Neu im Kino/Filmkritik: Über Gareth Edwards‘ Science-Fiction-Actionthriller „The Creator“

September 28, 2023

Am Ende des Jahres könnte Gareth Edwards‘ „The Creator“ wirklich der beste Science-Fiction-Film des Jahres sein. Das liegt dann weniger an den unbestrittenen Qualitäten des Actionfilms, sondern an der sehr schwachen Konkurrenz, die vor allem aus weitgehend überflüssigen Superheldenfilmen besteht.

Während sich die Superheldenfilmen gerade in Multiversen und nicht mehr nachvollziehbaren „Phasen“ verirren, ist sein Film ein Einzelfilm. „The Creator“ ist und will kein Auftakt einer „Trilogie“ sein. Edwards‘ Actionfilm basiert, wie die Filme von Christopher Nolan, auf einem Originaldrehbuch. Es gibt keine Superhelden. Eine Fortsetzung ist nicht geplant. Sie wäre nach dem Ende auch nur schwer möglich.

In „The Creator“ gibt es nur Soldaten, die in einem Kampf zwischen Künstlicher Intelligenz und Menschheit (jedenfalls eines Teils der Menschheit) verwickelt sind.

In der Zukunft ist, nachdem Künstliche Intelligenz in Los Angeles eine Atombombe zündete, die Welt in zwei Machtsphären geteilt. Der ‚Westen‘ bannte KI-Anwendungen. In ‚Asien‘ bzw. dem ‚Osten‘ wurde dagegen weiter geforscht. Dort hat es jetzt auch den Durchbruch zu einer wirklich intelligenten KI gegeben. Der MacGuffin des Films ist eine Superwaffe, die die Welt vernichten und den Krieg zwischen Menschen und KI beenden kann.

Joshua Taylor (John David Washington), der vor fünf Jahren in ‚Asien‘ bei einem Undercover-Einsatz, der schiefging, seine Frau Maya (Gemma Chan) verlor, soll jetzt wieder nach ‚Asien‘ fliegen und mit einem von Colonel Jean Howell (Allison Janney) angeführtem Special-Forces-Kommando die KI finden und vernichten. Joshua, der seit Mayas Tod nicht mehr Soldat ist, wird mit dem Hinweis geködert, dass Maya noch am Leben sei.

Rücksichtslos dringen sie in das Feindesland vor. Als sie die KI finden, sind sie überrascht. Es handelt sich nicht um einen großen stationären Computer, sondern um die sechsjährige Alphie (Madeleine Yuna Voyles). In dem Moment ist erst ein Viertel des zweistündigen Films um. Die Entdeckung der KI-Superwaffe markiert nicht das Ende des Films, sondern das Ende des ersten Akts. Danach beginnt ein etwas anderer Film. Etwas, weil „The Creator“ ein Science-Fiction-Kriegsfilm ist und er das bleibt. Die US-Militäreinheit, die bis dahin äußest rücksichtslos gegen die Einheimischen vorging, ändert ihr Vorgehen nicht. Sie verfolgen weiterhin stur ihren Auftrag. Hindernisse werden mit mehr oder weniger viel Gewalt eliminiert. Die sie bekämpfenden KI-Soldaten schießen ähnlich rücksichtslos zurück. Die zwischen den beiden Fronten stehenden Reisbauern beobachten weiterhin sprachlos das Geschehen.

Für Joshua ändert sich allerdings einiges. Er wird zum Vaterersatz für Alphie und er hofft, dass Alphie ihm bei der Suche nach Maya helfen kann. Gemeinsam reisen sie durch das Kriegsgebiet, das weniger wie ein zukünftiges, sondern viel mehr wie ein vergangenes Kriegsgebiet aussieht. Gedreht wurde an achtzig verschiedenen Orten in Thailand, Vietnam, Kambodscha, Nepal, Indonesien, Japan, Los Angeles und in London in den Pinewood Studios. Die Bilder, die Edwards und seine Kameramänner Greig Fraser (zuletzt „Dune“ und „The Batman“) und Oren Soffer finden, könnten aus einem Film über den Vietnamkrieg stammen. Nur dass dieses Mal neben den vietnamesischen Bauern halbwegs menschenähnlich aussehende Roboter stehen. Einige in der Landschaft und Städten herumstehende Gebäude erinnern an die aus „Blade Runner“ bekannten Gebäude. Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker ist eines der Werke, das Edwards als Einfluss für seinen neuesten Film nennt. Die anderen Werke, die Edwards nennt, sind Joseph Conrads „Heart of Darkness“ (Herz der Finsternis), Coppols Verfilmung „Apocalypse Now“, „Akira“, den experimentellen Dokumentarfilm „Baraka“ und für die Beziehung zwischen Joshua und Alphie, „Rain Man“, „The Hit“, „E. T. – Der Außerirdische“ und „Paper Moon“. Diese Vorbilder sind für cineastisch gebildete Menschen einfach zu erkennen. Deshalb haben sie auch immer das Gefühl, dass „The Creator“ in erster Linie bekannte Versatzstücke neu anordnet.

