Neu im Kino/Filmkritik: „Nightwatch: Demons are forever“ in der Leichenhalle

Mai 17, 2024

Dreißig Jahre nach seinem Debüt, dem international erfolgreichen Thriller „Nightwatch – Nachtwache“, erzählt Ole Bornedal die Geschichte von seinem immer noch bekanntesten Film mit den damaligen Hauptdarstellern Nikolaj Coster-Waldau, Kim Bodnia und Ulf Pilgaard und einigen Neuzugängen weiter.

Zuerst wirkt Bornedals Fortsetzung „Nightwatch: Demons are forewer“ wie ein Remake des grandiosen Originals mit geänderten Geschlechterrollen. Damals arbeitete Jurastudent Martin (Nikolaj Coster-Waldau) als Nachtwächter in der Gerichtsmedizin. Er begegnete dabei dem Serienmörder Wörmer (Ulf Pilgaard), der ihn, seinen besten Freund Jens (Kim Bodnia) und seine Freundin töten wollte.

Heute, dreißig Jahre später, nimmt Martins Tochter Emma, gespielt von Ole Bornedals Tochter Fanny Leander Bornedal mit einnehmendem Das-Mädchen-von-nebenan-Charme, einen Job als Nachtwächterin in eben diesem Institut für Rechtsmedizin Kopenhagen an. Die Medizinstudentin will mehr über die damaligen Ereignisse erfahren – und hält eine Arbeit an dem Ort, an dem es vor dreißig Jahren geschah, für einen guten Startpunkt für ihre Erforschung der Familiengeschichte.

Während sie in ihren Nachtwachen das Institut erkundet und mit ihren Freunden abhängt, lungert ihr Vater antriebslos auf der Couch herum. Meist schafft er es noch nicht einmal, die ihm von seinem Arzt verschriebenen Tabletten einzunehmen. Er hat offensichtlich die dreißig Jahre zurückliegenden Ereignisse immer noch nicht verarbeitet.

In dem Moment weiß Emma noch nicht, dass auch der Serienmörder Wörmer die Nacht überlebt hat. Er sitzt in einer Psychiatrie. Und jetzt begebe ich mich in das Minenfeld zwischen spoilern und ‚ist doch eh klar‘: Wörmer hat eine Tochter, deren Identität erst im Finale enthüllt wird, und es gibt jemand, der wie Wörmer mordet. Das erste Mal ungefähr in der Mitte des Films.

Bis dahin gibt es Trauer auf der Couch, Langeweile am Arbeitsplatz und Abhängen mit anderen Studierenden.

Bornedal schleppt den schon am Filmanfang angedeuteten, äußerst vorhersehbaren Thrillerplot ziemlich unlustig durch den Film. Er zieht sich wie Kaugummi und wird immer wieder über weite Strecken ignoriert. Beispielsweise wenn Martins Freund Jens nach jahrzehntelanger Abwesenheit in Thailand überraschend nach Dänemark zurückkehrt, er mit Martin in Erinnerungen schwelgt und sie nachts ein menschenleeres Fußballstadion besuchen. In den Momenten ahnt man, dass es Bornedal weniger um einen weiteren vorhersehbaren Serienkillerthriller, sondern mehr um eine psychologische Studie und eine Auseinandersetzung mit der Verabeitung traumatischer Erlebnisse geht. Dummerweise bleibt er hier an der Oberfläche. Alle, die damals involviert waren, scheinen die damaligen Ereignisse auf die gleiche Art zu verarbeiten. Nach den damaligen Gewalterfahrungen kapseln sie sich über dreißig Jahre ein. Eine Therapie lehnen sie ab. Sie würde eh nichts ändern.

Das verkürzt die Erkenntnisse der Traumaforschung und wie Trauma teils über Generationen weitergegeben werden, auf nur eine einzige Form der Verarbeitung. Das ist Quatsch und in dieser Häufung in der Realität unrealistisch. Im Film ist das anders. Da kann der Regisseur sich Freiheiten nehmen. Wenn es sich nicht um die möglicherweise sogar grotesk übersteigerte Reaktion einer Figur auf ein Ereignis handelt, kann das zu einem spannendem Film führen. Wenn, wie hier, in einem Film ungefähr alle Hauptpersonen gleich auf ein Ereignis reagieren, langweilt man sich dagegen schnell.

