Neu im Kino/Filmkritik: Dreimal Arthaus, dreimal enttäuschend: „The Son“, „Close“ und „Return to Seoul“

Januar 31, 2023

In seinem neuen Film spielt Hugh Jackman den erfolgreichen New Yorker Anwalt Peter Miller. Er lebt mit Beth (Vanessa Kirby) zusammen. Sie haben ein gemeinsames Baby. Beruflich könnte er vor neuen Herausforderungen stehen.

Als bittet Peters Ex-Frau Kate (Laura Dern) ihn, ihren gemeinsamen Sohn Nicholas (Zen McGrath) bei sich aufzunehmen. Der Siebzehnjährige schwänzt die Schule, ist antriebslos, will nicht mehr bei seiner Mutter leben und er hat Stimmungsschwankungen. Jetzt will er bei Peter leben.

Peter und Beth nehmen ihn bei sich auf. Aber an Nicholas erratischem Verhalten ändert sich nichts.

The Son ist nach seinem Debüt „The Father“ Florian Zellers zweiter Spielfilm. Wieder entstand der Film nach einem seiner Theaterstücke, wieder schrieb er das Drehbuch mit Christopher Hampton und wieder spielt Anthony Hopkins (der dieses in einer Nebenrolle einen ganz anderen Vater spielt) mit. Trotzdem enttäuscht „The Son“.

In „The Father“ erzählt Zeller die Geschichte des zunehmend dementen Anthony (Anthony Hopkins). Er inszenierte den Film aus Anthonys Perspektive und wir begreifen schnell, wie ein Mensch, der langsam sein Gedächtnis verliert, die Realität sieht und versucht sie zu begreifen, während ihm seine Vergangenheit und die Gegenwart zunehmend entgleiten.

The Son“ ist dagegen nur ein konventionell erzähltes Vater-Sohn-Drama, in dem ein Vater seinem Sohn helfen will, ohne die Krankheit seines Sohnes zu verstehen. Das ist gut gespielt und auch gut inszeniert, aber meilenweit von der Qualität seines Debüts entfernt. Zellers neues Drama unterscheidet sich letztendlich kaum von einem banalen Herzkino-Film.

The Son (The Son, USA/Frankreich 2022)

Regie: Florian Zeller

Drehbuch: Florian Zeller, Christopher Hampton

LV: Florian Zeller: Le Fils, 2018 (Theaterstück)

mit Hugh Jackman, Laura Dern, Vanessa Kirby, Zen McGrath, Anthony Hopkins

Länge: 123 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „The Son“

Metacritic über „The Son“

Rotten Tomatoes über „The Son“

Wikipedia über „The Son“ (deutsch, englisch)

Auch Lukas Dhont überzeugte mit seinem Debüt „Girl“. In ihm ging es um ein fünfzehnjähriges Transmädchen, das in einer bekannten Ballettschule ausgebildet werden möchte, während sie sich gleichzeitig auf ihre geschlechtsangleichende Operation vorbereitet.

In seinem zweiten Film „Close“, der aktuell für den Auslandsoscar nominiert ist, geht es um zwei Jungen, die auf dem Land jede Minute miteinander verbringen. Als die beiden Dreizehnjährigen auf eine neue Schule kommen und eine Klassenkameradin bemerkt, dass sie offensichtlich mehr als nur Freunde seien, verändert sich ihre Beziehung.

In der ersten Filmhälfte zeichnet Dhont diese Freundschaft und wie sie sich verändert äußerst sensibel und mit wenigen Worten. Léo und Rémi stehen am Beginn ihrer Pubertät auch vor der Frage, wie sie sich künftig sexuell orientieren wollen. Bislang war ihnen das egal.

In der Filmmitte gibt es dann ein überraschendes Ereignis, das die Handlung der zweiten Hälfte entscheidend beeinflusst. Gleichzeitig ist danach, auch ohne eine Antwort, die Frage der Klassenkameradin final beantwortet und der Film steht vor der Frage, was er in der zweiten Hälfte erzählen will.

