mit Salma Hayek, Vincent Cassel, John C. Reilly, Toby Jones, Shirley Henderson, Hayley Carmichachel, Stacy Martin, Bebe Cave, Christian Lees, Jonah Lees, Alba Rohrwacher, Massimo Ceccherini, Guillaume Delaunay
Bei uns sind eigentlich nur die Bilder von den überfüllten Booten im Mittelmeer und den überfüllten Flüchtlingslagern an der südlichen Grenze zu Europa bekannt. Es heißt dann immer, die Flüchtlinge seien aus Afrika gekommen. Aber wer sie sind, wo sie genau herkommen und welchen strapaziösen Weg sie bis zum Mittelmeer auf sich genommen haben, ist nicht bekannt.
Dieses ‚davor‘ erzählt Regisseur Matteo Garrone („Gomorrha“, „Das Märchen der Märchen“) in seinem neuen Spielfilm „Ich Capitano“. Im Mittelpunkt des Films stehen die beiden aus dem Senegal kommenden Jugendlichen Seydou und Moussa. In Dakar leben die beiden Teenager ein ärmliches Leben. Wie viele Jugendliche träumen sie von einem besseren Leben. Zum Beispiel als Musiker auf einer großen Bühne. Dieses erhoffen sie sich in Europa. Gemeinsam und mit mühsam bei Knochenjobs abgespartem Geld machen sie sich auf den Weg. Es ist eine durchgehend gefährliche und beschwerliche Reise, die sie von Dakar durch die angrenzenden Länder und die Sahara nach Libyen führt. Von Tripolis aus wollen sie das Mittelmeer in Richtung Italien überqueren. Schon kurz nachdem sie ihre Heimatstadt verlassen haben, bemerken sie, dass der vor ihnen liegende Weg gefährlich ist und nicht alle das Ziel erreichen werden.
Matteo Garrone erzählt die Geschichte der beiden Jungs chronologisch als typische Auswanderergeschichte vom Verlassen des Heimatdorfs bis zur Ankunft im gelobten Land. Diese Geschichte wurde schon in unzähligen Variationen erzählt. So allerdings sehr selten. In „Ich Capitano“ brechen nämlich nicht Italiener oder Iren nach Amerika, sondern zwei Senegalesen nach Europa auf. Der Grund für das Verlassen ihrer Heimat ist, falls es keine Flucht aus politischen oder religiösen Gründen ist, damals und heute der gleiche: sie erhoffen sich im gelobten Land ein besseres Leben. Dieser Wunsch ist, nachdem Garrone deren ärmliches Leben in Dakar gezeigt hat, verständlich. Im Senegal werden sie immer arm bleiben.
Während des gesamten farbenprächtigen Films bleibt Garrone bei Seydou und Mossa, die vorzüglich von den aus Senegal kommenden Newcomern Seydou Sarr und Moustapha Fall gespielt werden. Deren Reiseabenteuer, die alle auf wahren Ereignissen basieren, erzählt Garrone durchgehend mit den vertrauten Mitteln des klassischen Hollywoodkinos. Das erleichtert die Identifikation und es markiert einen wohltuenden Wechsel der Perspektive. Aus den Menschen, die im tagespolitischen Diskurs davon abgehalten werden sollen, das Gebiet der Europäischen Union zu betreten, werden Menschen, die einen Traum verfolgen. Garrone konzentriert sich in seinem bildgewaltigem und berührenden Abenteuerfilm auf die beiden Jungen, ihre wenigen schönen und vielen traumatischen Erlebnisse und wie sie versuchen, anständig zu bleiben.
Seine Premiere hatte „Ich Capitano“ 2023 in Venedig. Dort erhielt der Film mehrere Preise. Garrone erhielt den Silbernen Löwen für die Beste Regie. Nominierungen für den Europäischen Filmpreis, den Golden Globe und den Oscar als Bester Internationaler Film schlossen sich an.
