Angela Merkel versteckt sich im Wald. Schwerbewaffnet rückt die Polizei an. Es beginnt eine Schlacht zwischen der Polizei und Menschen, die gegen die Rodung des Waldes protestieren. Sie flüchtet, stürzt in eine Schlucht und verletzt sich dabei.
Natürlich flüchtet in Omer Fasts neuem Film „Abendland“ nicht die echte Angela Merkel, sondern eine junge Frau, die eine Angela-Merkel-Maske trägt, vor der Polizei. Sie nimmt die Maske während des gesamten Films nicht ab. Auch die anderen Menschen, denen sie im Wald begegnet, tragen Masken, die sie nicht abnehmen.
Videokünstler Omer Fast erzählt in seinem dritten Spielfilm eine gradlinige Geschichte, deren einzige offensichtliche Irritation das Tragen von Masken ist. Dass die Film-Merkel Sätze der echten ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel zitiert, erfährt man aus dem Presseheft.
Seine vorherigen, streng konstruierten Filme „Remainder“ und „Continuity“ sind wohltuende intellektuelle Anstrengungen, die für verschiedene Interpretationen offen sind. „Abendland“ ist auch für verschiedene Interpretationen offen, aber vieles, vor allem wenn Merkel im Wald auf eine Baumhauskolonie trifft, bleibt einfach oberflächlich. Da wird dann schnell einmal alles abgehandelt, was mit der Aufnahme von Fremden in eine Gemeinschaft zusammenhängt. Schließlich wissen die Mitglieder der Waldkommune nicht, ob sie Merkel vertrauen können. Die in den ersten Minuten wichtigen Konflikte zwischen Umweltprotestierern und Staatsgewalt, sind da schon lange vergessen.
„Abendland“ ist, weil er sein Publikum intellektuell unterfordert, sein enttäuschendster Film.
Abendland (Deutschland 2024)
Regie: Omer Fast
Drehbuch: Omer Fast
mit Stephanie Amarell, Marie Tragousti, Sebastian Schneider, Ivy Lißack, Janina Stopper, Amon Wendel, Sebastian Schulze, Berna Kilicli, Benedikt Laumann, Susanne Bredehöft
„Ich denke nicht, dass mein Film Nadjas Verhalten entschuldigen oder verstehen will. Er schafft den Raum, diese Verbindung ohne moralische Wertung zu betrachten. Dieser Raum kann zu weiteren Gedanken persönlicher und individueller Natur führen.“
Isabelle Stever, Regie
Das hätte eine Provokation, über die alle reden, werden können: eine Mutter geht eine sexuelle Beziehung mit ihrem Sohn ein. Es wurde ein Film, der einen ratlos zurücklässt. Denn Regisseurin Isabelle Stever lässt uns über die Motive ihrer Figuren weitgehend im Dunkeln. Sie ignoriert alle Konflikte, die aus so einer, von der Gesellschaft abgelehnten, Liebesbeziehung entstehen könnten. Bei ihr scheint niemand sich an der Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Sohn zu stören.
Als Teenager bekam Nadja ihren Sohn. Sie gab ihn zu ihrer Mutter und scheint ihn seitdem selten bis nie gesehen zu haben. Sie konzentrierte sich auf ihre Karriere als Ballettänzerin. Inzwischen arbeitet sie als reichlich unnahbare Ballettlehrerin.
Als sie ihre Mutter besucht, trift sie auch ihren gerade so erwachsenen Sohn Mario. Sie fühlen sich voneinander angezogen und haben in der kleinen Mietwohnung von Nadjas Mutter Geschlechtsverkehr miteinander. Nadjas Mutter scheint das nicht zu stören. Auch die anderen Nachbarn im Mietshaus, die wir nicht sehen, scheint diese gesellschaftliche geächtete Beziehung nicht zu stören.
Später zieht Mario bei Nadja ein. Sie haben weiterhin Sex miteinander und sie stürzen sich in das Nachtleben. Nirgendwo verheimlichen sie ihre Beziehung. Und jeder akzeptiert dieses Mutter/Sohn-Gespann. Auch ihre Schwangerschaft sorgt nicht für irgendwelche Diskussionen oder erkennbaren Konflikte zwischen ihnen oder zwischen ihnen und den wenigen anderen Menschen, denen sie begegnen.
„Grand Jeté“ wirkt wie ein elliptisch erzähltes Gedankenexperiment im luftleerem Raum und ohne eine These, um die die Filmgeschichte und an den Film anschließende Diskussionen sich drehen könnten.
