Serviert Adrian McKinty dem katholischen Bullen Sean Duffy 1990 in Nordirland „Cold Water“?

August 14, 2019

Sean Duffys letzter Fall?“ steht auf dem Cover und der geneigte Krimifan fragt sich sofort, leicht panisch, ob Duffy am Ende der Geschichte tot ist oder ob Duffy-Erfinder Adrian McKinty keine weiteren Duffy-Romane mehr schreiben will. Dabei hat McKinty auf seinem Blog bereits verraten, dass er schon zwei weitere Duffy-Romane geschrieben hat, die im Original 2020 erscheinen sollen. Ob dann der neunte Duffy-Roman wirklich der letzte Duffy-Roman wird, werden wir in den nächsten Jahren erfahren.

Bis dahin ist der siebte Duffy-Roman „Cold Water“ vor allem der neueste Roman mit dem katholischen Bullen, der jetzt in Belfast noch einen Fall lösen will, ehe er mit seiner Familie nach Schottland umzieht. Die nächsten Jahre wird er als Polizist mit deutlich reduzierter Arbeitszeit und Verbindungsmann für einen anstrengenden Spitzel verbringen. Er muss dann jeden Monat nur sieben Arbeitstage in Belfast verbringen. Nach dreieinhalb Jahren als Teilzeitpolizist hat er dann zwanzig Jahre als Polizist gearbeitet und Anspruch auf eine volle Pension. Das ist sein Plan.

Am 30. Dezember 1989 verschwindet das fünfzehnjährige Travellermädchen Kat McAtamney und weil die Kesselflicker gesellschaftlich geächtet sind, hält sich der Ermittlungseifer der Beamten in sehr überschaubaren Grenzen. Als Sean Duffy Anfang Januar 1990 aus einem Israelurlaub zurückkehrt, stürzt er sich auf diesen Fall. Es soll sein letzter Fall als Vollzeitpolizist sein. Er findet heraus, dass die Minderjährige als Prostituierte arbeitete, wobei sie für die älteren Männer wohl eher eine Begleiterin war, mit der sie Kulturveranstaltungen besuchten und sich über Literatur unterhielten. Denn für ein Tinkermädchen war sie außerordentlich belesen und kulturell interessiert.

Duffys Hauptverdächtigen sind Johnny Dunbar, ein Mann mit langem Strafregister aus den sechziger und siebziger Jahren, der jetzt Politiker mit terroristischer Vergangenheit werden möchte, Terry Jones, ein höherrangiger, allein lebender Beamter mit jahrelanger Auslandserfahrung, und Charles McCawley, ein Universitätsdozent der mit der Tochter des Statthalters der Queen verheiratet ist.

Jeder von ihnen hätte ein Motiv. Jeder von ihnen behauptet, dass er sie nicht tötete und dummerweise hat jeder von ihnen für die Tatnacht ein Alibi, das durchaus glaubwürdig ist, aber nicht überprüft werden kann. Charles McCawley bereitete sich auf einen Vortrag vor. Johnny Dunbar sah mit seiner Frau im Fernsehen „Gesprengte Ketten“ (Wer hat den Film nicht gesehen?) und Terry Jones übersetzte an dem Abend einige Gedichte von Catull.

Hätte ich Adrian McKintys „Cold Water“ vor John Steeles „Ravenhill“ gelesen, wäre ich wahrscheinlich niemals auf die Idee gekommen, sie als fast zeitgleich spielende Bücher über den Nordirland-Konflikt besprechen zu wollen.

Denn über weite Strecken könnte „Cold Water“ fast zu jeder Zeit und an jedem Ort spielen. Weil Kats Auto im Fluss gefunden wird, ihre Leiche bis in den Atlantik abgetrieben sein könnte und es nach dem Mord regnete, können all die modernen Methoden der Spurensuche, die wir dank CSI kennen, nicht angewandt werden. Es ist auch weitgehend egal, ob die Geschichte in Nordirland oder in einem anderen Land spielt. Jüngere Freundinnen und Minderheiten, bei denen der Ermittlungseifer der Polizei gegen Null tendiert, gibt es überall. Und dann ist Duffy hier mit einem typischen Rätselkrimiplot konfrontiert: eine Tote, mindestens drei Verdächtige und die Frage „Wer ist der Mörder?“.

