer von Oz“ und der gleichnamigen legendären Verfilmung von 1939 hat in „Wicked: Teil 2“ einen der schrägsten denkbaren Kurzauftritte. Er verrät nur, wann die Filmgeschichte spielt. Ansonsten sind Dorothy und ihre Begleiter, die immer nur teilweise im Bild sind, für die Geschichte von „Wicked: Teil 2“ egal.

Die Filmgeschichte, die auf Gregory Maguires revisionistischem und sich an eine erwachsene Leserschaft richtendem Roman „Wicked – Die Hexen von Oz“ und dem gleichnamigen, die Gesellschaftskritik des Romans weitgehend ignorierendem Broadway-Musical basiert, wird ziemlich schnell zu einer Abfolge unzusammenhängender Szenen, in denen Dinge passieren, während das Warum weitgehend nebulös bleibt. Die aus dem Musical bekannten Songs und die zwei neuen, von Stephen Schwartz geschriebenen Lieder „No Place Like Home“ und „The Girl in the Bubble“ sind nicht weiter erwähnenswert oder erinnerungswürdig. Das gilt auch für die beiden in diesem Zusammenhang mitreisenden Songs, die während der Pressevorführung von euphorischen Kennern des Bühnenstücks gleich mit Szenenapplaus bedacht wurden. Die Gesangsnummern, die in einem Musical gern der Auftakt für atemberaubende Massenszenen mit singenden und tanzenden Menschen sind, fügen sich in „Wicked: Teil 2“ nahtlos an die Gesangsnummern aus „Wicked“ an. Sie haben nichts von der Experimentierlust, die Jon M. Chu in seinem Musical „In the Heights“ zeigte. Auch in „Wicked: Teil 2“ orientiert er sich nicht daran, was heute möglich wäre, sondern was schon vor über achtzig Jahren in Musicals besser gemacht wurde.

Ansonsten wiederholt der insgesamt etwas dunklere, aber genauso CGI-lastige Film die Gesellschaftsvorstellungen und Bildmotive des ersten Films. Weil Chu beide Filme gleichzeitig drehte und sie zusammen eine Geschichte erzählen, war das zu erwarten. So bestätigen die Bilder wieder sattsam bekannte Stereotype, anstatt sie zu unterlaufen oder einer Neubetrachtung zu unterziehen.

Das gesagt, wird das Musical „Wicked: Teil 2“ sein Publikum finden. Der erste Teil spielte 750 Millionen US-Dollar Millionen ein. Die damaligen Zuschauer dürften zu einem großen Teil wieder besoffen vor Begeisterung ins Kino stürmen. Wem der erste Teil gefiel, wird auch der zweite Teil gefallen.

Wicked: Teil 2 (Wicked: For Good, USA 2025)

Regie: Jon M. Chu

Drehbuch: Winnie Holzman, Dana Fox

LV: Stephen Schwartz/Winnie Holzman: Wicked, 2003 (Musical); Gregory Maguire: Wicked – The Life and Times of the Wicked Witch of the West, 1995 (Wicked – Die Hexen von Oz)

mit Cynthia Erivo, Ariana Grande, Jonathan Bailey, Ethan Slater, Bowen Yang, Marissa Bode, Michelle Yeoh, Jeff Goldblum, Colman Domingo (Stimme, im Original), Peter Dinklage (Stimme, im Original)

Länge: 138 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Der Film läuft in verschiedenen Sprachfassungen im Kino.

Die Vorlage

Gregory Maguire: Wicked – Die Hexen von Oz

(übersetzt von Hans-Ulrich Möhring)

Hobbit Presse/Klett-Cotta 2024 (Filmausgabe)

544 Seiten

16 Euro

Deutsche Erstausgabe

Hobbit Presse/Klett-Cotta 2008

Originalausgabe

Wicked – The Life and Times of the Wicked Witch of the West

Regan Books, 1995

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Wicked: Teil 2“

Metacritic über „Wicked: Teil 2“

Rotten Tomatoes über „Wicked: Teil 2“

Wikipdia über „Wicked: Teil 2“ (Film deutsch, englisch; Musical deutsch, englisch; Roman deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „G.I. Joe 3D: Die Abrechnung“ (G.I. Joe: Retaliation, USA/Kanada 2013)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „Die Unfassbaren 2 – Now you see me“ (Now you see me 2, USA 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Jon M. Chus „In the Heights: Rhythm of New York“ (In the Heights, USA 2021)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „Wicked“ (Wicked, USA 2024)


Neu im Kino/Filmkritik: „Jurassic World: Die Wiedergeburt“ – welche Wiedergeburt?

