Neu im Kino/Filmkritik: „John Wick: Kapitel 4“ ist aufgeschlagen

März 23, 2023

Wenige Tage nach seinem überraschenden Tod am 17. März 2023 kommt jetzt einer von von Lance Reddicks letzten Filmen ins Kino – und dieser Kinoabschied (wenn wir die laut IMDb noch kommenden Filme weglassen) ist ein würdiger Abschied. In seiner bekanntesten Rolle. Er spielt, wie in den vorherigen „John Wick“-Filmen, den Concierge des New Yorker Continental Hotels und, soviel kann gesagt werden, er hat im Film eine wichtige Rolle und eine starke letzte Szene.

Im Mittelpunkt des Actionfilms steht natürlich John Wick (Keanu Reeves). Er kämpft immer noch gegen die Hohe Kammer und den gegen ihn ausgesprochenen Tötungsbefehl. Die Hohe Kammer hat jetzt den Marquis de Gramont (Bill Skarsgård) beauftragt, John Wick zu beseitigen. Das Kammermitglied ist ein immer perfekt gekleideter, leicht schnöseliger Adliger, der keine Skrupel kennt. Rücksichtslos jagt er John Wick und lässt jeden töten, den Wick trifft. Schnell sterben Wicks Freunde und immer mehr Menschen wollen ihn töten.

Als die Situation für Wick immer aussichtsloser wird, weist Winston (Ian McShane), der Besitzer des New Yorker Continental Hotels, ihn auf eine alte Regel hin: wenn er den Marquis in einem Duell besiegt, annulliert die Hohe Kammer den Tötungsbefehl. Allerdings kann Wick den Marquis nur herausfordern, wenn er bestimmte Regeln einhält, bestimmte Fürsprecher hat und so in der Position ist, die es ihm ermöglicht, ein anderes Mitglied der Hohen Kammer zum Duell herauszufordern. Das ist die erste Hürde, die Wick überwinden muss. Danach muss er pünktlich zum Duell erscheinen, während der Marquis versucht, ihn auf dem Weg zum Duell zu töten. Er schickt unzählige Killer los. Seine Trumpfkarte ist Caine (Donnie Yen), ein blinder, sich eigentlich im Ruhestand befindender Killer und Freund von John Wick. Caine und Wick respektieren sich, weil sie gleich gut sind und eine gemeinsame Geschichte haben. Die Wildcard des Marquis ist ein namenloser Fährtenleser (Shamier Anderson), der immer von seinem Schäferhund begleitet wird und der ein eigenes Spiel spielt.

Vor zehn Jahren lernten wir John Wick in „John Wick“ kennen. Damals war er ein zurückgezogen lebender, um seine Frau trauernder legendärer Profikiller. Als einige halbstarke Gangster sein Auto klauen und seinen Hund töten, begibt er sich auf einen Rachefeldzug, bei dem mindestens eine halbe Hundertschaft Bösewichter stirbt. Der Actionthriller war ein Erfolg.

In den nächsten beiden „John Wick“-Filmen wurde aus dem kleinen B-Actionthriller, der mit seinen langen, kaum geschnittenen, mit ruhiger Kamera aufgenommenen Actionszenen Actionfans begeisterte, in jeder Beziehung mehr. Autor Derek Kolstad und Regisseur Chad Stahelski erfanden eine Parallelwelt, in der Profikiller ungestört global agieren und es ein labyrinthisches Regelwerk gibt, das die katholische Kirche vor Neid erblassen lässt. Die Action wurde spektakulärer. Die Schauplätze internationaler. Und es spielten noch mehr Stars mit. Jeder neue „John Wick“-Film war länger und teurer als der vorherige. Und erfolgreicher an der Kinokasse.

