Neu im Kino/Filmkritik: „Sleeping Dogs – Manche Lügen sterben nie“, aber die Wahrheit…

August 29, 2024

Der Beginn des neuen Thrillers von Russell Crowe ist klassisch. Er spielt einen alten Kriminalbeamten mit Gedächtnisproblemen. Seine Wohnung ist zugepflastert mit Zetteln, auf denen extrem kleinteilig steht, was er wann tun soll. Eine experimentelle Behandlung könnte sein Erinnerungsvermögen wieder herstellen. Zur Unterstützung der Behandlung soll Roy Freeman sich beschäftigen. Puzzle beispielsweise.

Als eine in einem Gefangenenhilfsprojekt arbeitende Anwältin ihn bittet, Isaac Samuel im Gefängnis zu besuchen, ist Freeman, auch wenn er sich nicht an den Fall erinnern kann, einverstanden.

Vor zehn Jahren gestand der Kleingangster Samuel seinem Partner Jimmy Remis und ihm, dass er den College-Professor Joseph Wieder in seiner Wohnung ermordete. Er wurde zum Tode verurteilt. In wenigen Tagen soll das Urteil vollstreckt werden. Aber jetzt beteuert Samuel gegenüber Freeman seine Unschuld.

Freeman beginnt in dem alten Fall herumzustochern und Krimifans wissen in dem Moment schon zwei Sachen. Samuel ist unschuldig. Und Freeman stößt bei seinen Ermittlungen in ein Wespennest aus Lug und Betrug. Denn es gibt einen guten Grund, weshalb damals der echte Täter nicht verhaftet und sogar von der Polizei geschützt wurde.

Beim Ansehen von „Sleeping Dogs – Manche Lügen sterben nie“ verstand ich sofort, was Russell Crowe und die anderen Schauspieler an der Geschichte interessierte. Das Drehbuch von Bill Collage und Adam Cooper verknüpft durchaus geschickt die Ermittlungen von Freeman mit seiner Krankengeschichte. Bei seinen Ermittlungen fragt Freeman sich, was für ein Polizist er war und welche Rolle er damals bei den Ermittlungen hatte. Die mild zersplitterte Erzählweise liefert in vielen Rückblenden Informationen zum Tatgeschehen und sie zeigt, wie das Gedächtnis mit Flashbacks und Erinnerungsfetzen arbeitet. Das liest sich im Drehbuch gut.

Aber „Sleeping Dogs“ schöpft niemals sein im Drehbuch angelegtes Potential aus. Problematisch sind vor allem das Erzähltempo und die Lösung. Die finale Lösung ist eine durchaus sinnvolle Erklärung für den Mord und die Vertuschung. Dummerweise ergibt die finale Lösung zusammen mit der vorher präsentierten Lösung für den Mord und die Vertuschung keinen Sinn.

Außerdem inszenierte Adam Cooper, der vorher unter anderem die Drehbücher für „The Transporter Refueled“, „Allegiant“ und „Assassin’s Creed“ schrieb, sein Regiedebüt arg dröge. Die Farbpalette neigt zur aktuell modischen beige-braun-schwarz Monotonie. Alles passiert sehr langsam. Denn der Protagonist Freeman ist ein kranker Mann, der sich langsam bewegt und der nur sehr langsam versteht, vieles vergißt und immer wieder nachfragt, was er gerade vergessen haben könnte. Denn so wahnsinnig kompliziert ist die Lösung nicht.

Am Ende ist Russell Crowes neuer Film doch nur ein weiterer bestenfalls okayer Krimi.

Sleeping Dogs – Manche Lügen sterben nie (Sleeping Dogs, USA 2024)

Regie: Adam Cooper

Drehbuch: Adam Cooper, Bill Collage

LV: E. O. Chirovici: The Book of Mirrors, 2017 (Das Buch der Spiegel)

mit Russell Crowe, Karen Gillan, Marton Csokas, Thomas M. Wright, Harry Greenwood, Tommy Flanagan

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Sleeping Dogs“

Metacritic über „Sleeping Dogs“

Rotten Tomatoes über „Sleeping Dogs“

Wikipedia über „Sleeping Dogs“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Everest“, wir Touris kommen!

