Neu im Kino/Filmkritik: „Morbius“, der nächste Held aus dem Marvel-Universum

April 1, 2022

Wie viele Origin-Storys sollen wir noch sehen? Dabei ist es ziemlich einerlei, ob wir zum zweiten, dritten, vierten Mal die Origin-Story von Spider-Man, Batman oder Superman sehen oder es um einen dieser vielen unbekannten, aber bei den Fans wahnsinnig beliebten DC- und Marvel-Figuren geht. Jedes Mal bekommen wir erzählt, wie der Superheld zum Superhelden wird indem er ein traumatisches Erlebnis hat, mit seinen Kräften hadert und letztendlich seine neue Verantwortung annimmt, indem er einen Bösewicht besiegt.

Das sehen wir auch in „Morbius“. Und am Ende, in den beiden Abspannszenen, wird das Schicksal von Morbius mit anderen Comicfiguren aus dem Marvel-Universum verknüpft. Für mich war das, auch wenn es aus den Comics bekannt ist, einer dieser ‚Bitte nicht!‘-Momente. Bis dahin ist „Morbius“ eine Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Variante. Jared Leto, der zuletzt in „House of Gucci“ eine wahrlich bizarre Performance abliefert, spielt hier weitgehend zurückhaltend. Der von ihm gespielte Michael Morbius leidet an einer seltenen Blutkrankheit. Er kann sich nur mit der Hilfe von Krücken schleichend fortbewegen. Als Erwachsener wurde er zum Arzt und zwar nicht zu irgendeinem Arzt, sondern zu einem genialen Forscher, der eine Heilung für seine Krankheit sucht. Für eine seiner Entdeckungen erhält er sogar den Nobelpreis.

Als er die DNA von Fledermäusen, die er in Costa Rica in einer abgelegenen Höhle gefunden hat, mit der DNA von anderen Lebewesen kreuzt, hat er ein Heilmittel gefunden. Er probiert es flugs an sich aus. Das Experiment gelingt. Allerdings hat das Medikament zwei sehr hässliche Nebenwirkungen. Die Wirkung nimmt beständig und schnell ab. Und Morbius braucht jetzt als Nahrung Menschenblut. Er wird zu einem Vampir.

Milo, sein Freund aus Kindertagen mit der gleichen Krankheit, nimmt ebenfalls das Serum. Aber während Morbius mit seinen neuen Kräften und seiner Gier nach Blut hadert, freut Milo sich über seine neuen Kräften. Der Millionärssohn kann sich endlich ohne Krücken fortbewegen. Er kann sich alle seine Wünsche erfüllen und er ist unbesiegbar.

Letztendlich erzählt Daniel Espinosa in „Morbius“ eine klassische Dr.-Jekyll/Mr.-Hyde-Geschichte. Es geht, ganz traditionell, um einen mad scientist, der mit seinen Experimenten großes Unheil heraufbeschwört. Und, weil es um Fledermausblut geht, hat die Geschichte auch etwas von einer Dracula-Geschichte. Schließlich sind Morbius und Milo Vampire. Die aus diesen wohlvertrauten Elementen zusammengesetzte Geschichte ist eine klassische und auch sehr typische B-Picture/Pulp-Geschichte. Nur die Tricks sind aus diesem Jahrhundert. Und das wird in dem Horrorfilm zunehmend zu einem Problem. Die an Comic-Panels erinnernden CGI-Kämpfe sind nur noch im Dunkeln stattfindende Pixelbewegungen, denen jede emotionale Wucht fehlt. Das Kampfgeschehen ist einfach zu chaotisch und zu unrealistisch. Auch wenn der Gegner ein Vampir ist.

Dr. Michael Morbius ist eine Roy Thomas und Gil Kane erfundene Marvel-Figur. Sein erster Auftritt war als Bösewicht im Oktober 1971 in dem Comic „Amazing Spider-Man # 101“. Seitdem kämpfte er mal mit, mal gegen Spider-Man. In dem Film „Morbius“ wird diese Verbindung erst im Abspann deutlich. Da ist dann auch der Kurzauftritt von Michael Keaton (der aktuell in der IMDB an zweiter Stelle genannt wird), der „Morbius“ mit den Spider-Man-Filmen, dem Multiverse und dem ganzen Rest verknüpft. In dem Moment sollen wir auch, aus heiterem Himmel und im Widerspruch zum gesamten vorherigen Film, akzeptieren, dass Morbius nicht der an seinem Blutdurst leidende tragische Held ist, der Schlimmeres verhindern will, sondern eigentlich ein Bösewicht ist. Das funktioniert nicht, macht aber das Superhelden-New-York noch unübersichtlicher.

Morbius (Morbius, USA 2022)

Regie: Daniel Espinosa

Drehbuch: Matt Sazama, Burk Sharpless (nach einer von Roy Thomas und Gil Kane erfundenen Marvel-Figur)

mit Jared Leto, Matt Smith, Adria Arjona, Jared Harris, Al Madrigal, Tyrese Gibson, Michael Keaton (Cameo)

Länge: 105 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (außer Sie haben Angst vor der Dunkelheit)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Morbius“

Metacritic über „Morbius“

Rotten Tomatoes über „Morbius“

Wikipedia über „Morbius“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Sebastian Bergman – Spuren des Todes 1“

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Safe House“ (Safe House, USA 2012)

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Kind 44“ (Child 44, CZ/GB/RO/USA 2015)

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Life“ (Life, USA 2017)


Literaturklassiker im neuen Gewand: Georg Büchners „Woyzeck“ und „Bram Stoker’s Dracula“

Dezember 30, 2019

Bereits Werner Herzog und Klaus Kinski setzten sich mit diesen Geschichten auseinander. Aber ihre sehenswerte Interpretation von „Woyzeck“ und „Dracula“, der bei ihnen aus stummfilmhistorischen Gründen Nosferatu heißt, hatten keinen Einfluss auf diese Comic-Interpretationen.