Entsprechend zufällig reihen sich die meist langen Szenen aneinander. Oft sind die Bilder unscharf und die Farben blass. Oft zeigt Stever minutenlange Nahaufnahmen von beispielsweise einem Schulterblatt. Oft nimmt sie ihre Figuren von schräg oben auf. So als sähe jemand auf sie herab. Diese gegen die Sehgewohnheiten verstoßenden Aufnahmen vergrößern die Distanz zum Publikum, das schon mit den rätselhaften Figuren zu kämpfen hat, weiter.
Und so wird aus dem potentiellem Skandalfilm „Grand Jeté“ schnell ein frustrierender Langweiler ohne Erkenntnisgewinn.
Grand Jeté (Deutschland 2022)
Regie: Isabelle Stever
Drehbuch: Anna Melikova
LV:: Anke Stelling: Fürsorge, 2017
mit Sarah Nevada Grether, Emil von Schönfels, Susanne Bredehöft, Stefan Rudolf, Maya Kornev, Carl Hegemann, Jule Böwe
Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien (Deutschland 2020)
Regie: Bettina Böhler
Drehbuch: Bettina Böhler
TV-Premiere. Zweistündige Doku über Christoph Schlingensief (1960 – 2010), dem wir etliche spektakuläre Kunstaktionen, die Partei „Chance 2000“ („Scheitern als Chance“), Theateraufführungen und einige Perlen der Filmkunst, wie „100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“, „Das deutsche Kettensägenmassaker“, „Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“ und „Die 120 Tage von Bottrop“, verdanken.
Für ihre Doku montierte Bettina Böhler vorhandenes, teils bis dahin unbekanntes Archivmaterial zu einem überzeugenden und auch für Schlingensief-Kenner sehenswertem Porträt.
Die Musik ist von Helge Schneider.
Mit Christoph Schlingensief, Margit Carstensen, Udo Kier, Sophie Rois, Bernhard Schütz, Helge Schneider, Dietrich Kuhlbrodt, Susanne Bredehöft, Alfred Edel, Irm Hermann, Martin Wuttke, Tilda Swinton (natürlich alles Archivmaterial)
Terror 2000 – Intensivstation Deutschland(Deutschland 1992)
Regie: Christoph Schlingensief
Drehbuch: Christoph Schlingensief, Oskar Roehler, Uli Hanisch
Gut versteckt mitten in der Nacht zeigt Arte zu Schlingensiefs zehntem Todestag den Abschluss seiner Deutschland-Trilogie. Die beiden Gangster Bössler und Jablo finden in der ostdeutschen Kleinstadt Rassau Asyl. Dort beginnen sie mit der Säuberung Deutschlands, wie das damals von einem rassistischen Mob auf der Straße gefordert wurde.
„Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“ ist nicht das ‚deutsche Kettensägenmassaker‘ aber trotzdem, inspiriert von den Schlagzeilen und diese konsequent weiterdenkend, geschmacksicher alle Tabus und Geschmacksgrenzen übertretend.
mit Alfred Edel, Udo Kier, Peter Kern, Margit Carstensen, Susanne Bredehöft, Dietrich Kuhlbrodt, Christoph Schlingensief, Oskar Roehler
Vor dreizehn Jahren spielte Jan Henrik Stahlberg in dem von ihm mitgeschriebenen Film „Muxmäuschenstill“ Mux, einen gescheiterten Philosophiestudent, der jetzt den Menschen wieder Verantwortung beibringen will. Er geht gegen Ordnungswidrigkeiten und schlechtes Benehmen vor. Er stellt die über seine Aktionen gedrehten Filme ins Internet und wird zum Gründer einer Bewegung. Und so nett und sympathisch, wenn auch etwas rechthaberisch Mux am Anfang ist, so schnell wird auch das hinter seinen Aktionen stehende faschistoide und reaktionäre Gedankengut offensichtlich. Auch wenn jeder manchmal gerne wie Mux wäre und viele Szenen in der in schönster Guerilla-Manier gedrehte,n tiefschwarzen Berlin-Komödie unglaublich komisch sind.
Danach war Stahlberg auf diese Rolle festgelegt.