Juli 2, 2025

Der Moment in dem sich meine Einstellung zu dem neuesten „Jurassic Park“-Film „Jurrassic World: Die Wiedergeburt“ von freudiger Erwartung – Drehbuch: David Koepp, Regie: Gareth Edwards, Hauptrolle: Scarlett Johansson – zu einer Mischung aus Entsetzen, gefolgt von massiver, bis zum Abspann anhaltender Enttäuschung änderte, ist schon in der ersten Minute des Films.

Siebzehn Jahre vor dem Beginn der eigentlichen Filmgeschichte betreibt InGen auf der Ile Saint-Hubert, 365 Kilometer vor der Nordostküste Südamerikas, ein hochgesichertes und geheimes Forschungslabor. Dort werden nicht nur Dinosaurier wieder zum Leben erweckt, sondern es wird auch mit Kreuzungen und Mutationen experimentiert. Einer der Mitarbeiter hat bereits seine Schutzausrüstung angelegt, die ihn wie einen Astronauten aussehen lässt. Vor der Luftschleuse stehend isst er noch schnell einen Schokoriegel, lässt die Verpackung achtlos auf den Boden des klinisch sauberen, absolut schattenfreien Raumes fallen, setzt seinen Helm auf und betritt den hochgesicherten Teil der Anlage. Die Verpackung schwebt durch den Raum, löst eine Kurzschluss aus – und die Dinos können einige Menschen töten.

In dem Moment, als er die Verpackung fallen lässt, verlor der Film bei mir jede Glaubwürdigkeit. Filme können wirklichkeitsfern sein. Menschen können durch Dummheit Katastrophen auslösen. Aber die Macher sollten sich etwas mehr Mühe beim Erfinden und Erzählen von solchen Unfällen geben. Das hier ist jede Glaubwürdigkeit über Gebühr strapazierende Schlampigkeit, die eine Scheißegal-Einstellung gegenüber dem Publikum hat.

Ab da wurde es nicht besser. In der Gegenwart und nach den Ereignissen der vorherigen „Jurassic Park“/“Jurassic World“-Filme, in denen Menschen immer wieder mit Dino-DNA herumspielen, Dino-Vergnügungsparks mit katastrophalen Folgen eröffnen und die Dinosaurier sich über der gesamten Welt ausbreiten, sind sie jetzt, fünf Jahre nach den Ereignissen des sechsten „Jurassic Park“-Films „Jurassic World: Ein neues Zeitalter“ (2022), fast alle gestorben. Das Klima bekam ihnen nicht. Nur in der Nähe des Äquators leben noch einige Dinosaurier.

Martin Krebs (Rupert Friend), Angestellter des Pharmakonzerns ParkerGenix, will aus Dino-DNA ein Heilmittel gegen Herzkrankheiten herstellen. Weil die Dinosaurier, deren DNA er für sein Projekt benötigt, nur auf der Ile Saint-Hubert leben, engagiert er Zora Bennett (Scarlett Johansson). Die Ex-Soldatin und ein kleines, von ihr zusammengestelltes Team sollen die DNA von drei verschiedenen Dinosauriern – einer lebt im Wasser, einer auf dem Land und einer in der Luft – beschaffen. Also machen sie sich auf den Weg zu der in einer verbotenen Zone liegenden Insel.

Zur gleichen Zeit segelt die Familie Delgado mit ihren beiden Töchtern und dem Freund der ältesten Tochter durch die gleichen Gewässer.

Beide Gruppen stranden nach eher unerfreulichen Begegnungen mit den riesigen Urviechern auf der Insel. Während die Familie kopflos durch den Insel-Urwald stolpert, suchen die anderen, öhm, Inselbesucher die Dinos, deren DNA sie benötigen. Das entwickelt sich dann, gänzlich humorfrei und ohne irgendeine Camp-Attitüde, auf dem Niveau eines schlechten Hollywood-Serials aus den dreißiger und vierziger Jahren.

