Neu im Kino/Filmkritik: Über Hayao Miyazakis „Der Junge und der Reiher“

Januar 5, 2024

Seinen Rückzug hat Hayao Miyazaki bereits öfter angekündigt. Und hat dann einen weiteren Film gemacht. Trotzdem könnte es dieses Mal stimmen. Schließlich ist er 83 Jahre und die Produktion seines aktuellen Films hat sieben Jahre (vier Jahre länger als ursprünglich geplant) gedauert. Ein Grund war, dass für diesen Animationsfilm zugunsten von Handzeichnungen auf Computertechnik weitgehend verzichtet wurde. Natürlich verzichtet das produzierende Studio Ghibli, die weltweit erfolgreiche und bewunderte japanischen Antwort auf Walt Disney, nicht vollkommen auf Computer. Aber die klassiche Animation wird gepflegt und das sieht man in den Bildern von Hayao Miyazakis neuem Film „Der Junge und der Reiher.“

Die Geschichte spielt während des Zweiten Weltkriegs. Bei einem Luftangriff auf Tokio verliert der elfjährige Mahito seine Mutter. Er wird zu seinem Vater aufs Land geschickt. Dort kommt er in einem alten Herrenhaus, das sich auf einem riesigen Landgut befindet, unter. Für einen Jungen ist das die ideale Gegend für einsame Streifzüge an verbotene Ort und damit verbundener Abenteuer. Wenn da nicht seine alles überwältigende Trauer über den Verlust seiner geliebten Mutter und ein sprechender Graureiher, der ihn anscheinend auf Schritt und Tritt begleitet und nervt, wären.

Eines Tages entdeckt er eine verfallene Turmruine. Als er sie betritt, betritt er, wie Alice in „Alice im Wunderland“, eine andere Welt. Der Graureiher begleitet ihn als Reiseführer mit unklarer Agenda in diese Welt, in der Mahito sich mit seinen Gefühlen und Wünschen auseinandersetzen muss.

Miyazaki, der für seinen Film „Chihiros Reise ins Zauberland“ 2002 auf der Berlinale den Goldenen Bären und später auch den Oscar für den besten Animationsfilm erhielt, lässt in Mahitos Geschichte auch einige Details aus seiner Biographie einfließen. Das ist insofern ungewöhnlich, weil er das sonst nicht tut. Andererseits sind diese biographischen Details eher beliebig. So zog seine Familie während des Krieges aus der Stadt aufs Land. Sein Vater arbeitete ebenfalls in einer Fabrik, die Teile für Kampfflugzeuge herstellte. Mahito soll dem jungen Miyazaki ähneln. Allerdings wurde Miyazaki erst 1941 geboren und seine Mutter überlebte den Krieg um viele Jahre. Sie starb 1983.

Das gesagt, ändert das nichts daran, dass die Geschichte von „Der Junge und der Reiher“ persönlich und zugleich universell ist. Es geht um Trauer, Verlust und das Erwachsenwerden. Das erzählt Miyazaki ausufernd und mit vielen Anspielungen, die ohne Erklärungen wahrscheinlich nur mit der japanischen Kultur gut vertrautes Publikum versteht, in einer wunderschön gezeichneten fantastischen Welt.

In Japan, wo der Film ohne eine große Werbekampagne anlief, hatte er den besten Start eines Ghibli-Films. Auch in Frankreich und den USA war der Film in der Startwoche auf dem ersten Platz.

Und Hayao Miyazaki scheint seinen Ruhestand so zu genießen, dass er jeden Tag in sein Studio-Ghibli-Büro geht und Ideen für seinen nächsten Film aufschreibt.

Der Junge und der Reiher (Kimitachi wa Do Ikiru ka, Japan 2023)

Regie: Hayao Miyazaki

Drehbuch: Hayao Miyazaki

Länge: 124 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (mit Eltern ab 6 Jahre – wobei ich die FSK-12 für sehr nachvollziehbar halte)

Internationaler Titel: The Boy and the Heron

Lektüretipp

Wer mehr über das Studio Ghibli und seine bisherigen Filme, die ausführlich vorgestellt werden, werden, sollte sich das informative Buch von Michael Leader und Jake Cunningham besorgen.