Über dieses Ereignis wird im folgenden kaum gesprochen. Stattdessen gibt es eine Abfolge weitgehend unzusammenhängender Szenen, in denen die Geschichte sich keinen Millimeter vorwärts bewegt. Nach der konzentrierten ersten Hälfte plätschert das Drama jetzt nur noch langatmig in Richtung Abspann.

Close (Close, Belgien/Frankreich/Niederlande 2022)

Regie: Lukas Dhont

Drehbuch: Lukas Dhont, Angelo Tijssens

mit Eden Dambrine, Gustav de Waele, Èmilie Dequenne, Léa Drucker, Keven Janssens, Marc Weiss

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Allociné über „Close“

Moviepilot über „Close“

Metacritic über „Close“

Rotten Tomatoes über „Close“

Wikipedia über „Close“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Lukas Dhonts „Girl“ (Girl, Belgien/Niederlande 2018)

Als Fünfundzwanzigjährige kehrt Freddie 2013 für einige Tage nach Seoul zurück. Als Baby wurde sie von einem französischen Ehepaar adoptiert. Jetzt will sie ihre Eltern, über die sie nichts weiß und an die sie bislang offensichtlich niemals dachte, kennen lernen. Über eine Adoptionsagentur kann sie ihre Eltern kontaktieren. Diese sind inzwischen geschieden. Ihre Mutter will sie nicht sehen. Ihr Vater schon.

Über letztendlich ein Jahrzehnt erzählt Davy Chou in „Return to Seoul“ Freddies Geschichte und wie sich ihre Suche und ihre Beziehung zu ihren biologischen Eltern entwickelt. Und eben dieser lange Zeitraum erweist sich als ein Problem. Freddie erster Besuch in Seoul, der den größten Teil des Films einnimmt, überzeugt. Es wird eine junge Frau auf der Suche gezeigt. Gleichzeitig sind für sie die Tage an Seoul eine Gelegenheit all das zu tun, was Studentinnen in fremden Städten tun. Mit Zufallsbekanntschaften stürzt sie sich lebenslustig in das pulsierende Nachtleben und verbreitet eine wohltuende Portion Unruhe.

Danach wird es episodischer und zunehmend unklarer, wohin sich die Geschichte entwickeln soll. 2015 führt sie ein langes Gespräch mit einem Waffenhändler, bei den zunächst unklar ist, warum sie sich mit ihm unterhält, warum sie wieder (?) in Seoul ist und was sie in Seoul tut oder tun will. Sie trifft wieder ihren Vater und seine Familie. Sie hat einen Freund, der sie nach Seoul begleitet. Sie wird älter und irgendwann ist der Film vorbei.

Return to Seoul“ ist, wie „Close“, strikt chronologisch erzählt und nach einer starken ersten Hälfte plätschert der Film, wie „Close“, unentschlossen vor sich hin. Im Gegensatz zu „Close“, dessen Geschichte sich innnerhalb weniger Monate abspielt, überspringt Day Chou in seinem Drama immer wieder mehrere Jahre und Freddie wird von einer Mittzwanzigerin zu einer Mittdreißigerin.

Return to Seoul (Return to Seoul/Retour à Séoul, Belgien/Deutschland/Frankreich 2022)

Regie: Davy Chou

Drehbuch: Davy Chou

mit Park Ji-Min, Oh Kwang-Rok, Guka Han, Yoann Zimmer, Hur Ouk-Sook, Kim Sun-Young, Louis-Do de Lencquesaing, Emeline Briffaud

Länge: 119 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Der Film ist mehrsprachig. Für die deutsche Kinofassung wurde Französisch synchronisiert. Die anderen Sprachen sind untertitelt.

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Return to Seoul“

Moviepilot über „Return to Seoul“

AlloCiné über „Return to Seoul“

Metacritic über „Return to Seoul“

Rotten Tomatoes über „Return to Seoul“

Wikipedia über „Return to Seoul“ (englisch, französisch)


TV-Tipp für den 3. Februar: Girl

Februar 2, 2021

Arte, 20.15

Girl (Girl, Belgien/Niederlande 2018)

Regie: Lukas Dhont

Drehbuch: Lukas Dhont, Angelo Tijssens

TV-Premiere. Feinfühliges, in Cannes mehrfach ausgezeichnetes Drama über einen fünfzehnjährigen Jungen, der gerne ein Mädchen und Balletttänzerin wäre.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Victor Polster, Arieh Worthalter, Oliver Bodart, Tijmen Govaerts, Katelijne Damen, Valentijn Dhaenens

