Neu im Kino/Filmkritik: „Putin“, gesehen durch die Augen von Patryk Vega

Januar 10, 2025

Dass Patryk Vegas „Putin“ kein gewöhnliches Biopic über den russischen Präsidenten wird, wird auch den Menschen, die Vegas vorherige Filme nicht kennen, bereits in den ersten Minuten klar. 2026, also in der nahen Zukunft, informiert ein General den im Krankenhaus liegenden Wladimir Putin über den aktuellen Zustand der Welt. Währenddessen wechselt eine Krankenschwester Putins Windel, verabreicht ihm eine Spritze und gemeinsam heben sie ihn vom Boden ins Bett. Machtloser und in einem entwürdigenderem Zustand sah man selten einen politischen Führer, einen Diktator, dessen Image auf einem Bild hyperpotenter, strotzender Männlichkeit beruht.

Danach springt Vega zurück in Putins Kindheit und es geht in den folgenden knapp zwei Stunden halbwegs chronologisch durch Putins Leben. Dabei interssiert Vega sich nicht für eine realisisch-naturalistisch, sklavisch an den Fakten entlang erzählten Geschichte. Wer das will, ist mit dem Wikipedia-Artikel oder einer TV-Reportage besser bedient.

Vega geht es um die Demontage von Putin, der sich als starken Führer sieht und inszeniert. Vega zeigt ihn – und dieses Porträt wirkt in Osteuropa sicher provozierender als hier im Westen – als einen kleinen Wicht, der von allen geschlagen und herumgestoßen wird. Er leidet an Minderwertigkeitskomplexen und ist impotent. Während die anderen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Orgien feiern, steht er daneben. Alle außer ihm haben Sex. Und er wird immer von zwei nur für ihn sichtbaren Dämonen aus seiner Kindheit begleitet. Es sind ein Halbstarker, der ihn damals, als er als Kind in Moskau ankam, verprügelte, und eine hypersexualisierte, Uniform tragende Dämonin. Sie flüstern ihm ein, was er tun soll.

Inszeniert hat Vega seinen neuen Film als eine mit Farbfiltern zugeschüttete Dystopie und nur halb überzeugende CGI-Leistungsschau. Für ein C-Picture sind die Spezialeffekte okay, für einen Hollywood-Blockbuster erbärmlich schlecht. Vegas computerbearbeitete Bilder sind meilenweit von der Qualität der in „Better Man – Die Robbie Williams Story“, den „Planet der Affen“-Filmen, Disneys aktuellen fotorealistischen Neuverfilmungen von Disney-Klassikern und auch den beiden „Avatar“-Spielfilmen gezeigten Bildern entfernt. Interessant ist seine Idee, Putin nicht von einem ihm ähnlich sehendem Schauspieler spielen zu lassen, sondern Putins Gesicht mit der Hilfe von KI-Programmen auf das Gesicht eines Schauspielers zu kopieren. In einigen Momenten sieht das beängstigend echt aus. Aber meistens sieht es in jeder Beziehung unnatürlich und amateurhaft aus. Vor allem wenn Putin spricht. Deshalb redet er wenig und ist selten im Bild.

Die teils Putins Biographie folgende, teils frei erfundene Story bekommt Vega dabei nie vollständig in den Griff. Von dem Film existieren inzwischen mehrere unterschiedlich lange Fassungen. Ich konnte eine zweieinhalbstündige und die jetzige, etwa eine halbe Stunde kürzere und deutlich gelungenere Kinofassung sehen. Gelungener ist allerdings noch lange nicht gut. Beide Fassungen sind schlecht. Beide Male zerfasert die Geschichte. Beide Male gibt es keine weitergehende Analyse von Putins Leben. Es gibt nur das Bild eines kleinen Mannes, der gerne ein großer Führer wäre, es aber nicht ist. Das ist für einen Spielfilm, der zwischen missglückter Satire, Küchenpsychologie, verklemmten Orgien, Gewaltausbrüchen und Bildern von Kriegsgebieten ziellos schwankt, zu wenig.

