Buch-/Filmkritik: Stieg Larssons „Vergebung“

Wer die Millenium-Trilogie von Stieg Larsson verschlungen hat, wird natürlich auch in den dritten Teil gehen und sich an einer romannahen Verfilmung erfreuen können. Auch wenn ein gesamter Subplot entfernt wurde. Aber wie schon in „Verblendung“ und „Verdamnis“ bleibt das Gerüst der Geschichte intakt.

Für die anderen Menschen – nun, sieht das Ganze etwas anders aus.

Vergebung“ schließt nahtlos an den zweiten Teil „Verdammnis“ an. Lisbeth Salander liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Ihr Vater Alexander Zalachenko (im Buch Zalatschenko) im Zimmer nebenan und ihr Bruder Ronald Niedermann ist auf der Flucht. Der Staat bereitet die Anklage gegen Lisbeth vor. Immerhin hat sie versucht ihren Vater zu töten. Ihr Freund, der Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist, versucht ihr zu helfen.

Gleichzeitig versuchen die Beamten, die den russischen Überläufer Zalachenko die letzten Jahrzehnte schützten, ihn und damit auch sich weiterhin zu schützen.

Diese Aufräumaktion und wie sie schiefgeht wird im Film und im Buch in epischer und quälend-langatmiger Breite erzählt. Denn anstatt die Karten neu zu verteilen und damit alle Gewissheiten aus „Verdammnis“ wieder zumindest in Frage oder sogar komplett auf den Kopf zu stellen, erzählt Larsson einfach chronologisch weiter, was passiert. Deshalb ist die Hauptstory (Mikael versucht Lisbeth zu rehabilitieren) nur ein dröger Nachklapp zu der vorherigen Geschichte. Es ist, weil eigentlich in „Verdammnis“ bereits alles gesagt wurde und in „Vergebung“ keine neuen Erkenntnisse die alten Gewissheiten in Frage stellen, ein elend langer Epilog, bei dem viel, aber immer mit klarer Rollenverteilung, intrigiert wird. Denn Zalachenkos Freunde von der Sicherheitspolizei (SiPo) wollen Lisbeth Salander jetzt endgültig in die Psychiatrie einweisen lassen.

Auf der Leinwand ist dieses Pläneschmieden von einer Armada sprechender Köpfe oft ziemlich langweilig anzusehen. Denn Kino ist Bewegung und in „Vergebung“ gibt es das nur homöopathische Dosen.

Wenn Larssons Charaktere nicht gerade reden, schreiben und lesen sie. Das ist in einem Roman kein Problem, aber auf der Leinwand, wenn notgedrungen mit Voice-Over und Selbstgesprächen gearbeitet wird, langweilig.

Dagegen fällt immer stärker auf, dass die Bücher von Stieg Larsson Märchen für Erwachsene sind. Es gibt die edlen Guten und die fiesen, teilweise erstaunlich dilettantisch agierenden Bösen. Dazwischen gibt es nichts und am Ende geht die Geschichte gut aus. Denn der edle Ritter (aka Mikael Blomkvist, der nicht Kalle Blomkvist genannt werden möchte) hat die Jungfrau (aka Lisbeth Salander, die zeitgemäße Version von Pippi Langstrumpf mit starken Verhaltensstörungen) gerettet. Dass Salander am Ende noch einmal ihrem untergetauchten Bruder begegnet, ist nur ein Tribut an die gewandelten Zeiten. Immerhin gibt es inzwischen in Buch, Film und Computerspiel genug Frauen, die lustvoll ganze Horden von Männern verprügeln und töten.

So vereint „Vergebung“ das Beste und das Schlechteste von Stieg Larsson jetzt auch im Film. Obwohl wieder viel überflüssiger Ballast gestrichen wurde, ist der Film viel zu lang. Genaugenommen ist „Vergebung“ nur ein Epilog zu „Verdammnis“, der anstatt 5 Minuten fast 150 Minuten dauert und überraschungsfrei und ziemlich humorlos die Stationen eines Strafverfahrens abhakt. Nur die superdoofen Gegner von unserem tapferen Journalisten Blomkvist erstaunen immer wieder.

Für Larsson-Fans ist „Vergebung“ sicher eine probate Illustration des Buches. Wer aber den zweiten Teil der Millenium-Trilogie „Verdammnis“ nicht gelesen oder gesehen hat, wird sich beim Sehen von „Vergebung“, weil die meisten Charaktere und Hintergründe nicht mehr eingeführt werden, öfters sehr verloren fühlen.

In Schweden ist bereits die deutlich TV-Version von „Verblendung“ (dem besten Film der Trilogie), „Verdammnis“ und „Vergebung“ gelaufen. Larsson-Fans sollten sich also überlegen, ob sie sich jetzt die Einzel-DVDs kaufen oder auf den Extended-Cut warten.

Vergebung (Luftslottet som sprängdes, Schweden/Dänemark/Deutschland 2009)

Regie: Daniel Alfredson

Drehbuch: Ulf Rydberg (nach dem Roman von Stieg Larsson)

mit Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Jacob Ericksson, Sofia Ledarp, Mikael Spreitz, Niklas Hjulström, Lena Endre, Michalis Koutsogiannakis, Yasmine Garbi, Per Oscarsson, Anders Ahlborn Rosendahl

Vorlage

Stieg Larsson: Vergebung

(übersetzt von Wibke Kuhn)

Heyne 2008

864 Seiten

9,95 Euro (Taschenbuch)

Originalausgabe

Luftslottet som sprängdes

Norstedts Förlag, Stockholm 2007

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Vergebung“

Meine Besprechung von „Verblendung“ (Buch und Film)

Meine Besprechung von „Verdammnis“ (Buch und Film)

Homepage von Stieg Larsson

Heyne über Stieg Larsson

Krimi-Couch über Stieg Larsson

Wikiepedia über Stieg Larsson (deutsch, englisch)

Stieg Larsson in der Kriminalakte

7 Responses to Buch-/Filmkritik: Stieg Larssons „Vergebung“

  1. […] Buch-/Filmkritik: Stieg Larssons „Vergebung“ « Kriminalakte […]

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  3. […] Lars Arffssen mit „Verarschung“ die Bestseller „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ von Stieg Larsson parodiert, dürfte auch dem Dümmsten sofort […]

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  7. […] als Lisbeth Salander in den Stieg-Larsson-Verfilmungen „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ und als ebenfalls schlagkräftige Zigeuner-Wahrsagerin in Guy Ritchies „Sherlock Holmes: Spiel im […]

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