Hinweise

Moviepilot über „Girl“

Metacritic über „Girl“

Rotten Tomateos über „Girl“

Wikipedia über „Girl“ (deutsch, englisch, niederländisch)

Meine Besprechung von Lukas Dhonts „Girl“ (Girl, Belgien/Niederlande 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: Ein „Girl“ will er sein

Oktober 22, 2018

Victor will nur tanzen. Als Frau. Und das ist nicht ein, sondern zwei Probleme. Denn Victor, gerade fünfzehn Jahre, muss sich einer von ihm gewünschten Geschlechtsumwandlung unterziehen, die physisch und psychisch anstrengend ist. Zum Glück hat er mit seinem alleinerziehendem Vater, seinem jüngeren Bruder Milo und den ihn begleitenden Ärzten und Therapeuten ein stabiles, ihn bedingungslos unterstützendes Umfeld. Sie alle haben auch kein Problem damit, Victor Lara zu nennen.

Das zweite Problem ist, das er eigentlich zu wenig Balletterfahrung hat, um an der staatlichen Ballettschule in Brüssel aufgenommen zu werden. Trotzdem wird sie als Novizin für acht Wochen zur Probe aufgenommen. Und auch hier unterstützt ihn das Umfeld. Jedenfalls meistens.

Damit ist klar, wo Laras größtes Problem bei der Geschlechtsumwandlung liegt: in ihr.

In Cannes wurde das Spielfilmdebüt von Lukas Dhont zu Recht mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Unter anderem für die beste Regie und den besten Hauptdarsteller (Victor Polster).

Der 2002 in Brüssel geborene Polster nahm bereits in jungen Jahren Schauspielunterricht, absolvierte eine klassische Tanzausbildung an der Royal Ballet School in Anvers, erhielt nach einem Auftritt in einem Musikvideo ein Angebot vom Königlichen Ballett von Flandern und nahm erfolgreich an verschiedenen Tanzwettbewerben teil. „Girl“ ist sein Spielfilmdebüt.

Feinfühlig präsentiert Dhont seine Geschichte, die sich für meinen Geschmack dann doch etwas zu sehr auf Laras innere Probleme und Ballettbilder konzentriert. Innere Konflikte sind nun einmal nicht besonders filmisch. Und Aufnahmen von Balletttänzerinnen vor, während und nach dem Tanz sind zwar filmisch, bringen aber Laras Geschichte nicht unbedingt voran. Denn eigentlich hätte man gerne mehr darüber erfahren, wie es ist, wenn man als Jugendlicher eine Geschlechtsumwandlung beginnen will und wie dann Schulfreunde und Eltern darauf reagieren. „Girl“ beginnt erst danach. Alle haben ihre Entscheidung darüber bereits getroffen: Lara ist kurz vor dem Beginn der entscheidenden Hormonbehandlung. Ihr Vater und ihr Bruder unterstützen sie uneingeschränkt. Die alten Schulkameraden spielen im Film keine Rollen. Denn der chronologisch erzählte Film beginnt nach dem Umzug nach Brüssel. Und auch an der Ballettschule geht es erstaunlich harmonisch zu.

Wegen seiner weitgehend konfliktfreien Geschichte passiert wenig im Film. Denn Konflikte treiben eine Geschichte voran. Und in Konflikten zeigt sich ein Charakter und damit auch die verschiedenen Facetten eines Themas. Das gelingt dem stillen Drama, das auch zum Nachdenken anregen soll, nur bedingt.

Girl (Girl, Belgien/Niederlande 2018)

Regie: Lukas Dhont

Drehbuch: Lukas Dhont, Angelo Tijssens

mit Victor Polster, Arieh Worthalter, Oliver Bodart, Tijmen Govaerts, Katelijne Damen, Valentijn Dhaenens

Länge: 106 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Girl“

Metacritic über „Girl“

Rotten Tomateos über „Girl“

Wikipedia über „Girl“ (deutsch, englisch, niederländisch)