Die knapp zweistündige Kinofassung erzählt vor allem am Anfang zügig und satirisch zugespitzt Putins Geschichte. Später wird es sprunghafter und kryptischer. Gegen Ende, wenn er der Präsident von Russland ist, ist die Satire nur noch eine wild fantasierte, episodische, höchstens für Putin-Kenner verstehbare Abfolge von Maßnahmen gegen Terroranschläge, von ihm in Auftrag gegebenen Anschlägen, Ermordungen von Feinden, über die wir gerade ihren Namen erfahren, und Kriegen an austauschbaren Orten mit vollkommen rätselhaften Kriegszielen. Durchgängig springt Vega wild in der Chronologie hin und her.

Die in Tschernobyl unter aussätzigen Verbrechern spielenden Szenen haben zwar nichts mit Putins Biographie zu tun, aber sie sind immerhin visuell überzeugend.

Bei Vega ist der Diktator nicht nackt, sondern er hat gerade sein Geschäft in seine Windel gemacht. Das ist nicht subtil, sondern rmaximal demütigend für den Porträtierten und Vega nimmt sich viel Zeit, diese Botschaft so laut herauszubrüllen, dass auch wirklich jeder im Kinosaal die Botschaft versteht.

Für uns ist die misslungene Satire „Putin“ ein verzichtbarer, sich im Uwe-Boll-Terrotorium bewegendes Werk, dessen Provokationspotential bei uns gegen Null tendiert.

Putin (Putin, Polen 2024)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Patryk Vega

mit Slawomir Sobala,Tomasz Dedek, Justyna Karlowska, Thomas Kretschman, Maksymilian Zielinski

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Putin“

Rotten Tomatoes über „Putin“

Wikipedia über „Putin“

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Bad Boy“ (Bad Boy, Polen 2020)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Small World (Small World, Polen 2021)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Pitbull – Exodus“ (Pitbull, Polen 2021) 

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Love, Sex and Pandemic“ (Milosc, seks & pandemia, Polen 2022)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Niewidzialna Wojna – The invisible war“ (Niewidzialna Wojna, Polen 2022)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Patryk Vegas „Niewidzialna Wojna – The invisible war“

Oktober 9, 2022

Nennen wir Patryk Vegas neuen Film „Niewidzialna Wojna – The invisible war“ Autofiktion. Denn im Mittelpunkt steht ein Regisseur, der seine Filme auch schreibt und produziert, und der gerade nach Katar geflogen ist. Dort erhofft er sich von den Scheichs das nötige Geld für seinen nächsten Film. Als er gefragt wird, warum er zu ihnen gekommen ist, erinnert er sich an sein Leben.

In den nun folgenden über zwei Stunden geht es, mehr oder weniger fiktiv, einmal durch Patryk Vegas Leben von seiner frühen Kinobegeisterung (für Holllywood-Blockbuster), über seine ersten Versuche, Geld zu verdienen (meist mit desaströsem Ergebnis), seiner Arbeit als True-Crime-TV-Reporter (skrupelloser als Jake Gyllenhaal in „Nightcrawler“) und seinen Exploitation-Spielfilmen. In seinen Erinnerungen ist dieser Patryk Vega ein gewissenloses, empathieunfähiges Arschloch. Vega inszeniert dies über weite Strecken als eine bitterböse Satire auf die Medienwelt, die polnische Gesellschaft und den Kapitalismus. Das ist durchgehend auf die zynische Pointe zugespitzt. Die Schauspieler, vor allem die verschiedenen Inkarnationen von Patryk Vega, spielen so schlecht, dass die satirische Absicht überdeutlich ist.

