Neu im Kino/Filmkritik: „Orphan: First Kill“ als Esther Albright

September 8, 2022

Der Titel lässt es schon erahnen: „Orphan: First Kill“ erzählt eine Vorgeschichte und damit ist auch klar, wer überlebt.

Das titelgebende Waisenkind ist Esther und im Gegensatz zum ersten Film, in dem ihre Identität erst gegen Ende als große Überraschung enthüllt wird, wird uns das hier gleich in den ersten Minuten, die 2007 in Estland im Saarne Institut spielen, verraten. Esther, die in diesem Moment unter ihrem Geburtsnamen Leena Klammer in der Anstalt lebt, sieht aus wie ein Kind, ist aber eine 31-jährige Frau, die ihre Umgebung manipuliert und wegen schlimmer Verbrechen in der Anstalt sitzt.

Ihr gelingt der Ausbruch.

In einer Vermisstenanzeige bemerkt sie eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihr und der vor vier Jahren in den USA spurlos verschwundenen Esther Albright. Sogar das Alter würde passen. Also nimmt sie Esthers Identität an und kommt nach Darien, Connecticut, wo Esthers Familie sie herzlich aufnimmt.

Kurz darauf bemerkt sie, dass sie sich nicht in eine harmlose, begüterte Heile-Welt-Familie eingeschlichen hat.

Wie misslungen „Orphan: First Kill“ ist, liegt daran, ob man den Horrorthriller mit dem Original oder Willam Brent Bells vorherigen Filmen vergleicht.

Jaume Collet-Serra inszenierte 2009 das Original „Orphan – Das Waisenkind“. Damals spielten Vera Farmiga und Peter Sarsgaard das Ehepaar, das die neunjährige Waise Esther adoptiert und sich den Teufel ins Haus holt. Isabelle Fuhrman spielte damals und jetzt im Prequel Esther.

Nach dem Horrorthriller inszenierte Collet-Serra mehrere gelungene Actionthriller mit Liam Neeson. Sein neuester Film ist, mit Dwayne Johnson, der Ende Oktober startende DC-Superheldenfilm „Black Adam“.

Orphan – Das Waisenkind“ war als Einzelfilm gedacht. Und, obwohl er inzwischen Kultstatus hat, hat eigentlich niemand eine Fortsetzung erwartet. Einmal weil Esther am Ende des Films tot ist (wobei gestandene Horrorfilmfans wissen, dass das kein Hindernis für weitere Filme ist); einmal weil seit dem Originalfilm über zehn Jahre vergangen sind.

Verglichen mit „Orphan – Das Waisenkind“ ist „Orphan: First Kill“ dann eine ziemlich läppische Wiederholung des Originals in einer anderen Familie – Julia Stiles und Rossif Sutherland spielen die Eltern, Matthew Finlan ihren gerade so erwachsenen Sohn – und einem vorhersehbarem Ende. Schließlich ist Esther in dem chronologisch danach spielendem Film noch quicklebendig.

Aber Collet-Serra hat mit „Orphan: First Kill“ nichts zu tun.

Deshalb sollte „Orphan: First Kill“ vielleicht besser mit den vorherigen Filmen von William Brent Bell verglichen werden. Das sind unter anderem die Horrorfilme „The Boy“ und „Brahms: The Boy II“. Beides sind keine besonders gruseligen Filme. „Orphan: First Kill“ schließt sich nahtlos daran an. Nur dass es sich dieses Mal um einen vergessenswerten, erstaunlich schlecht aussehenden Horrorthriller handelt.

Dabei hätte man aus den Geheimnissen der Familie Albright und wie sie sie beschützen wollen, durchaus einen spannenden Thriller und ein bis zum letzten Moment spannendes Duell irgendwo zwischen Psychoduell und Gewaltexzess machen können.

Blöderweise wird „Orphan: First Kill“ genug Geld einspielen, um uns irgendwann demnächst die Geschichte von Esthers Morden als Leena Klammer und wie sie in das Saarne Institut gekommen ist, zu erzählen.