September 17, 2015

Lange Jahre war der Mount Everest, der erst am 29. Mai 1953 von Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay erstmals bestiegen wurde, ein Berg für wenige, ausgezeichnete Bergsteiger. Bis dann, ab Ende der achtziger Jahre, kommerzielle Besteigungen organisiert wurden. Bei ihnen gelangten auch unerfahrene Bergsteiger auf den Gipfel. 1996 kam es zu einer Katastrophe, bei der innerhalb weniger Stunden acht Bergsteiger starben – und wenn ihr schon jetzt wissen wollt, was damals genau geschah und wer überlebte, kann es hier nachlesen. Einige werden auch Jon Krakauers Sachbuch-Bestseller „In eisige Höhen – Das Drama am Mount Everest“ (Into thin Air: A Personal Account of the Mt. Everest Disaster, 1997) gelesen haben. Krakauer war bei der Besteigung als Journalist dabei. Im Film wird er von Michael Kelly gespielt. Auch andere Überlebende schrieben Bücher darüber, die allerdings nicht so bekannt sind.
Aber auch wenn man die Geschichte kennt, wird man wohl gefesselt von Baltasar Kormákurs Bergsteiger-Drama „Everest“ (das man sich auch in 3D im IMAX ansehen kann) sein. Mit einer großen Besetzung – Jason Clarke, Josh Brolin, Jake Gyllenhaal, John Hawkes (eher ein Indie-Liebling) in den Hauptrollen, Sam Worthington und Emily Watson in wichtigen Nebenrollen, Keira Knightley und Robin Wright als zu Hause sitzende Bergsteigerfrauen – und einem Blick auf die fotogene Bergwelt (es wurde in Nepal und in den italienischen Alpen, im Val Senales und auf dem Senales-Gletscher, gedreht) erzählt Kormákur seinen Katastrophenfilm klassisch und chronologisch die Geschichte. Beginnend von der Ankunft der Bergsteiger in Kathmandu, über die Einführung des erfahrenen und sicherheitsbedachten „Adventure Consultans“-Bergsteigers Rob Hall (Jason Clarke) über die Gefahren des Berges, den ersten Erfahrungen der zahlenden Kunden (die alle ein kleines Vermögen für das Abenteuer ausgeben) am Berg und schließlich, zusammen mit der von Scott Fischer (Jake Gyllenhaal) geführten Gruppe seines Unternehmens „Mountain Madness“, am 10. Mai 1996 dem Aufstieg zum Gipfel. Insgesamt wollten an diesem Tag innerhalb weniger Stunden 34 Bergsteiger den Gipfel erreichen. Schon die letzte Etappe war, wegen des Wetters, problematisch. Der Abstieg, der in der zweiten Hälfte des Films geschildert wird, endet dann in der bekannten Katastrophe.
Baltasar Kormákur („The Deep“, „Contraband“, „2 Guns“) erfindet zwar den Bergsteigerfilm nicht neu, aber das wollte er auch nie. Er will nur, ohne Schuldzuweisungen und ohne eine eindeutige Position zu beziehen, die Geschichte einer angekündigten Katastrophe, die aus einer fatalen Mischung aus Gutwilligkeit, Überschätzung, Egoismus und Dummheit geschah, schildern. Denn nur weil ein Berg da ist, sollte nicht jeder auf ihn draufsteigen dürfen.
Das in „Everest“ geschilderte Unglück führte allerdings nicht zu einem Ende des Mount-Everest-Tourismus. Die Bergsteiger, die die Touren anboten, verbesserten ihre Gefahreneinschätzungen. So sagt Guy Cotter, Key Alpine Advisor des Films, der damals ebenfalls für „Adventure Consultans“ dabei war, seitdem Chef der Firma ist und von Sam Worthington gespielt wird: „Für uns als Große-Höhen-Bergführer-Bruderschaft waren die Ereignisse von 1996 sehr lehrreich. Wir haben uns anschließend viele Fragen gestellt, wie wir verhindern können, dass so etwas noch einmal passiert. Ich glaube, dass wir als Industrie, wenn man so will, davon erwachsen geworden sind. Rob [Hall] war definitiv auf seinem Höhepunkt, aber es war noch sehr früh in der Entwicklung des Bergführens in großen Höhen und manchmal überleben die Pioniere die Entdeckung der Parameter ihrer Umgebung nicht.“
Die Ausrüstung wurde besser und jetzt hinterlassen noch mehr Menschen ihren Müll auf dem Weg zum und auf dem Gipfel des höchsten Berges der Welt.
Zum Glück können wir das im gut klimatisierten Kinosaal tun. Denn, seien wir ehrlich, viel näher werden wir dem Mount Everest niemals kommen.

Everest - Plakat

Everest (3D) (Everest, USA/Großbritannien 2015)
Regie: Baltasar Kormákur
Drehbuch: William Nicholson, Simon Beaufoy
mit Jason Clarke, Josh Brolin, John Hawkes, Emily Watson, Jake Gyllenhaal, Martin Henderson, Michael Kelly, Keira Knightley, Sam Worthington, Ingvar E. Sigurdsson, Elizabeth Debicki, Thomas M. Wright, Naoko Mori, Robin Wright
Länge: 122 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Englische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Everest“
Moviepilot über „Everest“
Metacritic über „Everest“
Rotten Tomatoes über „Everest“
Wikipedia über „Everest“ (deutsch, englisch)
History vs. Hollywood über „Everest“

Meine Besprechung von Baltasar Kormákurs “Contraband” (Contraband, USA 2012)

Meine Besprechung von Baltasar Kormákurs „2 Guns“ (2 Guns, USA 2013)