Die banale Story reiht, wechselnd zwischen den beiden Handlungssträngen, einfach Aufgaben („Schieß die DNA-Entnahmespritze irgendwo auf den Dino.“) an Begegnungen mit blutrünstigen Dinosauriern, die zu teils längeren, von ihrem Ablauf vorhersehbaren und gänzlich spannungsfreien Actionszenen führen aneinander, bis etwas über zwei Stunden rum sind und der Abspann beginnen kann. Die Figuren sind dabei sogar zu uninteressant, um zu sterben. Sicher, die Dinos töten einige wenige Menschen, aber ein richtiger, erinnerungswürdiger Heldentod wird niemandem gegönnt.

Überraschend bei diesem in dieser Form hoffnungslos veraltetem Plot ist nur der Name des Drehbuchautors. David Koepp schrieb die Bücher für die ersten beiden „Jurassic Park“-Filme, den ersten „Mission: Impossible“-Film, „Spider-Man“ (2002), die Dan-Brown-Verfilmungen „Illuminati“ und „Inferno“, und, obwohl die Filme schecht sind, die letzten beiden „Indiana Jones“-Filme. Zuletzt schrieb er für Steven Soderbergh den gewitzten Agententhriller „Black Bag – Doppeltes Spiel“. Er weiß, wie man eine spannende Geschichte erzählt. In diesem Fall belässt er es bei einem Griff in seinen Zettelkasten und einer weitgehend zufälligen Aneinanderreihung von Begegnungen zwischen Menschen und Dinosauriern. Denn es ist egal, ob zuerst dem See- und dann dem Flugdinosaurier die DNA entnommen wird. Oder ob dies in umgekehrter Reihenfolge geschieht.

Gareth Edwards liefert hier seine mit Abstand schlechteste Arbeit als Regisseur. In seinen vorherigen Filmen „Monsters“ (2010), „Godzilla“ (2014), „Rogue One: A Star Wars Story“ (2016) und „The Creator“ (2023) durfte er reichlich Erfahrungen mit Monstern und Reisen in unwirtliche Gegenden machen. Hier begnügt er sich damit, die Schauspieler durch das Bild zu schieben und die Arbeit der vor Computern sitzenden Spezialeffekteteams zu koordinieren. Denn die Dinosaurier sind fast ausschließlich CGI-Dinosaurier. Das war vor über dreißig Jahren in „Jurassic Park“, dem von Steven Spielberg inszeniertem Beginn der „Jurassic Park“-Filmreihe, noch anders. Damals gab es wenige Computer- und viele praktische Effekte. Später änderte sich das Verhältnis, aber sie vermittelten immer einen Eindruck von der Größe und dem Gewicht der Dinosaurier.

Nicht so in „Jurassic World: Die Wiedergeburt“. Wenn die Dinos sich durch das Wasser bewegen oder durch irgendwelche Tümpel gehen, bewegt sich das Wasser nicht. Wenn sie über die Insel stampfen, ist nichts von ihrem Gewicht spürbar. Dass sie riesig sind, sehen wir. Die Schauspieler agieren, weitgehend lustlos, im Vordergrund des Bildes als ob sie in einem vollkommen anderen Film mitspielen.

Diese „Wiedergeburt“ ist dann doch eher eine Totgeburt.

Jurassic World: Die Wiedergeburt (Jurassic World Rebirth, USA 2025)

Regie: Gareth Edwards

Drehbuch: David Koepp (basierend auf Charakteren von Michael Crichton)

mit Scarlett Johansson, Mahershala Ali, Jonathan Bailey, Rupert Friend, Manuel Garcia-Rulfo, Ed Skrein, Audrina Miranda, Luna Blaise, David Iacono, Bechier Sylvain, Philippine Velge

Länge: 134 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (weil wenig und unblutig gestorben wird)

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Jurassic World: Die Wiedergeburt“

