Neu im Kino/Filmkritik: „Lola“ oder Ist ein Leben im Zweiten Weltkrieg ohne David Bowie lebenswert?

Dezember 28, 2023

2021 werden einige alte Filmrollen gefunden. Es wird vermutet, dass sie in den frühen vierziger Jahren, also während des Zweiten Weltkriegs, entstanden. Und sie zeigen Unglaubliches.

Andrew Legge erzählt erzählt in seinem beeindruckendem Spielfilmdebüt „Lola“, anhand der gefundenen Filmrollen, wie die beiden Schwester Thom und Mars Hanbury 1941 in London eine Maschine entwickeln, die sie LOLA nennen, und mit der sie das Fernsehprogramm der Zukunft sehen können. Sie hören dabei auch Musik, die es noch nicht gibt – und die sie, umarrangiert, in ihrer Gegenwart anderen Menschen präsentieren. Sie entdecken auch David Bowie, der „Space Oddity“ singt – und sie verlieben sich sofort in ihn.

Gleichzeitig greifen sie in das Kriegsgeschehen ein. Sie warnen die Bevölkerung vor deutschen Bombenabwürfen. So retten sie unzählige Leben und werden, auch wenn niemand sie kennt, zu Volkshelden.

Dass die beiden gegensätzlichen Schwestern mit ihren Eingriffen in das Kriegsgeschehen den Verlauf des Krieges und die Zukunft verändern, begreifen sie, als eines Tages David Bowie nicht mehr da ist.

Aber sie wollen nicht – ein Wunsch, den jeder Musikfan nachvollziehen kann – ohne David Bowie leben.

Legge inszenierte „Lola“ mit einem Minibudget, das er locker mit seiner dichten und stilbewussten Inszenierung, seinen Ideen und den damit verbundenen Fragen ausgleicht. So sind fast alle Bilder Found-Footage-Bilder, in denen es immer einen Grund für die Anwesenheit der Kamera geben muss. Das verändert den Aufbau jeder Szene und auch die Art des Erzählens. Gleichzeitig bearbeitet er, damit sie zur Geschichte passen, die Fernsehbilder, die die beiden Schwestern sehen und die sich immer stärker von der uns bekannten Wirklichkeit unterscheiden.

Die Idee mit den Bildern aus der Zukunft führt dazu, dass die Geschwister Thom und Mars und später auch Lieutenant Sebastian Holloway während des Zweiten Weltkriegs in einem einsam gelegenem Landhaus ein Leben führen, das eher in die freizügigen siebziger Jahre gehört. Holloway wurde, nachdem er sie entdeckt hat, ihr Verbindungsglied zum Militär. Das Militär würde LOLA gerne umfangreicher einsetzten als Thom und Mars möchten.

Gleichzeitig verändern ihre zunächst naiven Spielereien mit dem Wissen aus der Zukunft die Zukunft. Das hätte ihnen jeder, der auch nur einen Zeitreiseroman gelesen hat, sagen können. Trotzdem stellt sich die Frage, ob man eingreifen muss, um ein Unglück zu verhindern. Auch wenn dadurch – vielleicht – David Bowie und einige andere einflussreiche Künstler nie geboren werden.

Für Science-Fiction-Fans ist „Lola“ ein Pflichttermin. Fans von Filmen wie David Lynchs „Eraserhead“, Darren Aronofskys „Pi“ und Christoper Nolans „Following“ dürften ebenfalls begeistert sein.

Lola (Lola, Irland/Großbritannien 2022)

Regie: Andrew Legge

Drehbuch: Andrew Legge, Angeli Macfarlane

(nach einer Geschichte von Andrew Legge, Henrietta Ashworth und Jessica Ashworth)

mit Emma Appleton, Stefanie Martini, Rory Fleck Byrne

Länge: 79 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Lola“

Metacritic über „Lola“

Rotten Tomatoes über „Lola“

Wikipedia über „Lola“ (deutsch, englisch)


DVD-Kritik: „The Foreigner“ Jackie Chan nervt Pierce Brosnan

Februar 28, 2018

In London explodiert eine Bombe. Aber nicht, wie man es inzwischen erwartet, der IS oder irgendeine islamistische Terrorgruppe bekennt sich zu dem Anschlag, sondern der militante Flügel der Kern-IRA. Das ist eine neue Terrorzelle, die Material und Codeworte der IRA benutzt und so ihre Legitimität nachweisen kann. Der Anschlag gefährdet den fragilen Frieden, der seit dem Karfreitagsabkommen (Good Friday Agreement) von 1998 in Nordirland herrscht. Und der jetzt durch den Brexit und das konfuse Agieren der Tory-Regierung aus einer ganz anderen Richtung gefährdet ist.