In der zweiten Hälfte verliert „Niewidzialna Wojna“ merklich an Tempo. Dann erinnert Vega sich an seine Filme, von denen wir nichts sehen und über die wir fast nichts erfahren. Wer Vegas Filmographie kennt, ist hier eindeutig im Vorteil. Dazwischen ist er auf Filmpremieren und Empfängen und er plant sein nächstes Filmprojekt. Er will endlich seinen großen international erfolgreichen Hollywood-Blockbuster drehen und so als Regisseur anerkannt werden. Gleichzeitig will er erlöst werden. Denn als braver polnischer Katholik drückt ihn zunehmend das schlechte Gewissen über seine an der Kinokasse erfolgreichen amoralischen Filme, seine Taten und seine Beziehungen ins kriminelle Milieu.

Am Ende des Biopics fragen wir uns, wie autobiograpisch das Werk ist, und welche Stellung „Niewidzialna Wojna“ in seinem Werk haben soll. Also ob es eine überhöhte, keine Grenzen und Tabus kennende Mediensatire mit der Dampframme ist und Vegas nächster Film als weiterer Exploitation-Thriller an seine vorherigen Filme anknüpft, oder ob der am 2. Januar 1977 in Warschau geborene Vega wirklich eine religiöse Bekehrung erfahren hat und seine nächsten Filme gähnend langweilige Faith-based-Movies sind.

Aus Zuschauersicht hoffe ich auf den nächsten Exploitationfilm.

Niewidzialna Wojna – The invisible war (Niewidzialna Wojna, Polen 2022)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Patryk Vega

mit Rafal Zawierucha, Justyna Karlowska, Anna Mucha, Pawel Olearczyk

Länge: 138 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Niewidzialna Wojna – The invisible war“

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Bad Boy“ (Bad Boy, Polen 2020)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Small World (Small World, Polen 2021)

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Meine Besprechung von Patryk Vegas „Love, Sex and Pandemic“ (Milosc, seks & pandemia, Polen 2022)


Neu im Kino/Filmkritik: Wie war das nochmal mit „Love, Sex and Pandemic“?

Februar 11, 2022

Der Titel „Love, Sex and Pandemic“ führt schon etwas in die Irre. Sicher, es geht um Liebe, wir sehen viel Sex und der Film spielt auch während der Coronavirus-Pandemie. Aber die erste Stunde spielt vor der Pandemie und auch in der zweiten Hälfte hatte ich zunehmend den Eindruck, dass die Pandemie sich, nach einem ruhigen Intermezzo, nur noch auf das gelegentliche Tragen von Masken beschränkt.

Dieses Intermezzo ist ein letztendlich für die weitere Geschichte bedeutungsloser Ruhepunkt, in dem es Bilder von einem menschenleeren Warschau gibt. Die Figuren hängen in ihren Wohnungen allein auf dem Sofa ab und videotelefonieren. Einmal sind die vier Hauptfiguren auch in einer Kirche in einer Art Privat-Gottesdienst, in dem sie, wegen der Maskenpflicht, maskiert über ihre Gefühle reden.

Danach geht es weiter, als hätte es diesen kollektiven Moment der Reflektion nicht gegeben. Sowieso drängt sich der Eindruck auf, dass Patryk Vega dieses Intermezzo nur einfügte, weil es während der Dreharbeiten zu seinem Ensemblefilm über Liebe und Sex geschah.

Im Mittelpunkt von „Love, Sex and Pandemic“ stehen die drei Freundinnen Olga, Kaja und Nora, die alle in den Vierzigern, beruflich gut situiert und emanzipiert sind, und der deutlich jüngere Bart, den sie am Filmanfang in einer Bar treffen und mit dem sie während der Pandemie einen Gottesdienst besuchen.

Bart wuchs als Zeuge Jehovas auf. Der schüchterne Mittzwanziger ist noch Jungfrau, sucht verzweifelt eine Freundin, trennt sich darüber von seiner strenggläubigen Familie und wird Stripper. Bei dieser Arbeit verliebt er sich in Roksana. Erst später erfährt er, dass sie ihr Geld als Luxus-Callgirl verdient. Und das ist für ihn ein Problem.