Michael Leader/Jake Cunningham: Ghibliothek – Der inoffizielle Guide zu den Filmen von Studio Ghibli

(übersetzt von Katrin Aust)

Panini, 2022

192 Seiten

30 Euro

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Der Junge und der Reiher“

Metacritic über „Der Junge und der Reiher“

Rotten Tomatoes über „Der Junge und der Reiher“

Wikipedia über „Der Junge und der Reiher“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Suzume“, der neue Anime von Makoto Shinkai

April 14, 2023

So langsam werden auch bei uns japanische Trickfilme populärer. In den vergangenen Jahren wurden viele Animes auf DVD/Blu-ray veröffentlicht. Sie hatten keinen oder nur einen Pseudo-Kinostart der Marke „nur ein Tag, nur in ausgewählten Kinos“. Manchmal waren es dann doch mehrere Tage oder verdammt lange Tage. „Suzumu“ hat jetzt einen richtigen Kinostart. Die in Japan schon sehr erfolgreiche Fantasy-Romanze läuft mehrere Tage in mehreren Kinos und wird, je nach Zuschauerzahlen, natürlich weiter gezeigt werden.

In Makoto Shinkais neuem Film geht es um die siebzehnjährige Suzume und die Abenteuer, die sie mit Souta erlebt.

Auf dem Weg zur Schule trifft sie auf Souta und sie verliebt sich sofort in ihn. Schließlich sieht er wie ein Rockstar-Traumprinz aus. Seine offensichtliche Traurigkeit und Weltmüdigkeit macht ihn noch attraktiver für Suzume. Er sucht in dem Küstenort nach Ruinen. Sie verfolgt ihn, entdeckt dabei in einem verlassenen Bad eine im Wasser stehende Tür, durch die eine andere Welt betreten werden kann. Sie ist ein Portal in eine andere Dimension. Souta ist ein Portalwächter, der dieses und andere Portale schließen muss, bevor aus der anderen Dimension ein Wurm kommt und in unserer Welt Erdbeben verursacht.

Mehr soll hier nicht über die komplexe, vor allem für Mädchen gemachte Fantasy-Romanze, die zwischen Räumen und Zeiten spielt, verraten werden. Wobei alle, die Shinkais frühere Filme kennen, ziemlich schnell eine ziemlich gute und zutreffende Idee über den weiteren Verlauf der Geschichte haben werden. „Suzume“ bedient sich nämlich sehr offensichtlich an dem Plot von Shinkais bislang größtem Erfolg „Your Name. – Gestern, heute und für immer“. Diese Fantasy-Romanze war ein Kritiker- und Publikusliebling und der aktuell dritterfolgreichste Anime. Auf dem vierten Platz steht, im Moment noch mit deutlichem Abstand, „Suzume“.

Shinkais neuer Anime ist absolut sehenswert, aber nicht ganz so gut wie „Your Name. – Gester, heute und für immer“.

Suzume (Suzume no Tojimari, Japan 2022)

Regie: Makoto Shinkai

Drehbuch: Makoto Shinkai

Länge: 123 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Lektürehinweis

Wer mehr über die Welt der Animes erfahren möchte, kommt um die von Michael Leader und Jake Cunningham geschriebenen, reichhaltig illustrierten Bücher „Die Anime-Bibliothek – Die ultimative Guide zum japanischen Animationsfilm“ und „Gibliothek – Der inoffizielle Guide zu den Filmen von Studio Ghibli“.

Lasst euch nicht von der Seitenzahl täuschen. Die umfangreichen Texte sind sehr klein gedruckt. Und sehr informativ.

Michael Leader/Jake Cunningham: Die Anime Bibliothek – Der ultimative Guide zum japanischen Animationsfilm

(übersetzt von Ruben Grest)

Panini, 2022

192 Seiten

30 Euro

Michael Leader/Jake Cunningham: Ghibliothek – Der inoffizielle Guide zu den Filmen von Studio Ghibli

(übersetzt von Katrin Aust)

Panini, 2022

192 Seiten

30 Euro

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Suzume“

Metacritic über „Suzume“

Rotten Tomatoes über „Suzume“

Wikipedia über „Suzume“ (deutsch, englisch)