Ich Capitano (Io capitano, Italien/Belgien 2023)
Regie: Matteo Garrone
Drehbuch: Matteo Garrone, Massimo Gaudioso, Massimo Ceccherini, Andrea Tagliaferri
mit Salma Hayek, Vincent Cassel, John C. Reilly, Toby Jones, Shirley Henderson, Hayley Carmichachel, Stacy Martin, Bebe Cave, Christian Lees, Jonah Lees, Alba Rohrwacher, Massimo Ceccherini, Guillaume Delaunay
Marcello betreibt in einer süditalienischen Küstenstadt, deren besten Jahre schon einige Jahrzehnte zurückliegen, an der Strandpromenade einen Hundesalon. Zu seinen Nachbarn und Besucher gehören Kleingangster, die ihn in ihre Verbrechen hineinziehen.
TV-Premeire. Handlungsarmes Noir-Drama über einen gutmütigen Mann, der in einem normalen Gangsterfilm höchstens eine klitzekleine Nebenrollen hätte.
Zu Matteo Garrones vorherigen Filmen gehören „Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“ und „Das Märchen der Märchen“.
Hochgelobte Verfilmung von Savianos auf Tatsachen basierendem gleichnamigem Roman. Garrone zeichnet in fünf unabhängigen Handlungssträngen ein unglamouröses Bild der Camorro in Neapel.
Der Film erhielt in Cannes den Großen Preis der Jury.
Mit Salvatore Abruzzese, Maria Nazionale, Toni Servillo
mit Salma Hayek, Vincent Cassel, John C. Reilly, Toby Jones, Shirley Henderson, Hayley Carmichachel, Stacy Martin, Bebe Cave, Christian Lees, Jonah Lees, Alba Rohrwacher, Massimo Ceccherini, Guillaume Delaunay
Wiederholung: Montag, 22. April, 02.20 Uhr (Taggenau!)
„Dogman“ steht auf dem altmodischen, ziemlich verblassten Ladenschild des kleinen Ladengeschäfts. Es ist in einem Betonbau an der Strandpromenade einer süditalienischen Küstenstadt, deren besten Jahre schon einige Jahrzehnte zurückliegen.
Das Geschäft gehört Marcello. Er ist geschieden und hat eine kleine Tochter, zu der er ein gutes Verhältnis hat. Er ist ein Hundefriseur, der sich liebevoll um seine tierische Kundschaft kümmert. Die Besitzer nimmt er, und damit die Kamera, kaum wahr. Nebenbei verkauft er in kleinen Mengen Drogen. Marcello ist ein sanftmütiger, guter Mensch, der nicht nein sagen kann. Das wissen wir schon nach seiner ersten Begegnung mit Simone.
Simone ist ein Ex-Boxer, der die Geschäftsleute am Strand terrorisiert und der, wie ein kleines Kind, zunehmend unberechenbar agiert. Vor allem, wenn die anderen nicht sofort tun, was er will.
„Dogman“ ist der neue Film von Matteo Garrone, dem Regisseur von „Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“ (dem Spielfilm) und „Das Märchen der Märchen“. Mit „Dogman“ kehrt er wieder in die Welt von „Gomorrha“ zurück. Allerdings konzentriert er sich dieses Mal auf einen Charakter, der in einem Gangsterfilm zwischen all den Gangstern und Polizisten höchstens eine Nebenfigur ist.
Diesen Charakter bettet er in ein in schönster neorealistischer Tradition gezeichnete Welt ein. Garrone beobachtet Marcello und sein Umfeld, das vor allem aus seiner Tochter und den anderen Geschäftsleuten am Strand besteht, genau. Oft gelingt es ihm, in einer Szene ganze Lebensgeschichten und Beziehungen zusammenzufassen. Zum Beispiel wenn wir Simone mit seiner Mutter sehen.
Dummerweise steht im Zentrum des handlungsarmen Noirs ein Mann, über den wir nach fünf Minuten schon alles wissen. Marcello ist ein guter Mann. Sein einziger Fehler ist, dass er nicht nein sagen kann. Und vielleicht, dass er zu sehr an das Gute im Menschen glaubt. Denn warum sollte die bedingungslose Zuneigung, mit der er die Hunde pflegt, nicht auch bei Menschen helfen?
Diese Situation, in der Marcello um etwas gebeten wird, es zuerst ablehnt und dann doch tut, wird uns, ohne große Variation, immer wieder und wieder gezeigt. Bis zur letzten Filmminute.