Kaja arbeitet als Journalistin für eine Boulevardzeitung. Ihre neueste Story geht um einen Aufreißer-Guru, der in seinen Seminaren behauptet, schon mit über neunhundert Frauen geschlafen zu haben. Kaja will ihn als Aufschneider enttarnen. Das gelingt ihr. Aber dann schlägt der Pick-Up Artist zurück und zwischen ihnen entbrennt ein zunehmend erbarmungsloser, tödlich endender Kampf, in dem sie die Existenz des anderen vernichten wollen.

Nora arbeitet als Fotografin. Für ihr neuestes Projekt fotografiert sie in ihrem Studio Paare beim Sex. Dabei verliebt sie sich in Alf, der gerne als Schauspieler berühmt werden würde. Nora fragt sich, ob sie ihm helfen soll und ihn damit verlieren würde oder ob sie ihn an sich binden soll.

Olga arbeitet als Staatsanwältin. Sie ist eine glühende Feministin, die Muslime wegen ihres archaischen Frauenbildes hasst. In dem Punkt ist sie eine ebenso überzeugte Rassistin. Da trifft sie auf Baha, der sie mit seiner Performance auf einer Lesebühne und seinen sensiblen Gedichten beeindruckt. Er ist der fleischgewordene, aus dem Morgenland kommende Traumprinz. Sie wirft ihren Mann, mit dem sie ein kleines Kind hat, aus ihrer Wohnung. Baha zieht ein und schon beim Einzug entspricht er dem Prototyp eines frauenverachtenden Machos. Olga erduldet das alles mit einer Eselsruhe. Doch wie lange?

Die meisten Geschichten in Vegas Film gehen schlecht aus. Am Ende kommen beide Geschlechter denkbar schlecht weg (So dürften sich die Sympathien für einen Profi-Verführer, der einen sehr tiefen Fall erlebt, in denkbar engen Grenzen halten.), aber die Frauen kommen noch schlechter weg und in fast jeder Geschichte stellt sich die Frage, was uns der Regisseur damit sagen will und ob er uns genau das sagen will. Das kann einerseits daran liegen, dass die Tabus der polnischen Gesellschaft nicht die Tabus westlicher Gesellschaften sind. Die Kirche ist hier weniger mächtig. Nackte Busen (eigentlich durchgehend nur angedeutet) und Penisse (öfters lange im Bild) taugen bei uns schon lange nicht mehr zum Skandal. Andererseits ist „Love, Sex and Pandemic“ deutlich für einen internationalen Markt inszeniert. Die geleckten, aber auch anonymen Filmwohnungen unterscheiden sich nicht von den Wohnungen, die wir aus deutschen, europäischen oder amerikanischen Filmen kennen. Dito die Bars, in denen sich getroffen wird oder polnischen Stripper vor erregten Fraun auftreten. Dito die Kleider und Frisuren. Dito die Schauspieler. Das könnte alles ebenso in Berlin, Paris oder Hollywood gedreht worden sein. Und natürlich gibt es auch an diesen Orten diese Männer, Frauen, Verhaltensweisen und Probleme.

Weil sich diese Bilder und der Erzählstil radikal von Vegas vorherigen Filmen, die harte Thriller sind, unterscheiden, könnte das auch eine Kritik an dem westlichen Lebensstil sein. Vor allem Barts und Olgas Geschichte, also die Geschichte einer Befreiung aus einer gläubigen Familie, die am Ende wieder bei der Kirche und einem Spendenaufruf für ein von Nonnen in Afrika geführtes Projekt endet und die Geschichte einer emanzipierten Frau, die sich von einem Mann unterdrücken lassen will, böten eine solche Interpretationsmöglichkeit an. Olgas Geschichte kann auch als sich selbst bestätigende Anklage gegen alle aus dem arabischen Raum kommende Männer interpretiert werden.

