Neu im Kino/Filmkritik: „Elser“ – ein deutscher Held

Der Film beginnt in Konstanz an einem Grenzposten zur Schweiz. Georg Elser hat in München im Bürgerbräukeller eine Bombe platziert, die Adolf Hitler töten soll. Allerdings beendet Hitler seine Rede vorzeitig und der Anschlag geht schief. Aber die Grenzbeamten halten Elser für verdächtig und eine erste Durchsuchung bestätigt ihren Verdacht, dass Elser etwas vor ihnen verbirgt. Kurz darauf beginnen Arthur Nebe, Chef der Kripo im Reichssicherheitshauptamt, und Gestapochef Heinrich Müller ihn zu verhören. Sie glauben, einen oder den Verantwortlichen für den Anschlag vom 8. November 1939 auf Hitler vor sich zu haben.
Fred Breinersdorfer, der bereits das Drehbuch für „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ schrieb und „Elser“ mit seiner Tochter Léonie-Claire Breinersdorfer schrieb, entwarf „Elser“ als Gegenmodell und Variation von „Sophie Scholl“. Gerade weil beide Filme gleich aufgebaut sind (Verhaftung – Verhör mit Rückblenden – Ermordung) rückt die Frage des Widerstands gegen ein verbrecherisches Regime in den Mittelpunkt. Sophie Scholl verkörpert dabei das gesellschaftlich allgemein akzeptierte Bild des Widerstandes: jung (1921 geboren), gut aussehend (erinnert euch an die fast ikonographischen Bilder von ihr), christlich (was heute eher ignoriert wird), gewaltfrei und Teil einer ähnlich gesinnten Gruppe, deren Mitglieder weniger bekannt sind.
Georg Elser ist das Gegenmodell: schon etwas älter (1903 geboren), politisch engagiert (er war Mitglied in der KPD-Kampforganisation „Roter Frontkämpferbund“), ein Lebemann, der als übergenauer Tüftler (er war Schreiner und Uhrmacher) sich irgendwann entschloss, etwas zu tun und dann, ohne mit irgendjemand darüber zu reden, einen kaltblütigen Mord, einen Tyrannenmord, plante.
Die Frage, ob ein Tyrannenmord gerechtfertigt ist, steht dann auch im Zentrum von „Elser“, den Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“, aber auch „Das Experiment“, „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ und „Five Minutes of Heaven“ [mit Liam Neeson]) souverän als Polit-Thriller zum Nachdenken inszenierte.
Dabei umschiffen die Breinersdorfers und Hirschbiegel Vergleiche mit Klaus-Maria Brandauers „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ (1989) indem sie die konkreten Vorbereitungen, die in Brandauers Thriller im Mittelpunkt stehen, links liegen lassen. „Elser“ erzählt, nah an den historisch verbürgten Fakten, wie Elser sich ausgehend von seinen Beobachtungen entschloss, das Attentat gegen den Diktator zu planen und was nach seiner Verhaftung ihm geschah.
Der Film zeigt auch ein anderes Bild von Georg Elser, dessen Tat für verschiedene Legenden benutz wurde, in denen er meistens mehr oder selten weniger diffamiert wurde. Im Nachkriegsdeutschland wurde er lange totgeschwiegen. Seine Familie und Verwandten distanzierten sich lange von ihm. Aber das ist ein Kapitel, das in „Elser“ nicht angesprochen wird.
Elser lebte und arbeitete in den Zwanzigern am Bodensee, vor allem in Konstanz, in verschiedenen Uhrenfabriken. Seine Vorgesetzten mussten ihn immer wieder entlassen, weil die Geschäfte schlecht liefen. 1932 kehrte er zurück nach Königsbronn auf der Schwäbischen Alb. Er war ein Stenz, ein beliebter Hallodri, ein Musiker mit vielen Frauenbeziehungen, auch mit verheirateten Frauen, und der Vater von mehreren unehelichen Kindern. Er war auch ein genauer Beobachter und er zog, als einfacher Mann aus dem Volk und Hilfsarbeiter in einer Heidenheimer Armaturenfabrik, aus seinen Beobachtungen über die veränderte Stimmung im Dorf, den Nachrichten und den Kriegsvorbereitungen in der Fabrik – im Gegensatz zu fast allen Deutschen – die richtigen Schlüsse und er tat das, was er für richtig hielt. Er agierte früher und konsequenter als die anderen heute allgemein bekannten deutschen Widerstandskämpfer. Sophie Scholl, die Weiße Rose und die Soldaten um General von Stauffenberg, um nur die bekanntesten Namen zu nennen, entschlossen sich erst in den letzten Kriegsjahren zum Widerstand. Elser plante seine Tat schon ein gutes Jahr vor dem Kriegsbeginn.
Am Ende des beeindruckenden Films, der auch zeigt, wie die Nazi-Ideologie sich ohne nennenswerten Widerstand in dem Dorf verbreitete, steht die Frage, ob man selbst wie Elser agiert hätte und wann ein Tyrannenmord gerechtfertigt ist.
Seine Premiere erlebte „Elser“ auf der diesjährigen Berlinale und dort sicherte sich Sony Pictures Classical, unter dem Titel „13 Minutes“, sofort die Verleihrechte für Amerika.

Elser - Plakat

Elser (Deutschland 2015)
Regie: Oliver Hirschbiegel
Drehbuch: Fred Breinersdorfer, Léonie-Claire Breinersdorfer
mit Christian Friedel, Katharina Schüttler, Burghart Klaußner, Johann von Bülow, Felix Eitner, David Zimmerschmied, Rüdiger Klink, Cornelia Köndgen, Martin Maria Abram, Udo Schenk
Länge: 114 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Filmportal über „Elser“
Film-Zeit über „Elser“
Moviepilot über „Elser“
Rotten Tomatoes über „Elser“
Wikipedia über „Elser“ und Georg Elser
Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Five Minutes of Heaven“ (Five Minutes of Heaven, GB 2009)
Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Diana“ (Diana, USA/GB 2013)
Homepage von Fred Breinersdorfer

Zwei kurze Interviews mit Oliver Hirschbiegel

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