Metacritic über „Jurassic World: Die Wiedergeburt“

Rotten Tomatoes über „Jurassic World: Die Wiedergeburt“

Wikipedia über „Jurassic World: Die Wiedergeburt“ (deutsch, englisch)

zu Jurassic World

Meine Besprechung von Colin Trevorrows „Jurassic World“ (Jurassic World, USA 2015)

Meine Besprechung von J. A. Bayonas „Jurassic World: Das gefallene Königreich“ (Jurassic World: Fallen Kingdom, USA 2018)

Meine Besprechung von Colin Trevorrows „Jurassic World: Ein neues Zeitalter“ (Jurassic World: Dominion, USA 2022)

zu Gareth Edwards

Meine Besprechung von Gareth Edwards‘ „Godzilla“ (Godzilla, USA 2014)

Meine Besprechung von Gareth Edwards‘ „Rogue One: A Star Wars Story“ (Rogue One: A Star Wars Story, USA 2016)

Meine Besprechung von Gareth Edwards‘ „The Creator“ (The Creator, USA 2023)

zu David Koepp

Meine Besprechung von David Koepps „Mortdecai – Der Teilzeitgauner“ (Mortdecai, USA 2015)

Meine Besprechung von David Koepps „Cold Storage – Es tötet“ (Cold Storage, 2019)

 

Meine Besprechung von Gareth Edwards „ITEL

Meine Besprechung von David Koepps „TITEL

Meine Besprechung von REGIE JURASSIC WORLD


Neu im Kino/Filmkritik: „Wicked“, der erste Teil der Musical-Vorgeschichte von „Der Zauberer von Oz“

Dezember 13, 2024

Die Kritiken sind euphorisch. Die Fans vom Musical sind begeistert. Bei der Vorführung, die ich besuchte, gab es nach den bekannten Songs Szenenapplaus. Inzwischen werden der Film und Regisseur Jon M. Chu für alle möglichen Preise gehandelt. Zweifellos wird der Film sein Publikum finden.

Ich bin dagegen mehr als minderbegeistert.

Doch beginnen wir zuerst mit einigen Fakten. Chus „Wicked“ basiert auf dem erfolgreichen gleichnamigem Muscial. Das Stück wird seit 2003 ununterbrochen am Broadway vor vollen Häusern gespielt. Mehrere Tourneen und Produktionen in anderen Städten und Ländern in festen Häusern folgten. Die deutschsprachige Erstaufführung war 2007 in Stuttgart. Michael Kunze schrieb die deutschen Liedtexte. Das Musical basiert auf Gregory Maguires Roman „Wicked – Die Hexen von Oz“ von 1995. Er erzählt die Vorgeschichte zu dem 1939er Musicalklassiker „Der Zauberer von Oz“, der auf L. Frank Baums gleichnamigem Kinderbuch von 1900 basiert.

Maguire erzählt ‚Die wahre Geschichte der Bösen Hexe des Westen‘ (Buchuntertitel). Er erzählt auf über fünfhundert Seiten, wie und warum sie böse würde. In seinem Buch, das für Erwachsene geschrieben wurde, geht es neben der Frage, warum Menschen böse werden, auch um Terrorismus und Propaganda. Dabei unterzieht er Baums Kinderbuch und Victor Flemings Verfilmung einer umfassenden Neubetrachtung.

Schon für das Musical wurden diese erwachsenen Themen eher ignoriert zugunsten einer bunten Erinnerung an den Film „Der Zauberer von Oz“ und seinem popkulturellem Einfluss.

In the Heights: Rhythm of New York“-Regisseur Chu verfilmte jetzt das Musical und, dank vieler Songs, epischer Laufzeit. Schon vor dem Start der Dreharbeiten wussten sie, dass das Stück zu lang für einen Spielfilm von halbwegs normaler Länge ist. Also wurde beschlossen, den Film in zwei Teile zu teilen. Der erste Teil endet nach ungefähr 150 Minuten (mit dem Abspann sind es 161 Minuten) an dem Punkt der Geschichte, an dem im Theater die Pause beginnt. Der zweite Teil kommt, so ist es im Moment geplant, Ende November 2025 in die Kinos.