Dann stünde am Ende des Ensemblefilms die Erkenntnis, dass nur aus dem Glauben Gutes wächst und Frauen unterdrückt werden wollen. „Love, Sex and Pandemic“ wäre also ein konservativ-religiöses Pamphlet. Ob das die von Vega intendierte Aussage ist, weiß ich nicht. Ausgehend von seinen früheren Filmen, in denen Religion und antimuslimischer Rassismus keine Rolle spielten, wohl eher nicht.

Es gibt ständig Irritationen, Leerstellen und Widersprüche in den Figuren und Geschichten. Einiges kann daran liegen, dass er vier Geschichten in unter zwei Stunden erzählt. Einiges kann daran liegen, dass er, wie in seinen anderen Filmen, provozieren will. Mit einem Gebräu aus Sex, Glaube, Sympathie für eine Profi-Aufreißer und negativer Zeichnung von Frauen sollte das wenigstens einige Tugendwächter, Feministinnen und Ausländerfreunde auf die Barrikade bringen. Einiges kann auch ganz einfach Vegas Ansicht über Sex, Liebe und Frauen sein. Einiges kann auch anders gemeint sein, aber bei vier kruden Geschichten, die vor allem mehrmals provozieren sollen, geht es dann nicht mehr um eine reflektierte Analyse oder einem der Gesellschaft und dem eigenen Milieu den Spiegel vorhalten, sondern um Provokation.

Letztendlich sind die vier erzählten Geschichten arg plakativ geraten. Fast so, als habe sie sich der Produzent einer Reality-Show ausgedacht. Und diese Shows haben, wie der Name verrät, nichts mit der Realität zu tun.

Entsprechend gering ist der Erkenntnisgewinn über das Leben von Frauen in der Midlife-Crisis in Polen. Aber man kann nach dem Film gut darüber diskutieren. Und in punkto „Auswirkungen der Pandemie auf unser Liebesleben“ hat er dann doch eine beruhigende Botschaft: nichts wird sich verändern.

Love, Sex and Pandemic (Milosc, seks & pandemia, Polen 2022)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Olaf Olszewski, Patryk Vega

mit Anna Mucha, Malgorzata Rozenek-Majdan, Zofia Zborowska-Wrona, Michal Czernecki, Dawid Czuprynski, Sebastian Dela, Tomasz Dedek, Leonardo Marques

Länge: 114 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Love, Sex and Pandemic“

Rotten Tomatoes über „Love, Sex and Pandemic“

Wikipedia über „Love, Sex and Pandemic“

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Bad Boy“ (Bad Boy, Polen 2020)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Small World (Small World, Polen 2021

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Pitbull – Exodus“ (Pitbull, Polen 2021) 


Neu im Kino/Filmkritik: „Pitbull – Exodus“, Bomben und Morden auf polnisch

November 21, 2021

Seinen neuen Film hat Patryk Vega in zwei Fassungen inszeniert und, um jetzt etwas Verwirrung reinzubringen, ihnen unterschiedliche Titel gegeben. Die in polnisch aufgenommene Fassung heißt „Pitbull“, die englische Fasung „Exodus“. Einmal sprechen die Schauspieler polnisch, einmal englisch.

Ich habe die englische Fassung gesehen, aber weil mir der polnische Titel „Pitbull“ besser gefällt, bleibe ich beim polnischen Titel. Denn die Hauptfigur hat etwas von einem Pitbull. Schon als Kind spielte er gerne mit Sprengstoff. Später professionalisierte er sich als Sprengstoffexperte und er wurde, zuerst als jugendlicher Zuhälter, dann als Mitglied der Pershing-Gruppe, zu einem Verbrecher, der für unzählige Bombenattentate verantwortlich ist.

