Wallace Stroby ist „Zum Greifen nah“

August 31, 2020

Mitten in einer Oktobernacht erschießt Billy Flynn auf einer einsamen Landstraße im ländlichen Florida den jungen Afroamerikaner Derek Willis. Auf den ersten Blick ist Billys Schusswaffeneinsatz während der Routine-Verkehrskontrolle gerechtfertigt gewesen. Immerhin wollte Willis fliegen, neben der Leiche liegt ein Revolver und im Kofferraum des Autos finden sich in einer Nylontasche weitere Schusswaffen. Außerdem gehört das Auto nicht Willis.

Aber Sara Cross, die frühere Freundin von Billy und, nach Billys Meldung in die Zentrale, erste Beamtin am Tatort, fragt sich trotzdem, ob es wirklich so war, wie Billy erzählt. Immerhin ist der zweiundzwanzigjährige Willis bislang ein unbescholtener Bürger, der brav in Newark, New Jersey, an der Universität studiert und eine Familie gründen will. Cross fragt sich, was Willis auf der einsamen Landstraße so weit weg von seiner Heimat gesucht hat.

Währenddessen beauftragt in Newark der Drogenboss Mikey-Mike den Killer Morgan, ihm sein Geld wieder zu besorgen. Denn in Willis‘ Auto sind neben den Waffen 350.000 Dollar versteckt. Mit dem Geld sollten Drogen bezahlt werden. Morgan soll, wenn er schon in Florida ist, auch gleich Billy und Sara töten. Immerhin sind sie die Polizisten, die als erste am Tatort waren, und damit für den Tod seines Kuriers verantwortlich sind.

Auf dem Cover von „Zum Greifen nah“ steht „Sara-Cross-Krimi“. Das erweckt den Eindruck, dass es sich um den Auftakt einer Serie handelt. Dabei ist „Zum Greifen nah“ ein Einzelroman. Die alleinerziehende Cross ist nur die Protagonistin von diesem Krimi, den Wallace Stroby genauso schnörkellos wie seine vier Romane um die Profieinbrecherin Crissa Stone erzählt. Nur dass dieses Mal, wie man es aus den Romanen von George Pelecanos kennt, Musik und damit verbundene popkulturelle Referenzen eine wichtige Rolle spielen. Besonders Morgan achtet immer auf den richtigen Soundtrack. Die Story selbst läuft, mit kleinen Überraschungen geradlinig auf das finale Duell zwischen Morgan und Sara Cross hinaus.

Bis es dazu kommt, steigt in Hopedale die Mordrate kräftig.

Für die Hardboiled-Fans ist „Zum Greifen nah“ ein echter Pageturner, der für seine Story nicht allzu viele Seiten und Worte benötigt.

Hoffentlich entschließt der Pendragon-Verlag sich noch, die anderen Romane von Wallace Stroby zu übersetzen. Im Moment sind nämlich keine weiteren Übersetzungen geplant. Bis dahin kann man die schon übersetzten Crissa-Stone-Gangsterromane lesen. Die Reihenfolge ist egal. Sie sind als zeitgemäßes, menschliches Update von Richard Starks Parker eine ausgezeichnete, spannende und sehr kurzweilige Lektüre.

Wallace Stroby: Zum Greifen nah

(übersetzt von Bernd Gockel)

Pendragon, 2020

360 Seiten

18 Euro

Originalausgabe

Gone ‚til November

Minotaur Books/St. Martin’s Press, 2010

Die bisherigen Verbrechen des Herrn Stroby

Harry Rane

1. The Barbed-Wire Kiss (2003)

2. The Heartbreak Lounge (2005)

 

Crissa Stone

1. Kalter Schuss ins Herz (Cold Shot to the Heart, 2011)

2. Geld ist nicht genug (Kings of Midnight, 2012)

3. Fast ein guter Plan (Shoot the Woman First, 2013)

4. Der Teufel will mehr (The Devil’s Share, 2015)

 