Diese vielen, schnell ermüdenden Wiederholungen in einer kaum vorhandenen Geschichte mit einem weitgehend passiven Protagonisten führen dazu, dass Garrones düstere, formal geschlossene Parabel trotz ihren kurzen Laufzeit von unter hundert Minuten deutlich länger wirkt.
Es ist nämlich keine Entwicklung vorhanden. Auch ein längerer Gefängnisaufenthalt, von dem wir nur sehen, wie Marcello das Gefängnis betritt und verlässt, hinterlässt bei Marcello keine Spuren. Nur seine Stellung in der Gemeinschaft der Geschäftsleute hat sich geändert. Danach wird er von ihnen geschnitten. Denn er hat Simone bei einem Einbruch geholfen und danach die gesamte Schuld auf sich genommen. Seltsamerweise kommen die Geschäftsleute nicht auf die Idee, dass Marcello von Simone zu dem Einbruch gezwungen wurde und nur mithalf, weil er nicht nein sagen konnte.
Das handlungsarme Noir-Drama „Dogman“ beschreit in jeder Beziehung einen Stillstand. Es gibt keine Veränderungen. Und wenn doch, dann zum Schlechteren.
Marceollo Fonte, der Marcello spielt, wurde in Cannes für seine Darstellung als bester Schauspieler ausgezeichnet.
mit Salma Hayek, Vincent Cassel, John C. Reilly, Toby Jones, Shirley Henderson, Hayley Carmichachel, Stacy Martin, Bebe Cave, Christian Lees, Jonah Lees, Alba Rohrwacher, Massimo Ceccherini, Guillaume Delaunay
Heute sind Märchen Kindergeschichten. Gute-Nacht-Geschichten, die nachmittags im Fernsehen gezeigt werden und deren Ursprung, nämlich eine Erzählung für Erwachsene zu sein, heute kaum noch feststellbar ist.
Matteo Garrone, der das realistische Gangsterepos „Gomorrah“ inszenierte, drehte jetzt mit „Das Märchen der Märchen“ einen Film, der garantiert nicht für Kinder geeignet ist. Auch wenn die FSK ihn ab 12 Jahre freigegeben hat, richtet sich dieser Märchenfilm an ein erwachsenes Publikum, das die Anspielungen und Märchenmotive, die hier vom Kopf wieder auf die Füße gestellt werden, gerne wieder erkennt. Inspiriert ist der Film von Giambattista Basiles Geschichtensammlung „Il Racconto dei Racconti“ („Das Märchen der Märchen“ bzw. „Das Pentameron“). Basile sammelte – wie wir es von Giovanni Boccaccios „Das Dekameron“ (Decamerone, das zwischen 1349 und 1353 geschrieben wurde), einer Sammlung von hundert Novellen, kennen – fünfzig Märchen, die er in eine Rahmenhandlung, in der sich eine Gruppe von Menschen in fünf Tagen 49 Geschichten erzählte, einbettete. „Il Racconto dei Racconti“ erschien 1634/1636 und ist eines der großen Märchenbücher, das, weil es im neapolitanischen Dialekt geschrieben ist, lange unbekannt blieb und später von den Brüdern Grimm als Grundlage für ihre Märchensammlung genommen wurde.
Garrone wählte für seinen Film „Das Märchen der Märchen“ drei Geschichten aus, über deren Anfang und Ende gestritten werden kann. Er erzählt von einer Königin (Salma Hayek), die alles tun würde, um einen Sohn zu gebären. Dafür schickt sie ihren Mann in den Tod. Und nach der Geburt – gleichzeitig gebar eine Dienstmagd einen identischen Zwilling – ist die Geschichte noch nicht vorbei. In der zweiten Geschichte verliebt der König von Strongcliff (Vincent Cassel) sich in eine liebreizende Frau, die bis jetzt seinem Sextrieb entgehen konnten. Was er nicht ahnt, ist, dass sie, die sich seinen Avancen entzieht und ihr Gesicht verbirgt, nicht jung und schön, sondern alt und hässlich ist. Und dabei kriegt der König, wenn er bei einer Frau auch nur eine Falte sieht, Panickattacken. In der dritten Geschichte sucht der König von Highhills (Toby Jones) mit einem Ratespiel einen Gemahl für seine Tochter Violet (Bebe Cave). Der künftige Bräutigam ist ein riesiger, ungeschlachteter Unhold, der sie auch gleich über seine Schulter wirft und in seine Höhle verschleppt.