P. S.: Tele 5 zeigt am Samstag, den 10. September, um 22.25 Uhr und am Montag, den 12. September, um 23.20 Uhr das von Jaume Collet-Serra inszenierte Original „Orphan – Das Waisenkind“.

Orphan: First Kill (Orphan: First Kill, USA 2022)

Regie: William Brent Bell

Drehbuch: David Coggeshall, David Leslie Johnson-McGoldrick (nach einer Geschichte von David Leslie Johnson-McGoldrick und Alex Mace)

mit Isabelle Fuhrmann, Julia Stiles, Rossif Sutherland, Hiro Kanagawa, Matthew Finlan, Samantha Walkes, Dave Brown

Länge: 99 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Orphan: First Kill“

Metacritic über „Orphan: First Kill“

Rotten Tomatoes über „Orphan: First Kill“

Wikipedia über „Orphan: First Kill“

Meine Besprechung von William Brent Bells „The Boy“ (The Boy, USA 2016)

Meine Besprechung von William Brent Bells „Brahms: The Boy II“ (Brahms: The Boy II, USA 2020)


Neu im Kino/Filmkritik: „Brahms: The Boy II“ ist wieder da

Februar 20, 2020

Vor vier Jahren zeigte William Brent Bell in seinem Horrorfilm „The Boy“, wie viel Schrecken eine Puppe, also ein bewegungsloser Gegenstand, verbreiten kann. Damit ist Brahms, so der Name der wie ein katholischer Chorknabe aussehenden Puppe, der Bruder von Annabelle. Am Ende des kleinen Horrorfilms gibt es eine durch nichts im Film vorbereitete und daher ziemlich unglaubwürdige Erklärung für Brahms Taten. Der Film war an der Kasse erfolgreich genug, um eine Fortsetzung zu rechtfertigen.

Mit „Brahms: The Boy II“ legt Bell jetzt, wieder nach einem Drehbuch von Stacey Menear, eine Fortsetzung vor, die vor allem Freunde regelmäßiger Jumpscares begeistern wird.

Dieses Mal zieht eine bürgerliche Kleinfamilie in das Gästehaus des verlassen in der englischen Provinz stehenden Heelshire Anwesens. Sean hofft, dass seine Frau Liza und sein Sohn Jude in der malerischen Einsamkeit die psychischen Folgen eines sehr gewalttätigen nächtlichen Einbruchs in ihr Londoner Reihenhaus überwinden können.

Kurz nach ihrer Ankunft findet Jude, der nach dem Überfall verstummte, im Wald in einem Grab die titelgebende Porzellanpuppe. Schnell baut er eine Beziehung zu Brahms auf. Brahms wird sein ständiger Begleiter. Er beginnt sich sogar mit ihr zu unterhalten. Die von Brahms aufgestellten Regeln, wie dass es keine Gäste im Haus geben darf, dass die Familie gemeinsam isst und dass sein Gesicht nicht verdeckt werden darf, müssen befolgt werden. Sonst wird er wütend.

In unter neunzig Minuten, mit wenigen Schauspielern (weitgehend handelt es sich um ein Drei-Personen-Stück) und Schauplätzen (fast der gesamte Film spielt im Gästehaus), erzählt Bell eine klassische B-Picture-Horrorgeschichte, die es so schon unzählige Male gab. Alle möglicherweise interessanten Aspekten werden ignoriert zugunsten von einer homöopathischen Dosis Suspense und vielen unblutigen Schreckmomenten.

Anspruchslose Horrorfilmfans dürften daher bei „Brahms: The Boy II“ einige Male zusammenzucken. Für alle anderen ist Bells Werk ein vernachlässigbarer Horrorfilm.