Für die Fans des Musicals gibt es im Kino also eine Extended Version des Stücks mit den bekannten Songs, größeren Schauwerten, viel CGI, Bonbonfarben und auch einigen neuen Figuren und Handlungsorten.

Ich konnte mit den lahmen Popsongs nichts anfangen. Der CGI-Exzess störte mich. Jedes Bild im Film wurde bearbeitet. Vorgeschichten interessieren mich wenig. Meistens fügen sie der bekannten Geschichte und Figur nichts wesentliches bei. Und die Story funktioniert im Kino nicht. Da gibt es zu viele Lücken in der Erzählung, den Figuren und den Konflikten. Im Theater ist das anders.

Der Film beginnt mit der Nachricht, dass die Böse Hexe des Westens tot sei. Auf einem dörflichem Marktplatz wird Glinda (Ariana Grande) gebeten, zu erzählen, wie die Böse Hexe starb. Aber zuerst erzählt sie, wie sie sie kennen lernte und wie sie sich miteinander befreundeten.

Das erste Mal treffen sie sich an der Universität Glizz. Die aus einem reichen Haus stammende Blondine Glinda ist an der Schule die allseits beliebte, eine Gefolgschaft ihr treu ergebener Jungs und Mädels um sich scharende Diva. Sie ist gleichzeitig ehrgeizig, nur auf Äußerlichkeiten bedacht und strohdumm.

Sie reizt Elphaba Thropp (Cynthia Erivo) gleich wegen ihrer für alle schockierenden grünen Hautfarbe. Elphaba ist die einzige grünhäutige Person in Oz. Sie ist das Gegenteil von Glinda. Sie kümmert sich um ihre im Rollstuhl sitzende Schwester. Sie ist intelligent, wissbegierig und eher nicht auf die Anerkennung von anderen angewiesen. Manchmal aber doch. Als sie nach Glindas Provokationen wütend wird, erkennt Madame Akaber, die Dekanin der Zauberwissenschaft (Michelle Yeoh), sofort, dass Elphaba über unglaubliche Zauberkräfte verfügt. Sie nimmt sie als Zauberlehrling auf.

Trotz der anfänglichen Abneigung entwickelt sich zwischen Elphaba und Glinda, die sich ein Zimmer teilen müssen, so etwas wie eine Freundschaft/Hassliebe.

Gleichzeitig versuchen zunächst unbekannte Kräfte, einen Keil zwischen die Menschen und die ebenfalls intelligenten Tiere zu treiben. So leitet ein Ziegenbock die historische Fakultät der Universität Glizz.

Außerdem möchten Elphaba und Glinda, wie alle, unbedingt eine Audienz bei dem Zauberer von Oz haben. Diese und die Entdeckung, die Elphaba und Glinda dabei machen, bildet den Höhepunkt des Films und des ersten Akts.

Die im Mittelpunkt des Films stehende Beziehung zwischen Elphaba und Glinda wirkt nie glaubwürdig. Sie kann als eine Variante von Tina Feys fast zeitgleich zur Premiere des Musicals entstandenen Filmkomödie „Girls Club – Vorsicht bissig!“ (Mean Girls) verstanden werden. Später verarbeitete Fey die Geschichte zu einem Broadway-Musical, das 2024 verfilmt wurde. Bei ihr gestaltet sich die Beziehung zwischen dem Schulneuling und der Anführerin der rein auf Äußerlichkeiten setztenden Reichenclique viel glaubwürdiger.

In „Wicked“ springen die beiden Hauptfiguren, ohne nennenswerte Entwcklung, zwischen Freundschaft, Feindschaft und dem Wunsch nach Freundschaft hin und her. Und die nerdige Elphaba soll sich plötzlich für Äußerlichkeiten interessieren.

Hin und her geht es auch bei der Bild- und Zeichensprache. Jedes Bild ist auf maximalen Effekt hin komponiert. Einige erinnern an Victor Flemings Klassiker „Der Zauber von Oz“ (1939), der die Geschichte von „Wicked“ weiter erzählt. Einige sind offensichtlich nur für das Plakat, Poster und den Trailer gemacht worden.