Bei Roy Thomas‘ und Mike Mignolas „Bram Stoker’s Dracula“ basiert auf Francis Ford Coppolas Film. Der ist inzwischen auch schon gut dreißig Jahre alt und er ist die letzte nennenswerte Spielfilm-Interpretation von Bram Stokers Romanklassiker.

Parallel zum Film erschien damals dieser Comic als limitierte vierteilige Mini-Serie. Lange Jahre war er nicht mehr erhältlich, während im Second-Hand-Buchmarkt die Preise stiegen. 2018 veröffentlichte IDW in den USA eine nicht-kolorierte Neuauflage, die auch der Anlass für die deutsche Neuausgabe war. Die ist, zum Glück!, koloriert.

Anstatt weißer Flächen knallem einem satte Farben entgegen, die die Geschichte und den psychedelisch-albtraumhaften Effekt der Panels verstärken. Nach der Lektüre der kolorierten Fassung von „Bram Stoker’s Dracula“ kann man sich keine andere Fassung mehr vorstellen.

Danach wurde Mike Mignola mit der von ihm erfundenen Figur „Hellboy“ weltweit bekannt.

Bram Stokers Vampirgeschichte dürfte ja bekannt sein. Trotzdem für die vergesslichen Geister: 1897 reist der Makler Jonathan Harker in die Karpaten. Dort vermittelt er Graf Dracula ein Anwesen in London und wird, auf Draculas Geheiß, von drei weiblichen Vampiren angegriffen. Währenddessen nähert Dracula sich in London Harkers Verlobter Mina. Weil seine blutsaugenden Taten nicht unbemerkt bleiben, wird Dr. Van Helsing um Hilfe gerufen. Er weiß, wie man einen Vampir besiegen kann.

Die Geschichte von „Woyzeck“ dürfte auch bekannt sein. Immerhin ist Georg Büchners Stück ein auf deutschen Bühnen immer noch gespielter und immer wieder neu interpretierter Klassiker.

Woyzeck ist ein einfacher Soldat, der von seinem Vorgesetzten unterdrückt und von seiner Frau, mit der er ein uneheliches Kind hat, betrogen wird. Als er sie mit seinem Nebenbuhler sieht, glaubt er, eine Stimme zu hören, die ihm befiehlt, sie zu töten.

Andreas Eikenroth verlegt die Geschichte vom frühen 19. Jahrhundert in eine diffuse Weimarer Republik. Er verschiebt auch einige Szenen des Bühnenstücks, das nur als Fragment erhalten ist, zu einem ihm schlüssiger erscheinendem Handlungsablauf.

Das Besondere an Eikenroths Interpretation ist allerdings die Art, wie er die Geschichte als Comic erzählt. Bei ihm besteht jede Seite aus einem Bild, das quasi mehrere Panels zu einem Bild zusammenfügt. Seine Zeichnungen sind dabei, wie er selbst sagt, von damaligen Künstlern, wie George Grosz, Karl Arnold, Egon Schiele, Max Liebermann, Jeanne Mammen und Heinrich Zille, beeinflusst.

Zu Eikenroths früheren Werken gehören „Die Schönheit des Scheiterns“ und „Hummel mit Wodka“.

Die Comics „Bram Stoker’s Dracula“ und „Woyzeck“ sind zwei überzeugende Interpretationen klassischer Geschichten.

Roy Thomas/Mike Mignola: Bram Stoker’s Dracula

(übersetzt von Bernd Kronsbein)

Panini, 2019

140 Seiten

29 Euro

Originalausgabe

Bram Stoker’s Dracula 1-4

Topp Comics, 1993

Neuauflage 2018 bei IDW

Andreas Eikenroth: Woyzeck

Edition 52, 2019

64 Euro

15 Euro

Hinweise

Wikipedia über Bram Stokers „Dracula“ (deutsch, englisch) und „Bram Stoker’s Dracula“ (deutsch, englisch)

Homepage von Mike Mignola

Meine Besprechung von Mike Mignola (Autor)/John Arcudi (Autor)/Guy Davis (Zeichner) „B. U. A. P.: Tödliches Terrain (Band 7)“ (BPRD: Killing Ground, 2008)

Meine Besprechung von Mike Mignola (Autor)/John Arcudi (Autor)/Guy Davis (Zeichner) „B. U. A. P.: Die Warnung (Band 8)“ (BPRD: The Warning, 2009/2010)

Meine Besprechung von Neil Marschalls Mike-Mignola-Verfilmung „Hellboy – Call of Darkness“ (Hellboy, USA 2019)

Homepage von Andreas Eikenroth

Wikipedia über Georg Büchners „Woyzeck“ (deutsch, englisch)