Diesen Aufstieg vom Kind, das in einem Haus aufwächst wird, im dem seine Mutter einen Puff betrieb, über einen kleinen Zuhälter (der von seinen Huren entjungfert wird) zu einem der Größen des polnischen organisierten Verbrechens erzählt ‚Nase‘ selbst; mit steinerner Mine und einem abgehacktem Primitiv-Englisch à la Sylvester ‚Rambo‘ Stallone (mit einem Hauch Arnold ‚Terminator‘ Schwarzenegger). Vega schildert Nases Erwachsenwerden so übertrieben, dass es sich wie eine Parodie auf die normalen Gangster-Aufstiegsgeschichten ansieht und -hört.

Nach ungefähr einem Drittel kommt ein plötzlicher Bruch. Plötzlich steht eine Bande jugendlicher Einbrecher im Mittelpunkt. Sie sind die polnische Version des „Bling Ring“, nur etwas intelligenter. Immerhin studieren sie Informatik an der Universität. Ein Zusammenhang zwischen ihren Einbrüchen und Nases Verbrechen ist nicht erkennbar. Erst als sie bei Nase einbrechen und auch seine geliebte Jacke mitgehen lassen, gibt es einen Zusammenhang, der dann zum letzten und schwächsten Teil des Thrillers führt. Denn jetzt kämpfen Nase, der ihn seit Ewigkeiten verfolgende Polizist Gebel, die jugendlichen Einbrecher und weitere Verbrechergruppen gegeneinander. Dieser Teil besteht aus einer verwirrenden Zahl von sich bekämpfenden Gruppen und aus dem Hut gezauberten Überraschungen.

Somit wirkt „Pittbull“ wie eine Zusammenstellung von drei, kontinuierlich schlechter werdenden Kurzfilmen. Vega erzählt das, wie in seinen vorherigen Filmen, wenig subtil und mit viel Gewalt.

Das unterscheidet sich nicht von ähnlich gelagerten US-amerikanischen B-Pictures, in denen Polizisten und Verbrecher nur an ihrer Dienstmarke erkennbar sind und sie alle, um ihr Ziel zu erreichen, skrupellos eine Spur der Verwüstung und Berge von Leichen hinterlassen.

Aber die Besetzung mit hier unbekannten polnischen Schauspielern, die absolut nicht irgendeinem Hollywood-Schönheitsideal entsprechen, und der filmisch unverbrauchte Handlungsort, sind dann für Genrejunkies mit reduzierten Erwartungen doch einen Blick wert.

Pitbull – Exodus (Pitbull, Polen 2021)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Patryk Vega

mit Andrzej Grabowski, Przemysław Bluszcz, Jan Błachowicz, Tomasz Dedek, Sebastian Dela, Jan Hrynkiewicz

Länge: 111 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

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Meine Besprechung von Patryk Vegas „Bad Boy“ (Bad Boy, Polen 2020)

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Small World (Small World, Polen 2021)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Small World“, ein polnischer Polizist auf Pädo-Jagd

September 18, 2021

In Polen ist Patryk Vega als Actionfilm-Regisseur bekannt. Bei uns lief letztes Jahr sein von wahren Ereignissen inspirierter harter Actionfilm „Bad Boy“ in den Kinos; sofern sie nicht gerade pandemiebedingt geschlossen waren.

Sein neuester Film „Small World“ ist wieder von wahren Ereignissen inspiriert. Dieses Mal geht es um den weltweiten Kinderhandel und damit verbundene Pädophilen-Netzwerke. Vega versteht seinen Film als einen Aufschrei dagegen. Ob es auch ein Aufschrei gegen sexuellen Missbrauch in der Familie oder in Institutionen, wie der Kirche, ist, ist unklar. Seinem Thema nähert Vega sich, aufgrund seiner Filmographie wenig überraschend, primär mit den Mitteln des harten Polizeithrillers und des Actionkinos.