Einzelwerke

Zum Greifen nah (Gone ‚Til November, 2010)

Some Die Nameless (2018)

Hinweise

Homepage von Wallace Stroby

Blog von Wallace Stroby

Wikipedia über Wallace Stroby

Meine Besprechung von Wallace Strobys „Kalter Schuss ins Herz“ (Cold Shot to the Heart, 2011)

Meine Besprechung von Wallace Strobys „Geld ist nicht genug“ (Kings of Midnight, 2012)


Cover der Woche

Juli 28, 2020


Kurzkritik: Wallace Stroby: Geld ist nicht genug

April 26, 2017

Am 11. Dezember 1978 klaute die Mafia auf dem John F. Kennedy Airport aus dem Frachtterminal der Lufthansa gebrauchte Dollarscheine im Wert von 10 Millionen D-Mark (bzw., nach heutigem Wert, 20 Millionen Euro). Das war viel mehr, als die Diebe, die über Insider-Informationen verfügten, erwartet hatten. Und während der Überfall unblutig abging, wurde es danach blutig.

Die Beute wurde nie gefunden.

Das ist der wahre Hintergrund des zweiten Crissa-Stone-Romans. In „Geld ist nicht genug“ erhält die Profi-Verbrecherin (kurz gesagt: die weibliche Version von Richard Starks Parker) das Angebot, zusammen mit Benny Roth einen Teil der Beute zu bergen. Benny war damals mittelbar an dem Diebstahl beteiligt. Als immer mehr Männer, die mehr oder weniger an dem Diebstahl beteiligt waren, ermordet wurden, ging er in ein Zeugenschutzprogramm. Jetzt, nachdem Joey Dio gestorben ist, findet ihn der psychopathische Gangster Danny Taliferro in der Provinz.

Benny kann ihn und seine Männer überwältigen. Mit seiner deutlich jüngeren Freundin kehrt er nach Jahrzehnten nach New York zurück. Denn er glaubt zu wissen, wo Dio seinen Anteil von dem Raub versteckt hat. Dummerweise ist er nicht der einzige.

Geld ist nicht genug“ ist, wie Wallace Strobys erster Crissa-Stone-Roman „Kalter Schuss ins Herz“, ein klassischer Hardboiled-Gangsterroman, der sich freudig in die Tradition stellt. Das zeigt sich schon an der schlanken 200-Seiten-Länge. Auch wenn Pendragon den Pulp-Roman layouttechnisch auf 336 Seiten hochpimpte. Stroby erzählt lakonisch, mit einigen kleinen Modernisierungen, eine Geschichte von mehr oder weniger ehrbaren Berufsverbrechern, die sich das Leben schwer machen.

Dabei weht, wie in den späteren Parker-Romanen von Richard Stark oder den Wyatt-Romanen von Garry Disher, ein Hauch von Nostalgie durch die Geschichte. Denn die Zeit der allein, nach einem Ehrenkodex, arbeitenden Berufseinbrecher ist vorbei. Die Technik macht ihnen in jeder Beziehung das Leben schwer. Ebenso die Entwicklungen in der Kriminaltechnik. Und dann findet sich in Geldschränken immer weniger Bargeld.

Bis jetzt hat Wallace Stroby noch zwei weitere Crissa-Stone-Romane geschrieben, die hoffentlich schnell ins Deutsche übersetzt werden.