Diese in verschiedenen, aber benachbarten Königreichen spielenden Hauptgeschichten ergänzt Garrone um viele kürzere Episoden und er erzählt sie nicht hintereinander (obwohl ich seine solche Schnitffassung gerne sehen würde), sondern parallel und auch eher distanziert, was dem Film ein schleppendes Tempo verleiht und mit zunehmender Laufzeit bemerkt man, dass der Film primär eine Sammlung von nur lose miteinander verbundenen Episoden ist. Weshalb einige Charaktere plötzlich aus dem Film verschwinden und andere Charaktere, die für den gesamten Film letztendlich eine große Bedeutung haben, wie die Königstochter Violet, erst sehr spät auftauchen. Es gibt nicht, wie bei anderen Ensemblefilmen, einen den gesamten Film tragenden Charakter. Eher schon betrachtet man alle Personen gleich distanziert. Es gibt ein eigentümliches Missverhältnis zwischen Nebencharakteren, deren Gefühle man versteht und die manchmal nur ein, zwei Szenen oder eine große, äußerst berührende Szene haben, und den Hauptcharakteren, die dagegen schon zu einer eindimensionalen Parodie mutieren. Das gilt vor allem für den sexsüchtigen König von Strongcliff (Vincent Cassel), der nur mit schönen, jungen Frauen Sex haben will, dem wir zum ersten Mal nach einem solchen Gelage begegnen und der dem Begriff „Oberflächlichkeit“ eine neue Dimension verleiht. Er ist wahrlich nicht der Märchenprinz, sondern eher ein notgeiler, alternder Vampir.
Auffallend bei allen Geschichten ist, wie sehr die bekannten Märchenkonventionen gegen den Strich gebürstet werden. Als habe Garrone sich gefragt „Was würde Disney tun?“ und dann das Gegenteil getan. Daher ist auch in jeder Szene eine ungebremste sexuelle Lust spürbar und alle sind von niederen Trieben und Obsessionen beherrscht. Das gilt für den König von Highhill (Toby Jones), der sich nur für einen einen schweinemäßig riesigen Floh, den er in seinem Gemach füttert, interessiert. Seine Tochter ist ihm dagegen herzlich egal.
Oder für die Königin von Longtrellis (Salma Hayek), die sich unbedingt einen Erben wünscht, dafür ihren Mann in den Kampf mit einem Seeungeheuer schickt und anschließend das blutig pulsierende Herz des Ungeheuers genußvoll verspeist; – wobei wir uns fragen, wer hier das wirkliche Ungeheuer ist. Denn den durch das Ungeheuer verursachten Tod ihres Mannes betrauert sie nur pflichtschuldig.
Ebenso auffallend ist, dass bei Garrone die Frauen das starke Geschlecht sind und sie auch sympathischer sind, während die Männer ausgemachte Trottel sind, mit denen man keinen Funken Mitleid hat. In diesem Anti-Disney-Kosmos gibt es dann auch keinen Traumprinz und die Prinzessin muss die Dinge selbst in die Hand nehmen.
Seine düsteren Märchen bettet Garrone in eine vom Barock inspirierte Fantasywelt, die in ihrer Opulenz verzaubert. Auch dank der prächtigen Ausstattung und den handgemachten Tricks. Das erinnert dann an die vor Jahrzehnten in Cinecittà entstandenen Filme, irgendwo zwischen Fellinis Pracht und dem Trash der Sandalenfilme.
Hochgelobte Verfilmung von Savianos auf Tatsachen basierendem gleichnamigem Roman. Garrone zeichnet in fünf unabhängigen Handlungssträngen ein unglamouröses Bild der Camorro in Neapel.
Der Film erhielt in Cannes den Großen Preis der Jury.
Mit Salvatore Abruzzese, Maria Nazionale, Toni Servillo