John Wick : Kapitel 4“ setzt diese Entwicklung fort. Mit einem offiziellem Budget von hundert Millionen Dollar ist er der bislang teuerste Film der Serie. Die Geschichte spielt in der jordanischen Wüste, New York, Osaka/Japan (eigentlich nur im dortigen Continental Hotel), Berlin und Paris. Mit gut drei Stunden ist der Thriller fast vierzig Minuten länger als der vorherige Film. Mit Donnie Yen, Bill Skarsgård, Scott Adkins und Hiroyuki Sanada gibt es prominente Neuzugänge. Und es gibt mehr Action. Insgesamt nennt das Presseheft vierzehn große Action-Set-Pieces (ich habe jetzt nicht nachgezählt), die alle ziemlich spektakulär sind. Das gilt für die Action an sich – es gibt Nahkämpfe, Schießereien, Schwertkämpfe, Autounfälle, Fenster- und Treppenstürze -, und für die Inszenierung. Wieder schnitt Chad Stahelski nur selten. Wieder wählt er lieber die Totale als die Nahaufnahme. Wieder ist es so möglich, die Action genau zu verfolgen und zu sehen, was die Schauspieler und Stuntmen tun. Wieder überzeugt die Farbdramaturgie.

Die Welt von John Wick war schon immer eine Fantasiewelt, die sich inzwischen eindeutig am Comic orientiert. Aber noch hat die Geschichte einem Fuß in der Realität. Wie die James-Bond-Filme oder „Fast & Furious Five“ (Fast Five, USA 2011; das war die Actionsause, in der ein Safe durch die Straßen von Rio de Janeiro gezogen wird). Das Gezeigte ist unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen unmöglich. Wobei die im Film gezeigte Unverletztlichkeit von John Wick, trotz Kevlar-Anzug und mit Kevlar verstärktem Hemd, das alle Kugeln abprallen lässt, mythische Dimensionen hat. Während bei ihm jeder Schuss ein Treffer ist, ist bei den Bösewichtern kein Schuss ein Treffer. Und John Wick wird zwar von Autos angefahren, aber nicht verletzt.

John Wick: Kapitel 4“ liefert genau das stilvolle Actionfeuerwerk, das Fans erwarten und trotz seiner epischen Laufzeit von gut drei Stunden ist der fast dialogfreie Thriller kurzweilig, aber auch etwas redundant. Da wird geschossen, geschossen und nochmal geschossen. Da kommt noch ein Killer um die Ecke, der von einem weiteren und einem weiteren Killer gefolgt wird. Da rollt John Wick nicht einmal, sondern gleich zweimal eine sehr, sehr lange Treppe runter, ehe er sie, wie Sisyphos, wieder hochläuft. Trotzdem langweilen diese langen Actionszenen nicht. Sie treiben die Handlung voran und sie zeigen eindrucksvoll, was im Bereich des handgemachten Actionfilms möglich ist.

Das fünfte Kapitel ist schon in Arbeit.

John Wick: Kapitel 4 (John Wick: Chapter 4, USA 2023)

Regie: Chad Stahelski

Drehbuch: Shay Hatten, Michael Finch (basierend auf von Derek Kolstad erfundenen Figuren)

mit Keanu Reeves, Bill Skarsgård, Donnie Yen, Laurence Fishburne, Lance Reddick, Clancy Brown, Ian McShane, Shamier Anderson, Scott Adkins, Hiroyuki Sanada, Rina Sawayama, Natalia Tena, Sven Marquardt (Berliner Legende)

Länge: 170 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Filmportal über „John Wick: Kapitel 4“ (weil viel in Berlin und im Studio Babelsberg gedreht wurde)

Moviepilot über „John Wick: Kapitel 4“

Metacritic über „John Wick: Kapitel 4“

Rotten Tomatoes über „John Wick: Kapitel 4“

Wikipedia über „John Wick: Kaptel 4“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Chad Stahelskis „John Wick“ (John Wick, USA 2014)

Meine Besprechung von Chad Stahelskis „John Wick: Kapitel 2“ (John Wick: Chapter 2, USA 2017)

Meine Besprechung von Chad Stahelskis „John Wick: Kapitel 3“ (John Wick: Chapter 3 – Parabellum, USA 2019) und der Blu-ray


DVD-Kritik: „Stowaway – Blinder Passagier“ verbraucht Luft

November 15, 2021

Kurz nach dem Start fällt Captain Marina Barnett buchstäblich ein Blinder Passagier vor die Füße. Aus unbekannten und nie geklärten Gründen wurde er vor dem Abflug nicht entdeckt und jetzt ist es zu spät, um die zweijährige Mission noch zu stoppen. Michael Adams, so heißt der Blinde Passagier, ein Techniker vom Bodenpersonal, muss mit zum Mars fliegen. Die Medizinerin Zoe Levenson und der Biologe David Kim nehmen ihn als viertes Mitglied in ihre Crew auf. Es wird zwar etwas enger sein, aber es wird schon gehen.