Wallace Stroby: Geld ist nicht genug

(übersetzt von Alf Mayer)

Pendragon, 2017

336 Seiten

17 Euro

Originalausgabe

King of Midnight

Minotaur Books/St. Martin’s Press, 2012

Hinweise

Homepage von Wallace Stroby

Blog von Wallace Stroby

Wikipedia über Wallace Stroby

Meine Besprechung von Wallace Strobys „Kalter Schuss ins Herz“ (Cold Shot to the Heart, 2011)


Ein „Kalter Schuss ins Herz“ von Wallace Stroby

November 11, 2015

Stroby - Kalter Schuss ins Herz

Crissa Stone ist nur auf dem Papier eine Frau. Ihre Tochter wird von ihrer Cousine in Texas groß gezogen. Sie hat keinen Mann; jedenfalls keinen Mann an ihrer Seite. Denn ihre große Liebe sitzt seit einigen Jahren im Gefängnis und all die anderen Männern in „Kalter Schuss ins Herz“ nehmen sie nur als Kollegin oder als Teil eines Auftrages wahr. Auch Wallace Stroby verschwendet in seinem Roman keine Zeit darauf, ihre Äußerlichkeiten zu beschreiben. Denn Crissa Stone ist Profi-Einbrecherin und damit steht sie in der Tradition von Parker (erfunden von Richard Stark, der damit die Blaupause für alle Profi-Verbrecher schuf) und Wyatt (erfunden von Garry Disher).
Gemeinsam mit Stimmer und Chance überfällt sie in Broward, Florida, in einem Hotelzimmer ein illegales Kartenspiel. Statt der versprochenen Million erbeuten sie nur eine halbe Million Dollar, was für einige Minuten Arbeit kein schlechter Stundenlohn ist. Dummerweise wird Stimmer nervös und er tötet einen der Spieler. Wie Stone später erfährt, ist es Louis Letteri und sein Schwiegervater, der Mafiosi Tino Conte, engagiert Eddie den Heiligen, einen gerade aus dem Knast entlassenen Psychopathen und skrupellosen Mörder. Eddie soll eigentlich nur Stimmer töten. Aber Eddie will auch die gesamte Beute haben.
Wallace Stroby, der vor „Kalter Schuss ins Herz“ bereits drei hochgelobte, nicht ins Deutsche übersetzte Krimis schrieb, stellt sich mit seinem ersten Crissa-Stone-Roman in die ehrenwerte Tradition des Hardboiled-Gangsterkrimis, der seine Geschichte schnörkellos, ohne Sentimentalitäten oder überflüssige Beschreibungen auf wenigen Seiten erzählt. Das ist, zwischen den dicken Serienkillerthrillern, den braven Ermittlerkrimis, den verschieden gelagerten Romantic Thrillern und den überdrehten, oft nur pseudo-witzigen Post-Tarantino-Gangstergrotesken, angenehm altmodisch. Auch wenn die Welt, in der Stone lebt, aufgrund der zunehmenden Totalüberwachung, immer mehr verschwindet,
„Kalter Schuss ins Herz“ ist ein guter Gangsterkrimi. Auch wenn Stone am Ende für einen Profi einen vollkommen dämlichen Fehler begeht. Sie stellt dem Killer Eddie eine Falle und denkt nicht daran, dass er diese Falle ahnt, sie umgeht und sie so überraschen kann. Das wäre Parker nicht passiert.
Nach „Kalter Schuss ins Herz“ schrieb Wallace Stroby bis jetzt drei weitere Abenteuer mit Crissa Stone, die hoffentlich bald auf Deutsch erscheinen.
Anmerkung 1: Das Cover führt ziemlich in die Irre. Denn die Geschichte spielt im Winter, um Weihnachten (obwohl sich niemand für das Fest interessiert) in und um New York herum, garniert mit einem kurzen Ausflug in den Süden.
Anmerkung 2: Im Nachwort hat sich auf Seite 344 ein ärgerlicher Fehler eingeschlichen. Denn natürlich ist mit „Peter Rave“ der bei uns fast vollkommen unbekannte Noir-Autor „Peter Rabe“ gemeint.

Wallace Stroby: Kalter Schuss ins Herz
(übersetzt von Alf Mayer)
Pendragon, 2015
352 Seiten
15,99 Euro

Originaltitel
Cold Shot to the Heart
St. Martin’s Press, 2011

Hinweise
Homepage von Wallace Stroby

Blog von Wallace Stroby