Neu im Kino/Filmkritik: Über Yuri Ancaranis „Atlantide“

Sie rasen im selbstmörderischen Tempo in hochgetunten Motorbooten durch die Lagune von Venedig. Zwischen diesen Jungen gibt es einen Wettbewerb, wer am schnellsten Fahren kann. Der aktuelle Rekord mit einen Barchini, das offiziell keine zehn Stundenkilometer fahren darf, liegt bei über achtzig Stundenkilometern. Daniele will noch schneller fahren.

Wenn die spärlich bekleideten Jungs nicht gerade durch die Lagune brettern, fahren sie durch die Kanäle von Venedig. Tags. Nachts. Oder sie veranstalten in einer Ruine mit Blick auf das Wasser eine Techno-Disco.

Yuri Ancarani beobachtet das eher lethargische Treiben der Jungen und ihrer Mädchen. Er ist ein Videokünstler, der bereits mehrere dokumentarische Kurzfilme und den längeren Dokumentarfilm „Die Herausforderung“ (The Challenge, 2016), über die in Katar von vermögenden Scheichs ausgeübte Falkenjagd, drehte.

In seinem neuen Film „Atlantide“ interessiert er sich für eine andere Gemeinschaft. Nämlich die der in der Lagune von Venedig Barchini fahrenden Jugendlichen. Über mehrere Jahre begleitete Ancarani sie und ließ dabei die Kamera laufen. Der so entstandene Film ist dann ein nicht erzählender, eher dokumentarischer als fiktionaler Film.

Ancanari inszeniert die jungen Italiener, die von ihrem Habitus an das von Pier Paolo Pasolini vor Jahrzehnten porträtierte Subproletariat erinnern, vor allem als Körper. Er beobachtet sie, wenn sie sich in der Sonne langweilen. Er lässt sie reden. Er sitzt im Boot, wenn sie endlos durch Venedig und die Lagune fahren und dabei Eurotechno hören. Dabei bleiben sie Gesichter, über die wir nichts erfahren. Auch weil sie, wenn sie reden, sich nur über Banalitäten unterhalten und genausogut schweigend in ihren Booten sitzen könnten.

Atlantide“ beschreibt einen unklaren Zustand, ohne Vergangenheit und Zukunft. Es ist eine Momentaufnahme; meist mit videoclipartig überhöhten Bildern. Wer sich darauf einlassen kann, wird einen sogartigen Musikclip sehen. Wer sich, auch weil ihn die Musik nicht anspricht, nicht darauf einlassen kann, wird sich elendig langweilen über diese gut zweistündige Präsentation von Oberfläche, die in einem Museum als Installation nicht fehlplatziert wäre.

Atlantide (Atlantide, Italien/Frankreich/USA/Katar 2021)

Regie: Yuri Ancarani

Drehbuch: Yuri Ancarani

mit Daniele Barison, Bianka Berényi, Maila Dabalà, Alberto Tedesco, Jacopo Torcellan

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Atlantide“

Metacritic über „Atlantide“

Rotten Tomatoes über „Atlantide“

Wikipedia über „Atlantide“ (deutsch, italienisch)

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