In Bornedals Remake/Reboot/Weitererzählung seines Spielfilmdebüts behindern die einzelnen Teile und Plots sich gegenseitig. Für einen Thriller ist „Nightwatch: Demons are forever“ zu lahm. Für eine psychologische Studie zu oberflächlich. Und für ein Coming-of-Age-Drama zu wenig interessiert an Emma. Immerhin wissen wir, mit einem Blick auf Martin, Jens und den Filmtitel „Demons are forever“, welche ewig währenden dämonischen Nachwirkungen ein Kampf gegen einen Serienkiller auf die Psyche hat.

Nightwatch: Demons are forever (Nattevagten 2 – Dæmoner går i arv, Dänemark 2023)

Regie: Ole Bornedal

Drehbuch: Ole Bornedal

mit Fanny Leander Bornedal, Nikolaj Coster-Waldau, Kim Bodnia, Sonja Richter, Paprika Steen, Vibeke Hastrup, Ulf Pilgraad

Länge: 114 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Nightwatch: Demons are forever“

Metacritic über „Nightwatch: Demons are forever“

Rotten Tomatoes über „Nightwatch: Demons are forever“

Wikipedia über „Nightwatch: Demons are forever“ (deutsch, dänisch)

Meine Besprechung von Ole Bornedals „Small Town Killers“ (Dræberne fra Nibe, Dänemark 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: „Small Town Killers“ vor mörderischen Problemen

Juli 6, 2017

Beruflich läuft es für Edward und Ib gut. Auch weil sie als Handwerker am liebsten schwarz arbeiten.

Privat läuft es bei ihnen nicht so gut. Ihre Ehefrauen Ingrid und Gritt flirten lieber mit dem Tanzlehrer als ihren ehelichen Pflichten nachzukommen.

Etwas muss sich ändern, denken sich die beiden frustrierten Männer, die nicht gerade übermäßig intelligent sind. Eine Scheidung ist für sie keine Option. Denn dann müssten sie ihr schwer verdientes Schwarzgeld mit ihren Frauen teilen und das wäre dann doch zu teuer. Aber ein Profikiller könnte das Problem lösen. Betrunken organisiert Edward einen aus dem Osten kommenden Killer. Igor heißt er und er ist trinkfreudig, wie man es von einem Russen erwartet.

Schon bevor er zur Tat schreiten kann, plagt die beiden Auftraggeber das schlechte Gewissen. Immerhin haben sie ja nichts gegen ihre Frauen und den Tod haben sie auch nicht verdient. Daher würden sie den Doppelmord-Auftrag gerne abbrechen. Bevor es dazu kommt, erzählt Igor Ingrid und Gritt unwissentlich, dass er sie umbringen soll.

Nach einer Schrecksekunde beauftragen sie Miss Nippleworthy, ihre beiden Männer umzubringen. Miss Nippleworthy kommt, wie man bei ihrem Namen ahnt, aus England ins dänische Nibe. Sie sieht wie eine Schwester von Miss Marple aus und am liebsten bringt sie Menschen mit einer Portion Gift um.

Ole Bornedal erzählt seine schwarze Komödie „Small Town Killers“ im gemächlichen Rhythmus des ländlichen Lebens. Man kennt sich schon seit Ewigkeiten. Man hat sich in seinem Leben eingerichtet, bis dann eine ungute Mischung aus Langeweile, sexueller Frustration, Tagträumereien und einer Schnapsidee ein tödliches Karussell in Gang setzt. Denn die beiden Killer wollen ihren Auftrag ausführen. Dass sie dafür vielleicht noch ein, zwei Leute, die sie bei ihrer Arbeit behindern, umbringen müssen, stört sie nicht. Die Auftraggeber schon. Sie beginnen auch über ihr Leben nachzudenken.

So entsteht in neunzig Minuten ein kleines Sittengemälde, das nie mehr als eine kleine Skizze sein will. Und genau in diesem bescheidenem Anspruch gefällt die Kleinstadtfarce mit ihren absehbaren Entwicklungen.

Small Town Killers (Dræberne fra Nibe, Dänemark 2016)

Regie: Ole Bornedal

Drehbuch: Ole Bornedal

mit Nicolas Bro, Ulrich Thomsen, Mia Lyhne, Lene Maria Christensen, Marcin Dorocinski, Gwen Taylor, Søren Malling, Birthe Neumann, Ole Thestrup

Länge: 90 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Moviepilot über „Small Town Killers“