Zehn Jahre nach ihrem Spielfilmdebüt „Finsterworld“, einer schwarzen Komödie über Deutschland, seziert Frauke Finsterwalder jetzt das Leben von Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn, bekannter als Sisi (bzw. seit den Romy-Schneider-Filmen Sissi). Das Drehbuch schrieb sie wieder mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Christian Kracht. Aber während „Finsterworld“ ein Ensemble- und Episodenfilm war, konzentriert sie sich in ihrem neuen Film, wie der Titel „Sisi & Ich“ schon verrät, auf zwei Personen: die Kaiserin Elizabeth (Susanne Wolff) und Irma, Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller), ihre neue Hofdame. Irma ist eine mit 42 Jahren schon ältere, immer noch nicht verheiratete Frau, die unter der strengen Fuchtel ihrer Mutter steht und von ihr in diese Anstellung gedrängt wird. Sisis vorherige Hofdame begutachtet sie wie ein Stück Vieh, stellt sie ein und schickt sie sofort nach Korfu. Dort hält sich die Kaiserin mit ihrem Hofstaat auf.
Als Irma nach einer qualvollen Reise auf der Insel ankommt, entdeckt sie eine Welt, die nichts mit dem strengen Hofprotokoll zu tun hat. Graf Berzeviczy ist der einzige Mann auf der Insel. Er ist ein der Kaiserin treu ergebener, am Rand stehender, für flüssige Abläufe sorgender Diener. Das Leben der Frauen auf Korfu ähnelt dem Leben in einer freien, dauerbekifften Frauenkommune mit einem Oberhaupt, das sich wie ein von allen abgöttisch verehrter Popstar verhält. Sisi leidet an Stimmungsschwankungen, benimmt sich wie ein kleines Kind, will immer ihren Spaß haben, vergibt spontan ihre Gunst und entzieht sie genauso schnell. Jetzt schenkt sie ihre Gunst ihrer neuen Hofdame Irma. Und diese erwidert sie. Schnell entsteht eine Freundschaft, in der das Machtgefälle zwischen den beiden Frauen immer präsent ist.
Wie „Corsage“, Marie Kreutzers Sisi-Interpration, die letztes Jahr im Kino lief, interpretiert Frauke Finsterwalder Sisi und den Sisi-Mythos frei für die Gegenwart. Beide Filme konzentrieren sich auf die zweite Hälfte von Sisis Leben und enden mit ihrem Tod. Beide Filme entfernen sich immer wieder von den historisch verbürgten Fakten; wozu auch Sisis Tod gehört. In beiden Filmen gibt es bewusste Brüche. In „Corsage“ sind das moderne Gegenstände und eine auf einer Abendgesellschaft präsentierte Neuinterpretation von „As Time goes by“.
In „Sisi & Ich“ erfolgt die Modernisierung des historischen Stoffes überzeugender, gelungener und weniger störend vor allem über die Haltung der Figuren, das Spiel der Schauspieler, satirische Zuspitzungen und die Musik. Es gibt nämlich achtzehn von Frauen gespielte und gesungene Lieder, die ein gutes Mixtape ergeben. Es sind vor allem in der breitest möglichen Definition Rocksongs, die Frauke Finsterwalder nicht nach ihrer Popularität bei der breiten Masse, sondern nach ihrem Geschmack und der Stimmigkeit für den Film auswählte.
(Einschub: Es beginnt mit „Wandering Star“ von Portishead. Es folgen „Deceptacon“ von Le Tigre, „Meantime“ von Beaumont, „Things That We Do“ von Rose Melberg, „Lady with the Braid“ von Dory Previn, „Life after youth“ von Tess Parks, „Waiting“ von Alice Boman, „Sinks of Gandy“ von The Other Years, „Death a la carte“ von Would-Be-Goods, „Baby alive“ von Nina Hynes, „Angel“ von Seagull Screaming Kiss Her Kiss Her, „Festival of Kings“ von The Mark Wirtz Orchestra and Chorus, „Girlie Pop“ von Pop Tarts, „Shchedryk (Carol of the Bells)“ von Bel Canto Choir Vilnius, „Afraid“ von Nico, „Shining“ von Peace Orchestra, „Cosmic Dancer“ von Sandra Hüller [ursprünglich ein „T. Rex“-Song, aber es sollten nur Frauen singen] und, etwas Klassik muss sein, „Clara Schumann: Piano Sonata G-Minor II Adagio“ von Yoshiko Iwai.)
Nach der auf Korfu spielenden ersten Hälfte der Komödie, begibt Sisi sich auf eine Reise durch ihr Königreich, halb Europa und nach Ägypten. Dabei zeigt sie immer wieder ihr schon von Korfu bekanntes sprunghaftes, triebgesteuertes, mit den Konventionen des Hofprotokolls haderndes manisch-depressives Verhalten. Immer wieder bricht sie kurzzeitig aus dem goldenen Käfig aus. Und kehrt wieder zurück. Das ergibt eine schnell redundant werdende Aneinanderreihung des Immergleichen. Denn zwischen den zweiten und dem zehnten Ausbruchversuch aus dem Hofprotokoll ergeben sich keine neuen Erkenntnisse.
Damit reiht „Sisi & Ich“ sich in die Reihe aktueller Filme ein, die eine sehr gelungene, in sich geschlossene erste Hälfte, in der eigentlich alles gesagt wird, und eine zerfasernde, zunehmend uninteressantester werdende zweite Hälfte haben.
Sisi & Ich (Deutschland/Schweiz/Österreich 2023)
Regie: Frauke Finsterwalder
Drehbuch: Frauke Finsterwalder, Christian Kracht
mit Sandra Hüller, Susanne Wolff, Stefan Kurt, Georg Friedrich, Sophie Hutter, Maresi Riegner, Johanna Wokalek, Sibylle Canonica, Angela Winkler, Markus Schleinzer, Anne Müller, Anthony Calf, Tom Rhys Harries, Annette Badland
Länge: 132 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
–
Hinweise
Rotten Tomatoes über „Sisi & Ich“
Wikipedia über „Sisi & Ich“ (deutsch, englisch)
Meine Besprechung von Frauke Finsterwalders „Finsterworld“ (Deutschland 2013)