Außerdem ist Sean Duffy 1990 nicht mehr der jugendliche Heißsporn, der er vor zehn Jahren war, als er sich im ersten Duffy-Roman „Der katholische Bulle“ in den Fall stürzte und jeder seiner Romanfälle auch und vor allem eine Chronik des Nordirlandkonflikts war.

In „Cold Water“ ist Duffy zwar erst neununddreißig Jahre, aber er bewegt sich wie ein deutlich älterer Ermittler durch den Fall. Außerdem ist er häuslich geworden. Er hat geheiratet und eine einige Monate alten Tochter.

Cold Water“ ist, wie die andern Duffy-Romane, ein spannender, gut geplotteter und erzählter Kriminalroman. Gegen Ende wird auch der Nordirlandkonflikt wichtiger. Aber niemals so wichtig, wie ich es für meine Doppelbesprechung von „Ravenhill“ und „Cold Water“ gerne gehabt hätte.

Adrian McKinty: Cold Water

(übersetzt von Peter Torberg)

Suhrkamp Nova, 2019

384 Seiten

15,95 Euro

Originalausgabe

The Detective up late

Blackstone Publishing, Ashland, OR, 2019

Hinweise

Blog von Adrian McKinty

Wikipedia über Adrian McKinty (deutsch, englisch)

Suhrkamp über Adrian McKinty

Krimi-Couch über Adrian McKinty

Meine Besprechung von Adrian McKintys „Ein letzter Job“ (Falling Glass, 2011)

Meine Besprechung von Adrian McKintys „Der katholische Bulle“ (The cold cold Ground, 2012)

Meine Besprechung von Adrian McKintys „Die Sirenen von Belfast“ (I hear the Sirens sing in the Street, 2013)

Meine Besprechung von Adrian McKintys „Die verlorenen Schwestern“ (In the Morning I’ll be gone, 2014)


Sean Duffy und „Die verlorenen Schwestern“ im Kriegsgebiet Nordirland 1984

April 6, 2015

McKinty - Die verlorenen Schwestern - 2

Am Ende von „Die Sirenen von Belfast“ hatte Detective Inspector Sean Duffy es sich mit seinen Vorgesetzten so verscherzt, dass er jetzt über einige Umwege in den Ruhestand geschickt wird, bis Kate vom MI5 bei ihm auftaucht und ihm eines dieser Angebote macht, die man nicht ablehnen kann. Jedenfalls wenn man, wie Sean Duffy, ein Vollblutpolizist ist. Und das will schon etwas im unruhigen Nordirland der frühen achtziger Jahre heißen, als Polizisten und Katholiken (das ist er auch) Freiwild für die IRA und alle anderen mehr oder weniger großen terroristischen Splittergruppen waren.
Er soll Dermot McCann finden. McCann ist ein Jugendfreund von Duffy, der inhaftiert wurde und am 25. September 1983 mit 38 anderen IRA-Häftlingen aus dem Hochsicherheitsgefängnis Maze ausbrechen konnte. Viele Ausbrecher wurden kurz darauf wieder verhaftet. Aber nicht McCann. Er tauchte unter. Seine Spur verlor sich in Libyen. Jetzt, einige Monate nach McCanns Flucht, befürchtet der Geheimdienst, dass McCann einen großen, aufsehenerregenden Anschlag plant.
Natürlich führen Duffys Ermittlungen, weil kein IRA-Mitglied und auch kein Familienmitglied ihm etwas sagt, zu nichts. Bis Duffy von Mary Fitzpatrik, der Ex-Schwiegermutter von McCann, ein weiteres Angebot erhält, das er nicht ablehnen kann: sie wird ihm sagen, wo McCann ist, wenn er den Mord an ihrer Tochter Lizzie aufklärt.
Die Sache hat nur einen Haken: Lizzie starb in einem verschlossenen Pub und alles deutet auf einen Unfall hin.
In seinem dritten Sean-Duffy-Roman, der unabhängig von den beiden anderen Romanen gelesen werden kann (muss man heute ja sagen), muss Duffy ein klassisches Locked-Room-Mystery lösen und Adrian McKinty, weist immer wieder, genussvoll auf die anderen bekannten Mordfälle in verschlossenen Räumen hin, ehe Duffy, nachdem er das Motiv erahnt, die verblüffend einfache Lösung findet. Denn selbstverständlich wurde Lizzie ermordet.
Umrahmt wird diese klassische Rätselgeschichte von einem Polit-Thriller-Plot, der, wie die vorherigen Duffy-Romane, untrennbar mit dem historischen Hintergrund verknüpft ist. Diese Zeitreise in die jüngere Vergangenheit macht, wieder einmal, einen beträchtlichen Teil des Vergnügens an Adrian McKintys Polizeiromanen aus. Am Ende von „Die verlorenen Schwestern“ entwirft McKinty auch eine mehr oder weniger alternative Geschichtsschreibung. Denn nicht nur der Ausbruch der IRA-Häftlinge, der bis jetzt größte Massenausbruch aus einem britischen Gefängnis, ist verbürgt. Auch das Ende entspricht einfach recherchierbaren Tatsachen. Mehr oder weniger; was aber nicht so wichtig ist. Denn „Die verlorenen Schwestern“ ist ja kein Sachbuch für Historiker, sondern ein spannender Polizeithriller, der letztes Jahr den australischen Krimipreis, den Ned Kelly Award, erhielt.
P. S.: Der Originaltitel stammt wieder aus einem Song von Tom Waits.