Brahms: The Boy II (Brahms: The Boy II, USA 2020)

Regie: William Brent Bell

Drehbuch: Stacey Menear

mit Christopher Convery, Katie Holmes, Owain Yeoman, Ralph Ineson

Länge: 86 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Brahms: The Boy II“

Metacritic über „Brahms: The Boy II“

Rotten Tomatoes über „Brahms: The Boy II“

Wikipedia über „Brahms: The Boy II“

Meine Besprechung von William Brent Bells „The Boy“ (The Boy, USA 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Boy“ – eine Puppe mit Bedürfnissen

Februar 18, 2016

Puppen mit einem Eigenleben sind im Horrorfilm natürlich ein uralte Topoi, der gerade wegen dem offensichtlichen Widerspruch zwischen einem leblosen Gegenstand und ihren Taten, die ohne Bewegung unmöglich sind, gruseligen Spaß macht. Außerdem ist es immer wieder erstaunlich, wie lebendig eine Puppe, die sich nicht bewegt, wirken kann. Vor über einem Jahr sahen wir das in „Annabelle“, einem insgesamt nicht besonders gutem Horrorfilm. Der Puppe Annabelle hätte man einen besseren Film gewünscht.
Auch Brahms, so heißt die Puppe in William Brent Bells zitatfreudigem Horrorfilm „The Boy“, hätte man einen besseren Film gewünscht. Brahms ist eine Porzellanpuppe, die in ihrem Anzug und dem akkuraten Seitenscheitel, wie ein Wiedergänger von Damien (aus den „Omen“-Filmen) aussieht. Er ist der Sohn von Mr. und Mrs. Heelshire, die in einem schlossähnlichem Anwesen mitten im englischen Nirgendwo leben und die Puppe wie ihren vor Jahren durch ein Unglück verstorbenen achtjährigen Sohn behandeln. Deshalb engagieren sie, als sie für einige Tag weg fahren wollen, auch ein Kindermädchen.
Die US-Amerikanerin Greta (Lauren Cohan aus „The Walking Dead“), gerade auf der Flucht vor einer desaströsen Beziehung, soll die Aufgabe übernehmen. Sie ist zunächst irritiert, geht dann aber willig auf die Wahnvorstellung der Heelshires ein. Sie werde, während sie weg sind, ihren Sohn wie ein Kind behandeln und sich selbstverständlich an die ihr überreichten Verhaltensregeln halten. Denn Brahms ist nur solange ein braver Junge, solange diese Regeln befolgt werden.
Dummerweise spielen eben diese Regeln im Film dann, abgesehen von ein, zwei fast schon zufälligen Erwähnungen, keine Rolle. Dabei hätten diese Regeln, die von Greta natürlich sofort ignoriert werden, den Fahrplan für einen eskalierenden Konflikt zwischen dem Kindermädchen und dem Jungen sein können. Man hätte auch die Kulturen aufeinanderprallen lassen können. Also US-amerikanische Unbekümmertheit gegen britische Noblesse. Immerhin wirken die Heelshires und ihr Anwesen, als habe sich seit dem viktorianischen Zeitalter nichts geändert.
Stattdessen gibt es im Film zwei überraschende Wendungen. Die erste wird nicht erklärt. Deshalb ist sie psychologisch unplausibel und unlogisch. Die zweite Wendung, kurz vor dem Finale, erklärt dann zwar die Bedeutung des strikten und teils absurden Regelkatalogs, aber sie wird während des gesamten Films nicht vorbereitet, sondern als Überraschung wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert.
So plätschert „The Boy“ als Ein-Personenstück (wenn wir Brahms und Gretas neuen Freund, einen feschen Dorfburschen, ignorieren) spannungs- und gruselfrei vor sich hin und verschenkt all die schönen erzählerischen Möglichkeiten, die durch seine Prämisse, den Handlungsort und die Lösung auf der Hand liegen.

The Boy - Plakat 4

The Boy (The Boy, USA 2016)
Regie: William Brent Bell
Drehbuch: Stacey Menear
mit Lauren Cohan, Rupert Evans, Jim Norton, Diana Hardcastle, Ben Robson, Jett Klyne
Länge: 97 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Englische Homepage zum Film
Moviepilot über „The Boy“
Metacritic über „The Boy“
Rotten Tomatoes über „The Boy“
Wikipedia über „The Boy“