Neu im Kino/Filmkritik: Knock, „Knock at the Cabin“, Mr. Shyamalan

Februar 11, 2023

Es ist ein schöner Sommertag, als zuerst einer, dann drei weitere Fremde vor einer einsam im Wald gelegenen Hütte auftauchen und energisch Einlass begehren. Bei sich haben sie archaisch anmutende Waffen, die aus einem Fantasy-Mittelalter-Rollenspiel stammen könnten. Sie begehren so lautstark Einlass, dass Eric (Jonathan Groff), Andrew (Ben Aldridge) und ihre achtjährige Adoptivtochter Wen (Kristen Cui) sofort Todesangst haben und panisch alle Fenster und Türen verbarrikadieren.

Es hilft nicht. Kurz darauf sind die vier Fremden – Leonard (Dave Bautista), der sich sanft gebende Wortführer der Truppe, Sabrina (Nikki Amuka-Bird), Adrianne (Abby Quinn) und Redmond (Rupert Grint) – in der Hütte. Wens beiden Väter sind an Stühle gefesselt und ihre schlimmsten Befürchtungen werden wahr. Leonard sagt ihnen, dass Alpträume ihn und seine drei Begleiter an einem bestimtmen Ort zu einer bestimmten Uhrzeit zusamengeführt hätten. Jetzt seien sie hier, um das in wenigen Stunden nahende Ende der Welt zu verhindern. Dafür muss Eric, Andrew oder Wen ein anderes Familienmitglied töten. Dieses Opfer verhindere die Apokalypse. Ein Suizid könne das Ende der Welt nicht verhindern. Es muss ein Mord sein.

Schon in diesen ersten Minuten seines neuen Horrorfilms zeigt M. Night Shyamalan mehr religiöse Sympolik als in einem religösem Traktat enthalten ist. Entsprechend müßig ist eine detaillierte Auflistung. Jedenfalls präsentieren diese vier apokalyptischen Reiter, um ihren Worten eine höhere Glaubwürdigkeit zu verleihen, ihren Gefangenen live ausgestrahlte Fernsehberichte über die Plagen, die in den vergangenen Stunden über die Menschen hereingebrochen sind.

Eric, Ben und Wen haben davon in der Einöde, die sie ohne Internet und Fernsehen genießen wollen, nichts mitbekommen. Sie halten diese Berichte für Falschberichte, die ihnen als echte Berichte präsentiert werden. Einerseits weil bei ihnen im betont malerischen Wald von den die Welt erschütternden Katastrophen nichts zu spüren ist. Andererseits weil sie nicht glauben können, dass sich innerhalb weniger Tage alles verändert haben soll. In dem Moment halten sie die vier Eindringlinge vor allem für durchgeknallte religiöse Spinner, die ein perverses Spiel mit ihnen treiben. Sie könnten sich auch in einen Alptraum befinden, aus dem sie irgendwann aufwachen. Das ist, soviel kann verraten werden, nicht der Fall. M. Night Shyamalan ist seit „The sixth Sense“ zwar für seine überraschende Enden bekannt, aber banale Es-war- nur-ein-böser-Traum-Enden lehnt er ab.

Doch egal warum die vier Eindringlinge tun, was sie tun, sie meinen es tödlich ernst. Sie sind sogar bereit, für ihren Glauben zu sterben.

Shyamalan erzählt diese rabenschwarze Geschichte mit spürbarer Lust an überraschenden Wendungen, die alle auf eine katastrophale Entscheidung hinauslaufen. Denn was ist schlimmer: einen geliebten Menschen ermorden oder für das Ende der Menschheit verantwortlich zu sein? Genau auf diese Frage konzentriert Shyamalan sich in seinem mit religiösen Anspielungen vollgestopftem Horrorfilm in dem eine Familie sich plötzlich in einem Alptraum befindet, der überhaupt nichts mit der normalen, realen, allseits bekannten und vertrauten Welt zu tun hat. Das ist die Welt der Twilight Zone und wie eine zu lang geratene „Twilight Zone“-Episode wirkt „Knock at the Cabin“ dann auch.

Denn trotz aller Wendungen und inszenatorischer Finessen ist der Horrorfilm vor allem eine hochgradig hypothetische Versuchsanordnung, die direkt aus einem Philosophieseminar stammen könnte.