Adrian McKinty: Die verlorenen Schwestern
(übersetzt von Peter Torberg)
Suhrkamp, 2015
384 Seiten
14,99 Euro

Originalausgabe
In the Morning I’ll be gone
Serpent’s Tail, 2014

Hinweise

Blog von Adrian McKinty

Wikipedia über Adrian McKinty

Krimi-Couch über Adrian McKinty

Meine Besprechung von Adrian McKintys „Ein letzter Job“ (Falling Glass, 2011)

Meine Besprechung von Adrian McKintys „Der katholische Bulle“ (The cold cold Ground, 2012)

Meine Besprechung von Adrian McKintys „Die Sirenen von Belfast“ (I hear the Sirens sing in the Street, 2013)


„Der katholische Bulle“ hört „Die Sirenen von Belfast“

Juni 20, 2014

McKinty - Der katholische Bulle - Hardcover - 2McKinty - Die Sirenen von Belfast - 2

Detective Sergeant Sean Duffy von der Polizei in Carrickfergus, einem Vorort von Belfast, ist zurück. Dieses Mal soll er herausfinden, wer den unbekannten Leichnam schon vor längerer Zeit enthauptete, in einer Tiefkühltruhe zwischenlagerte und in einem Koffer versteckte, der zufällig in einem Müllcontainer gefunden wurde.
Das klingt jetzt nicht furchtbar spektakulär. Aber Adrian McKinty will in „Die Sirenen von Belfast“, nach „Der katholische Bulle“ der zweite Fall mit Sean Duffy, auch nicht einen weiteren 08/15-Thriller über die Jagd nach einem durchgeknalltem Mörder, am besten Serienmörder, abliefern. Beide Krimis spielen in den frühen Achtzigern in Nordirland. Damals herrschte dort ein veritabler Bürgerkrieg. IRA-Häftlinge hungerten. Es wurde gebombt und Anschläge auf Polizisten verübt. Das britische Militär schoß scharf zurück. Auch Duffy blickt jeden Morgen unter sein Auto. Prüft, ob es dort eine Bombe gibt.
Außerdem ist es eine Zeit, in der auch die Polizei hemmungslos Gewalt anwandte, man immer wieder etwas mitgehen ließ, eigentlich nie ein Geschenk ablehnte und sich den Dienst mit Alkohol und anderen Drogen verschönerte. Auch Duffy ist diesen Versuchungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Es gehört aber auch zum Alltag, in dem der Wahnsinn regiert und an ordentliche Polizeiarbeit nicht wirklich zu denken ist. Denn bei seinen Ermittlungen muss er Rücksicht nehmen auf die Politik, die politische Großwetterlage, die Befindlichkeiten der Bevölkerung, die die Polizei gerne mit Steinen begrüßt oder gleich auf sie schießt, und die verschiedenen, mehr oder weniger terroristischen Gruppierungen, die damals immer mehr zu Gangsterbanden mutierten. Jedenfalls waren die Grenzen fließend, aber der unangefochtene Machtanspruch der verschiedenen Gruppen beherrschte ganze, fein säuberlich aufgeteilte Stadtviertel. Das englische Militär wurde als Besatzungsmacht wahrgenommen und die Polizei als deren Handlanger. Und über alles wurde immer wieder eine religiöse Sauce gekippt, die einen katholischen Polizisten zu einem Oxymoron machte.
Diesen Hintergrund malt Adrian McKinty, der vorher einige hochgelobte Gangsterromane schrieb, breit aus und reichert ihn mit den damaligen Schlagzeilen (Lady Diana, die Falklandinseln) und der damaligen Hitparade (wobei Duffy oft auch eine klassische LP auflegt) an. Sowieso erzählt der Ich-Erzähler Sean Duffy sein Leben sehr detailliert. Der Kriminalfall selbst wird dann in „Der katholische Bulle“ und „Die Sirenen von Belfast“ eigentlich zur Nebensache, weil geübte Krimileser schnell einen Verdacht haben, wo der Täter zu finden ist. Die Auflösung ist dann mehr vom Prinzip Zufall als von kriminalistischen Ermittlungen bestimmt und von politischen Überlegungen beeinflusst.