In seiner Bildsprache schwankt Chu zwischen einer Wiederholung rassistischer Stereotype, die wir aus alten Filmen kennen, und einer revisionistischen Lesart dieser Bilder, die eine Sekunde später untergraben wird. Besonders verstörend ist dabei das Greenfacing der Schwarzen Hauptdarstellerin Cynthia Erivo. Es ist ein, in jeder Beziehung, lediglich ein Blackfacing mit einer anderen Farbe und einer Wiederholung altbekannter Klischees über Schwarze.

Bei dem von Jeff Goldblum gewohnt unterhaltsam gespieltem Zauberer von Oz setzt sich das fort. Er entspricht dem aus Hollywoods Goldener Ära bekanntem Klischee eines asiatischen Bösewichts.

Hier fügt Chu sich erstaunlich bruchlos in die Sprache des klassischen Hollywoodkinos ein. Dabei hätte er, wie Maguire in seinem Roman oder andere Regisseure in ihren Filmen, beispielsweise Spike Lee in seiner ätzenden Mediensatire „ It’s Showtime“ (Bamboozled, 2000), eben diese Bilder und Themen einer Neubetrachtung unterziehen können und müssen.

Wicked (Wicked, USA 2024)

Regie: Jon M. Chu

Drehbuch: Winnie Holzman, Dana Fox

LV: Stephen Schwartz/Winnie Holzman: Wicked, 2003 (Musical); Gregory Maguire: Wicked – The Life and Times of the Wicked Witch of the West, 1995 (Wicked – Die Hexen von Oz)

mit Ariana Grande, Cynthia Erivo, Jonathan Bailey, Ethan Slater, Bowen Yang, Marissa Bode, Peter Dinklage, Michelle Yeoh, Jeff Goldblum

Länge: 161 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Der Film wird im Kino in mehreren Fassungen gezeigt.

Die Vorlage

Gregory Maguire: Wicked – Die Hexen von Oz

(übersetzt von Hans-Ulrich Möhring)

Hobbit Presse/Klett-Cotta 2024 (Filmausgabe)

544 Seiten

16 Euro

Deutsche Erstausgabe

Hobbit Presse/Klett-Cotta 2008

Originalausgabe

Wicked – The Life and Times of the Wicked Witch of the West

Regan Books, 1995

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Wicked“

Metacritic über „Wicked“

Rotten Tomatoes über „Wicked“

Wikipdia über „Wicked“ (Film deutsch, englisch; Musical deutsch, englisch; Roman deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „G.I. Joe 3D: Die Abrechnung“ (G.I. Joe: Retaliation, USA/Kanada 2013)

Meine Besprechung von Jon M. Chus „Die Unfassbaren 2 – Now you see me“ (Now you see me 2, USA 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Jon M. Chus „In the Heights: Rhythm of New York“ (In the Heights, USA 2021)


Neu im Kino/Filmkritik: „Vor uns das Meer“ – die Geschichte des Einhandseglers Donald Crowhurst

April 1, 2018

Für alle, die die wahre Geschichte von Donald Crowhurst und seiner in der englischen Küstenstadt Teignmouth begonnenen Weltumseglung nicht kennen und jetzt nicht den Wikipedia-Artikel durchlesen wollen: diese Filmkritik enthält Spoiler.

 

Am 31. Oktober 1968 begibt sich der 1932 geborene Donald Crowhurst, ein glücklich verheirateter Vater, Wochenendsegler und Erfinder, auf eine Weltumseglung. Er hofft auf das von der Sunday Times ausgelobte Preisgeld für die erste Nonstop-Weltumseglung eines Einhandseglers.

Später kommt heraus, dass seine nach England gesendeten Erfolgsberichte über seine Reise gefälscht waren. Er hatte es noch nicht einmal bis zum Kap Horn geschafft.

Aus dieser wahren Geschichte eines Betrugs könnte man eine Komödie über einen Schlawiner, der alle an der Nase herumführt, oder eine bittere Anklage gegen eine kapitalistische Gesellschaft, die einen Idealisten in den Ruin treibt oder das Überlebensabenteuer eines Mannes auf hoher See machen. James Marsh geht, nach einem Drehbuch von Scott Z. Burns (u. a. die Steven-Soderbergh-Filme „Der Informant!“, „Contagion“ und „Side Effects“), in „Vor uns das Meer“ einen anderen Weg.

