Vor drei Wochen lief „November“ in unseren Kinos an. Der Thriller zeigt die Arbeit der Polizei nach den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015. Bei den Anschlägen wurden 130 Menschen getötet und über 600 verletzt. „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ ergänzt „November“ indem er eine andere Seite der damaligen Ereignisse zeigt.
An dem Abend geht Hélène Leiris mit einem Freund ins Bataclan. Dort wollen sie sich das Konzert der Eagles of Death Metal ansehen. Ihr Mann Antoine bleibt mit ihrem siebzehn Monate altem Sohn Melvil zu Hause.
Einige Stunden später ist Hélène tot. Erschossen von islamistischen Terroristen. Antoine ist Witwer mit einem Kleinkind.
Kurz darauf schreibt der Journalist einen Text für seine Facebook-Seite. Es ist sein Versuch, ihren Tod zu verarbeiten und eine Absage an die Logik des Hasses: „Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht.“
Bei seinen Lesern trifft sein Text einen Nerv. Weltweit teilen sie ihn. Die Tageszeitung „Le Monde“ druckt ihn auf ihrer Titelseite nach. Fortan ist Antoine die Stimme der trauernden Hinterbliebenen. Er wird in Talkshows eingeladen, um seine Meinung zu sagen. Gleichzeitig muss er mit dem Verlust klarkommen und sich um seinen Sohn kümmern.
Killian Riedhof („Gladbeck“, „Der Fall Barschel“) konzentriert sich in seinem Film „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, der die wahre Geschichte von Antoine Leiris erzählt, auf Antoine Leiris, seine Trauer und seine Beziehung zu seinem Sohn. Die Terroristen, ihre Motive und die Jagd nach ihnen spielen keine Rolle.
Diese Entscheidung führt dazu, dass die Stimmung in Paris nach den Anschlägen und die Frage, wie mit den Tätern, dem Islamismus und dem Islam umgegangen werden soll, egal sind. Außer dem Sonntagsspruch, dass Hass nicht mit Hass, sondern mit Liebe beantwortet werden soll, bleibt da nichts.
Gleichzeitig wird der Grund für Hélènes Tod zu einem austauschbarem Unglück. Sie hätte genausogut durch einen Autounfall oder einen Herzanfall sterben können. Für Antoine hätte sich an seiner Trauer und seinem vor allem auf sich sebst bezogenem Verhalten nichts geändert. Er hätte nur niemals die große mediale Bühne bekommen, um darüber zu reden. Diese Talkshow-Auftritte sind, auch wenn er es in dem Moment nicht wahrhaben will, ein Teil des Trauerprozesses. Sie sind gleichzeitig sein Versuch, mit dem plötzlichen Verlust eines geliebten Menschen umzugehen, und seine Flucht vor der Verantwortung. Denn er ist jetzt die einzige Bezugsperson für ihren Sohn und er sollte sich um die Beerdigung kümmern.
Diesen Prozess der Trauer, des Umgangs mit einem Verlust und der größeren Verantwortung für ein Kind zeigt Killian Riedhof überzeugend und auch feinfühlig.
Als Film über die Terroranschläge enttäuscht er aufgrund seiner ausschließlichen Konzentration auf ein privates Schicksal.
Meinen Hass bekommt ihr nicht (Vous n’aurez pas ma haine, Deutschland/Frankreich/Belgien 2022)
Regie: Kilian Riedhof
Drehbuch: Jan Braren, Marc Blöbaum, Kilian Riedhof, Stéphanie Kalfon
LV: Antoine Leiris: Vous n’aurez pas ma haine, 2016 (Meinen Hass bekommt ihr nicht)
mit Pierre Deladonchamps, Zoé Iorio, Camélia Jordana, Thomas Mustin, Christelle Cornil, Anne Azoulay, Farda Rahouadj, Yannuk Choirat
Länge: 103 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Hinweise
Filmportal über „Meinen Hass bekommt ihr nicht“
Moviepilot über „Meinen Hass bekommt ihr nicht“