Die Geschichte ist ein Remake, eine Variation, von seinem vorherigen Film „Rogue One“. Nur dass dieses Mal die Rebellen nicht die Pläne für den Todesstern aus den Händen des Imperiums klauen müssen, sondern dass sie eine Künstliche Intelligenz, die sie alle vernichten könnte, finden müssen.

Die Zuschreibung wer die Guten und wer die Bösen sind, erfolgt im Drehbuch. Im Film wird das nicht erklärt. In „Star Wars“ sind die Rebellen die Guten, weil sie die Guten sind. In „The Creator“ ist es auf den ersten Blick etwas komplizierter. Anfangs sind die Fronten klar. Auf der einen Seite steht die böse Künstliche Intelligenz, die eine gesamte Millionenstadt ausradiert. Auf der anderen Seite stehen die guten Soldaten, die weiteres Unglück verhindern wollen. Wenn sich die Geschichte nach Asien verlagert und die Ikonographie des Vietnam-Kriegsfilms heraufbeschworen wird, ahnen wir schon, dass die Guten nicht unbedingt die Guten sind. Sie gehen rücksichtslos vor. Es ist eine Töten-und-Vernichten-Mission, bei der keine Gefangenen gemacht werden.

Wobei die asiatischen KI-Soldaten ähnlich rücksichtslos vorgehen. Über die Gesellschaft im ‚Westen‘ und in ‚Asien‘ erfahren wir nichts. Wobei ‚Asien‘ mit seinen ständigen Kontrollen und der dauerpräsenten Polizei wie eine Diktatur aussieht.

Der Wandel von Joshua vom Kämpfer gegen die KI zum Kämpfer für die KI (das überrascht doch jetzt wirklich niemanden) erfolgt dann vor allem über das Aussehen der KI-Superwaffe. Sie sieht wie ein Kind aus. Warum das so ist, wird nicht erklärt. Aber echte Soldaten töten keine Kinder. Außerdem könnte das KI-Kind Alphie sein Kind sein. Denn als seine Frau vor fünf Jahren durch einen Angriff der westlichen Soldaten starb, war sie schwanger.

Aber einen rational nachvollziehbaren Grund, warum Joshua die Seiten wechselt und warum die KI besser ist, wird nicht geliefert. Es bleibt eine Behauptung in einer arg vorhersehbaren Geschichte, die niemals eine wirklich schlüssige Zukunft erfindet. Es sind gut aussehende Versatzstücke aus anderen Welten. Knapp gesagt ist „The Creator“ ein Verschnitt aus „Apocalypse Now“, „Blade Runner“ und „Rogue One“.

Die Action ist wuchtig inszeniert und die dreckigen Kriegsfilmbilder überzeugen. Wahrscheinlich gibt es kein einziges Bild im Film, das nicht am Computer nachbearbeitet wurde. Doch die Arbeit wurde kompetent durchgeführt. Hier sieht, im Gegensatz zu den schrottigen CGI-Effekten in „The Expendables 4“, alles echt aus.

The Creator (The Creator, USA 2023)

Regie: Gareth Edwards

Drehbuch: Gareth Edwards, Chris Weitz (nach einer Geschichte von Gareth Edwards)

mit John David Washington, Gemma Chan, Ken Watanabe, Sturgill Simpson, Madeleine Yuna Voyles, Allison Janney, Ralph Ineson

Länge: 134 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Creator“

Metacritic über „The Creator“

Rotten Tomatoes über „The Creator“

Wikipedia über „The Creator“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Gareth Edwards‘ „Godzilla“ (Godzilla, USA 2014)

Meine Besprechung von Gareth Edwards‘ „Rogue One: A Star Wars Story“ (Rogue One: A Star Wars Story, USA 2016)