Die Geschichte beginnt 2004 in Polen. Kriminalpolizist Robert Goc hält eine mit überhöhter Geschwindigkeit fahrende Frau an. Die Mutter verfolgt einen Richtung Russland fahrenden Laster, in dem sie ihre entführte vierjährige Tochter Ola vermutet. An der Grenze werden sie von den Grenzpolizisten aufgehalten. In diesem Moment taucht zum ersten Mal ein zweites Thema auf: der unfähige, den Kinderhandel nicht bekämpfende Staatsapparat. Mal handeln die Polizisten nicht, mal fördern sie ihn durch ihr Handeln und manchmal sind sie direkt involviert. Vor allem in Russland ist die Polizei korrupt und die sexy Beamtin, die Goc dort hilft, ist sogar im Rahmen eines Actionfilms überaus gewalttätig.

Doch zurück zur polnischen Grenze. Dort kann der Laster mit Ola entkommen.

Danach macht Goc die Suche nach der entführten Ola zu seiner Lebensaufgabe. Über mehrere Jahre und die halbe Welt verfolgt er ihre Spur. Woher er die finanziellen Mittel dafür hat, wird nie geklärt.

Die Story folgt dabei weitgehend den etablierten Genrepfaden. Wobei drei Punkte auffallen. Das ist die immer wieder sehr ambivalente Zeichnung der Figuren. So erscheint in der Russland-Episode der ‚Vater‘ nicht wie ein Pädophiler, sondern wie ein netter Onkel, der sich liebevoll um die Kinder, die ihm bedingungslos vertrauen, kümmert. Das ist die lange Zeit, über die sich die Filmgeschichte erstreckt. Am Ende des Films ist aus dem vierjährigen Kind eine junge Frau geworden. So kann Vega in mehreren Episoden auch zeigen, wie sehr Ola von ihren Entführern und ihren wechselnden Vertrauenspersonen manipuliert wird. Für sie ist dieses Leben als Sexsklavin die Normalität.

Der dritte Punkt sind die Handlungsorte. Teile des Films spielen in den uns filmisch gut vertrauten Ländern Großbritannien (hier Rotherham) und Thailand (hier Bangkok). Weitere Episoden – jedes Land ist ein anderer Ermittlungsschritt für Goc und eine Begegnung mit einer mehrere Jahre älteren Ola – spielen in Polen, Russland und der Ukraine.

Andere Thriller zum gleichen Thema spielen oft in einem kürzeren Zeitraum von wenigen Monaten oder Jahren und die Handlungsorte sind in den USA und Südamerika, seltener in Asien. Wenn die Filme aus Großbritannien oder Skandinavien kommen, dann spielt die Geschichte dort. Aber in Richtung Osteuropa bewegt die Filmgeschichte sich fast nie.

Jedenfalls nicht, wenn die Geschichte als Actionthriller erzählt wird. Und genau das ist „Small World“: ein harter Exploitation-Thriller, der niemals in den Verdacht gerät, seine Geschichte besonders subtil zu erzählen und der vor allem wegen der unverbrauchten osteuropäischen Handlungsorte interessant ist. Außerdem ist alles, im Gegensatz zu ähnlichen US-amerikanischen Filmen, eine Spur rauer und unglamouröser. Auch die Schauspieler sehen wie Menschen aus, denen wir jederzeit auf der Straße begegnen könnten.

Small World (Small World, Polen 2021)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Olaf Olszewski, Patryk Vega

mit Enrique Arce, Julia Wieiawa-Narkiewicz, Piotr Adamczyk

Länge: 116 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

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Moviepilot über „Small World“

Rotten Tomatoes über „Small World“

Meine Besprechung von Patryk Vegas „Bad Boy“ (Bad Boy, Polen 2020)


Neu im Kino/Filmkritik: „Bad Boy“: Hooligans, Fußball und Verbrechen in Polen

März 7, 2020

Pawel und Piotr sind Brüder, die schon lange getrennte Wege gehen. Pawel ist fanatischer Fan des Fußballclubs Unia und Hooligan. Die Hooliganbande, bei der er Mitglied ist, ist knietief in kriminelle Aktivitäten verstrickt. Piotr ist Polizist. Jetzt soll er Beweise gegen diese Hooligangruppe sammeln. Dafür soll er in einem Undercover-Einsatz die Beziehung zu seinem Bruder auffrischen.