Für seinen neuesten, ähnlich kompromisslosen, aber deutlich weniger publikumsträchtigen Film griff er auf die aus „Muxmäuschenstill“ bewährten Strategien zurück. Auch „Fikkefuchs“ entstand als No-Budget-Produktion. Er musste keine Kompromisse mit irgendwelchen Geldgebern, Produzenten oder Redakteuren machen. Er geht, wieder, vollkommen in seiner Rolle auf. Er spielt Richard Ockers, genannt „Rocky“. Er nennt sich den „größten Stecher von Wuppertal“. Inzwischen lebt der End-Vierziger allein in Berlin in einer abgeranzten Wohnung. Überall prahlt er mit seinen wahrscheinlich schon immer imaginären Sex-Abenteuern mit jungen Frauen. Ebenso wortreich pflegt er seinen Hass auf Frauen und den Rest der Welt. Er ist, selten durch etwas Bildungsbürgertum getarnt, ein frauenfeindliches Arschloch, das sich für den Größten hält, immer noch sehr jungen Frauen hinterhersteigt und aussieht, wie ein ungewaschen aus dem Klo gezogener Zwillingsbruder von Michel Houellebecq. Ohne dessen intellektuelle Brillanz.
Eines Tages liegt Thorben (Franz Rogowski) vor seiner Tür. Er ist sein Sohn. Bis jetzt wusste Rocky nicht, dass er überhaupt einen Sohn hat. Zögernd nimmt er ihn bei sich auf und will ihm dann erklären, wie das so mit dem Aufreißen von Frauen geht. Denn Thorben floh aus der Psychiatrie. Dort war der Mittzwanziger wegen versuchter Vergewaltigung. Seine sexuellen Erfahrungen beziehen sich bis jetzt auf den maßlosen Konsum von Pornos, während seine Gedanken, die er normalerweise ungefiltert äußert, sich nur um Sex mit Frauen drehen.
Vater und Sohn sind also ein Traumgespann der Misogynie, mit dem man im echten Leben nicht mehr Zeit als nötig verbringen möchte. Stahlberg, der auch die Regie übernahm und zusammen mit Krimiautor Wolfram Fleischhauer das Drehbuch schrieb, und Franz Rogowski, der seinen Sohn spielt, werfen sich hundertfünfzigprozentig in ihre Rollen und die daraus permanent entstehenden, abstoßenden Fremdschäm-Momente.
Das ist der große Unterschied zwischen „Muxmäuschenstill“ und „Fikkefuchs“. In „Muxmäuschenstill“ konnte man mit Mux mitfühlen und auch Gemeinsamkeiten erkennen. Man konnte über das Thema des Films miteinander ins Gespräch kommen. Die Satire und die daraus resultierenden Überspitzungen waren immer erkennbar.
In „Fikkefuchs“ ist der satirische Aspekt unklar. Damit ist auch unklar, wie sehr Stahlberg sich selbst darstellt beziehungsweise seine eigenen Gefühle und Ansichten äußerst; – diese Frage stellt sich ja auch bei den Werken von Michel Houellebecq, der – wahrscheinlich – genau die Ansichten hat, die seine Figuren haben.
Es gibt in „Fikkefuchs“ auch keine Möglichkeit zur Identifikation. Man kann und will sich nicht mit den gezeigten Männern, vor allem dem Vater-und-Sohn-Gespann identifizieren. Sie sind sex- und notgeile, unbefriedigte, ihre Unsicherheit durch frauenfeindliche Sprüche tarnende Männlein. Da ist während des gesamten Films keine Entwicklung und auch keine zweite Ebene spürbar.
Es gibt auch nie eine filmische Überhöhung. Das liegt weniger an dem schmalen Budget, sondern daran, dass der quasi-dokumentarische, schäbige, mit seinen blassen Farben fast schon krank aussehende Look gewollt ist.
In „Fikkefuchs“ gibt es ein, zugegeben, kompromissloses und in sich geschlossenes Gemisch von Frauenhass, selten getarnt als Vergötterung der jungen, quasi jungfräulichen Frau, Dummheit und Selbstverblendung.
Dass Stahlberg nicht davor zurückschreckt, dem Publikum diesen Brocken vor die Füße zu werfen und dass er dabei einer Vision folgt, ist ihm hoch anzurechnen. Aber wirklich sehenswert oder erkenntnisreich ist der polarisierende Film nicht.
Fikkefuchs (Deutschland 2017)
Regie: Jan Henrik Stahlberg
Drehbuch: Jan Henrik Stahlberg, Wolfram Fleischhauer
mit Jan Henrik Stahlberg, Franz Rogowski, Thomas Bading, Susanne Bredehöft, Jan Pohl, Hans Ullrich Laux, Roald Schramm, Saralisa Volm