Knock at the Cabin (Knock at the Cabin, USA 2023)

Regie: M. Night Shyamalan

Drehbuch: M. Night Shyamalan, Steve Desmond, Michael Sherman

LV: Paul Tremblay: The Cabin at the End of the World, 2018 (Das Haus am Ende der Welt)

mit Dave Bautista, Jonathan Groff, Ben Aldridge, Nikki Amuka-Bird, Kristen Cui, Abby Quinn, Rupert Grint

Länge: 100 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Knock at the Cabin“

Metacritic über „Knock at the Cabin“

Rotten Tomatoes über „Knock at the Cabin“

Wikipedia über „Knock at the Cabin“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „After Earth“ (After Earth, USA 2013)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „Split“ (Split, USA 2017)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „Glass“ (Glass, USA 2019)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „Old“ (Old, USA 2021)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Matrix Resurrections“ meditiert über die Matrix

Dezember 23, 2021

Das ist er also: der letzte Film des Jahres, der in den vergangenen Wochen mit kryptischen Trailern, ominösen Clips und nichtssagenden Inhaltsangaben beworben wurde. Irgendwie soll es in „Matrix Resurrections“ um die Matrix gehen, Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss sind als Neo und Trinity wieder dabei. Lana Wachowski, die eine Hälfte der Wachowski-Geschwister, die für die ersten drei „Matrix“-Filme verantwortlich sind, hat dieses Mal allein die Regie übernommen. Mehr ist nicht bekannt.

Die Bedeutung von „Matrix“ für den Science-Fiction-Film und das Kino ab 1999 kann nicht überschätzt werden.

In dem Film erfährt der Hacker ‚Neo‘ Thomas Anderson, dass er in einer Computersimulation, der Matrix, lebt. Die reale Welt ist eine von Maschinen beherrschte postapokalyptische Welt, in der die Maschinen Menschen als Energiequellen züchten und sie in einem künstlichem Dämmerzustand halten (immerhin bespaßen sie uns mit einer coolen Actionwelt und nicht mit niemals endenden Sonnenuntergängen oder dem Nichts).

Eine kleine Gruppe Menschen kämpft in der realen Welt und der Matrix gegen die Herrschaft der Maschinen. Besonders wichtig sind die Kämpferin Trinity und Morpheus, der Kapitän der Nebuchadnezzar. Er hält Neo für den Erlöser.

Diese Geschichte erzählten die Wachowskis mit zahlreichen religiösen, mythologischen, philosophischen, literarischen und popkulturellen Verweisen, einer perfekt durchkomponierten düsteren Neo-Noir-Lack-Leder-Sonnenbrillen-Optik, mit spektakulären, die Schwerkraft und die Physik negierenden Actionszenen (naja, in der Matrix ist halt alles möglich) und einem bis dahin unbekanntem Einsatz der Zeitlupe. Die Spezialeffekte überzeugen heute immer noch.

Für Science-Fiction-Leser ist die Idee der Matrix ein ziemlich alter Hut. Aber es war der bis dahin überzeugendste Versuch, Ideen des Cyberpunk zu verfilmen. Danach war die Idee, einer virtuellen Welt und dass wir in dieser virtuellen Welt leben und aufwachen müssen, Allgemeingut.

Der Film war ein weltweiter Erfolg. An der Kinokasse und auch popkulturell. Vier Jahre später, 2003, folgten „Matrix Reloaded“ und „Matrix Revolutions“. Sie sind grottig und überflüssig. Denn sie setzen einen Film fort, der erkennbar als in sich abgeschlossener Einzelfilm angelegt war. Gleichzeitig zeigen sie immer deutlicher die Probleme in der Konstruktion der von den Wachowskis erfundenen Welt. Die zahlreichen philosophischen Anspielungen erweisen sich zunehmend als heiße Luft. Am Ende blieb die Erkenntnis, dass unter der glänzenden Oberfläche nur ein bedeutungsschwanger raunendes, Tiefe simulierendes Nichts ist.

Entsprechend niedrig waren vor dem Film meine Erwartungen an „Matrix Resurrections“.

Nach dem Film kann ich sagen: Lana Wachowski kümmert sich in ihrem neuen Film denkbar wenig um die Erwartungen der Fans nach Lack, Leder, Düster-Optik, kryptischen philosophischen und religiösen bedeutungsvoll klingenden Sätzen und endlos langen Actionszenen.

Allein dieser Mut beeindruckt. Sie inszenierte vor allem einen Meta-Film, der einerseits eine Neuinszenierung von „Matrix“ ist und andererseits eine Diskussion über den Film, seinen Einfluss auf die Popkultur und die kreative Arbeit von Autoren ist. Vor allem wenn diese Autoren sich in bereits etablierten, kommerziell erfolgreichen Welten bewegen müssen. Für Lana (früher Larry) Wachowski ist das die Welt der von ihr und ihrer Schwester Lilly (früher Andy) Wachowski geschaffene Welt der Matrix. Für Neo, der unter seinem echten Namen Thomas Anderson in „Matrix Resurrections“ ein erfolgreicher, in San Francisco lebender Spieleprogrammierer ist, ist das die Welt der Computerspiele. Jetzt soll er eine neue Version des von ihm erfundenem populären „Matrix“-Spiels erschaffen.