Fans von Gangsterfilmen kennen die Geschichte vom Undercover-Cop, der in sein altes Milieu zurückkehrt um einen Verbrecherboss zu überführen. Auch die zweite Geschichte, die Patryk Vega erzählt, ist für Fans von Gangsterfilmen eine vertraute Geschichte. Es geht um den mit Gewalt und Leichen gepflasterten Aufstieg von Pawel. Zuerst in der Hooliganbande vom Fußsoldaten zum Anführer. Später, mit der Hilfe der Anwältin Ola, die ebenfalls undercover arbeitet und ihm als Piotrs Freundin vorgestellt wird, steigt er weiter auf. Als Drogenhändler und als Vorsitzender seines Fußballvereins.

Vega erzählt beide Geschichten mit viel Gewalt und interessanten Wendungen, die bis zum Ende immer wieder überraschen. Inwiefern er in dieser von wahren Ereignissen inspirierten Geschichte die wahren Verhältnisse in Polen, der dortigen Hooliganszene und der Verflechtung von Hooligans, Verbrechern und Kapital überzeichnet, ist mir unklar. In jedem Fall sind polnische Hooligans als sehr gewaltbereit und sehr rechts bekannt. Verbindungen zum Organisierten Verbrechen liegen nahe. Aber ob es ihnen auch gelingt, als Hooliganbande durch das geschickte Ausnutzen von Vereinsregeln einen ganzen Verein zu übernehmen, weiß ich nicht.

Dass Pawel und seine ständig gewaltbereiten Hooligenfreunde nicht zu Identifikationsfiguren taugen, ist klar. Aber auch alle anderen Figuren in Vegas Gangsterfilm „Bad Boy“ sind denkbar unsympathisch und befreit von mitmenschlichen Gefühlen. Für sie zählt nur Gewalt und das skrupellos durchgesetzte Recht des Stärkeren. Einzig Piotrs Vorgesetzter Adam ist in dieser Welt halbwegs sympathisch. Immerhin sorgt er sich um Piotr und er will, die Regeln befolgend, etwas gegen das Organisierte Verbrechen unternehmen. Allerdings stiftet er Piotr an, seinen Bruder Pawel auszuspionieren und so Beweise für eine Gefängnisstrafe zu sammeln. Dadurch initiiert er alle weiteren Ereignisse.

Bad Boy“ zeichnet ein sehr düsteres Bild der polnischen Gesellschaft. Und auch im Rahmen der Genrekonventionen fällt „Bad Boy“ sehr düster aus.

Patryk Vega inszenierte vorher „Pitbull“, „Women of Mafia“ und, anscheinend ist das sein einziger in Deutschland öffentlich präsentierter Film, „Hans Kloss – Spion zwischen den Fronten“. Sein nächster Film „Small World“ befindet sich gerade in der Postproduktion. Es geht um die Entführung von Kindern, die zu Sexsklaven werden, und einem Polizisten, der dagegen kämpft.Ein deutscher Kinostart ist nicht ausgeschlossen.

Bad Boy (Bad Boy, Polen 2020)

Regie: Patryk Vega

Drehbuch: Olaf Olszewski, Patryk Vega

mit Antoni Królikowski, Maciej Stuhr, Andrzej Grabowski, Piotr Stramowski, Małgorzata Kożuchowska, Katarzyna Zawadzka, Zbigniew Zamachowski, Kamil Grosicki

Länge: 110 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

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Moviepilot über „Bad Boy“

Wikipedia über Patryk Vega