Dummerweise bemerken sie kurz darauf, dass in Michaels Versteck ein Versorgungssystem irreparabel geschädigt wurde. Die Luft reicht nicht, sie alle lebendig zum Mars zu befördern.

Stowaway – Blinder Passagier“ ist ein Hard-Science-Fiction-Film, wie „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“ oder „Gravity“. Deshalb stehen die Bemühungen der Crew, aus ihrer misslichen Lage zu kommen und wie ihnen das auch in der Realität gelingen könnte, im Zentrum.

Außerdem sind die Astronauten normale Menschen, die auch in einer Extremsituation die Nerven behandeln und ihr Wissen zum Finden von Lösungen einsetzen. Es geht um Mathematik, Variablen, Wahrscheinlichkeiten, Unmöglichkeiten und darauf basierenden Improvisationen.

Joe Penna konzentriert sich in seinem Film auf diese vier Menschen im Raumschiff. Eine Welt außerhalb des Raumschiffs gibt es nicht. Bei Gesprächen mit der Zentrale, sehen wir diese nicht, hören nicht deren Antworten und erfahren nur durch Barnetts Statement, dass sie alles tun würden, um sie zu retten. Es ist, als habe man bei „Der Marsianer“ alle Szenen, die nicht Watney Überlebenskampf auf dem Mars zeigen, herausgeschnitten. Diese Heransgehensweise verstärkt die Isolation der Marsreisenden.

Einige Dinge habe ich allerdings nicht verstanden. Zum Beispiel, warum es nicht weitere Luftreinigungssysteme gibt und wie Michael in sein Versteck gekommen ist. Auch der Außenaufbau des Raumschiffs erschien mir etwas seltsam und, auch im Weltraum, unpraktisch. Er war allerdings wichtig für den Höhepunkt des Films.

Warum sie die Mission wenige Stunden nach dem Beginn nicht mehr abbrechen, wird im Film ebenfalls nicht genauer erklärt. Sie scheinen aber eine Technik anzuwenden, die auf dem von Astronaut Buzz Aldrin vorgeschlagenem Mars-Cycler-Konzept beruht. Die Idee ist, das Raumschiff, wie eine Kugel, zum Ziel zu schießen. Und wie eine Kugel, die den Lauf der Waffe verlassen hat, kann das sich auf dem Weg zum Mars befindende Schiff dann nicht mehr gestoppt werden.

Für diese und ähnliche Fragen wäre ein Audiokommentar von oder ein Gespräch mit einem Experten hilfreich gewesen. Im Film hätten solche Erklärdialoge, in denen ein Experte dem anderen Experten erklärt, was er weiß, genervt.

Insgesamt wirkt die Filmgeschichte äußerst realistisch und es ist auch angenehm, einfach Profis bei der Arbeit, die sie ruhig und kompetent verrichten, zu beobachten. Auch das ist spannend.

Regisseur Joe Penna und sein Co-Autor Ryan Morrison arbeiteten bereits bei Pennas Debütspielfilm „Arctic“, über den Überlebenskampf eines Mannes (Mads Mikkelsen) in der Arktis, zusammen.

Stowaway – Blinder Passagier (Stowaway, USA/Deutschland 2021)

Regie: Joe Penna

Drehbuch: Joe Penna, Ryan Morrison

mit Anna Kendrick, Toni Collette, Daniel Dae Kim, Shamier Anderson

DVD

EuroVideo

Bild:: 2,39:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Englisch (DD 5.1)

Untertitel: Deutsch, Untertitel für Hörgeschädigte

Bonusmaterial: Hörfilmfassung

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Blu-ray identisch.

Hinweise

Moviepilot über „Stowaway“

Metacritic über „Stowaway“

Rotten Tomatoes über „Stowaway“

Wikipedia über „Stowaway“ (deutsch, englisch)