So glaubt Duffy in „Der katholische Bulle“ zunächst, dass die beiden Männer von einem Serienmörder ermordet wurden. Beide Opfer waren homosexuell und das war damals im tiefgläubigen Nordirland nicht gern gesehen. Auf einer Postkarte kündigt der Mörder weitere Taten an. Schon früh weist Duffy auf ein Problem hin: In Nordirland gibt es keine Serienmörder. Denn jeder, der töten will, kann einfach zur IRA gehen und dort als Freiheitskämpfer seine Triebe unter dem Deckmantel des gerechten Kampfes frönen.
In „Die Sirenen von Belfast“ findet Duffy heraus, dass der kopflose Tote US-Amerikaner ist, Kriegsveteran war und als Pensionär seinen Urlaub in Irland verbrachte; – was natürlich seltsam ist, weil niemand freiwillig ein Kriegsgebiet besucht. Die Leiche war in einem Koffer versteckt, der Martin McAlpine gehörte. Der Schäfer war einige Monate früher von der IRA erschossen worden, weil er im Ulster Defense Regiment war, einem vor Ort von der British Army rekrutiertem Feierabendregiment. Obwohl dieser Mord nichts mit seinem Fall zu tun hat, interessiert Duffy sich für die schöne, sich merkwürdig verhaltende Witwe und dem älterem Bruder der Ermordeten, Sir Harry McAlpine, dem das Land gehört und der schnell seine Beziehungen spielen lässt.
Denn, wie Duffy schnell vermutet, spielte der Mord sich nicht so ab, wie er in den Polizeiakten festgehalten ist.
Die ersten beiden Sean-Duffy-Romane sind nicht schlecht, aber auch nicht so grandios wie die in Algerien spielenden Kommissar-Llob-Romane von Yasmina Khadra, bei denen der Mordfall ebenfalls Nebensache ist. Denn was ist schon ein Mord, wenn täglich Dutzende sterben, alle korrupt oder wahnsinnig sind und man selbst vielleicht den Tag nicht überlebt? Aber während Khadras Romane, vor allem die ersten drei Llob-Romane „Morituri“, „Doppelweiß“ und „Herbst der Chimären“, extrem kurz, eigentlich nur eine Skizze, sind, malt McKinty sein Panorama breit aus, was auch dazu führt, dass der Drive aus seinen Gangsterromanen fehlt.
Jedenfalls hat Adrian Mc Kinty noch nicht genug von Sean Duffy, dessen weiteres Leben – so sieht es jedenfalls am Ende von „Die Sirenen von Belfast“ aus – nicht unbedingt bei der Polizei von Carrickfergus sein wird.
Der vierte Duffy-Roman ist bereits für nächstes Jahr angekündigt.

Adrian McKinty: Die Sirenen von Belfast
(übersetzt von Peter Torberg)
Suhrkamp, 2014
392 Seiten
19,95 Euro

Originalausgabe
I hear the Sirens in the Street
Serpent’s Tail, London, 2013

Adrian McKinty: Der katholische Bulle
(übersetzt von Peter Torberg)
Suhrkam, 2013
384 Seiten
19,95 Euro
9,99 Euro (Taschenbuch, erscheint am 14. Juli 2014)

Originalausgabe
The cold cold Ground
Serpent’s Tail, 2012

Hinweise

Blog von Adrian McKinty

Wikipedia über Adrian McKinty

Krimi-Couch über Adrian McKinty

Meine Besprechung von Adrian McKintys „Ein letzter Job“ (Falling Glass, 2011)