In einem Café trifft er Trinity, die jetzt Tiffany heißt und eine glücklich verheiratete Vorstadt-Ehefrau ist. Anderson glaubt, sie von früher zu kennen. Dass er auf seinem Schreibtisch eine Trinity-Figur stehen hat, die in dem von ihm erfundenem Spiel eine wichtige Figur ist, fällt ihm nicht auf.

Gleichzeitig ist er wegen massiver psychischer Probleme in therapeutischer Behandlung. Er hat einen Suizid-Versuch hinter sich. Er zweifelt an der Realität und wird von Visionen geplagt, die für uns klar erkennbare Flashbacks sind.

Matrix Resurrections“ zitiert immer wieder „Matrix“. So inszeniert Wachowski den Anfang von „Matrix“ mit kleinen Änderungen nach. Danach begibt er sich zwar auf andere erzählerische Pfade, aber immer wieder werden Szenen aus dem ersten „Matrix“-Film gezeigt. Immer wieder wird der Film zitiert. Vieles in dem neuen Film wirkt wie eine Variation von „Matrix“, mit einigen Momenten aus dem zweiten und dritten „Matrix“-Film. Es tauchen auch viele aus den vorherigen Filmen bekannte Motive und Figuren, teils von anderen Schauspielern gespielt, auf.

Auch die Actionszenen aus „Matrix“ und die dort verwandten Stilmittel werden zitiert. Oft nur kurz oder im Schnellldurchlauf oder, auch das ist möglich, in einer invertierten Form.

Die Handlung gehorcht vor allem vom Willen der Drehbuchautoren. Wachowski schrieb das Buch zusammen mit Aleksandar Hemon und David Mitchell. Mit ihnen arbeitete er bereits bei der Netflix-Serie „Sense8“ zusammen und, zusammen mit seiner Schwester und Tom Tykwer, verfilmte er David Mitchells „Cloud Atlas“.

So etwas wie Figurenmotivation gibt es nicht. Dafür können sie, wenn sie durch Türen treten, von einer Welt in eine andere Welt treten. Figuren, die teils pompös eingeführt werden, verschwinden spurlos aus der Handlung. Andere sind dann plötzlich wichtig.

Damit wirkt „Matrix Resurrections“ wie ein bekanntes Computerspiel, in dem der Spieler in bestimmten Situationen eine andere Option prüft und kommentiert. Insofern ist der Film ein erstes Brainstorming, bei dem aufgeschrieben wurde, was dem Publikum beim ersten Film gefiel, was jetzt wiederholt werden soll und was anders gemacht werden kann. Zum Beispiel indem das Liebespaar zwanzig Jahre älter ist.

Das hat als Film über einen anderen Film durchaus seine interessanten Momente. Er ist auch deutlich interessanter, insgesamt gelungener und zum Nachdenken anregender als der zweite und dritte „Matrix“-Film. Aber so richtig überzeugend ist das Ergebnis nicht.

Matrix Resurrections“ ist eher eine intellektuelle Übung, ein Metafilm, mit gewaltigen Pacing-Problemen und einer Story, die nur funktioniert, weil sie sich letztendlich an der Story von „Matrix“ entlanghangelt. Es ist damit ein Remake, das kein Remake, sondern eine Meditation über ein Remake ist.

P. S.: Es gibt eine durchaus wichtige Post-Credit-Szene.

Matrix Resurrections (The Matrix Resurrections, USA 2021)

Regie: Lana Wachowski

Drehbuch: Lana Wachowski, David Mitchell, Aleksandar Hemon (basierend auf von den Wachowskis erfundenen Figuren)

mit Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss, Yahya Abdul-Mateen II, Jessica Henwick, Jonathan Groff, Neil Patrick Harris, Priyanka Chopra Jonas, Jada Pinkett Smith, Christina Ricci, Lambert Wilson, Max Riemelt

Länge: 148 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Filmportal über „Matrix Resurrections“ (weil der Film zu einem großen Teil in Babelsberg gedreht wurde)

Moviepilot über „Matrix Resurrections“

Metacritic über „Matrix Resurrections“

Rotten Tomatoes über „Matrix Resurrections“

Wikipedia über „Matrix Resurrections“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Lana & Andy Wachowski/Tom Tykwers „Cloud Atlas“ (Cloud Atlas, USA/Deutschland 2012)

Meine Besprechung von Lana & Andy Wachowskis „Jupiter Ascending“ (Jupiter Ascending, USA 2015)