Crowhurst, ein verheirateter Mann mit drei Kindern und eher erfolgloser Unternehmer, ist von der Seefahrt fasziniert. Jedes Wochenende schippert er ein wenig herum. Segler, wie Francis Chichester, der als erster Einhandsegler die Welt umrundete, sind seine Helden. Als die Sunday Times den mit 5000 Britischen Pfund dotierten Preis für die erste nonstop Einhandweltumseglung auslobt, will er an dem Golden Globe Race teilnehmen. Warum er sich auf diese gefährliche Reise begeben will, wird im Film nie so richtig deutlich. Es ist letztendlich eine Mischung aus Abenteuerlust, einer Midlife-Crisis, der Hoffnung auf das Preisgeld und den späteren Einnahmen durch Werbeverträge und Vorträge, die ihn finanziell sanieren würden. Es ist auch eine Werbemaßnahme für seine Firma Electron Utilisation und seine Erfindungen, und der Wunsch, endlich einmal ein gefeierter Held zu sein.

Schon vor der Fahrt verschuldet er sich allerdings immer mehr. Als Sicherheit bietet er sein Haus und seine Firma an. Er lässt in kürzester Zeit ein vollkommen neues Boot, ein Trimaran, bauen. Am letzten Tag des von der Sunday Times vorgegebenen Zeitfensters für die Teilnahme an dem Wettbewerb startet er am 31. Oktober 1968 in Teignmouth in einem Boot, das in keinster Weise hochseetauglich ist. Es sieht aus, als habe vorher eine Gruppe Jugendlicher eine Party gefeiert. In dem Moment, der im Film ungefähr in der Mitte ist, hätte Crowhurst seine Fahrt mit der Teignmouth Electron abbrechen müssen. Er tat es nicht. Ein Abbruch in dem Moment hätte für ihn den sicheren Ruin bedeutet hätte. Also startet er allein die Weltumseglung, die im Film immer wieder von Szenen aus England über die Nöte seiner Frau Clare und den einsetzenden, von seinem PR-Berater Rodney Hallworth befeuerten Presserummel, unterbrochen wird.

Vor uns das Meer“ basiert auf einer wahren Geschichte, die wahrscheinlich nur Seebären und Briten kennen und die – unbestritten und auch ohne all die Hintergründe, die in mehreren Bücher und Filmen verarbeitet wurden, zu kennen – das Potential für einen spannenden Film hat. Marshs Film ist es nicht.

Er spricht vieles an, vertieft aber nichts und er kann sich nicht entscheiden, welche Geschichte er erzählen will. Am Ende ist „Vor uns das Meer“ die schlecht endende Geschichte einer selbstbetrügerischen Selbstüberschätzung, die im Wahnsinn und Tod, möglicherweise Suizid, endet. Am 10. Juli 1969 entdeckt ein britisches Postschiff 1800 Meilen von England entfernt im Atlantik die Teignmouth Electron. Von Donald Crowhurst fehlt jede Spur. Er gilt seitdem als tot.

Bei dem vor und hinter der Kamera versammelten Talent hätte ich mehr erwartet als eine brave, niemals packende und an den entscheidenden Punkten oberflächliche Chronik der Ereignisse.

Vor uns das Meer (The Mercy, Großbritannien 2017)

Regie: James Marsh

Drehbuch: Scott Z. Burns

mit Colin Firth, Rachel Weisz, David Thewlis, Ken Stott, Jonathan Bailey, Adrian Schiller, Oliver Maltman, Kit Connor, Eleanor Stagg, Andrew Buchan, Geoff Bladon

Länge: 102 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Vor uns das Meer“

Metacritic über „Vor uns das Meer“

Rotten Tomatoes über „Vor uns das Meer“

Wikipedia über „Vor uns das Meer“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von James Marshs David-Peace-Verfilmung „1980“ (Red Riding: In the Year of Our Lord 1980, Großbritannien 2009)

Meine Besprechung von James Marshs „Shadow Dancer“ (Shadow Dancer, Großbritannien/Irland/Frankreich 2012)