Aber um diesen realpolitischen Hintergrund, der beim Dreh nicht absehbar war, kümmert Martin Campbell sich in seinem neuen Thriller „The Foreigner“ nicht. Während die Attentäter noch keine Forderung stellen, fordert Deputy Minister Liam Hennessy (Pierce Brosnan, als Gerry-Adams-Lookalike) von der britischen Regierung, dass sie von ihnen inhaftierte nordirische Kämpfer begnadigt. Hennessy, selbst ein ehemaliger Terrorist und jetzt Minister von Nordirland, will als Vermittler zwischen der unbekannten IRA-Splittertruppe und der britischen Regierung seine Position weiter festigen.

Da funkt Quan Ngoc Minh (Jackie Chan) dazwischen. Er ist ein seit Ewigkeiten in England lebender Kriegsflüchtling und alleinstehender Besitzer eines kleinen East-End-Restaurants. Seine von ihm über alles geliebte Tochter starb bei dem Anschlag.

Als die Polizei bei ihren Ermittlungen nicht weiter kommt, besucht er in Belfast Hennessy. Er möchte, dass der ihm die Namen der Attentäter nennt. Und weil Hennessy den höflichen, duckmäuserischen Asiaten nicht Ernst nimmt, zündet Quan in Hennessys Bürogebäude in der Toilette ein Bombe. Danach platziert er eine deutlich sichtbare Bombe in dessen Auto.

Nach diesen beiden Warnungen weiß Hennessy, dass Quan nicht nachlassen wird in seiner Suche nach Antworten und dass er – zu Recht – Hennessy als die Person ansieht, die ihm diese Antworten geben kann.

The Foreigner“ ist eine angenehme Rückkehr zu den grimmigen Actionpolitthrillern aus den siebziger und achtziger Jahren, in denen die IRA der Bösewicht war. Das liegt zu einem Teil an der Vorlage. Thrillerautor Stephen Leather (von dem Blanvalet vor Jahren einige Bücher übersetzte) schrieb „The Chinaman“ bereits 1992, als der Nordirland-Konflikt blutig ausgetragen wurde. Zu einem anderen Teil daran, dass die Macher einen altmodischen Thriller inszenieren wollten, in dem es zwar Smartphones und Videoüberwachung gibt, aber beides wenig nützt, wenn ein großer Teil der Geschichte auf dem einsam gelegenen Landgut von Hennessy spielt, das von Quan belagert wird. Mit sauber platzierten Sprengsätzen und Fallen treibt er Hennessy in die Enge und macht dessen Männer kampfunfähig, ohne sie zu töten.

In diesen Momenten gibt es auch eine ordentliche Portion Action. Die hat aber nichts von der bekannten artistisch-witzig-übertriebenen Jackie-Chan-Slapstick-Action. In „The Foreigner“ ist sie roh und vor allem effektiv. Im Mittelpunkt der Geschichte steht nämlich das psychologische Duell zwischen Quan und Hennessy und Hennessys Kampf an mehreren Fronten. Schließlich muss er seine Führungsposition gegen aufstrebende und gegnerische Kräfte innerhalb der IRA behaupten.

Martin Campbell, der unter anderem die legendäre TV-Serie „Am Rande der Finsterns“ (Edge of Darkness) und die beiden Bond-Filme „GoldenEye“ (mit Brosnan) und „Casino Royale“ insznierte, inszeniert „The Foreigner“ schnörkellos und ohne überflüssige Modernismen als spannender Old-School-Thriller vor moderner Kulisse.

Nur die Musik von Cliff Martinez nervt als monotoner Rhythmus-Track, der unterschiedslos über jede Szene gegossen wird und jede thematische Beschäftigung mit der Filmgeschichte verweigert.

Als Bonusmaterial gibt es jeweils etwa zehnminütige Interviews mit Martin Campbell, Jackie Chan und Pierce Brosnan und ein vollkommen uninteressantes Mini-Featurette.

The Foreigner (The Foreigner, Großbritannien/China 2017)

Regie: Martin Campbell

Drehbuch: David Marconi

LV: Stephen Leather: The Chinaman, 1992

mit Jackie Chan, Pierce Brosnan, Katie Leung, Rory Fleck-Byrne, Ray Fearon, Charlie Murphy, Orla Brady, Michael McElhatton, Liu Tao as Keyi Lam, Dermot Crowley, Lia Williams

DVD

Universum Film

Bild: 2,40:1 (16:9 aamorph)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte

Bonusmaterial Interviews mit Martin Campbell, Jackie Chan und Pierce Brosnan, Featurette, Trailer

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „The Foreigner“

Metacritic über „The Foreigner“

Rotten Tomatoes über „The Foreigner“

Wikipedia über „The Foreigner“

Homepage von Stephen Leather

Meine Besprechung von Martin Campbells TV-Serie “Am Rande der Finsternis” (Edge of Darkness, GB 1985 – DIE Vorlage für “Auftrag Mord”)

Meine Besprechung von Martin Campbells „Green Lantern” (Green Lantern, USA 2011)